Im Herzen ein Mörder? Die ungemütliche Ethik der Bergpredigt (Kommentare)

Die­ser Arti­kel zur Ber­pre­digt ist mehr als nur eine Aus­le­gung – er ist ein Blick in das Poten­zi­al von Logos. Wir haben füh­ren­de Kom­men­ta­re und theo­lo­gi­sche Bücher aus unse­rer Soft­ware genutzt, um die ver­schie­de­nen Facet­ten von Mat­thä­us 5,21–22 zu beleuch­ten. Die Zusam­men­fas­sung wur­de von KI mit kla­ren Vor­ga­ben erstellt. Jede Fuß­no­te ver­weist dabei direkt auf das Buch, das auch in Ihrer digi­ta­len Biblio­thek auf Sie war­tet. (Wir haben auf Sei­ten­zah­len ver­zich­tet, weil die kom­men­tier­te Bibel­stel­le klar ist.)
Las­sen Sie uns ger­ne wis­sen, was Sie von die­sem Expe­ri­ment haltet.

In der Berg­pre­digt nimmt uns Jesus mit auf eine Rei­se unter die Ober­flä­che der Gebo­te, die wir zu ken­nen glau­ben 1. Er möch­te näm­lich kei­ne Regeln abschaf­fen, son­dern ihre tiefs­te, oft über­se­he­ne Bedeu­tung frei­le­gen 2. An sechs Bei­spie­len aus dem Leben zeigt er des­halb, was eine Gerech­tig­keit, die unser Herz ver­än­dert, wirk­lich bedeu­tet 3. Den Anfang macht dabei das bekann­te fünf­te Gebot 4.

Das alte Gebot: Was alle kannten (Vers 21)

Jesus beginnt mit einer ver­trau­ten For­mel: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wur­de…“ 5. Jeder Jude sei­ner Zeit wuss­te, was gemeint war, denn „schon mit 12 Jah­ren kann­te der ‚nor­ma­le’ Jude – man war dann ja Bar Miz­wa (Sohn des Gebo­tes) und reli­gi­ons­mün­dig – die wich­tigs­ten Gebo­te des AT“ 6. Folg­lich waren die Gebo­te „geläu­fig und sozu­sa­gen im Ohr“ 7.

Die Autorität der „Alten“ und des Gesetzes

Mit den „Alten“ sind dabei jedoch nicht nur irgend­wel­che Vor­fah­ren gemeint, denn hier unter­schei­den sich die Kom­men­ta­to­ren in ihren Akzen­ten. Joa­chim Gnil­ka prä­zi­siert zum Bei­spiel, dass hier die Gene­ra­ti­on des Mose gemeint ist, jene, „die zusam­men mit Josua ‚alles wuss­ten, was Jah­we für Isra­el getan hat­te’ (Jos 24,31)“ 8. Ger­hard Mai­er betont hin­ge­gen, dass die „Alten“ „kei­ner­lei abwer­ten­den Sinn“ haben, son­dern „ein­fach die frü­he­ren Gene­ra­tio­nen Isra­els“ bezeich­nen, „die der Bund­schlie­ßung am Sinai bei­wohn­ten“ 9. Fied­ler spricht von den „Vor­fah­ren“ als der „Sinai-Gene­ra­ti­on“ 10. Allen ist gemein, dass es sich um die ursprüng­li­chen Emp­fän­ger des Geset­zes han­delt, was dem Gebot gött­li­che Auto­ri­tät ver­leiht 11.

Mit der „Lei­de­form ‚gesagt wur­de’ umschreibt Jesus wie­der Got­tes Han­deln, das auch durch Engel ver­mit­telt sein kann“ 12. Das Pas­siv „es wur­de gesagt“ ist dem­nach ein „theo­lo­gi­sches Pas­siv“, das Gott als den eigent­li­chen Spre­cher kenn­zeich­net 13.

Die mündliche Tradition der Schriftgelehrten

Das Zitat selbst ist zwei­ge­teilt. Zuerst das direk­te Wort Got­tes: „Du sollst nicht töten“ (2. Mose 20,13) 14. Dann die dar­aus abge­lei­te­te Rechts­fol­ge: „Wer aber tötet, soll dem Gericht ver­fal­len!“ Die­ser zwei­te Teil „ist gewis­ser­ma­ßen ein Extrakt aus ver­schie­de­nen Stel­len des AT (2. Mose 21,12; 4. Mose 16ff.; 5. Mose 17,8ff.)“ 15.

