Gute Nachricht: Wie es zur ersten freien deutschen Übersetzung kam – eine erstaunliche Geschichte

Von Philipp Keller

Bibel, Bibelübersetzung, Eugene Nida, Geschichte, GNB, NT68, Tipps
Dezember 10, 2014

Wie es zu der „Guten Nach­richt Bibel“ kam, ist eine laaan­ge Geschich­te. Ziem­lich sicher wur­de sie noch nie erzählt, denn für die­sen Arti­kel habe ich gut 30 ver­schie­de­ne Quel­len her­an­ge­zo­gen. Eini­ge davon waren schwer zugäng­lich. Was Sie hier lesen, war har­te Arbeit, doch hier ist sie: Die Geschich­te, wie die deut­sche Spra­che zu ihrer ers­ten kom­mu­ni­ka­ti­ven Bibel­über­set­zung kam.

Die Geschich­te der „Guten Nach­richt Bibel“ fängt Ende 19. Jahr­hun­dert bei der Arbeit von Mis­sio­na­ren an. Sie reis­ten in Gebie­te, wo weder Eng­lisch noch Fran­zö­sisch gespro­chen wur­de. Sie fer­tig­ten daher neue Über­set­zun­gen an und über­setz­ten dabei nach bes­ten Kräf­ten ein­fach Wort für Wort, oft aus einer fran­zö­si­schen oder eng­li­schen Über­set­zung. Die Ein­woh­ner akzep­tier­ten die­se Bibeln nicht: Der Text hör­te sich zu unna­tür­lich an.

Eugene Nida und seine Theorie zur „Dynamischen Äquivalenz“

Euge­ne Nida (1914–2012) bereis­te nach sei­nem Theo­lo­gie­stu­di­um die Welt. 1952 war er schon in über 30 Län­dern gewe­sen. Immer mehr wur­de ihm bewusst, wie schlecht die Mis­sio­na­re im Bibel­über­set­zen aus­ge­bil­det waren. Daher reis­te er zu den Mis­sio­na­ren, um ihnen beim Über­set­zen zu hel­fen. Dabei ent­stand sei­ne Theo­rie der „dyna­misch-äqui­va­len­ten“ Über­set­zung. Das Ziel ist fol­gen­des: Auf den Leser soll eine Über­set­zung den­sel­ben Effekt haben wie auf jeman­den, der vor zwei­tau­send Jah­ren das ori­gi­na­le Neue Tes­ta­ment las. Das Pro­blem einer Wort-für-Wort-Über­set­zung (Fach­be­griff: „for­ma­le Äqui­va­lenz“) ist, dass sie zwar nahe am Urtext bleibt, die Leser sie aber oft nicht ver­ste­hen (sie­he Ana­ly­se der sprach­li­chen Fähig­kei­ten im Teil 1 die­ser Bei­trags-Rei­he). Daher ver­fehlt eine sol­che Über­set­zung die gewünsch­te Wir­kung. Auf der ande­ren Sei­te ver­schlei­ert eine all­zu freie Über­set­zung (Fach­be­griff: Para­phra­se) die ursprüng­li­che Bedeu­tung, und Got­tes Wort hat eben­falls nicht die gewünsch­te Wirkung.

Nida schlug vor, einen Mit­tel­weg zu beschrei­ten. Damit eine Über­set­zung eine sol­che Grat­wan­de­rung meis­tert, lehr­te er die Mis­sio­na­re sei­ne Über­set­zungs­theo­rie. Eine gute Zusam­men­fas­sung sei­ner Theo­rie hat er in der von ihm begrün­de­ten Zeit­schrift „The Bible Trans­la­tor“ ver­öf­fent­licht.

Nidas Ansatz war an sich nicht neu. Schon Luther hat­te in sei­nem Sen­de­brief vom Dol­met­schen eini­ges auf­ge­grif­fen. (Luther über­setz­te für sei­ne Zeit erstaun­lich frei, per­sön­lich stu­fe ich die Luther als Vor­rei­ter der dyna­misch-äqui­va­len­ten Metho­de ein, aber das wäre ein Bei­trag für sich).

Er war jedoch der Ers­te, der eine umfas­sen­de, sys­te­ma­ti­sche Theo­rie ver­fass­te. Uner­müd­lich gab er sei­ne Erkennt­nis­se an die Über­set­zer wei­ter und hat­te daher einen gewal­ti­gen Ein­fluss auf die Über­set­zungs­ar­beit des 20. Jahr­hun­derts. Sel­ber ver­fass­te er aller­dings kei­ne Übersetzung.

