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Eine exegetische Betrachtung von Jesaja 8,23 – 9,6
Kennen Sie das auch? Es ist wieder Advent, die Weihnachtstage rücken näher und den allgemeinen Erwartungen nach sollte das die stimmungsvollste, besinnlichste und friedvollste Zeit des Jahres sein. Ein Fest der Liebe! Ein Fest der Freude! Ein Fest der Familie! Lieder, Lichter und Lametta verleihen allem den passenden festlichen Glanz. Für uns Christen gilt außerdem, dass wir den wahren Grund von Weihnachten kennen, nämlich dass der Sohn Gottes Mensch wurde. Wenn das also kein Grund zu feiern ist. „O, du fröhliche … Weihnachtszeit!“
Doch was ist, wenn in und um uns herum überhaupt keine Weihnachtsfreude aufkommen will? Für die einen bedeutet der ganze Trubel nur Hetze und Stress. Andere haben womöglich gerade einen lieben Angehörigen verloren, leiden unter einer schweren Krankheit oder auch an Glaubenszweifeln, Schuldgefühlen usw. Oder die Familienzusammenkünfte verlaufen alles andere als harmonisch ab und den ein oder anderen graut es bereits vor den Festtagen. Was es auch immer sein mag, gerade dafür ist Weihnachten da! Weihnachten gibt es nicht deswegen, damit wir uns alle von der schönsten Seite zeigen und für einen Monat eine heile, idyllische Welt aufbauen.
Nein, Weihnachten gibt es, weil es oft so dunkel in unseren Herzen ist. Darüber und über das Licht, das mit Weihnachten in dieser Welt aufgeleuchtet ist, spricht Jesaja in Jes 8, 23 – 9,6. Das Thema dieses Abschnitts ist: Gott verheißt seinem bedrängten Volk Hoffnung durch einen zukünftigen Herrscher auf dem Thron Davids.
Licht leuchtet über denen, die in der Finsternis bedrängt sind (8,23 – 9,1)
„Doch nicht bleibt das Dunkel über dem, der von der Finsternis bedrängt ist. Wie die frühere Zeit dem Land Sebulon und dem Land Naftali Schmach gebracht hat, so bringt die spätere den Weg am Meer, das Land jenseits des Jordan und den Kreis der Nationen zu Ehren (23.) Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein großes Licht. Die im Land der Finsternis wohnen, Licht leuchtet über ihnen (9,1).“
Auch das Volk Israel und insbesondere der Norden des Landes erlebte zu Jesajas Lebzeiten dunkle Tage. „Dunkel“ ist ein Ausdruck für die Gottesferne (vgl. Joh 8,12) und ihre Folgen: Gericht, Erniedrigung, Angst, Unterdrückung usw. Die Stämme Naftali und Sebulon, die ihr Siedlungsgebiet im Norden hatten, waren von dem Gericht Gottes über das Nordreich Israel direkt betroffen. Womöglich spielt der Prophet hier auf die Eroberung und Deportation durch Assyrien im 8. Jh. v. Chr. an. Krieg, Tod, Verlust der Heimat, Demütigung und religiöse Vermischung waren die Folge. Die Dunkelheit umfasste buchstäblich alle Lebensbereiche der Menschen. Doch da verkündet Jesaja die herrliche Wende für das unterdrückte und geschlagene Volk. Nachdem es in den vorigen Kapiteln und Versen immer wieder um Israels Ungehorsam und Gottes Gericht ging, folgt nun die Gegenüberstellung von Hoffnung und Gnade. Und diese Wende wird nicht durch die Umkehr des Volkes hervorgerufen, sondern lediglich durch Gottes Eingreifen.
Der Dunkelheit folgt ein großes Licht. Licht bedeutet Hoffnung, Orientierung, Wärme. Jesus selbst bezeichnet sich in Joh 8,12 als das Licht der Welt. Und Matthäus zitiert in Mt 4,13–17 die Verheißung aus Jesaja im Zusammenhang mit dem Beginn des Dienstes Jesu in Galiläa. Jesus kam für die Verachteten, für die Blinden, für die Ausgestoßenen, für die Kranken und die Sünder. Die Bibel deckt offen die Dunkelheit des Menschen auf – insbesondere die Dunkelheit der Schuld an Gott und dem Nächsten. Doch gleichzeitig leuchtet Gottes Verheißung auf. Sein Licht ist heller als jede Finsternis, egal ob eigen- oder fremdverschuldet. Wie dieses Licht aussieht, darüber spricht Jesaja in den weiteren Versen.
Jesaja beschreibt das Licht und seine Ursache (9,2–6)
In dem Licht herrscht Gottes Freude (V. 2)
Du vermehrst den Jubel, du machst die Freude groß. Sie freuen sich vor dir, wie man sich freut in der Ernte, wie man jauchzt beim Verteilen der Beute.