Rem­mers erklärt, dass dies „ein Zusatz“ war, „der in dem ursprüng­li­chen Gebot nicht ent­hal­ten war“ 16 und „wohl seit der Baby­lo­ni­schen Gefan­gen­schaft von den Schrift­ge­lehr­ten hin­zu­ge­füg­ten Nach­satz“ dar­stellt 17. Gnil­ka macht eben­falls deut­lich, dass hier „der Tra­di­ti­ons- und Aus­le­gungs­vor­gang mit­re­flek­tiert ist“ 18.

Das „Gericht“ meint hier zunächst „das Stadt­ge­richt“ 19, wobei „nur die Ober­instanz an ‚der Stät­te, die der Herr, dein Gott, erwäh­len wird’, d. h. seit David und Salo­mo in Jeru­sa­lem“ lag 20. Mai­er hebt zudem her­vor, dass „der Mord nicht durch Blut­ra­che, son­dern durchs Gericht geahn­det wer­den soll“ und dies „die Vor­zü­ge der alt­tes­ta­ment­li­chen Rechts­ord­nung“ zeigt, „die die mensch­lichs­te in der Alten Welt war“ 21.

War­um beginnt Jesus also mit die­sem Gebot? „Das NT gibt dar­über kei­ne Aus­kunft“ 22, aber Mai­er ver­mu­tet: „Der Grund könn­te aber sehr wohl dar­in lie­gen, daß Mor­de im Juden­tum – abge­se­hen von mili­tä­ri­schen und poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen – äußerst sel­ten waren. Viel­leicht woll­te Jesus gera­de an dem Gebot, das die Juden am wenigs­ten zu ver­let­zen glaub­ten, den Man­gel an Gerech­tig­keit auf­de­cken“ 23. Kühlein drückt es anders aus: „da ent­spann­te sich schon ein­mal die Atmo­sphä­re bei den Zuhö­rern damals, denn umge­bracht hat­te da viel­leicht noch nie­mand jeman­den“ 24.

Jesu neue Autorität: Die entscheidende Wende (Vers 22)

Dann folgt der Satz, der alles auf den Kopf stellt: „Ich aber sage euch…“ 25. Die­se Wor­te sind von einer unge­heu­ren Auto­ri­tät. Mai­er schreibt dazu: „Kein Hörer und kein Leser, der wirk­lich nach­denk­lich ist, kommt an der Fra­ge vor­bei: Wel­cher Mann hat das Recht, so zu reden?“ 26. Spur­ge­on for­mu­liert die glei­che Fra­ge: „Wel­cher Mann hat das Recht, so zu reden?“ 27. Folg­lich, so Mai­er, „denkt man dar­an, daß Mose dem Volk das Gesetz über­brach­te, dann muß Jesus min­des­tens die­sel­be Auto­ri­tät haben wie Mose“ 28.

Bei der Deu­tung die­ses „aber“ gehen die Kom­men­ta­to­ren jedoch leicht unter­schied­li­che Wege. Mai­er warnt vor Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen: „Zwei fal­sche Deu­tun­gen müs­sen beim ‚Ich aber sage euch’ sofort abge­wie­sen wer­den“ 29. Es sei weder „das ‚Ich’ im Sin­ne des auto­no­men Ich des moder­nen Men­schen“ noch brin­ge Jesus sich „in einen Gegen­satz zum AT“ 30. Viel­mehr ist sein „‚Aber’ nicht das ‚Aber’ eines mensch­li­chen Rebel­len oder dia­bo­li­schen Geg­ners, son­dern das ‚Aber’ der Ent­hül­lung“ 31.

Rienecker betont des­we­gen: Das Wort „will nicht Miß­ach­tung der Alten sein […], nein, nicht Miß­ach­tung des Alten, son­dern höchs­te Beach­tung des Alten“ 32. „Das Gesetz ist unbe­dingt hei­lig, ist unwan­del­bar […]. Aber das Gesetz Got­tes schaut nicht nur auf die Tat, son­dern blickt tie­fer, sieht auf den Ursprung der Tat, auf die dahin­ter lie­gen­de Gesin­nung” 33.

