Welche Lehren haben Vorrang? Eine theologische Triage

Theologische Triage - Für welche Lehren lohnt es sich zu kämpfen und für welche nicht?

In neces­s­a­ri­is unitas, in dubi­is liber­tas, in omni­bus cari­tas.“

– Im Wesent­li­chen Ein­heit, im Unwe­sent­li­chen Frei­heit, in allem Liebe.

Die­se Aus­sa­ge scheint auf den ers­ten Blick Frie­den in theo­lo­gi­sche Dis­kus­sio­nen und unter­schied­li­chen Leh­ren zu brin­gen. Und das Zitat ist auch wich­tig und rich­tig. Doch Autor und Theo­lo­ge Gavin Ort­lund sieht dar­in auch Gefah­ren: Unter­schied­li­che Hal­tun­gen und Posi­tio­nen könn­ten auf der einen Sei­te in eine Gleich­gül­tig­keit umkip­pen. Denn wenn alles gleich gül­tig wird, wird letzt­lich alles gleich­gül­tig. Das klingt bereits nach einer Rela­ti­vi­tät, wie sie im post­mo­der­nen All­tag gewor­den ist. Ande­rer­seits erle­ben wir auch, wie oft Gemein­den wegen Fra­gen zer­rüt­tet oder gar gespal­tet wer­den, die es eigent­lich nicht wert sind.  

Zwi­schen die­sen bei­den Extre­men – theo­lo­gi­schem Maxi­ma­lis­mus und gefähr­li­chem Mini­ma­lis­mus – sucht Gavin Ort­lund in sei­nem Buch Wofür es sich zu kämp­fen lohnt und wofür nicht: Ein Plä­doy­er für theo­lo­gi­sche Tria­ge nach einem Weg der Weis­heit. Und genau die­ses Buch möch­te ich Ihnen in den nächs­ten 10 Minu­ten näher­brin­gen. 

Verlag und Autor

Gavin Ort­lund ist ein US-ame­ri­ka­ni­scher evan­ge­li­ka­ler Theo­lo­ge, Pas­tor, Autor und Apo­lo­get. Er lei­tet die First Bap­tist Church of Ojai (Kali­for­ni­en, USA) als Seni­or Pas­tor. Gavin Ort­lunds Buch kam 2020 bei Cross­way, Illi­nois unter dem eng­li­schen Ori­gi­nal­ti­tel The right hills to die on: The case for theo­lo­gi­cal tria­ge (Die rich­ti­gen Hügel, um im Kampf zu ster­ben: ein Argu­ment für theo­lo­gi­sche Tria­ge) her­aus. Die deut­sche Über­set­zung erfolg­te 2025 vom Ver­bum Medi­en Ver­lag in Bad Oeyn­hau­sen. Bei­de Aus­ga­ben sind im Logos-Store ab sofort ver­füg­bar. 

In die­sem Buch plä­diert Ort­lund, dass wir intui­tiv und oft unbe­wusst ver­schie­de­ne Leh­ren der Bibel einer­seits unter­schied­lich stark gewich­ten und ande­rer­seits auch prio­ri­sie­ren. 

Es gibt kei­ne Leh­re, für die ein Libe­ra­ler kämp­fen wür­de und kei­ne Leh­re, für die ein Fun­da­men­ta­list nicht kämp­fen wür­de“ – Sei­te 13. 

Die­se bei­den von Ort­lund ange­spro­che­nen Ten­den­zen ber­gen gro­ßes Poten­zi­al, Din­ge kaputt zu mini­ma­li­sie­ren oder zu ver­grö­ßern. In die­sem Buch geht es dar­um, die gol­de­ne Mit­te zwi­schen die­sen Extre­men zu fin­den. Wofür lohnt es sich, eine Dis­kus­si­on zu star­ten, jeman­dem zu wider­spre­chen, und wo lohnt es sich nicht? Mit wel­chen Grup­pie­run­gen und Men­schen muss man eine grö­ße­re Über­ein­stim­mung mit theo­lo­gi­schen Posi­tio­nen ver­tre­ten, und wo ist der kleins­te gemein­sa­me Nen­ner auch aus­rei­chend?  

