Wir erleben gerade eine Generation, die in einer völlig neuen Welt aufwächst: Die Generation Z.
Sie kennt kein Leben ohne Internet, ohne permanente Verfügbarkeit von Informationen, ohne soziale Medien. Der ständige Strom aus News, Clips, Storys und viralen Trends formt ihre Wahrnehmung – schnell, flüchtig, visuell.
Was zählt, ist das Neue. Was nicht im Feed erscheint, wird leicht vergessen. Vergangenes wirkt oft irrelevant – oder höchstens dann spannend, wenn es sich in ein 15-sekündiges Reel verpacken lässt. In dieser digitalen Dauerbeschallung ist es eine gewaltige Herausforderung, sich mit etwas zu beschäftigen, das alt ist, komplex – und nicht sofort Aufmerksamkeit garantiert: mit Geschichte. Und erst recht mit Kirchengeschichte. Aber genau das brauchen wir: Denn wer Gottes Handeln in der Vergangenheit nicht kennt, verpasst, ihn im Heute zu erkennen. Wer nicht weiß, woher der christliche Glaube kommt, kann kaum verstehen, warum er heute so aussieht, wie er aussieht – geschweige denn, wohin er führen kann.
„Gott! Mit unseren Ohren haben wir es gehört! Unsere Vorfahren haben es uns erzählt: Großes hast du getan in ihren Tagen, damals, vor langer Zeit.“ – Psalm 44,2
Die Kirche lebt nicht vom Trend, sondern vom treuen Handeln Gottes in Raum und Zeit. Kirchengeschichte ist nicht bloß ein Rückblick – sie ist eine Entdeckung seiner bleibenden Gegenwart. In diesem zweiten Artikel nehme ich Sie auf eine weitere Reise der Kirche – und wie das Christentum zur Staatsreligion wurde.
Inhalt
Das erste grosse Wunder der Kirche: Wachstum trotz Christenverfolgung

In Teil 1 dieser kleinen Artikelreihe ging es um den Ursprung und die göttliche Gründung der Kirche. Besonders die ersten drei Jahrhunderte sind bemerkenswert: Trotz Verfolgung und Tod wuchs die Kirche. Christen verweigerten sich dem Kaiserkult, was sie zu Feinden des Römischen Reiches machte. Doch ihr Glaube, ihre Standhaftigkeit und ihr Leiden zeugen von einer Kraft, die nicht von dieser Welt ist. Das griechische Wort „Märtyrer“ bedeutet ursprünglich „Zeuge“ – und genau das waren sie: mutige Zeugen Jesu, die selbst im Angesicht des Todes nicht zurückwichen. Wie ging diese Geschichte weiter? In diesem Artikel möchte ich Ihnen nachzeichnen, wie sich die Christen im Römischen Reich zwischen 250 und 380 n.Chr. arrangiert haben.
Die konstantinische Wende
Die sogenannte „Konstantinische Wende“ markiert einen der bedeutendsten Umbrüche in der Kirchengeschichte. Innerhalb weniger Jahrzehnte wandelte sich das Christentum von einer verfolgten Randgruppe zu einer staatlich privilegierten Religion – mit weitreichenden Folgen bis heute. Der Weg dorthin ist jedoch komplexer, als es auf den ersten Blick scheint.
Von Verfolgung der Kirche zur Toleranz: Die politische Vorgeschichte
Bis in die Zeit von Kaiser Diokletian (284–305) erlebte das Christentum immer wieder Phasen harter Verfolgung, insbesondere unter seinem Mitkaiser Galerius. Diese letzte größere Christenverfolgung des Römischen Reiches erreichte unter Diokletians Tetrarchie ihren Höhepunkt – war aber letztlich erfolglos. Diokletian legte 305 überraschend die Herrschaft nieder, wodurch ein politisches Vakuum entstand. In dessen Folge kam es zu inneren Machtkämpfen zwischen verschiedenen Thronanwärtern, darunter auch Konstantin und Maxentius. Denn die Herrschaft des römischen Reiches teilte Diokletian auf vier sogenannte Tetrarchen auf, um das Reich besser halten zu können. Während Dikletioans Sohn und sein Mitkaiser im Westen die Herrschaft hatte, waren Galerius und sein Mitkaiser im Osten eingeteilt.

Ein Wendepunkt erfolgte 311, als der Christenfeind Galerius – schwer erkrankt und vielleicht im Bewusstsein göttlicher Schuld – ein Toleranzedikt erließ, das Christen erstmals die freie Religionsausübung zugestand. Die Reaktion der Christenheit war ekstatisch: Sie feierten den politischen Umschwung wie Israels Auszug aus Ägypten (vgl. 2 Mo 15,1).