Fied­ler schlägt eine ande­re Nuan­ce vor, denn er möch­te das „aber“ „nicht als Gegen­satz, nicht als aber ver­ste­hen, son­dern als wei­ter­füh­ren­des nun“ 34, um zu beto­nen, dass „Jesus sei­ner Schü­ler­schaft Wei­sung für die Gestal­tung eines der Tora gemä­ßen Lebens“ gibt 35. Mai­er aus dem HTA-Kom­men­tar hält jedoch „an dem adver­sa­ti­ven Cha­rak­ter des δέ [de], also an dem aber“ fest 36.

Über die chris­to­lo­gi­sche Bedeu­tung sind sich die Kom­men­ta­to­ren aller­dings einig. Im „Ich aber sage euch“ liegt „die indi­rek­te Offen­ba­rung Jesu als Got­tes­sohn“ 37. Schließ­lich konn­te „nur der erlö­sen­de Mes­si­as und Got­tes­sohn sei­ne Auto­ri­tät über die des Mose stel­len“ 38.

Die Wurzel des Tötens: Warum Zorn in der Bergpredigt so ernst ist

Jesu ers­te Ent­hül­lung ist ein Schock: „Jeder, der sei­nem Bru­der zürnt, soll dem Gericht ver­fal­len.“ Damit ver­la­gert Jesus den Tat­ort direkt in unser Herz. Rienecker erklärt den Zusam­men­hang: „So greift Chris­tus an die Wur­zel, ist (radi­kal = Wur­zel) und zeigt uns, daß der Zorn dem Mord gleich kommt” 39. Denn „‚Mor­den’ ist nicht nur im Akt der Lebens­ver­nich­tung gege­ben, son­dern auch in einem Pro­zess, der nach Mt 15,19 im Her­zen beginnt” 40.

Joa­chim Gnil­ka macht hier eine ent­schei­den­de Beob­ach­tung: „Der Zorn aber ist nicht ein­klag­bar, sogar nach außen nicht immer erkenn­bar. Das Gericht, von dem jetzt die Rede ist, ist nicht mehr ein welt­li­ches, son­dern das gött­li­che“ 41. Fied­ler unter­streicht dies: „Wut und Zorn las­sen sich eben­so wenig gericht­lich ver­bie­ten wie ‚gewöhn­li­che’ Schimpf­wör­ter […]. Jesu Leh­re [zielt] auf eine ande­re Ebe­ne als die der Recht­spre­chung“ 42.

Der bibli­sche Hin­ter­grund ist den Kom­men­ta­to­ren eben­falls wich­tig. Gnil­ka weist dar­auf hin: „Weil schon dem AT der Zusam­men­hang von Zorn und Tot­schlag bekannt war (vgl. Sir 22,24) und die­ser Zusam­men­hang nichts wei­ter ist als Erfahr­ba­res“ 43. Mai­er aus dem HTA-Kom­men­tar prä­zi­siert: „Jesus hat hier nicht ‚frei­hän­dig’ for­mu­liert. Er griff viel­mehr Lev 19 auf […], wo es in V. 17 heißt: ‚Du sollst dei­nen Bru­der in dei­nem Her­zen nicht has­sen.’“ 44. Rienecker bringt hier­zu das Bei­spiel: „Die Geschich­te Kains und Abels gibt ein typi­sches Bei­spiel, wie sich der Mord aus Zorn und Haß ent­wi­ckelt (1. Mose 4)“ 45.