Übersicht über das Buch

In der Ein­lei­tung führt Ort­lund ins The­ma ein und nutzt es, um in den ers­ten bei­den Kapi­teln zwei gegen­sätz­li­che Gefah­ren auf­zu­zei­gen, die wich­tig zu ken­nen sind. 

Im ers­ten Kapi­tel zeigt er die Gefahr einer theo­lo­gi­schen Zer­split­te­rung auf (Wo spal­ten sich Chris­ten oder Gemein­den „unnö­tig?“). Im zwei­ten Kapi­tel geht es genau ums Gegen­teil; die Gefahr des theo­lo­gi­schen Mini­ma­lis­mus (gleich­gül­tig gegen­über Unter­schie­den in wich­ti­gen Lehr­fra­gen). Dabei führt er jeweils Begrün­dun­gen auf, war­um die Bibel selbst kla­re Unter­schei­dun­gen in der Wich­tig­keit macht. Ein Bei­spiel: Für Pau­lus ist die Auf­er­ste­hung das Wich­tigs­te, ob Leu­te Sin­gle blei­ben oder hei­ra­ten, über­lässt er jedem per­sön­lich und gibt nur einen Rat­schlag ab. 

Im drit­ten Kapi­tel wird Ort­lund sehr prak­tisch. Er bleibt nicht theo­re­tisch. Er gewährt Ein­blick in sei­nen eige­nen Weg und erzählt, wie sich sei­ne Über­zeu­gun­gen im Lau­fe der Jah­re ver­än­dert haben – etwa in Bezug auf das Mill­en­ni­um oder die Tauf­fra­ge. Die­se Offen­heit macht das Buch beson­ders authen­tisch. Zugleich bleibt es pra­xis­nah. Er gibt kon­kre­te Hil­fe­stel­lun­gen zur Ein­ord­nung (S. 89–95) und bringt anschau­li­che Fall­bei­spie­le. So kann man die Kate­go­rien sofort auf eige­ne Fra­gen über­tra­gen. Das Buch hilft also nicht nur beim Den­ken, son­dern auch beim Reden – in Gemein­de, Haus­kreis und per­sön­li­chen Gesprä­chen. 

Die Kapi­tel 4–6 unter­su­chen ver­schie­den wich­ti­ge Leh­ren unter dem Gesichts­punkt der Tria­ge. Dar­in wer­den von Ort­lund Kri­te­ri­en ermit­telt, anhand derer man die Gewich­tig­keit unter­schied­li­cher The­men ein­stu­fen kann. 

Im vier­ten Kapi­tel legt Ort­lund dar, dass erst­ran­gi­ge Leh­ren Mut und Über­zeu­gung erfor­dern, sofern man sie auch als den Kern des Evan­ge­li­ums glaubt und lebt. Im fünf­ten Kapi­tel wer­den zweit­ran­gi­ge Leh­ren dis­ku­tiert. Die dor­ti­ge Hal­tung sei Weis­heit und Aus­ge­wo­gen­heit. Für dritt­ran­gi­ge und weni­ger wich­ti­ge /​kla­re Leh­ren brau­che es Umsicht und Zurück­hal­tung, so Ort­lund. 

Theologische Triage: Was ist das?

Der Begriff „Tria­ge“ stammt aus der Not­fall­me­di­zin: Wo vie­le Ver­letz­te gleich­zei­tig ver­sorgt wer­den müs­sen, braucht es eine sinn­vol­le Prio­ri­sie­rung. Die Grund­idee ist: Nicht jeder Pati­ent kann sofort behan­delt wer­den – daher wird ent­schie­den, wer zuerst medi­zi­nisch ver­sorgt wer­den muss, wer war­ten kann und wer kei­ne Aus­sicht auf Ret­tung mehr hat. Die Ein­schät­zung erfolgt meist durch erfah­re­ne Not­ärz­te oder medi­zi­ni­sches Fach­per­so­nal, oft inner­halb weni­ger Sekun­den bis Minu­ten. Dabei wer­den zwi­schen den ver­schie­de­nen Prio­ri­sie­rungs­stu­fen unter­schie­den:  

