Menge-Bibel: Der Elchtest

Von Philipp Keller

Bibel, review
August 30, 2014

Kommt die Fra­ge nach einer guten, genau­en deut­schen Über­set­zung auf, wer­den meist Luther, Elber­fel­der und Schlach­ter genannt. Men­ge steht da häu­fig im Abseits. Zu Unrecht!

Dies ist Teil 2 unse­rer Mini­rei­he über die Menge-Bibel.

Im Teil 1 ging es um die Bio­gra­phie Men­ges, heu­te prü­fen wir, wie gut es Her­mann Men­ge gelang, mög­lichst genau und gleich­zei­tig ver­ständ­lich zu über­set­zen. Es schrei­ben Ben­ja­min Mis­ja (Theo­lo­ge, Über­set­zer bei www​.offe​ne​-bibel​.de) und Phil­ipp Kel­ler (Laie, dem die Ver­ständ­lich­keit der Bibel am Her­zen ist)

Tagsüber in Jerusalem, nachts auf dem Land: Markus 11,19

Durch sei­nen Hin­ter­grund als Alt­phi­lo­lo­ge ist Her­mann Men­ge einer­seits nahe am Urtext geblie­ben. Auf der ande­ren Sei­te war es ihm wich­tig, »nicht am Buch­sta­ben zu kle­ben«. Daher glie­dert sich die Men­ge-Bibel irgend­wo zwi­schen Elber­fel­der und Luther/​Schlachter ein: Die Men­ge-Bibel ist genau­er als die Luther, aber kom­mu­ni­ka­ti­ver als die Elberfelder.

Ein gutes Bei­spiel ist Mk 11,19:

Men­ge Elber­fel­der Luther
Und sooft es Abend gewor­den war, gin­gen sie […] aus der Stadt hin­aus. Als sie nun am fol­gen­den Mor­gen vor­über­gin­gen, sahen sie den Fei­gen­baum […] verdorrt …wenn es Abend wurde… …abends gin­gen sie hin­aus vor die Stadt…

Im Grie­chi­schen beschreibt die fett mar­kier­te Wen­dung ein Ereig­nis, das sich wie­der­holt. Das machen die ver­wen­de­te Zeit­form (Imper­fekt) und die Kon­junk­ti­on (übers. “sooft”) deut­lich erkenn­bar. Man könn­te auf Deutsch also auch sagen: “immer wenn es Abend wur­de”, oder sogar: “jeden Abend…”

Luther lässt die­ses Detail aus nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den aus. Es will näm­lich nicht so recht in die Erzäh­lung pas­sen, dass Jesus und die Jün­ger “jeden Abend” aus der Stadt gin­gen, obwohl Mar­kus hier einen ganz bestimm­ten Tag beschreibt. In Mk 11:27-Mk 14 wird immer wie­der beschrie­ben, dass Jesus und die Jün­ger jeweils am Tag in Jeru­sa­lem waren und am Abend die Stadt ver­lie­ßen. Men­ge über­setzt daher: “Und sooft es Abend gewor­den war, gin­gen sie…”. Luther ent­schied sich also für eine ver­ein­fach­te Wie­der­ga­be, Men­ge ent­schied sich hin­ge­gen dafür, die­se im Grie­chi­schen vor­han­de­ne Zusatz­in­fo trotz allem genau wiederzugeben.

Der ahnungslose Bauer? Markus 4,26–27

Es gibt auch Stel­len, da trifft Men­ge beim Über­set­zen Ent­schei­dun­gen, die nicht alle Über­set­zun­gen mit­ge­hen. Viel­leicht kommt das daher, dass der Alt­phi­lo­lo­ge sich zunächst aus­schließ­lich und inten­siv mit dem Urtext aus­ein­an­der­setz­te, die­sen zuerst meh­re­re Male durch­las und mit Noti­zen ver­sah. Erst dann fing er mit dem Über­set­zen an und zog exege­ti­sche Lite­ra­tur und ande­re Über­set­zun­gen her­an. Franz Eugen Schlach­ter und auch Ulrich Zwing­li (Zür­cher-Bibel) hat­ten kei­nen Hehl dar­aus gemacht, dass sie rela­tiv früh im Über­set­zungs­pro­zess die Luther-Über­set­zung zu Hil­fe nahmen.

Ein Bei­spiel, wo die Men­ge-Über­set­zung nach unse­rer Mei­nung nach nicht über­zeugt, ist Mk 4,26–27:

Men­ge Luther
»Mit dem Rei­che Got­tes ver­hält es sich so, wie wenn jemand den Samen auf das Land wirft und dann schläft und auf­steht in der Nacht und bei Tag; und der Same sproßt und wächst hoch, ohne daß er selbst etwas davon weiß. Mit dem Reich Got­tes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und auf­steht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie.