Die Anatomie des Zorns: Was Jesus wirklich meint

Was ist also die­ser Zorn kon­kret? Rienecker fächert die Bedeu­tung detail­liert auf: „Nach innen hin gese­hen, ist ‚zür­nen’ ver­bit­tert sein, erbit­tert sein auf den Bru­der, inner­lich erregt sein, Groll in sich tra­gen, sich vom Bru­der zurück­zie­hen, sich von ihm geschie­den hal­ten, sich inner­lich verzehren.“

Nach außen hin bedeu­tet ‚zür­nen’ auf­ge­regt sein, auf­brau­sen, anfah­ren, hart sein, unge­recht sein, unfreund­li­che Gesin­nung an den Tag legen, jäh­zor­nig wer­den“ 46. Er fasst zusam­men: „Das ist alles Mord am Bru­der“ 47. Und wei­ter: „Jedes Ver­är­gert­sein, das im Her­zen wei­ter­frißt, ist Mord am Bru­der“ 48.

Ein text­kri­ti­sches Detail ist an die­ser Stel­le wich­tig: „Die Geschich­te der Text­über­lie­fe­rung ist wie ein Spie­gel des mensch­li­chen Her­zens. Die weit­aus grö­ße­re Zahl der Hand­schrif­ten setzt näm­lich ein: ‚ohne Grund’, so daß jetzt die viel mil­de­re Aus­sa­ge ent­steht: ‚Jeder, der sei­nem Bru­der ohne Grund zürnt.’ Doch blieb die Ände­rung nicht ver­bor­gen. Gott hat dafür gesorgt, daß sein Wort im ursprüng­li­chen Sin­ne erhal­ten blieb“ 49. Gnil­ka bestä­tigt das: „Das Wört­chen ist sicher nicht ursprüng­lich“ 50.

Die Radi­ka­li­tät die­ser For­de­rung macht Mai­er deut­lich: Hat Jesus recht mit sei­ner Aus­le­gung, „dann sind alle Juden, die so stolz auf die Sel­ten­heit von Mord­ta­ten waren, am 5. Gebot schul­dig. Dann trifft er auch den abend­län­di­schen Stolz an der Wur­zel“ 51. Gnil­ka bemerkt zur Bru­der­schaft: „Nicht zufäl­lig wird der Bru­der­na­me ein­ge­bracht, der bei Mt das Gemein­de­mit­glied, auf einer vor­aus­lie­gen­den Stu­fe den Volks­ge­nos­sen bezeich­net“ 52. Fied­ler prä­zi­siert jedoch: „Als Opfer von Zorn und Wut […] nennt Mt den ‚Bru­der’ und (selbst­ver­ständ­lich auch) ‚die Schwes­ter’, also Gemein­de­mit­glie­der“ 53, wäh­rend Mai­er aus dem HTA warnt, dass „Vor­sicht […] gebo­ten [ist] gegen­über einer zu engen Aus­le­gung des Begrif­fes Bru­der“ 54.

Vom Herzen zur Zunge: Das verletzende Wort

Jesus zeigt nun, wie aus dem zor­ni­gen Her­zen das gif­ti­ge Wort her­vor­bricht. Fied­ler über­schreibt die­sen Abschnitt daher mit „Die Ach­tung der Ehre der Ande­ren“ 55.

Stufe 1: Das verachtende Wort „Raka“

Wer aber zu sei­nem Bru­der sagt: Raka!, soll dem Hohen Rat ver­fal­len.“ Mai­er erklärt die Stei­ge­rung: „War vor­her vom Zorn allein die Rede, so kommt es jetzt zum Schimpf­wort. Die Äuße­rung des Unmuts ist inso­fern schlim­mer, als der Bru­der mit der Zun­ge ver­letzt wird“ 56.

Über das Wort „Raka“ geben die Kom­men­ta­to­ren ver­schie­de­ne Details. Mai­er erklärt: „‚Raka’ (auf der letz­ten Sil­be betont) bil­det wie ‚Amen’ ein ara­mäi­sches Fremd­wort im Evan­ge­li­um. Mat­thä­us hat es nicht ins Grie­chi­sche über­setzt, viel­leicht weil er es für unüber­setz­bar hielt oder weil er dach­te, im Osten sei das Schimpf­wort auch den Grie­chisch­spre­chen­den bekannt“ 57. Gnil­ka gibt zudem einen wich­ti­gen loka­len Hin­weis: „Die unge­wöhn­lich erschei­nen­de Voka­li­sa­ti­on Raka für das ara­mäi­sche Schimpf­wort Reka (= Dumm­kopf, Trot­tel) ist syrisch” 58, was als „ört­li­ches Indiz” nach Syri­en wei­se 59. Rienecker über­setzt es daher mit „Hohl­kopf, der gehört nicht zu uns“ 60.