  1. Sofort­be­hand­lung erforderlich:
    Schwer ver­letz­te oder kri­tisch erkrank­te Pati­en­ten, die ohne sofor­ti­ge Hil­fe ster­ben wür­den, aber mit Behand­lung eine Über­le­bens­chan­ce haben. 
  2. Drin­gend, aber nicht kritisch:
    Pati­en­ten mit schwe­ren, aber sta­bi­len Ver­let­zun­gen oder Erkran­kun­gen. Behand­lung kann kurz­zei­tig auf­ge­scho­ben wer­den. 
  3. Leicht ver­letzt oder stabil:
    Pati­en­ten mit nur gerin­gen Ver­let­zun­gen oder Sym­pto­men, die war­ten kön­nen oder sich selbst hel­fen können.

Ort­lund über­trägt die­ses Prin­zip auf theo­lo­gi­sche Fra­gen. Nicht jede Leh­re ist gleich wich­tig und gewich­tig. Und nicht jede Mei­nungs­ver­schie­den­heit muss zur Tren­nung füh­ren. Um Tria­ge auf die Theo­lo­gie über­haupt anwen­den zu kön­nen, macht Ort­lund zwei Punk­te deut­lich: 

  1. Unter­schied­li­che Leh­ren haben unter­schied­lich gro­ße Bedeu­tung. Die eine Leh­re ist mit dem inners­ten, wich­tigs­ten ver­wo­ben, eine ande­re Leh­re ist zweit­ran­gig und weni­ger klar.
  2. Es gibt eine gewis­se Dring­lich­keit. Je drin­gen­der ein The­ma ist, des­to wich­ti­ger ist eine gemein­sa­me Sicht der Dinge.

Seine Kategorisierung

Die­ses Prin­zip erfin­det Ort­lund nicht neu. Er macht dar­auf auf­merk­sam, dass es bereits hilf­rei­che Kon­zep­te und Abstu­fun­gen gibt (S. 191–192). Und doch möch­te er eine eige­ne Unter­schei­dung vor­schla­gen: 

  1. Evan­ge­li­ums-essen­ti­el­le Leh­ren: Wer die­se ablehnt, unter­gräbt das Evan­ge­li­um. Bei­spie­le: Drei­ei­nig­keit, Jung­frau­en­geburt, Recht­fer­ti­gung aus Glauben.
  2. Gemein­de­prak­tisch not­wen­di­ge Leh­ren: Unter­schie­de hier machen gemein­sa­mes Gemein­de­le­ben schwie­rig und füh­ren zu not­wen­di­gen Spal­tun­gen (z. B. Tauf­pra­xis, Frau­en in Lei­tungs­rol­len, Geistesgaben).
  3. Wich­ti­ge, aber nicht tren­nen­de Leh­ren: Fra­gen, die zwar bedeu­tend sind, aber kei­ne Spal­tung recht­fer­ti­gen (z. B. End­zeit­mo­del­le, Schöpfungsalter).
  4. Theo­lo­gisch unwich­ti­ge Fra­gen: The­men, die kei­ne prak­ti­sche oder lehr­mä­ßi­ge Rele­vanz für Evan­ge­li­um oder Gemein­de haben (S. 16).

Erste Gefahr:Die theologische Zersplitterung 

Das ers­te Kapi­tel han­delt von der Gefahr der theo­lo­gi­schen Zer­split­te­rung inner­halb der Kir­che und betont die Not­wen­dig­keit, zwi­schen wesent­li­chen und unwe­sent­li­chen Glau­bens­über­zeu­gun­gen zu unter­schei­den. Theo­lo­gi­sche Zer­split­te­rung führt zu unnö­ti­gen Spal­tun­gen im Leib Chris­ti, was die Ein­heit der Gemein­de gefähr­det. Ort­lund ver­weist auf berühm­te Theo­lo­gen der Kir­chen­ge­schich­te wie Fran­cis Tur­re­tin und Johan­nes Cal­vin, die die Bedeu­tung der Unter­schei­dung zwi­schen pri­mä­ren und sekun­dä­ren Leh­ren beton­ten, um die Ein­heit der Kir­che zu bewah­ren. Sie warn­ten davor, unwe­sent­li­che Leh­ren zu erhe­ben und damit die Gemein­schaft unter Chris­ten zu gefähr­den. (28–33) 