Men­ge inter­pre­tiert den beschrie­be­nen Vor­gang so, dass der Bau­er unab­sicht­lich einen Samen hat fal­len las­sen und daher gar nicht merkt, dass er auf­ge­gan­gen ist und wächst. Bei Luther bekommt es der Bau­er wohl mit, er ver­steht aber nicht, wie es funk­tio­niert. Aus dem Kon­text her­aus macht Luthers Vari­an­te mehr Sinn. Jesus möch­te sagen: Der Bau­er muss sich nicht son­der­lich um die Saat sor­gen und auch nicht ver­ste­hen, wie es dazu kommt, dass Getrei­de her­an­wächst. Denn die Ver­ant­wor­tung für die Saat von Got­tes Reich liegt bei Gott selbst. Gleich wie Luther über­setzt es die Mehr­heit der Über­set­zun­gen (z.B. Elber­fel­der, NGÜ, , ESV, NIV, King James). Die­ser Unter­schied ver­än­dert zwar die Aus­sa­ge des Gleich­nis­ses, aber nur unwe­sent­lich: In bei­den Fäl­len ist es Gott, wel­cher der Urhe­ber und Voll­ender des Glau­bens ist. Der Mensch weiß weder, wie jemand zum Glau­ben kommt, noch wie der Glau­be wächst.

Heilige Geschwister” oder “heiliges Volk” in Kolosser 1,2

Das gehört dann aber auch schon zu den gewich­ti­ge­ren Unter­schie­den zu den ande­ren Über­set­zun­gen. Theo­lo­gi­sche Unter­schie­de etwa haben wir bis­her nicht bemerkt. Ande­re Unter­schie­de sind weni­ger bedeu­tend. So zum Bei­spiel bei Kol 1:2:

Men­ge Luther
Ich, Pau­lus, […] und der Bru­der Timo­theus sen­den unse­ren Gruß den in Kolossä leben­den hei­li­gen und gläu­bi­gen Brü­dern […] …an die Hei­li­gen in Kolossä, die gläu­bi­gen Brüder…

Das grie­chi­sche Adjek­tiv, das Men­ge hier attri­bu­tiv über­setzt (“hei­li­ge und gläu­bi­ge Brü­der”), gibt Luther mit dem Sub­stan­tiv “Hei­li­ge” wie­der. Vie­le ande­re Über­set­zun­gen schlie­ßen sich dem an. Der Unter­schied besteht also dar­in, dass die Adres­sa­ten statt als “Hei­li­ge”, gefolgt von “gläu­bi­ge Brü­der” (Luther) als “hei­li­ge Brü­der” (Men­ge) ange­spro­chen werden.

Etwas wahr­schein­li­cher ist die die Über­set­zung Luthers. Sie beruht auf Par­al­le­len zu ande­ren Brief­er­öff­nun­gen (Röm, 1. Kor, Phil, Eph), wo Pau­lus “hei­lig” stets sub­stan­ti­viert gebraucht. Die Bezeich­nung der Emp­fän­ger als “Hei­li­ge” spielt auf die AT-Tra­di­ti­on von Isra­el als hei­li­gem Volk an.

Jesus und der vereitelte Fluchtversuch: Markus 6,33

Ande­rer­seits gelin­gen ihm oft ganz eige­ne For­mu­lie­run­gen, was sei­ner Über­set­zung einen unver­wech­sel­ba­ren Cha­rak­ter ver­leiht. So zum Bei­spiel in Mk 6,33:

Men­ge Elber­fel­der Luther
doch man hat­te sie abfah­ren sehen, und vie­le hat­ten ihre Absicht gemerkt; sie eil­ten daher […] dort zusam­men und kamen noch vor ihnen an. und vie­le sahen sie weg­fah­ren und erkann­ten sie und lie­fen zu Fuß von allen Städ­ten dort­hin zusam­men und kamen ihnen zuvor. Und man sah sie weg­fah­ren, und vie­le merk­ten es und lie­fen aus allen Städ­ten zu Fuß dort­hin zusam­men und kamen ihnen zuvor.

Hier bringt es Men­ges Über­set­zung auf den Punkt: Jesus und die Jün­ger ver­su­chen erfolg­los, der Men­schen­men­ge per Schiff zu ent­kom­men. Im Fall der Wen­dung, die bei­spiels­wei­se die Elber­fel­der Bibel ein­fach mit “vie­le… erkann­ten sie” über­setzt, gibt Men­ge ganz prä­gnant die wahr­schein­li­che Aus­sa­ge-Absicht des Evan­ge­lis­ten wie­der. Er for­mu­liert: “vie­le hat­ten ihre Absicht gemerkt”. Die Men­schen­men­ge hat also nicht nur die Men­schen im Boot erkannt, son­dern auch ihr Rei­se­ziel vor­aus­ge­ahnt. Anschlie­ßend wird dann auch berich­tet, dass die Men­schen­men­ge der Rei­se­grup­pe vor­aus­eil­te und sie am Ankunfts­ort erwar­te­te. Immer wie­der beweist Men­ge so ein Händ­chen für nicht zu freie, aber sinn­ge­treue Über­set­zun­gen. (Mehr dazu im nächs­ten Bei­trag, wo die Erzähl­tech­nik Men­ges genau­er beleuch­tet wird).