Das in die Finsternis hineinleuchtende Licht bewirkt Freude. Gott selbst ist es, der Freude und Jubel schafft. Das wird in der direkten Anrede Gottes deutlich: „Du vermehrst den Jubel, du machst die Freude groß …“ „Gottes außergewöhnliches Tun bewirkt auf der Seite des Volkes Gottes eine außergewöhnliche Freude.“ Und das führt wie hier bei dem Propheten zu einem Lobgebet. Die Freude wird als “groß” beschrieben und mit zwei Bildern aus der Ernte und Beuteverteilung sehr plastisch vor Augen gemalt. So kann sich der Leser das Ausmaß dieses Jubels gut vorstellen. Sie steht auch im starken Kontrast zur Schmach und Bedrängnis in V. 23. Bei Gott ist Freude in Fülle (Ps 16,11) und wenn er sich in seiner Gnade seinem Volk zuwendet, so hat dieses allen Grund zur Freude.
Gründe zur Freude (V. 3–6)
Das Ende der Knechtschaft (V. 3)
Denn das Joch ihrer Last, den Stab auf ihrer Schulter, den Stock ihres Treibers zerbrichst du wie am Tag Midians.
Freude wird anbrechen, weil Gott die Unterdrückung seines Volkes beendet. Gott selbst wird sein versklavtes Volk befreien und ihm die Last abnehmen. Nun stellt sich noch die Frage: Von welcher Knechtschaft ist hier die Rede? In V. 23 spricht Jesaja über die Erniedrigung der nördlichen Stämme. Sie erlebten Deportation und viele werden sich nach Befreiung gesehnt haben. Als Jesus seinen Dienst in Galiläa tat, erfüllte sich diese Prophetie zumindest teilweise (vgl. Lk 4,14ff). Allerdings zunächst mal anders wie es sich die meisten erhofft hatten. Er befreite Menschen von der Knechtschaft der Sünde und des Teufels (Joh 8,24–36). Der Vergleich mit dem „Tag Midian“ knüpft an den Sieg Gideons über die Midianiter an (s. Ri 6–7). Gott beendete damals die Unterdrückung Israels, trotz der Übermacht des Feindes und der Ohnmacht seines Volkes. Auch Jesus befreite Menschen von Mächten, die ihnen viel zu stark waren, man denke z. B. an den besessenen Gerasener (s. Lk 8,26ff).
Ende des Krieges (V. 4)
Denn jeder Stiefel, der dröhnend einherstampft, und jeder Mantel, in Blut gewälzt, verfällt dem Brand, wird ein Fraß des Feuers.
Jesaja nennt nun eine zweite Auswirkung des Lichtes und damit einen zweiten Grund zur Freude. Wieder verwendet er dabei ausdrucksstarke Bilder. Der „dröhnend einherstampfende Stiefel“ und der „in Blut gewälzte Mantel“ stehen für Krieg und Gewalttätigkeit. Beide werden verbrennen, was bedeutet, dass Krieg und Gewalt aufhören, ja vernichtet werden. Das erinnert stark an Jes 2,4, wo davon die Rede ist, dass Völker ihr Kriegswerkzeug in landwirtschaftliche Geräte umfunktionieren. Auch wenn Jesus kein irdisches Friedensreich aufgebaut hat, so hat er dennoch den Kriegszustand zwischen Gott und Mensch und zwischen Menschen aufgehoben hat (z. B. Eph 2,14–18). Bei Menschen, die zu Jesus gehören, müssen Streit, Hass und ihre Auswirkungen seinem Frieden weichen.
Geburt eines Sohnes und Herrschers (V. 5)
Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer Ratgeber, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Fürst des Friedens.
Nun kommt der Prophet zur eigentlichen Ursache der Freude. Es ist der Sohn, der „uns“ geboren ist. Jesus ist dieser Sohn, Gottes- und Menschensohn zugleich, wie ihn der Engel in Lk 1,31–33 ankündigt. Und so wie in der Vergangenheit das Joch der Knechtschaft (s. V. 3) auf der Schulter des Volkes lag, so liegt nun die Herrschaft auf der Schulter des königlichen Sohnes. Bezeichnend sind außerdem die Namen des Kindes, welche auf seine Eigenschaften und Wesenszüge hinweisen. Sie enthalten bei näherer Betrachtung einen starken Trost für das Volk Gottes. So ist dieser angekündigte Herrscher ein wunderbarer Ratgeber. Welch ein Gegensatz zu den schlechten Ratgebern, die das Volk zum Götzendienst verführten (s. Jes 8,19).
Die zweite Bezeichnung “starker Gott“ verrät den göttlichen Charakter dieses Herrschers. Er steht in einer einzigartigen Beziehung zu Gott, welche alle anderen Nachkommen Davids niemals erreichten. Und wie dieser Gott durch seine Kraft alles ins Leben gerufen hat und alles erhält, so ist auch dieser Herrscher stark und mächtig.
Auch der dritte Name deutet klar auf die göttliche Herkunft des Sohnes hin. Er wird als „Vater der Ewigkeit“ beschrieben oder anders übersetzt als der „Ewig-Vater“. Zum einen macht das die fürsorgliche Beziehung zwischen dem Herrscher und seinem Volk deutlich. Zum anderen ist er ewig und gleichzeitig „der Urheber der Weltzeiten“ Jahwe gegenüber bleibt er natürlich der Sohn und ist aufgrund dieser Stelle nicht mit Gott, dem Vater, gleichzusetzen.