Ort­lund argu­men­tiert, dass die Ein­heit der Gemein­de für ihren Auf­trag und ihre Iden­ti­tät ent­schei­dend ist. Jesus selbst bete­te für die Ein­heit sei­ner Nach­fol­ger, um die Welt zu zei­gen, dass er vom Vater gesandt wur­de. Die Ein­heit ist nicht nur eine inne­re Ange­le­gen­heit, son­dern hat auch Aus­wir­kun­gen auf die Evan­ge­li­sa­ti­on. Ort­lund hebt her­vor, dass theo­lo­gi­scher Eifer immer von Lie­be beglei­tet sein soll­te, um die Hei­lig­keit der Gemein­de zu för­dern und nicht zu schä­di­gen.  

Zusam­men­fas­send wird betont, dass die Iden­ti­tät der Chris­ten im Evan­ge­li­um und nicht in theo­lo­gi­schen Dif­fe­ren­zen gefun­den wer­den soll­te. Ein Geist der Selbst­ge­rech­tig­keit kann zu Spal­tun­gen füh­ren, wäh­rend die Rück­kehr zu Chris­tus und die Wert­schät­zung der Ein­heit unter den Gläu­bi­gen ent­schei­dend sind, um die Mis­si­on der Kir­che zu erfül­len. 

Zweite Gefahr: Theologischer Minimalismus 

Das zwei­te Kapi­tel behan­delt die Gefah­ren des theo­lo­gi­schen Mini­ma­lis­mus und die Bedeu­tung theo­lo­gi­scher Leh­ren, auch wenn sie als unwe­sent­lich ein­ge­stuft wer­den. Theo­lo­gi­scher Mini­ma­lis­mus, der oft aus dem Wunsch ent­steht, Spal­tun­gen zu ver­mei­den, führt dazu, dass wich­ti­ge Lehr­fra­gen ver­nach­läs­sigt wer­den. Ort­lund argu­men­tiert, dass eine kla­re Defi­ni­ti­on von Jesus und ande­ren theo­lo­gi­schen Kon­zep­ten not­wen­dig ist, um dem Glau­ben treu zu blei­ben.  

Unwe­sent­li­che Leh­ren sind nicht irrele­vant, son­dern tra­gen zur Tie­fe des Glau­bens bei und beein­flus­sen, wie das Evan­ge­li­um ver­stan­den und gelebt wird. Der Autor ver­weist auf his­to­ri­sche Bei­spie­le, in denen Chris­ten für ihre Über­zeu­gun­gen, auch in Bezug auf unwe­sent­li­che Leh­ren, gelit­ten haben. Die­se Leh­ren sind oft eng mit den wesent­li­chen Leh­ren ver­bun­den und kön­nen deren Ver­ständ­nis und Anwen­dung beein­flus­sen. (51–60). 

Zudem wird die Not­wen­dig­keit betont, theo­lo­gi­sche Fra­gen ernst zu neh­men und nicht gleich­gül­tig zu behan­deln. Eine sol­che Gleich­gül­tig­keit könn­te die Inte­gri­tät des Glau­bens gefähr­den.  

Warum sind erstrangige Lehren oft einfacher als zweitrangige themen? 