Konstantins Aufstieg und Vision
Nun gab es neben Konstantin nur noch zwei Unterkaiser. Das bot natürlich Raum für Intrigen, Machenschaften und Machtkämpfe bzw. Rivalitäten untereinander. Deshalb wollte Konstantin wieder die Alleinherrschaft im römischen Reich erlangen.
Im Jahr 312 zieht Konstantin mit etwa 40.000 Soldaten über den Alpenpass am Mont Genèvre. Bei Turin schlagen seine Truppen die schwere Reiterei des Gegners mit eisernen Keulen nieder. In Verona werden die feindlichen Besatzungen Mann für Mann gefangen genommen – als Ketten dienen dabei eigens umgeschmiedete Schwerter. Auch Mailand und Modena öffnen ihm die Tore. Unerwartet schnell steht Konstantin vor den Toren Roms. Maxentius, der Gegner, ist mit ungefähr dreifacher Übermacht vorbereitet. Er hat die Stadt gut mit Proviant versorgt und seine gesamte Armee innerhalb der Mauern versammelt. Auch auf die Götter setzt er großes Vertrauen. Für Konstantin ist die bevorstehende Schlacht ein Alptraum – hier steht alles auf dem Spiel. Er weiß, dass Maxentius von zahlreichen Wahrsagern und Magiern umgeben ist. In dieser angespannten Lage erlebt Konstantin die sogenannte Kreuzesvision.
Konstantin befindet sich nördlich von Rom, die Sonne steht im Zenit. Er blickt zum Himmel und überlegt, welchen Gott er anbeten soll. Alle Kaiser seit Diokletian, die auf die Heidengötter gesetzt hatten, waren untergegangen. Nur Konstantins Vater, der dem einen großen Gott, dem Sonnengott, vertraut hatte, starb ruhig. Am Nachmittag, als sich die Sonne bereits zu neigen beginnt, erzählt Konstantin später seinem Freund Eusebius, habe er am Himmel über der Sonne das Siegeszeichen eines aus Licht geformten Kreuzes mit der Inschrift „In diesem (Zeichen) siegreich!“ gesehen. Diese Vision versetzte ihn und seine Soldaten, die Zeugen dieses Wunders wurden, in Schrecken (Sierszyn, A. (2024). 2000 Jahre Kirchengeschichte ( S. 123).
Lactanz ergänzt, dass Konstantin im Traum die Anweisung erhielt, das himmlische Zeichen Gottes an den Schildern seiner Soldaten anzubringen und so den Kampf zu beginnen. Er befolgte diesen Befehl und ließ das Christusmonogramm, ein quergestelltes X mit einem gekrümmten oberen Arm, auf den Schilden anbringen.
Wie ist dieser Bericht zu verstehen? An der Vision selbst ist kaum zu zweifeln, da Eusebius die Nachricht direkt von Konstantin erhielt. Möglicherweise handelte es sich um eine Vision, bei der Konstantin in einer Notlage innere Bilder nach außen projizierte. Schwieriger wird es, wenn man bedenkt, dass auch die Soldaten die Erscheinung wahrgenommen haben sollen – eine Art Massenvision also.

Konstantin ist nun seines Sieges sicher und greift die Stadt an. Doch plötzlich geschieht Unerwartetes: Genau in dem Moment, als Konstantin den Tiber überqueren will, öffnet Maxentius die Stadttore. Mit einer Schiffsbrücke neben der Milvischen Brücke will er den Fluss überqueren und Konstantin außerhalb der Stadt überraschen. Unglücklicherweise brechen die Verankerungen der Pontonbrücke, die Schiffe kippen um, und Maxentius ertrinkt im Tiber. „Ross und Reiter warf er ins Meer!“ (Eusebius).

Konstantin gewinnt die Schlacht. Der Kopf Maxentius’ wird auf einer Lanze durch die Straßen getragen. Im Triumphzug wird Konstantin in Rom gefeiert. Der Senat und das Volk errichten ihm 315 am Anfang der Via Appia einen Triumphbogen und erkennen an, dass der „fromme, glückliche, erhabene Konstantin auf die Eingebung der Gottheit hin mit gerechten Waffen den Senat an dem Tyrannen gerächt“ habe. Von nun an herrschen im Reich zwei Kaiser (Augusti): Konstantin im Westen und sein Schwager Licinius im Osten. Doch dieses fragile Einvernehmen hält nicht lange. Licinius wendet sich mehr und mehr den Heiden zu. 323 kommt es zum offenen Krieg – kein reiner Religionskrieg, aber ein Konflikt, der über die Zukunft von Christentum und Heidentum entscheidet. Licinius wird besiegt, und ab 324 ist Konstantin der unangefochtene Kaiser des gesamten Römischen Reiches.