Inhalt­lich beschreibt Mai­er „Raka“ als „Aus­druck der Gering­schät­zung“, aber „an sich ein harm­lo­ses Schimpf­wort ent­spre­chend unse­rem ‚Esel’. Fach­leu­te nen­nen es das gebräuch­lichs­te Schimpf­wort in der Hei­mat Jesu“ 61. Mai­er aus dem HTA zitiert Jere­mi­as: „‚ein Aus­druck der ärger­li­chen Gering­schät­zung, die mit Unwil­len, Zorn oder Ver­ach­tung gepaart sein kann, und wird regel­mä­ßig gegen­über einem törich­ten, gedan­ken­lo­sen oder anma­ßen­den Men­schen ange­wandt. Man emp­fand das Schimpf­wort als harm­los: Schafs­kopf, Esel.“62

Trotz der schein­ba­ren Harm­lo­sig­keit stellt Jesus es unter das Urteil des „Hohen Rates“. Mai­er erklärt: „Um so erstaun­ter muß­ten die Hörer sein, wenn Jesus die Sache für so schwer­wie­gend erklär­te, daß der ‚Hohe Rat’, also der Obers­te Gerichts­hof, zustän­dig ist“ 63. Denn der „Hohe Rat“ ist „das höchs­te jüdi­sche Gericht zur Zeit Jesu, das ihn dann spä­ter zum Tod ver­ur­teil­te (Mt 26,57ff.)“ 64. Folg­lich „kann hier nur die Todes­stra­fe sein“ 65.

Stufe 2: Das verdammende Wort „Narr“

Wer aber sagt: Du Narr!, soll der Feu­er­höl­le ver­fal­len.“ Hier erreicht die böse Gesin­nung ihren Höhe­punkt. Bei der Deu­tung des Wor­tes „Narr“ zei­gen die Kom­men­ta­to­ren unter­schied­li­che Ansätze.

Mai­er gibt zwei Mög­lich­kei­ten an: „Ent­we­der hat Mat­thä­us hier ein ara­mäi­sches Schimpf­wort – Schot­ja – über­setzt, das ähn­lich wie Raka sehr ver­brei­tet war, oder das grie­chi­sche Wort für ‚Narr’ ist die Wie­der­ga­be für den ‚Toren’ der Weis­heits­li­te­ra­tur. Im ers­ten Fall hie­ße es soviel wie ‚Idi­ot’, wäre also ein spür­bar hef­ti­ge­res Schimpf­wort als ‚Raka’. Im zwei­ten Fall bedeu­tet es sogar den Aus­druck der Gott­lo­sig­keit und Ver­dam­mungs­wür­dig­keit (vgl. Ps 14, 1; 53, 1; Spr 9, 13ff.)“ 66.

Rienecker über­setzt bei­spiels­wei­se: „du Narr, d. h. du Gott­lo­ser, du gehörst in die Höl­le“ 67. Spur­ge­on macht den Unter­schied deut­lich: Einen Mann „‚Raka’ oder ‚Tau­ge­nichts’ zu nen­nen, heißt sei­nen Ruf töten, und zu ihm sagen: ‚Du Narr!’ heißt ihn hin­sicht­lich der edels­ten Vor­zü­ge des Men­schen töten“ 68.

Mai­er aus dem HTA weist dar­auf hin, dass „μωρός [mōros] an meh­re­ren Stel­len der LXX Über­set­zung für נָבָל [nābāl]“ ist, „was den Gott­lo­sen bezeich­net“ 69. Fied­ler zitiert aus der jüdi­schen Tra­di­ti­on: „Wenn jemand sei­nen Nächs­ten öffent­lich beschämt, ist es eben­so, als wür­de er Blut ver­gie­ßen“ 70.