Erst­ran­gi­ge Leh­ren sind ent­schei­dend für das Evan­ge­li­um, da sie ent­we­der die Gren­ze zu riva­li­sie­ren­den Ideo­lo­gien mar­kie­ren oder wesent­li­che Punk­te des Evan­ge­li­ums dar­stel­len, wie die Jung­frau­en­geburt und die Recht­fer­ti­gung. Der Autor nennt Kri­te­ri­en zur Ein­stu­fung von Leh­ren, dar­un­ter bibli­sche Klar­heit, Rele­vanz für den Cha­rak­ter Got­tes und Aus­wir­kun­gen auf das Gemein­de­le­ben. Es wird betont, dass die theo­lo­gi­sche Tria­ge nicht nur intel­lek­tu­ell, son­dern auch prak­tisch ist und dass der Wunsch nach Wachs­tum in Hei­lig­keit und Lie­be ent­schei­dend ist. 

Der Text dis­ku­tiert auch, dass nicht alle erst­ran­gi­gen Leh­ren heils­ent­schei­dend sind, da Men­schen unter bestimm­ten Umstän­den mit begrenz­tem Wis­sen geret­tet wer­den kön­nen. Es wird zwi­schen dem, was bejaht wer­den muss, und dem, was nicht ver­neint wer­den darf, unter­schie­den. Die Jung­frau­en­geburt wird als Bei­spiel für eine erst­ran­gi­ge Leh­re ange­führt, die für die Ver­tei­di­gung des Evan­ge­li­ums wich­tig ist. Eben­so wird die Recht­fer­ti­gung durch Glau­ben als zen­tra­ler Bestand­teil des Evan­ge­li­ums her­vor­ge­ho­ben, wobei die Apos­tel im Neu­en Tes­ta­ment oft für die­se Leh­re kämp­fen. Ins­ge­samt wird die Not­wen­dig­keit betont, für erst­ran­gi­ge Leh­ren ein­zu­tre­ten, um das Evan­ge­li­um zu schüt­zen und zu ver­kün­den, da ihre Ableh­nung das Evan­ge­li­um gefähr­den kann. 

Zweitrangige Lehren: sehr zentral, und doch nicht klar genug 

Zweit­ran­gi­ge Leh­ren sind sol­che, die das Ver­ständ­nis und die Aus­drucks­wei­se des Evan­ge­li­ums beein­flus­sen, ohne es grund­le­gend zu ver­än­dern. Sie sind nicht essen­zi­ell für das Evan­ge­li­um, kön­nen jedoch zu Spal­tun­gen inner­halb der christ­li­chen Gemein­schaft füh­ren. In die­sem Kon­text wer­den drei umstrit­te­ne The­men behan­delt: die Tau­fe, die Geis­tes­ga­ben und die Rol­le von Frau­en in der Gemein­de.  

Die Tau­fe ist ein Bei­spiel für eine Leh­re, die sowohl Gehor­sam gegen­über Chris­tus als auch die Iden­ti­tät inner­halb der Gemein­de betrifft. Es gibt unter­schied­li­che Ansich­ten zur Glau­bens­tau­fe und Kin­der­tau­fe, die his­to­risch zu hef­ti­gen Kon­flik­ten führ­ten. Die Geis­tes­ga­ben, ins­be­son­de­re Ces­sa­tio­nis­mus und Kon­ti­nua­tio­nis­mus, zei­gen eben­falls, wie unter­schied­li­che Über­zeu­gun­gen zu prak­ti­schen Unter­schie­den in der Gemein­de­ar­beit füh­ren kön­nen.  

Die Debat­te über die Rol­le von Män­nern und Frau­en in der Gemein­de, zwi­schen Kom­ple­men­ta­ris­mus und Ega­li­ta­ris­mus, ist ein wei­te­res Bei­spiel für ein zweit­ran­gi­ges The­ma, das jedoch erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Gemein­de­lei­tung und die Ehe hat.  

Die Kom­ple­xi­tät die­ser The­men erfor­dert Weis­heit und eine aus­ge­wo­ge­ne Hal­tung. Es ist wich­tig, die Unter­schie­de zu respek­tie­ren und die Ein­heit im Glau­ben zu wah­ren, wäh­rend man die eige­nen Über­zeu­gun­gen ver­tritt. Letzt­lich soll­ten Chris­ten in der Dis­kus­si­on über zweit­ran­gi­ge Leh­ren Demut, Klar­heit und Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft zei­gen, um die Gemein­schaft im Glau­ben zu för­dern und das Evan­ge­li­um glaub­wür­dig zu bezeu­gen. 

