Menge-Bibel: Einleitung und Biographie

Von Philipp Keller

Bibel, review
August 28, 2014

Kommt die Fra­ge nach einer guten, genau­en deut­schen Über­set­zung auf, wer­den meist Luther, Elber­fel­der und Schlach­ter genannt. Men­ge steht da meist im Abseits. Zu Unrecht! Die Men­ge-Über­set­zung ist sprach­lich gelun­gen. Aber was mir vor allem impo­nier­te, war ihre Entstehungsgeschichte …

Wieso ein Sprachwissenschaftler die ganze Bibel im Alleingang übersetzte

Her­mann Men­ge (1841–1939) war Leh­rer für Alt­phi­lo­lo­gie (Grie­chisch und Latein) und unter­rich­te­te 30 Jah­re am Gym­na­si­um, wo er auch Direk­tor war. Er war wirk­lich gut, so dass er für sei­ne wis­sen­schaft­li­che Arbeit das Prä­di­kat „Pro­fes­sor“ erhielt (dies ist wohl einem heu­ti­gen Ehren-Pro­fes­sor-Titel gleich­zu­set­zen). Obwohl er sowohl Grie­chisch wie auch Hebrä­isch beherrsch­te, hat­te er sich bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung nie mit der Bibel aus­ein­an­der­ge­setzt. Als dann 1926 die Men­ge-Bibel her­aus­kam, waren sei­ne frü­he­ren Schü­ler und die Leser sei­ner Bücher über­rascht: Was hat denn die­sen Her­mann Men­ge dazu getrie­ben, die Bibel zu über­set­zen? Men­ge wuchs in einer vom Chris­ten­tum gepräg­ter Kul­tur auf: äußer­lich war er wohl christ­lich, aber inner­lich hat­te er kein Inter­es­se an Jesus. Wohl­ge­merkt: Sei­ne Schu­len gal­ten als christ­li­che Schu­len: Men­ge hielt zum Bei­spiel regel­mä­ßi­ge Mor­gen­an­dach­ten, aber dies tat er nicht aus einer Ehr­furcht zu Gott, son­dern es war im Deutsch­land sei­ner Zeit ein­fach selbst­ver­ständ­lich. In die­ser aka­de­mi­schen Welt war Men­ge äußerst erfolg­reich. Bis er 1899 bei der Vor­be­rei­tung einer Mor­gen­an­dacht merk­te, dass er die Bibel gar nicht wirk­lich kannte:

da trat mir die Erkennt­nis von mei­ner Unbe­kannt­schaft mit der Bibel in sol­cher Stär­ke vor die See­le, daß ich mich tief und auf­rich­tig zu schä­men begann und den fes­ten Ent­schluß faß­te, mich dem Stu­di­um der Bibel, und zwar zunächst des Neu­en Tes­ta­ments, mit aller Kraft zu wid­men [aus: »Wie ich zur Über­set­zung der Hei­li­gen Schrift gekom­men bin« im Anhang der Menge-Bibel]

Von da an hat­te es ihn „gepackt“. Auf sei­ner Suche nach Gott über­setz­te er das Neue Tes­ta­ment Stück für Stück: zuerst die geschicht­li­chen Tei­le, dann die Brie­fe. Man­che Tei­le über­setz­te er sechs­mal: immer tie­fer grub er in die Schrift und ver­such­te das Gele­se­ne so gut als mög­lich in die deut­sche Spra­che zu über­tra­gen. Er ver­stand die Grat­wan­de­rung zwi­schen Ver­ständ­lich­keit und Zuver­läs­sig­keit. Sein Cre­do war:

nicht sowohl in ängst­li­cher Wei­se am Buch­sta­ben zu kle­ben, als viel­mehr sinn­ge­treu zu über­set­zen, ohne zu dem über­lie­fer­ten etwas hin­zu­zu­tun noch etwas davon weg­zu­las­sen [ebd.]