Good News for modern Man

Doch zurück zu den Mis­sio­na­ren. 1961 äußer­ten Mis­sio­na­re in Afri­ka und dem Fer­nen Osten den Wunsch nach einer Bibel für Erwach­se­ne, die Eng­lisch nur als Fremd­spra­che kann­ten. Gleich­zei­tig beklag­ten Mis­sio­na­re an der ame­ri­ka­ni­schen Gren­ze, es gebe kei­ne Bibel für die nie­de­ren Bil­dungs­schich­ten; ins­be­son­de­re für Lese­schwa­che und Kin­der. So wur­de die Ame­ri­ka­ni­sche Bibel­ge­sell­schaft (ABS) beauf­tragt, eine Bibel­über­set­zung für das Bil­dungs­ni­veau eines Viert­kläss­lers zu erstel­len. Euge­ne Nida war Vor­stands­se­kre­tär bei der ABS, daher war es klar, dass die neue Über­set­zung auf sei­ner Metho­de beru­hen wür­de. Er selbst war aber nicht direkt involviert.

Fünf Jah­re spä­ter kam das Neue Tes­ta­ment unter dem Namen „Good News for Modern Man“ her­aus. Der Erfolg war über­wäl­ti­gend. Inner­halb von drei Jah­ren wur­den 17.5 Mil­lio­nen Exem­pla­re ver­kauft. Das ist einer­seits auf die Ver­mark­tung der neu­en Bibel­aus­ga­be zurück­zu­füh­ren. Das Cover sug­ge­riert, dass die Bibel eben­so ein­fach zu lesen sei wie eine Tages­zei­tung. Ande­rer­seits war die Zeit ein­fach reif für eine sol­che Über­set­zung: Vie­le Ame­ri­ka­ner der 60er-Jah­re ver­stan­den die tra­di­tio­nel­le Kir­chen­spra­che nicht mehr. Sie konn­ten mit Wör­tern wie „rep­en­tance“ (Umkehr) nichts mehr anfan­gen. Die Good News Bible über­setz­te statt­des­sen mit „turn away“ (sich abkehren).

Die erste deutsche kommunikative Bibelübersetzung: „Gute Nachricht für Sie – NT 68“

Hans-Ulrich Nübel von der Würt­ten­ber­gi­schen Bibel­an­stalt ver­stand die Absicht der „Good News Bible“ und sah im deutsch­spra­chi­gen Raum den Bedarf nach einer Über­set­zung mit ähn­li­cher Aus­rich­tung. Er ver­folg­te das­sel­be Ziel wie das eng­li­sche Vor­bild: Die deut­sche Bibel soll­te eben­so leicht zu lesen sein wie eine Zei­tung. Das Cover und der Titel wur­den daher übernommen.

Nübels Befürch­tung war aber die­se: Falls Theo­lo­gen sich an die Über­set­zung machen, kommt schluss­end­lich wie­der eine wört­li­che Bibel­über­set­zung raus. Dar­um fass­te er einen uner­hör­ten Plan:

Er beauf­trag­te drei Jour­na­lis­ten (!), die „Good News Bible“ aus dem Eng­li­schen (!) ins Deut­sche zu über­set­zen. Die Jour­na­lis­ten kamen aus dem kirch­li­chen Umfeld, hat­ten aber recht extra­va­gan­te Ansich­ten. Einer glaub­te, dass Jesus ein geschei­ter­ter poli­ti­scher Auf­stän­di­scher war, und schrieb sogar ein Buch dar­über. Eine emp­fiehlt eine Mischung zwi­schen Chris­ten­tum und Huma­nis­mus. Wich­ti­ger als eine ortho­do­xe Lehr­mei­nung war Nübel, dass sie guten, flüs­si­gen Text schrei­ben konn­ten, und das ist ja, was Jour­na­lis­ten von Berufs wegen am bes­ten können.

Der so ent­stan­de­ne Text wur­de anschlie­ßend von eini­gen Theo­lo­gen mit dem grie­chi­schen Urtext abge­gli­chen. Nur andert­halb Jah­re nach der „Good News Bible“ erschien schließ­lich die „Gute Nach­richt Bibel“.

Man soll­te beden­ken: Es war das ers­te Mal, dass im deut­schen Sprach­raum eine kom­mu­ni­ka­ti­ve Über­set­zung auf den Markt kam. Zudem war allen Betei­lig­ten bewusst, dass die gewähl­te Über­set­zungs­me­tho­de recht gewagt war. Dar­um frag­te man die Leser in der Ein­lei­tung nach Rückmeldungen:

Das Ergeb­nis ist ein Ver­such – daher der Unter­ti­tel NT 68. Für die Wei­ter­ar­beit sind Ein­wän­de und Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge aus dem Leser­kreis sehr erwünscht. (Schrei­ben Sie an die Würt­tem­ber­gi­sche Bibel­an­stalt, 7000 Stutt­gart 1, Post­fach 755.)