Die Fra­ge nach einer Stei­ge­rung beschäf­tigt die Kom­men­ta­to­ren dabei durch­aus. Gnil­ka meint: „Zwi­schen Raka und Tor läßt sich kaum eine Stei­ge­rung in der Bos­heit aus­ma­chen“ 71. Mai­er aus dem HTA ist unent­schie­den: „Es ist dann uner­heb­lich, ob zwi­schen den bei­den Bei­spie­len des Mt ein Unter­schied ange­nom­men wird […] oder nicht“ 72. Fied­ler betont das gemein­sa­me Anlie­gen: „Die Dro­hung mit dem Hohen Rat und der Feu­er­höl­le will näm­lich nur deut­lich machen, dass sol­che Schimpf­wör­ter einem Mord gleich­zu­set­zen sind“ 73.

Die letzte Konsequenz: Das Gericht der Feuerhölle

Die „Feu­er­höl­le“ (Gehen­na) hat eine beson­de­re Geschich­te, die meh­re­re Kom­men­ta­to­ren aus­führ­lich erklä­ren. Mai­er beschreibt sie so: „‚Gehen­na des Feu­ers’ […] ist eine grie­chi­sche Abwand­lung des hebräi­schen und ara­mäi­schen ‚Ge-Hin­nom’, das ein Tro­cken­tal im Süden Jeru­sa­lems bezeich­net (Jos 15, 8; 18, 16; 2. Kö 16, 3; 23, 10). Die Köni­ge Ahas und Manas­se opfer­ten dort ihre Söh­ne dem Göt­zen Moloch durch den Feu­er­tod (2. Kö 16, 3; 21, 6)“ 74.

Gnil­ka ergänzt die pro­phe­ti­sche Dimen­si­on: „Jere­mia weis­sag­te dar­um, daß gera­de hier auch das Ver­der­ben her­ein­bre­chen wer­de, ein schlim­mes Blut­bad, bei dem vie­le umkom­men wer­den (Jer 7,3ff; 19,5ff). Dar­an knüpft die apo­ka­lyp­ti­sche Erwar­tung an, daß im Hin­nom­tal die Gott­lo­sen ver­sam­melt wer­den, damit sie gerich­tet wer­den“ 75.

Die theo­lo­gi­sche Bedeu­tung fasst Mai­er zusam­men: „Die Gehen­na nimmt sie nach dem End­ge­richt mit­samt ihrer Leib­lich­keit auf, also end­gül­tig. Ewi­ges Feu­er ist dort ihre Stra­fe für See­le und Leib (Mk 9, 43ff.; Mat­th 10, 28; vgl. Jak 3, 6)“ 76. Er unter­schei­det dabei: „Die Gehen­na ist vom ‚Hades’ zu unter­schei­den […]. Der Hades nimmt die Gott­lo­sen ohne ihren Leib im Zwi­schen­zu­stand bis zum End­ge­richt auf, also nur vor­läu­fig“ 77.

Bei der Fra­ge nach der Gerichts­stei­ge­rung gibt Gnil­ka zu beden­ken: „Ver­mut­lich aber denkt Mt, wie schon sei­ne Vor­la­ge, beim Gericht an das gött­li­che End­ge­richt, da er auch sonst das Wort κρίσις so gebraucht (10,15; 11,22.24; 12,36.41f; 23,33)“ 78.

Die tiefere Bedeutung: Was Jesu Auslegung für uns heißt

Die Bot­schaft Jesu trifft uns somit bis ins Mark. Mai­er bringt es auf den Punkt: „An die­ser Stät­te ewi­ger Qual und Ver­damm­nis sieht Jesus also den, der durch ein böses Wort den Bru­der ver­letzt – weil er dadurch am 5. Gebot schul­dig wur­de“ 79. Rienecker for­mu­liert die Her­aus­for­de­rung: „Ein sehr erns­tes Wort Jesu, das bis in die letz­ten Win­kel unse­res Her­zens hin­ein­leuch­tet und uns fort und fort rich­tet und läu­tert“ 80. Denn „sein Wort ist ein Rich­ter der Gedan­ken und Gesin­nun­gen des Her­zens (Hbr 4,12)“ 81.

Gnil­ka erklärt die eigent­li­che Spit­ze: „Selbst­ver­ständ­lich bleibt das Ver­bot des Deka­logs bestehen. Aber es muß aus­ge­wei­tet wer­den zu einem brü­der­li­chen Ver­hält­nis der Men­schen unter­ein­an­der“ 82. „Die Spit­ze der Anti­the­se [ist] in einer Kor­rek­tur gesetz­li­chen Den­kens zu suchen“ 83.