Ein hal­bes Jahr spä­ter bat er das Gym­na­si­um um eine vor­zei­ti­ge Ver­set­zung in den Ruhe­stand. Er woll­te sich ganz dem Über­set­zen wid­men. Nach­dem er sei­ne lau­fen­den Buch­pro­jek­te abge­schlos­sen hat­te, über­setz­te er in gut fünf Jah­ren das gesam­te Neue Tes­ta­ment. Er fand auch sofort einen Ver­le­ger. Für sei­ne Arbeit bekam er bes­te Rezen­sio­nen. Aber: Die Über­set­zung ver­kauf­te sich nicht. Doch Her­mann Men­ge gab nicht auf. Durch eine inne­re Stim­me getrie­ben, mach­te er sich auf, auch das Alte Tes­ta­ment zu über­set­zen. Obwohl er kei­ne Aus­sicht hat­te, für die kom­plet­te Bibel einen Ver­le­ger zu fin­den, arbei­te­te er zwölf Jah­re dar­an. Men­ge schreibt:

Ich darf mir mit gutem Gewis­sen das Zeug­nis aus­stel­len, daß ich zur Errei­chung mei­nes Zie­les kei­ne Mühe gescheut und kei­ne Zeit gespart habe. […]. [Ich] erleb­te das gera­de­zu wun­der­ba­re und nur durch Ein­wir­kung von oben her erklär­li­che Ergeb­nis, daß ich län­ger als zwölf Jah­re hin­durch bei Tag und bei Nacht der Über­tra­gung des Alten Tes­ta­ments oblag, und zwar so, daß ich der Außen­welt im Innern abge­stor­ben war und das Inter­es­se für die Beschäf­ti­gun­gen, die mich vordemgeistig gefes­selt hat­ten, unauf­halt­sam schwin­den fühl­te. [ebd.]

Doch was mach­te er nach den 12 Jah­ren? Er ver­schloss die voll­ende­te Über­set­zung in sei­nen Schreib­tisch! Er ver­such­te gar nicht erst, einen Ver­le­ger zu fin­den! Eini­ge Zeit spä­ter las er in einen Arti­kel von Pfar­rer Gau­ger, der die Elber­fel­der-Über­set­zung scharf kri­ti­sier­te. Men­ge war empört, denn er kann­te die Elber­fel­der-Über­set­zung als sehr genaue, gelun­ge­ne Über­set­zung. Er schrieb Gau­ger einen empör­ten Brief, wo er anführ­te, dass er sehr wohl etwas vom Bibel­über­set­zen ver­ste­he, denn er habe die Bibel selbst über­setzt. Gau­ger, der Men­ges Über­set­zung des Neu­en Tes­ta­ments kann­te, war sofort Feu­er und Flam­me und orga­ni­sier­te den Druck der gan­zen Men­ge-Bibel. Als sich der Druck ver­zö­ger­te, kam Gau­ger sel­ber für die Druck-Kos­ten auf. 1926 kam dann die gesam­te Men­ge-Bibel her­aus und ver­kauf­te sich 100’000 Mal innert 3 Jah­ren. Ein beacht­li­cher Erfolg! Den Rest sei­nes Lebens ver­brach­te Men­ge damit, sei­ne Über­set­zung zu kor­ri­gie­ren. Er konn­te es nicht ertra­gen, dass sei­ne Bibel Feh­ler ent­hielt, wel­che dem Leser ein fal­sches Bild von Gott ver­mit­teln könn­ten. Solan­ge es sei­ne Augen zulie­ßen, kor­ri­gier­te er sei­ne Bibel, jeden Tag. Men­ge starb 1939 im Alter von 99 Jahren.