Für wen ist das Buch geeignet? 

Wofür es sich zu kämp­fen lohnt – und wofür nicht ist kein aka­de­mi­sches Fach­buch, aber auch kein ober­fläch­li­cher Rat­ge­ber. Es ist geschrie­ben für Chris­ten, die theo­lo­gisch den­ken und leben wol­len: 

  • - Für Pas­to­ren und Ältes­te, die in Streit­fra­gen Ori­en­tie­rung bie­ten müs­sen 
  • - Für Theo­lo­gie­stu­die­ren­de, die ler­nen wol­len, Prio­ri­tä­ten zu set­zen 
  • - Für enga­gier­te Lai­en, die in einem geeig­ne­ten Rah­men dis­ku­tie­ren möch­ten 
  • - Für Gemein­de­lei­tun­gen, die Ein­heit för­dern und trotz­dem Klar­heit bewah­ren sol­len 

Fazit: Klarheit und Liebe in der Spannung halten 

Ort­lund lie­fert zwar kei­ne revo­lu­tio­när neu­en Gedan­ken, aber ein kla­res, brauch­ba­res Ras­ter. Zudem star­tet er mit die­sem jetzt auch auf Deutsch ver­füg­ba­ren Buch eine sehr wich­ti­ge Dis­kus­si­on um die Dring­lich­keit, Prio­ri­sie­rung und den Umgang mit abwei­chen­den Lehr­mei­nun­gen. 

Gavin Ort­lund lie­fert mit Wofür es sich zu kämp­fen lohnt – und wofür nicht ein gut les­ba­res, aus­ge­wo­ge­nes und pas­to­ral hilf­rei­ches Buch zur theo­lo­gi­schen Urteils­bil­dung. Die Stär­ke des Buches liegt in sei­nem ver­söhn­li­chen Grund­ton, sei­ner geist­li­chen Tie­fe und der Fähig­keit, Kom­ple­xi­tät ver­ständ­lich zu machen. Beson­ders wert­voll ist sein Auf­ruf zur Demut, zur Dif­fe­ren­zie­rung und zur Lie­be inner­halb theo­lo­gi­scher Gesprä­che. 

Aller­dings sehe ich einen Schwach­punkt in sei­ner Vier-Kate­go­rien-Ein­tei­lung. Zwar ist die Unter­schei­dung grund­sätz­lich hilf­reich, doch die zwei­te Kate­go­rie – „für die Gesund­heit der Gemein­de dring­li­che Leh­ren“ (s. 16) – bleibt in der Pra­xis oft pro­ble­ma­tisch. Ort­lund selbst gesteht ihr ein hohes Spal­tungs­po­ten­zi­al zu, da The­men wie Tauf­fra­ge oder Frau­en im Dienst dort ange­sie­delt wer­den. Das hat zur Fol­ge, dass Spal­tun­gen nicht nur erklärt, son­dern fak­tisch auch theo­lo­gisch legi­ti­miert wer­den. 

Was geschieht, wenn sich etwa Lei­tungs­krei­se nicht einig sind, ob Frau­en pre­di­gen dür­fen oder nicht? Wird das auto­ma­tisch zur Tren­nungs­fra­ge? Auch wenn Ort­lund dies nicht pau­schal befür­wor­tet, öff­net die zwei­te Kate­go­rie genau die­sen Raum – und wird so zum Ein­falls­tor für neue Lager­bil­dun­gen. Daher schla­ge ich eine alter­na­ti­ve, drei­fa­che Kate­go­ri­sie­rung vor.