(Aus der Ein­lei­tung zur NT68)

Und die­se blie­ben nicht aus. Als Pro­blem wur­de nicht die unor­tho­do­xe Vor­ge­hens­wei­se der Über­set­zer emp­fun­den, son­dern die Tat­sa­che, dass die­se Über­set­zung einen ganz ande­ren Wort­laut hat­te als die ver­brei­te­ten Bibeln (Luther, Schlach­ter, Zür­cher, Elber­fel­der). Die „Gute Nach­richt“ pola­ri­sier­te. Ent­we­der man hass­te sie oder man lieb­te sie.

Eigenheiten der NT68


Pha­ri­sä­er und Steuereintreiber

Ich woll­te die­se Reak­tio­nen nach­voll­zie­hen kön­nen. Und ich woll­te wis­sen, wie es klingt, wenn Jour­na­lis­ten eine Bibel­über­set­zung anfer­ti­gen. Dar­um bestell­te ich mir kur­zer­hand eine gebrauch­te Ausgabe.

Beim Auf­schla­gen des NT68 hat­ten mich zunächst zwei Din­ge überrascht:

Ers­tens: das Lay­out ist das einer Lese­bi­bel: Der Text besteht nur aus der blo­ßen Über­set­zung und den Abschnitts-Über­schrif­ten. Die Vers­num­me­rie­rung fehlt, es gibt kei­ne Fuß­no­ten und kei­ne Quer­ver­wei­se. Sogar die Anfüh­rungs- und Schluss­zei­chen bei direk­ter Rede feh­len. Geschmacks­pro­be: Joh. 1.

Zwei­tens: Hin und wie­der wird eine sei­ten­fül­len­de Zeich­nung ein­ge­scho­ben. Die Zeich­nun­gen stam­men von Horst Lem­ke, einem Kin­der­buch-Zeich­ner, und wur­den eigens für die NT68 ange­fer­tigt. Es wur­den also nicht die Zeich­nun­gen des eng­li­schen Ori­gi­nals über­nom­men. Oben sehen Sie die Zeich­nung, wel­che das Gleich­nis „Pha­ri­sä­er und Steu­er­ein­trei­ber“ illustriert.

Sprach­lich ist die NT68 kei­ne Para­phra­se. Ein Bei­spiel: In Johan­nes 3 heißt es „Was­ser und Geist“ (in der ers­ten Aus­ga­be der „Hoff­nung für alle“ hieß es nur „Geist“); die Spra­che ist recht modern, ohne aber in Vul­ga­ri­tät oder Umgangs­spra­che abzudriften.

Damit Sie sich davon ein Bild machen kön­nen, habe ich ‚Jesus und Niko­de­mus‘ (Joh 3) und ‚Die Arbei­ter im Wein­berg‘ hier online gestellt. Unten ein Ver­gleich von eini­gen Wör­tern in der Luther und in der Guten Nach­richt für Sie (NT68):

Luther NT68
Mk 8,14 Jün­ger Schü­ler
Mt 6,24 Her­ren Vor­ge­setz­ten
Mt 8,1 Aus­sät­zi­ger Lepra­kran­ker
Mt 8,22 Fol­ge du mir Komm mit mir
Mt 8,29 zwei Beses­se­ne zwei Irre
Mt 16,24 neh­me sein Kreuz auf sich und fol­ge mir Er muß sein Kreuz auf sich neh­men und mir nachtragen
Mt 17,2 er wur­de ver­klärt vor ihnen ver­än­der­te er sich vor ihren Augen

Was danach geschah und wie die „Gute Nach­richt Bibel“ 30 Jah­re spä­ter zu der zuver­läs­sigs­ten frei­en deut­schen Bibel­über­set­zung wur­de, davon erzählt im nächs­ten Bei­trag Dr. Rolf Schä­fer, der bei der drit­ten Revi­si­on in der Neun­zi­ger­jah­re als Revi­sor tätig war.

Die­ser Arti­kel ist Teil 2 einer vier­tei­li­gen Rei­he über die Gute Nach­richt Bibel. Die ande­ren 3 Beiträge:

  1. Wie­so freie Bibel­über­set­zun­gen belä­chelt wer­den, und was dar­an falsch ist.
  2. «Es ging dar­um, den ers­ten küh­nen Wurf zu bän­di­gen» – Inter­view mit Dr. Rolf Schä­fer über die Revi­si­on der Guten Nach­richt Bibel
  3. Gute Nach­richt Bibel – eine umfang­rei­che Textkritik

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Philipp Keller

Über den Autor

Das Wort Gottes nicht nur lesen, sondern auch bewundern. Das versucht Philipp selbst zu tun und andere dazu zu motivieren. Er ist Worship-Leiter und bloggt privat. Auf Twitter ist er erreichbar unter @philippkellr

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