Wie Menge dazu kam, die Bibel zu übersetzen

Aber wie­so bloß hat­te sich Men­ge die Mühe genom­men, wenn er doch kei­ne Aus­sicht auf eine Ver­öf­fent­li­chung hat­te? Er, der es gewohnt war, sei­ne Wer­ke zur Alt­phi­lo­lo­gie zu publi­zie­ren – hät­te er nicht wenigs­tens ver­su­chen kön­nen, sein Werk dru­cken zu las­sen? Im Gegen­satz zu Men­ge hat­te z. B. Luther die Bibel dar­um über­setzt, weil das „nor­ma­le Volk“ die dama­li­gen Bibel­über­set­zun­gen nicht ver­stand. Er woll­te die Bibel unters Volk brin­gen. Er glaub­te an “sola scrip­tu­ra” – die Schrift als end­gül­ti­ge Richt­schnur; und da war sei­ne Bibel ein Mit­tel zum Zweck. Men­ge aber über­setz­te die Bibel in der Absicht, Gott zu fin­den. Und Gott ließ sich fin­den: all­mäh­lich öff­ne­te der Geist Got­tes ihm die Geheim­nis­se der Schrift. Und in die­sem Pro­zess ent­stand eine gan­ze Über­set­zung. Die Über­set­zung ist sozu­sa­gen das Ergeb­nis von 17 Jah­ren unun­ter­bro­che­ner stil­ler Zeit. Es ist die Freu­de über die Schrift, Teil von Men­ges Anbe­tung. Und das, den­ke ich, macht die­se Über­set­zung so ein­zig­ar­tig. Im nächs­ten Bei­trag wer­den Ben­ja­min Mis­ja und ich die Men­ge-Bibel einem Elch­test unter­zie­hen und im letz­ten Bei­trag wer­de ich wei­te­re Vor­zü­ge der Men­ge-Bibel beschrei­ben.

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Philipp Keller

Über den Autor

Das Wort Gottes nicht nur lesen, sondern auch bewundern. Das versucht Philipp selbst zu tun und andere dazu zu motivieren. Er ist Worship-Leiter und bloggt privat. Auf Twitter ist er erreichbar unter @philippkellr

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  1. I am glad to see that Logos is final­ly doing more with Ger­man works, but Ger­man Bible texts is pro­ba­b­ly the least important of them. Any Ame­ri­can who took the time to learn Ger­man to read theo­lo­gy pro­ba­b­ly alre­a­dy reads the Bible in Hebrew and Greek. He wants to have available the count­less excel­lent Ger­man Bibli­cal and theo­lo­gi­cal works that will never be trans­la­ted into Eng­lish. The trick is get­ting them published. I sug­gested, for exam­p­le, put­ting the Ger­man Keil and Delitxsch titles with the clas­sic com­men­ta­ry upgrades as they would be published a lot soo­ner than enti­re works in German.

    1. With the­se Ger­man bibles (which have been available this enti­re time, by the way), Logos is tar­ge­ting not Ame­ri­can rea­ders, but the Ger­man mar­ket. I’m sure you can under­stand that Ger­man users will be inte­res­ted in a solid base of qua­li­ty trans­la­ti­ons befo­re secon­da­ry works. That said, Tho­mas is hard at work secu­ring all the rights to a who­le bunch of Ger­man secon­da­ry works that will be incre­di­bly useful once published. It’s nice to hear that Ger­mans are­n’t the only ones eager­ly anti­ci­pa­ting more works in German!

    2. Well, in Ger­man lan­guage, there’s not even one free­ly licen­sed modern trans­la­ti­on (with the „Offe­ne Bibel“ on its way). Most of the digi­tal Ger­man Bible texts could be con­side­red inac­cu­ra­te, only litt­le che­cking and digi­ta­liza­ti­on is going on. I coll­ec­ted most of ori­gi­nal Keil&Delitzsch com­men­ta­ry books, the­re are also scans of them available. An Eng­lish trans­la­ti­on of them is curr­ent­ly in print, but as they’­re trans­la­ted, they’­re cer­tain­ly under new copy­right pro­tec­tion wit­hout free licensing.

  2. I pre­fer the Her­mann Men­ge Bible Trans­la­ti­on becau­se of its hones­ty. Whe­re a text could have an other mea­ning, Men­ge gives it. Whe­re some words in the Hebrew text at his time were blot­ched or unre­a­da­ble, Men­ge reports it in bot­tom notes.

    I find, that after the dead Sea Scrolls’ dis­co­very someone should have revi­sed Menge’s Bible Trans­la­ti­on, for sure­ly some of the form­er­ly unre­a­da­ble words can now be clarified!.

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