Zuletzt kommt die Bezeichnung „Fürst des Friedens“. Im Gegensatz zu vielen Herrschern, die durch ihre großen militärischen Siege bekannt wurden, ist dieser Herrscher ein Fürst des Friedens. In Joh 14,27 redet Jesus von dem Frieden, den er gibt. Es ist ein Frieden, der nicht in Waffenstillstand besteht, sondern in geklärten Beziehungen zu Gott, sich selbst, dem Nächsten (s. Röm 5,1; Eph 2,14ff).
Die Herrschaft des Sohnes (V. 6)
Groß ist die Herrschaft, und der Friede wird kein Ende haben auf dem Thron Davids und über seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Nachdem Jesaja das Wesen des Herrschers beschrieben hat, beschreibt er nun dessen Herrschaft. Zunächst wird sie als groß dargestellt, was auch der göttlichen Herkunft des Sohnes und seiner Stärke entspricht. Ein weiteres Charakteristikum dieses Reiches ist der dauerhafte, endlose Friede. Es wird von zwei Säulen, nämlich Recht und Gerechtigkeit gestützt. Der Prophet redet in Jes 11,3–5 darüber, was eine gerechte Herrschaft beinhaltet, nämlich Rechtsprechung, ohne Ansehen der Person oder Benachteiligung, und die Bestrafung der Bösen. Die Attribute dieses Reiches legen nahe, dass es überirdisch sein muss. Sie lassen an die Worte Jesu denken: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Joh 18,36).
Gott wird seine Verheißung erfüllen (Ende V. 6)
Der Eifer des HERRN der Heerscharen wird dies tun.
Wie eine Bekräftigung der Verheißung klingt der letzte Satz in V. 6. Gott selbst, der HERR der Heerscharen, wird es tun. Daher wird das Gesagte mit Sicherheit eintreffen. „Denn das Wort des HERRN ist wahrhaftig; und was er zusagt, das hält er gewiss“ (Ps 33,4). „Es ist der Eifer der Liebe und der Treue Gottes, der trotz des Gerichtes die neue Zeit herbeiführen wird.“ Diese neue Zeit hat auf der einen Seite bereits mit Jesu erstem Kommen begonnen (vgl. Mt 12,28). Auf der anderen Seite steht sie aber noch in ihrer vollständigen Verwirklichung insbesondere für das Volk Israel noch aus.
Bedeutung für die Gegenwart
Auch wenn wir nicht die direkten Adressaten des Textes sind, hat er für uns dennoch eine wichtige Bedeutung. Gottes Licht ist beim ersten Weihnachten bereits für uns angebrochen. Wir müssen nicht mehr in der Finsternis der Sünde und Gottesferne umherirren. Jesus kam in unsere Nacht und wenn wir ihn annehmen, strahlt Gottes Licht, seine Wahrheit, seine Hoffnung, sein Heil unverdient in unser Leben. Wir können frei werden von der Knechtschaft der Sünde, von unserer Schuld, die uns bedrängt, von dem Teufel als Sklaventreiber. Damit ist dann auch die Feindschaft zerbrochen, die zwischen uns und Gott herrschte. Jesus, das Licht der Welt, ist auch uns gegeben (Lk 2,11) und will in unserem Herzen die Herrschaft antreten. Er ist der wunderbare Ratgeber, der in allen unseren Lebensfragen einen wunderbaren Rat hat. Er ist der starke Gott, dem in unserem Leben kein Ding unmöglich und keine Last zu schwer ist. Er ist der ewige Vater, der liebevoll für uns sorgt und bei dem wir in unserer Vergänglichkeit in Ewigkeit geborgen sind. Und er ist der Friedefürst, der Frieden zwischen Gott und uns hergestellt hat, und uns immer wieder in jeder Lebenslage Frieden und Ruhe gibt. Ja, durch ihn wird auch wahrer zwischenmenschlicher Friede möglich.
So hat dieser Text für zwei Gruppen eine unterschiedliche Bedeutung. Für die, welche noch in der Nacht ihrer Sünde getrennt von Gott leben, steckt hier die Verheißung: Gottes Licht kann auch dein Leben hell machen. Wende dich deshalb diesem Jesus zu (vgl. Mt 11,28). Und für die, welche das erlebt haben, liegt hier die große Ermutigung, dass Gott in jede Angst und Not mit seinem Licht hineinleuchten wird. Wenn auch nicht immer in dieser Welt, so doch ganz gewiss in der Ewigkeit. Dort wird es keine Dunkelheit von Schuld, Krankheit, Leid und Tod mehr geben. „Es wird keine Nacht geben und sie werden weder eine Leuchte noch das Licht der Sonne brauchen; denn Gott der Herr wird sie erleuchten…“ (Offb 22,5).