Meine Blog-Beiträge sollen vor allen Dingen praktische Ratschläge für die Predigtvorbereitung geben. Doch ab und zu lege ich auf dem Weg vom Text zur Predigt eine Pause ein, um über das Predigen selbst oder über uns als Prediger nachzudenken. Mein Artikel heute ist so ein „Pausenbeitrag“. Ich möchte über eine Frage nachdenken, die vor allen Dingen junge Prediger beschäftigt.
Die Frage ist: Wie perfekt muss ich sein, um zu predigen? Kann ich am Sonntag auf der Kanzel stehen, auch wenn ich es am Samstagabend nicht geschafft habe, die nackten Tatsachen in meinem Computer sofort wegzuklicken? Wie glaubhaft bin ich, wenn ich in der Bibelstunde darüber rede, dass wir Gottes Liebe weitergeben dürfen und ein paar Stunden vorher war bei uns zu Hause noch dicke Luft? Manchmal sitzen Zuhörer vor mir, die schon viel länger mit Jesus unterwegs sind als ich. Kann ich denen überhaupt etwas sagen? Ich bin doch viel jünger als sie.
Grundsätzlich sollte jemand, der Gottes Wort verkündigt, einer sein, der eine Beziehung zu Gott hat, Grundprinzipien der Schriftauslegung kennt und die Bibel immer besser kennenlernen möchte. Eine Abhängigkeit von Gott, die durch ein regelmäßiges Gebetsleben sichtbar wird, ist existentiell notwendig.
Die charakterlichen Kriterien, die Paulus in 1. Timotheus 3,1–7 für Älteste nennt, sollten auch für einen Prediger gelten. Man sollte ihm also nicht nachsagen können, unmoralisch, ausschweifend oder herrschsüchtig zu leben.
Er sollte Autorität haben und auch kein Neubekehrter sein, der sich auf den Verkündigungsdienst schnell etwas einbilden kann. Außerdem sollte er einen guten charakterlichen Ruf bei Nichtchristen haben. Hilfreich für unerfahrene Verkündiger ist es, sich einen Mentor zu suchen, der sie auf den ersten Schritten der Verkündigung begleitet.
Da die Zuhörer oft Vertrauen zu dem Mentor haben, genießt der junge Verkündiger als Mentee auch eine Art Vorschussvertrauen. Außerdem ist es für Verkündiger sehr wichtig, sich um gutes Feedback zu bemühen und dadurch in der Verkündigung zu wachsen.
Inhalt
Gnade macht das Predigen möglich
Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus und ihn als gekreuzigt. Das ist die Mitte unserer Botschaft. Davon reden wir, aber davon leben wir auch selbst. Wir stehen nicht auf der Kanzel, weil wir etwas geleistet haben, sondern weil wir Gottes Gnade erlebt haben. Das gibt uns die Berechtigung, zu predigen. Egal, wie wir uns fühlen. Die Bibel macht deutlich: Jesus Christus selbst ist meine Gerechtigkeit geworden (Röm 3,23–26). Jesus hat ein perfektes göttliches Führungszeugnis. Bei ihm gibt es keinen Sündeneintrag. Sein Führungszeugnis ist ganz anders als meines. Jede Menge Einträge gibt es bei mir. Völlig unmöglich, dass ich eine Beziehung zu Gott bekomme. „Jesus rechtfertigt mich” heißt: Jesus streicht meinen Namen über meinem sündigen Führungszeugnis durch und schreibt seinen Namen dorthin. Das heißt: Er nimmt meine Schuld auf sich, auf seinen Namen.
Dann streicht Jesus seinen Namen auf seinem eigenen Führungszeugnis durch und schreibt meinen Namen dorthin. Das heißt: Dort wo mein Name steht, steht keine einzige Sünde. Gott wird keine Sünde mehr zur Sprache bringen, wenn ich vor ihm stehe. Weil Jesus Christus meinen Namen auf sein Führungszeugnis geschrieben hat, bin ich in Gottes Augen perfekt. Dafür kann ich nur „DANKE“ sagen. Erarbeitet habe ich es mir nicht. Gott hat mich in seiner Gnade perfekt gemacht. Deshalb darf ich davon auch predigen, auch wenn ich mich für meine Vergangenheit ohne Gott schämen muss. Mein Trost ist, dass Paulus auch gepredigt hat, trotz seiner schlimmen Vergangenheit.
Gottes Kraft macht das Predigen möglich
Das Evangelium selbst ist Gottes Kraft, die jeden Menschen der glaubt, rettet (Röm 1,16). Aber die Zuhörer sollten auch im Leben des Verkündigers Gottes Kraft sehen können, denn das Reich Gottes besteht nicht allein in Worten, sondern in Kraft (1Kor 4,20). Die gute Nachricht ist, dass wir es nicht aus eigener Kraft können, ein Leben wie Jesus zu führen.
Wir müssen Gott nicht beweisen, dass wir gut sein können, wenn wir uns anstrengen. Wir haben keine Kraft, ein Leben wie Jesus zu führen. Je eher wir das verstehen, desto besser. Der Herr Jesus zeigt uns, aus welcher Kraft er gelebt hat. Jesus sagt in Joh 14,10f: Gott der Vater in ihm, tut seine Werke. So hat der Herr Jesus gelebt. Er hat sich als Gott-Mensch Gott zur Verfügung gestellt und damit gerechnet, dass der Vater durch ihn wirkt. Ich darf genau dasselbe tun. Ich stelle mich Jesus zur Verfügung und rechne damit, dass Jesus sein Leben durch mich lebt.