Ungewohnte Sprache

Die Men­ge-Bibel tritt sprach­lich aus unse­rer Zeit her­aus. Vie­le Wen­dun­gen sind uns heu­te nicht mehr ver­traut. Die Fell­klei­der, die Gott Adam und Eva in Gen 3,21 macht, oder Josefs schö­nes Gewand (Gen 37) hei­ßen bei ihm etwa noch “Rock”. Da merkt man: Anders als bei­spiels­wei­se die Luther-Bibel hat Men­ges Über­set­zung nie­mals eine Revi­si­on erfah­ren. Men­ges Spra­che wird auf vie­le heu­te stel­len­wei­se sper­rig und unge­wohnt wir­ken. Kein Wun­der, hat sie doch nun schon knapp 90 Jah­re auf dem Buckel. Hier 2 Ver­se als Beispiel:

Vers Men­ge Luther
1. Kor 6,7 Es ist über­haupt das schon ein sitt­li­cher Man­gel an euch, …schon schlimm genug…
1. Kor 7,24 Ein jeder, lie­be Brü­der, möge in dem Stan­de, in dem er beru­fen wor­den ist, bei Gott verbleiben! …wor­in er beru­fen ist…

Leser, die das nicht gewohnt sind, könn­ten mit Men­ge ihre Schwie­rig­kei­ten haben. Doch wer ähn­li­che Über­set­zun­gen gewohnt ist, dem könn­te die­se Bibel dabei hel­fen, ver­trau­te Tex­te neu zu entdecken.

Fazit

Men­ge hebt sich immer wie­der von ande­ren Über­set­zun­gen ab und fin­det eige­ne For­mu­lie­run­gen, was sei­ner Über­set­zung einen eige­nen Cha­rak­ter ver­leiht. An weni­gen Stel­len miss­lingt das, meis­tens beweist er aber ein Händ­chen für nicht zu freie sinn­ge­treue Übersetzungen.

Für vie­le Leser könn­te es sich dar­um loh­nen, beim Bibel­stu­di­um neben den gewohn­ten Über­set­zun­gen auch ein­mal einen Blick in die Men­ge-Bibel zu wer­fen. Gera­de durch ihren ganz eige­nen Cha­rak­ter könn­te sie dem Leser aber auch einen fri­schen Zugang zum Bibel­text eröff­nen. Nicht ohne Grund gehört die­se Über­set­zung auch knapp 90 Jah­re nach ihrer Ver­öf­fent­li­chung zu den ange­se­hens­ten deut­schen Bibelübersetzungen.

Im Teil 3 die­ser Rei­he ver­sucht Phil­ipp Kel­ler Ihnen dar­zu­le­gen, wie­so die Men­ge-Bibel in Ihrer Logos-Biblio­thek nicht feh­len sollte.

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Philipp Keller

Über den Autor

Das Wort Gottes nicht nur lesen, sondern auch bewundern. Das versucht Philipp selbst zu tun und andere dazu zu motivieren. Er ist Worship-Leiter und bloggt privat. Auf Twitter ist er erreichbar unter @philippkellr

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  1. Die Men­ge-Über­set­zung ist sprach­lich sicher­lich – zum dama­li­gen Stand – ein Meis­ter­werk. Lei­der hat sich Men­ge aber in eini­gen Stel­len von der Theo­lo­gie lei­ten las­sen. Z.B. in 1Kor 12,13; über­setzt er – im Gegen­satz zum Grund­text – mit „Tau­fe” und leis­tet damit der Tauf­wie­der­ge­burts­leh­re Vor­schub. Auch in Dan 10 beti­telt er die Dämo­nen­fürs­ten als „Schutz­enge”.
    Scha­de, denn sonst ist die Men­ge-Bibel sprach­lich höchst lesenswert.

    KHKauff­mann

  2. Hier ist noch ein Bei­spiel, wo Men­ge abweicht:
    Römer 10, Vers 18–19 (Online-Ver­si­on von Deut­sche Bibelgesellschaft).
    Es geht um das 2. „O doch” in Vers 19. Hier wird mei­ner Mei­nung nach der Sinn gedreht.

    18 Aber, fra­ge ich: Haben sie (die Pre­digt) viel­leicht nicht zu hören bekom­men? O doch! »Über die gan­ze Erde ist ihr Schall gedrun­gen und ihre Wor­te bis an die Enden der bewohn­ten Welt.« (Ps 19,5)

    19 Aber, fra­ge ich: Hat Isra­el sie viel­leicht nicht ver­stan­den? O doch! (Schon) Mose sagt als ers­ter Zeu­ge (5.Mose 32,21): »Ich will euch eifer­süch­tig machen auf sol­che, die kein Volk sind; gegen ein unver­stän­di­ges Volk will ich euch erbittern.«

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