Konstantins Deutung des Sieges: Nicht Jupiter oder Mars, sondern der Gott der Christen hatte ihn zum Herrscher gemacht. Konstantins Gebet zum christlichen Gott ist insofern spannend, als das im römischen Reich ein pluralistischer Götterglaube völlig normal war und das Christentum war die einzige bekannte Religion, welche sich aktiv gegen den Pluralismus wehrte. Konstantin hätte auch den römischen Kriegsgott Mars anbeten können, aber aus uns heute unersichtlichen Beweggründen tat er nicht das, was für einen römischen Kaiser gewöhnlich gewesen wäre.
Konstantin als Förderer der Kirche
War Konstantin Christ? Diese Frage spaltet Historiker bis heute. Unstrittig ist: Konstantin war politisch klug. Er ließ das Heidentum unangetastet, blieb offiziell pontifex maximus – also oberster Priester des römischen Staatskultes –, bekannte sich aber persönlich zum Gott der Christen. Er lehnte den Kaiserkult ab, las regelmäßig die Bibel und ließ viele Kirchen errichten. Seine spätere Taufe auf dem Sterbebett entsprach der damaligen Praxis, da man glaubte, dadurch alle Sünden vollständig abzuwaschen. Gleichzeitig begann Konstantin, die Kirche massiv zu unterstützen:
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Sonderrechte für Kleriker: Priester, Diakone und Bischöfe wurden wie heidnisches Kultpersonal von Steuern und Pflichten befreit.
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Sozialpolitische Maßnahmen: Die Kreuzigung und alle Arten von Todesstrafe wurde abgeschafft; ebenso das Brandmarken im Gesicht – weil der Mensch Ebenbild Gottes sei.
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Sonntagsgesetz: 321 erklärte Konstantin den Sonntag zum staatlich anerkannten Ruhetag – mit religiöser Ausrichtung. Niemand durfte arbeiten, dafür musste man am Gottesdienst teilnehmen.
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Kirchenbau: In Rom, Antiochien, Nikomedien, in Israel (z. B. Grabeskirche, Geburtskirche) und schließlich in seiner neuen Hauptstadt Konstantinopel entstanden monumentale Kirchenbauten – oft aus kaiserlichen Mitteln oder gestiftet durch seine Mutter Helena.
Das Edikt von Mailand (313): Meilenstein der Religionsfreiheit
Gemeinsam mit Licinius erneuerte Konstantin 313 das Duldungserlass von 311. Das sogenannte „Edikt von Mailand“ ging sogar über Galerius’ Erklärung hinaus. Christen erhielten nicht nur die Religionsfreiheit, sondern auch ihre enteigneten Besitztümer zurück. Damit wurden die christlichen Gemeinden erstmals als rechtlich anerkannte Körperschaften behandelt – mit voller Gewissensfreiheit. Allerdings blieb das Heidentum noch erlaubt. Erst 380, unter Kaiser Theodosius, wurde das Christentum zur Staatsreligion erklärt.
Wende oder Verweltlichung?
Die Konstantinische Wende hatte gravierende Konsequenzen:
- Vorteil: Die Kirche wurde befreit, aus dem Untergrund geholt, gesellschaftlich geachtet und rechtlich geschützt. Viele neue Gemeinden konnten entstehen.
- Nachteil: Mit der staatlichen Förderung begann zugleich eine gefährliche Nähe zur Macht. Kirche und Staat rückten zusammen – mit Folgen für Theologie, Kirchenstruktur und Ethos. Der Glaube wurde zunehmend politisiert und funktionalisiert. Diese Entwicklung mündete schließlich in die mittelalterliche Staatskirche und ruft bis heute Widerspruch hervor – etwa bei Täufern oder Freikirchen.
- Fazit: Die Konstantinische Wende war kein plötzlicher Moment, sondern ein Prozess, der durch politische Umstände, persönliche Erfahrungen und göttliches Eingreifen geformt wurde. Konstantin war kein Heiliger – aber auch kein bloßer Machtstratege. Sein Handeln öffnete der Kirche nie dagewesene Möglichkeiten, stellte sie aber auch vor neue Herausforderungen. Der Weg aus der Verfolgung in die gesellschaftliche Mitte war ein Segen – aber nicht ohne Preis.