Fied­ler betont die prak­ti­sche Dimen­si­on: „Sol­che ‚Selbst­be­herr­schung’ […] mutet uns Jesus im Zeug­nis des Mt zu, und zwar nicht, um unse­re aske­ti­schen Fähig­kei­ten zu tes­ten, son­dern um durch gegen­sei­ti­ge Ver­söh­nungs­be­reit­schaft und Ach­tung der Men­schen­wür­de […] zu humane(re)n Lebens­ver­hält­nis­sen bei­zu­tra­gen“ 84.

Luther wird von Rienecker schließ­lich mit einem dras­ti­schen Wort zitiert: „So manch Glied du hast, so man­cher­lei Wei­se du fin­den magst zu töten, es sei mit der Hand, Zun­ge, Her­zen oder Gebär­den, sau­er anse­hen mit den Augen […] wenn du nicht gern hörst von ihm reden: das alles hei­ßet ‚töten’. Denn da ist Herz und alles, was an dir ist, so gesin­net, daß es woll­te, er wäre schon tot“ 85.

Ein Urteil – und ein Ausweg

Jesus hält uns damit einen radi­ka­len Spie­gel vor: Der Mord beginnt nicht mit der Tat, son­dern im Her­zen, das in Zorn und Ver­ach­tung ver­harrt. Doch er belässt es nicht bei die­ser tief­grei­fen­den Dia­gno­se, die uns alle schul­dig spricht, son­dern zeigt sofort den prak­ti­schen Weg zur Ver­ge­bung auf! (Mt 5,23–26)

Aber noch mehr unter­streicht es die her­aus­for­dern­de Aus­sa­ge aus Vers 20: „Wenn nicht eure Gerech­tig­keit die der Schrift­ge­lehr­ten und Pha­ri­sä­er weit über­trifft, so wer­det ihr kei­nes­falls in das Reich der Him­mel hin­ein­kom­men.“ Wie gut, dass das Mat­thä­us-Evan­ge­li­um nicht bei den hohen Ansprü­chen der Berg­pre­digt in Kapi­tel 5–7 endet. Das Evan­ge­li­um gip­felt im Tod und der Auf­er­ste­hung des einen, des­sen voll­kom­me­ne Gerech­tig­keit nicht nur der bes­ten Men­schen über­trifft, son­dern auch für Got­tes hei­li­ge Ansprü­che aus­reicht. Eine Gerech­tig­keit, die er nicht für sich behält, son­dern mit uns zor­ni­gen und unver­söhn­li­chen Men­schen teilt.

Bibliografie

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Gnil­ka, J. (1986–1988) Das Mat­thä­us­evan­ge­li­um. Son­der­aus­ga­be. Her­aus­ge­ge­ben von J. Gnil­ka und L. Oberl­in­ner. Frei­burg im Breis­gau; Basel; Wien: Her­der (Her­ders Theo­lo­gi­scher Kom­men­tar zum Neu­en Tes­ta­ment), S. 150–155.
Kühlein, D. (2022) Mat­thä­us. bible​tu​nes​.de; Faithli­fe (Die Bibel für Kopf und Herz (Der bible­tu­nes-Kom­men­tar)), S. Mt 5,21–26.
Mai­er, G. (2007) Mat­thä­us-Evan­ge­li­um. Her­aus­ge­ge­ben von G. Mai­er. Holz­ger­lin­gen: Häns­s­ler (Edi­ti­on C Bibel­kom­men­tar Neu­es Tes­ta­ment), S. 151–156.
Mai­er, G. (2015) Das Evan­ge­li­um des Mat­thä­us: Kapi­tel 1–14. Her­aus­ge­ge­ben von G. Mai­er u. a. Wit­ten; Gies­sen: SCM R.Brockhaus; Brun­nen Ver­lag (His­to­risch-Theo­lo­gi­sche Aus­le­gung Neu­es Tes­ta­ment), S. 294–311.
Rem­mers, A. (2019) Die Berg­pre­digt: Eine Ver­ständ­nis­hil­fe zu Mat­thä­us 5–7. über­ar­bei­tet. Hückes­wa­gen: CSV, S. Mt 5,21–26.
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Spur­ge­on, C.H. (2020) Das Evan­ge­li­um des Rei­ches. 2. Auf­la­ge der Neu­aus­ga­be. August­dorf: Beta­ni­en, S. 56–58.