Das heißt praktisch: Ich gehe freundlich mit meinem Nächsten um, auch wenn er nicht nett zu mir ist. Mein Geheimnis: Ich bete: Herr Jesus, ich schaffe das nicht, auf den Nächsten freundlich zuzugehen – aber danke, dass du in mir die Kraft bist, auf ihn zuzugehen. Mit Jesus zu leben heißt nicht, aus der eigenen Kraft zu leben, sondern mit der Kraft zu leben, die Jesus mir gibt. Diese Kraft zu erleben, macht es möglich, davon zu reden und zu predigen.
Vergebung macht das Predigen möglich
Auch auf der Kanzel stehen Sünder. Menschen, aus Fleisch und Blut. Menschen mit ihren Versuchungen und ihrem Versagen. Leider erwarten viele Gemeinden, dass hinter der Kanzel Menschen stehen, die fast perfekt sind. Weil das so ist, wagen Prediger es nicht, zuzugeben, dass hinter der frommen Maske ein Mensch steckt, der Gottes Vergebung immer wieder braucht. Weil es Vergebung gibt, können Christen zu ihrer Sünde stehen. Sie müssen ihren Kopf nicht hoffnungslos in den Sand stecken. Deshalb kann auch ein Prediger im Kampf mit der Sünde versagen. Wichtig ist, dass er seine Sünde nicht versteckt, sondern sie Jesus bekennt. Nicht alles gehört auf die Kanzel. Manches aber in ein Beichtgespräch.
Die gute Nachricht ist: Wenn wir unsere Sünde bekennen und sie uns leid tut, vergibt Gott Sünde. Sehr eindrücklich sehen wir das beim König David. Er bekennt Gott seine Sünde, indem er sagt: Ich tat dir kund meine Sünde und deckte meine Schuld nicht zu. Ich sagte: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen und du, du hast vergeben die Schuld meiner Sünde (Ps 32,5). So weit so gut. Der nächste Vers macht dann aber deutlich: David hat Gottes Vergebung ernst genommen. David fängt an, zu lehren und anderen Gläubigen zu sagen: Darum soll jeder Fromme zu dir beten, zur Zeit, da du zu finden bist … (Ps 32,6a). Wenn ich also auch als Prediger im Kampf mit der Sünde versagt habe, ist es wichtig, Sünde zu bekennen und Gottes Vergebung in Anspruch zu nehmen. Ich sehe bei Sünden, die nicht die Glaubwürdigkeit des Verkündigers in Frage stellen, keinen Grund, dem Verkündiger die Kanzel zu verbieten.
Ehrlichkeit macht das Predigen möglich
Es gibt Lebensbereiche, in denen man damit kämpft, Gottes Willen zu tun. Man ist möglicherweise noch nicht viel weiter, als die Zuhörer. Das ist aber auch nicht schlimm. Wichtig ist, dass man ehrlich ist. Sich selbst gegenüber und auch den Zuhörern gegenüber. Schlimm wird es dann, wenn man wie die Pharisäer so tut, als ob man z. B. seinen Stolz oder seine Habsucht unter den Füßen hätte und von den Zuhörern fordert, in diesen Bereichen schneller voranzukommen und mehr wie Jesus zu leben.
Jesus kommentiert so ein verwerfliches Verhalten mit: … handelt nicht nach den Werken der Pharisäer. Denn sie sagen es und tun es nicht. Sie legen schwere Lasten auf die Schultern der Menschen, sind aber selbst nicht bereit, sie mit ihrem Finger zu bewegen (aus Mt 23,3–4). Aber solange ich als Verkündiger mich nicht über meine Zuhörer stelle, sondern an ihrer Seite genauso wie sie unter dem Anspruch des Wortes Gottes stehe, kann ich das nachsprechen, was Gott in seinem Wort sagt. Ich muss es nicht in allen Bereichen in meinem Leben umgesetzt haben. Es sollte aber bei mir die Sehnsucht da sein, es umzusetzen und mich Gott zur Verfügung zu stellen, damit ER mich durch seine Kraft verändern kann. Wichtig ist, dass ich ehrlich bin und kein Bild von mir zeichne, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Auch hier gilt wieder: Nicht alles gehört auf die Kanzel, aber manches ins Beichtgespräch.
Über den Autor: Thomas Powilleit ist Pastor der evangelischen Freikirche „Evangelium für Alle“ in Stuttgart (www.efa-stuttgart.de). Neben seinen Aufgaben dort ist er überörtlich vor allen Dingen im Rahmen des gleichnamigen Netzwerkes „Evangelium für Alle“ zu Seminaren und ausgewählten Einzelveranstaltungen unterwegs.
Das kann ich nur unterstreichen:
„Gott stellt sündige Menschen in ihrer sündigen Wirklichkeit in seinen Dienst.” (Emil Brunner)
Wenn wir erst warten wollen, bis wir vollkommen geworden sind,
werden wir unserem Gott niemals dienen.
Eine sehr realistische und gnädige Sicht, ohne die Sünde zu dulden.
Sehr hilfreich für meinen Dienst im Wort.
„Wenn der Prediger warten müßte, bis er vollkommen ist, so würde das Evangelium wohl nie gepredigt werden.”
So oder ähnlich soll es Luther gesagt haben. Stimmt das, und wo finde ich das?
Hallo Herr Berger
da eine E‑Mail Adresse in Ihrem Kommentar steht, habe ich den Teil entfernt. Ich weiß nicht, wo dieses Zitat zu finden ist und ob es von Luther stammt. Gehört habe ich es auch bereits. Vielleicht weiß ja einer mehr und kann das hier kommentieren?
LG
Chris