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Die Kirchenbänke füllten sich, doch die Herzen blieben oft leer…
Kehrseite der Medaille
Was passiert, wenn Glaube nichts mehr kostet? Wenn jeder einfach dazugehört – ohne Überzeugung? Die Kirche wurde politisch, verweltlicht. Viele folgten Jesus nicht mehr aus innerer Überzeugung, sondern aus gesellschaftlicher Bequemlichkeit.
Die Folge: Echte Nachfolge wurde zur Ausnahme. Einige Christen wollten sich dem entziehen und gründeten Klöster – Gemeinschaften, die sich bewusst vom Staat abgrenzten, um ein Leben in radikaler Jesusnachfolge zu führen. So entstand das Mönchtum – als Protest gegen eine zu weltliche Kirche.
Was bedeutet das für uns?
Die Geschichte der Konstantinischen Wende zeigt uns, wie eng Glaube und Macht miteinander verflochten werden können – und wie schwierig es ist, dabei die Balance zu halten. Die Kirche bekam durch den Staat neue Freiheiten und Ressourcen, doch der Preis dafür war eine zunehmende Verweltlichung und das Risiko, vom Evangelium abzurücken.
Für uns heute heißt das: Kirche darf nie zur reinen Macht- oder Wohlfühlinstitution verkommen. Sie lebt nur, wenn Menschen Jesus aus Überzeugung nachfolgen – wenn der Glaube persönlich, authentisch und radikal ist. Das erfordert Mut, gerade in einer Zeit, in der Religion oft als altmodisch oder irrelevant gilt.
Wir stehen vor der Herausforderung, den Glauben so zu leben und zu teilen, dass er für jede Generation attraktiv wird – nicht als Tradition, die wir bloß bewahren, sondern als lebendige Kraft, die unser Leben prägt. Dafür braucht es keine politischen Privilegien, sondern Menschen, die Gottes Gegenwart erfahren und weitergeben.
Wenn wir uns daran erinnern, wie die ersten Christen trotz Verfolgung und Widerstand treu blieben, können wir auch heute standhaft bleiben. Nicht durch Macht, sondern durch Liebe, Authentizität und Hingabe wird die Kirche lebendig. Und genau das ist unser Auftrag – heute und für kommende Generationen.
Heute sind wir dankbar, dass Glaube freiwillig ist. Niemand muss Christ sein, niemand wird dazu gezwungen – und das ist gut so. Denn echter Glaube kann nur aus einer persönlichen Entscheidung entstehen. Jesus nachzufolgen ist keine Staatsangelegenheit, sondern eine Herzenssache.
Jesus nachzufolgen ist keine Staatsangelegenheit, sondern eine Herzenssache.
Die Bibel sagt: „Gott hat die Ewigkeit in das Herz der Menschen gelegt“ (Prediger 3,11). Jeder Mensch ist auf der Suche nach Sinn, nach Wahrheit – und Jesus lädt uns ein, ihn kennenzulernen. Doch es braucht Menschen, die diesen Glauben mit anderen teilen – freiwillig, echt, aus Liebe.
Unser Auftrag heute
Wir müssen nicht warten, bis der Staat den Glauben populär macht. Wir dürfen heute ganz konkret andere Menschen für den christlichen Glauben begeistern. Wie?
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Indem Sie für nichtchristliche Bekannte und Freunde beten
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Indem Sie Ihren Nächsten lieben
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Indem sie helfen, mittragen und Hoffnung spenden
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Indem sie leben, was sie glauben
Literaturverzeichnis
Alle Quellen, die ich für diesen Artikel verwendet habe, finden Sie im deutschen Logos-Store:
- Buchberger, M. (2001). In B. Steimer (Hrsg.), Lexikon der Kirchengeschichte (Bde. 1 & 2). Herder.
- Eusebius von Caesarea. (2022). Kirchengeschichte (Historia Ecclesiastica). Faithlife.
- Kinzig, W. (2019). Christenverfolgung in der Antike. C.H.Beck.
- Parks, J. (2022). Themen der Kirchengeschichte (Zachariah Carter, Hrsg.). Faithlife.
- Sierszyn, A. (2024). 2000 Jahre Kirchengeschichte (Überarbeitete Neuauflage 2024, 7. Gesamtauflage). SCM R.Brockhaus.
- Thompson, J. (2023). Listen zur Kirchengeschichte. Faithlife.