Alternative Kategorien

  1. Eine ers­te Kate­go­rie mit zen­tra­len, unver­zicht­ba­ren Leh­ren, die das Evan­ge­li­um im Kern defi­nie­ren (etwa: Kreuz, Auf­er­ste­hung, Drei­ei­nig­keit, Recht­fer­ti­gung aus Glau­ben). Die­se sind für die geist­li­che Ein­heit grund­le­gend. Oft ent­schei­det sich bereits hier, ob man mit ande­ren Deno­mi­na­tio­nen und Kon­fes­sio­nen Got­tes­diens­te, oder zumin­dest Gebets­aben­de gestal­ten kann. Denn in die­sem Punkt sind sich die meis­ten Chris­ten einig (auch wenn, wie ich es ja selbst tue, sich die Kate­go­rien und Ein­tei­lun­gen zwi­schen Chris­ten unter­schei­den. Für mich wäre näm­lich die Frau­en­fra­ge in der Kate­go­rie von Ort­lund in der drit­ten Kate­go­rie, er stuft sie als dring­li­cher und zen­tra­ler ein).
  2. Eine zwei­te Kate­go­rie mit wich­ti­gen, aber nicht tren­nen­den The­men – z. B. Tauf­fra­ge, Gemein­de­lei­tung oder geist­li­che Gaben. Sie erfor­dern Dif­fe­ren­zie­rung und Gespräch, soll­ten aber nicht zur Spal­tung führen.
  3. Eine drit­te Kate­go­rie mit Fra­gen, die kei­ne direk­te theo­lo­gi­sche Rele­vanz haben, etwa die genaue Anzahl der Engel, lit­ur­gi­sche For­men, Bibel­über­set­zung im Got­tes­dienst oder ver­wen­de­te Instrumente.

Abschluss

Die­se drei­stu­fi­ge Struk­tur hilft, einer­seits das Evan­ge­li­um klar zu bewah­ren und ande­rer­seits geist­lich und theo­lo­gisch mit Viel­falt umzu­ge­hen. Sie schützt vor unnö­ti­gen Spal­tun­gen und lei­tet zu einem respekt­vol­len, bibel­zen­trier­ten Mit­ein­an­der an. Ich kann mir sehr gut vor­stel­len, dass Jako­bus, Petrus und die rest­li­chen Apos­tel in Apg 15 einen ähn­li­chen Weg gegan­gen sind, um in zen­tra­len Fra­gen zu einer Ein­heit zu gelan­gen. 

Ort­lund will Brü­cken bau­en – und das gelingt ihm in vie­lem. Aber an die­ser Stel­le braucht es noch stär­ke­re theo­lo­gi­sche Gelas­sen­heit – und viel­leicht den Mut, nicht immer den ein­fa­che­ren Weg der Abgren­zung zu wäh­len. Denn offe­ne, sicht­ba­re Span­nun­gen aus­hal­ten ist oft ener­gie­rau­ben­der, als sich abzu­gren­zen. 

Mich hat das Buch enorm inspi­riert. Es hat zudem mein Den­ken und mei­ne Offen­heit gegen­über ande­re Deno­mi­na­tio­nen und Kon­fes­sio­nen ver­grös­sert. Schliess­lich ist in fol­gen­dem Spruch doch sehr viel objek­ti­ve Wahr­heit, aber auch Pra­xis­nä­he: 

In neces­s­a­ri­is unitas, in dubi­is liber­tas, in omni­bus caritas.“ 

Im Wesent­li­chen Ein­heit, im Unwe­sent­li­chen Frei­heit, in allem Lie­be.

– auf das 17. Jahr­hun­dert datiert, Autor unbe­kannt. 

Biblio­gra­fie: 

Gavin Ort­lund: Wofür es sich zu kämp­fen lohnt – und wofür nicht. Ein Plä­doy­er für theo­lo­gi­sche Tria­ge, Ver­bum Medi­en 2025, 212 S., 18,90 EUR ( Im Logos-Store natür­lich viel güns­ti­ger zu haben!)

Geschrieben von
Joshua Ganz

Joshua ist als Jugendpastor in der Nordostschweiz tätig. Aktuell studiert er systematische Theologie auf dem Master-Level und plant einen MTh. In der Schweizer Armee dient er als Armeeseelsorger. Er liebt Theologie, sein Rennrad und Kaffee. Am liebsten alles miteinander, oder zumindest nacheinander ;)

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