Fußnoten

  1. Kühlein (2022)
  2. Mai­er (2007), Bd. 1
  3. Rienecker (2018)
  4. Mai­er (2007), Bd. 1
  5. Mai­er (2007), Bd. 1
  6. Mai­er (2007), Bd. 1
  7. Kühlein (2022)
  8. Gnil­ka (1986–1988)
  9. Mai­er (2007), Bd. 1
  10. Fied­ler (2006)
  11. Mai­er (2015)
  12. Mai­er (2007), Bd. 1
  13. Fied­ler (2006)
  14. Rienecker (2018)
  15. Mai­er (2007), Bd. 1
  16. Rem­mers (2019)
  17. Rem­mers (2019)
  18. Gnil­ka (1986–1988)
  19. Mai­er (2007), Bd. 1
  20. Mai­er (2007), Bd. 1
  21. Mai­er (2007), Bd. 1
  22. Mai­er (2007), Bd. 1
  23. Mai­er (2007), Bd. 1
  24. Kühlein (2022)
  25. Rienecker (2018)
  26. Mai­er (2007), Bd. 1
  27. Spur­ge­on (2020)
  28. Mai­er (2007), Bd. 1
  29. Mai­er (2007), Bd. 1
  30. Mai­er (2007), Bd. 1
  31. Mai­er (2007), Bd. 1
  32. Rienecker (2018)
  33. Rienecker (2018)
  34. Fied­ler (2006)
  35. Fied­ler (2006)
  36. Mai­er (2015)
  37. Mai­er (2007), Bd. 1
  38. Mai­er (2007), Bd. 1
  39. Rienecker (2018)
  40. Rienecker (2018)
  41. Gnil­ka (1986–1988)
  42. Fied­ler (2006)
  43. Gnil­ka (1986–1988)
  44. Mai­er (2015)
  45. Mai­er (2007), Bd. 1
  46. Rienecker (2018)
  47. Rienecker (2018)
  48. Rienecker (2018)
  49. Mai­er (2007), Bd. 1
  50. Gnil­ka (1986–1988)
  51. Mai­er (2007), Bd. 1
  52. Gnil­ka (1986–1988)
  53. Fied­ler (2006)
  54. Mai­er (2015)
  55. Fied­ler (2006)
  56. Mai­er (2007), Bd. 1
  57. Mai­er (2007), Bd. 1
  58. Gnil­ka (1986–1988)
  59. Gnil­ka (1986–1988)
  60. Rienecker (2018)
  61. Mai­er (2007), Bd. 1
  62. Mai­er (2015)
  63. Mai­er (2007), Bd. 1
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  65. Mai­er (2007), Bd. 1
  66. Mai­er (2007), Bd. 1
  67. Rienecker (2018)
  68. Spur­ge­on (2020)
  69. Mai­er (2015)
  70. Fied­ler (2006)
  71. Gnil­ka (1986–1988)
  72. Fied­ler (2006)
  73. Fied­ler (2006)
  74. Mai­er (2007), Bd. 1
  75. Gnil­ka (1986–1988)
  76. Mai­er (2007), Bd. 1
  77. Mai­er (2007), Bd. 1
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  79. Mai­er (2007), Bd. 1
  80. Rienecker (2018)
  81. Rienecker (2018)
  82. Gnil­ka (1986–1988)
  83. Gnil­ka (1986–1988)
  84. Fied­ler (2006)
  85. Rienecker (2018)
Geschrieben von
Simon Rühl

Simon Rühl war 9 Jahre Pastor in Süddeutschland und Wien, bevor er ins deutsche Logos-Team einstieg. Er wohnt mit seiner Frau und 2 Jungs in Landau in der Pfalz. Bei Logos ist seine Leidenschaft, dass Christen zum Bibelstudieren motiviert und befähigt werden.

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