Francis Schaeffer war ein US-amerikanischer evangelikaler Theologe und Christ. Er wurde insbesondere im englischsprachigen Raum durch seine gesellschaftskritischen und christlichen Veröffentlichungen bekannt. Außerdem gründete er zusammen mit seiner Frau Edith die Kommunität L’Abri in der Schweiz, die bis heute ein Begriff ist. Einige seiner Bücher sind auch in Logos enthalten. In diesem Artikel stellen wir Ihnen kurz Schaeffers Werk „Geistliches Leben – was ist das? Die Realität Gottes in unserem Leben erfahren” (engl. Original: „True Spirituality”) vor. Darin legt Schaeffer seine theologischen und praktischen Gedanken zum Thema Heiligung dar.
Francis A. Schaeffer
Francis A. Schaeffer (1912–1984) galt als einer der vier bedeutendsten evangelikalen Theologen des 20. Jahrhunderts. Er studierte bei Cornelius Van Til am Westminster Theological Seminary in Glenside, Pennsylvania und später am Faith Theological Seminary in Wilmington, Delaware. Nach einigen Jahren als Pastor in verschiedenen Gemeinden gründete er 1955 gemeinsam mit seiner Frau Edith die Kommunität L’Abri in der Schweiz.
Neben dieser Arbeit in der Gemeinschaft machte sich Schaeffer auch als Autor einen Namen. Das in dieser Rezension besprochene Buch wurde drei Jahre nach Veröffentlichung des englischen Originals 1975 unter dem Titel: Geistliches Leben – was ist das? Wie ein Leben im Glauben heute verwirklicht werden kann ins Deutsche übersetzt. Es ist im R. Brockhaus Verlag in Wuppertal in Zusammenarbeit mit dem Verlag Haus der Bibel erschienen.
Christliche Krise als Entstehungsgrund
In den Jahren 1951 und 1952 musste Schaeffer eine geistliche Krise in seinem Leben durchstehen. Er stellte zunächst fest, dass die Anhänger der rechtgläubigen Position nur wenig von den praktischen Konsequenzen zu zeigen vermochten, die gemäß der Bibel für Christen kennzeichnend sind. In der Folge gewann er den Eindruck, dass die eigene christliche Spirtitualität seit den Anfängen seines Christseins merklich an Kontur verloren hatte und nicht mehr so lebendig war. Dies führte dazu, dass er das Christentum und insbesondere die persönliche Heiligung nochmals neu studierte. Am anderen Ende des Tunnels entstand ein befreites, neues aber auch rigoros ernsthaftes Bild von christlicher Nachfolge. Dieses neue Verständnis brachte Schaeffer vermehrt in Predigten und Vorträgen ein.
Vortragsreihe für Christen
In seiner Vortragsreihe, aus der das Buch „Geistliches Leben – was ist das?” hervorging, entfaltete Schaeffer seine Sicht von Heiligung. Im Zentrum standen dabei die Realität und Kraft Jesu Christi, uns in seiner Nachfolge durch drei notwendige Etappen zu führen: Schaeffer zufolge sind Ablehnung, Sterben und Auferstehung wesentliche Elemente auf dem Weg der Nachfolge. Er kritisierte sowohl Perfektionismus als auch zielloses Dahinleben als unzureichend. Viele evangelikale Zeitgenossen hätten sich für einen Weg weg von der Kirche entschieden, weil sie den Lasterkatalog, die moralischen Pflichten und der Drang nach einem perfekten geistlichen Leben nicht mehr mitmachen konnten oder wollten. Damit pendelten Sie aber ins andere extrem und wollten einfach ohne Regeln leben.
Schaeffer merkte: Beide Ansichten zur Heiligung sind falsch. Während erstere versuchten, selber durch ein heiliges Leben gerecht zu werden, fielen die anderen ins Relative und befolgten Gottes Wort nicht mehr. Schaeffer positionierte sich in der Mitte mit dem Hinweis, dass die Wiedergeburt eine „substanzielle” Veränderung ist, die ein Christ erfahren darf. Danach wird er, genauso wie beim Heilsindikativ, durch Gottes Kraft weiterkommen.
„Wir gelangen nicht zu wahrem geistlichem Leben, indem wir lediglich bestimmte Verbotslisten akzeptieren; wir erreichen es aber genauso wenig, wenn wir einfach die Tabus ablehnen und anschließend gleichgültig ein disziplinloses Leben führen” (S 12). – Francis A. Schaeffer
Schaeffer macht sich also auf die Suche nach einem wahren geistlichen Leben – Und wählt dabei den Mittelweg zwischen den beiden Polen. Dieses Buch ist die verschriftlichte Form einiger Vorträge zu diesem Thema.
Geistliches Leben als Christ
So wie unser physisches Leben mit der Geburt beginnt, so beginnt das christliche Leben mit unserer geistlichen Geburt. Es gab einen Tag, einen Augenblick, an dem Gott uns geistlich „lebendig“ (Eph 2,5) gemacht hat. Die körperliche Geburt und die geistliche Geburt sind die beiden wichtigsten Ereignisse unseres Lebens. Ohne das eine wären wir nicht am Leben; und ohne das andere wären wir nicht Christen geworden. Die geistliche Geburt bedeutet eine neue Lebensweise für den Gläubigen. Nachdem wir neu gemacht worden sind, sind wir nicht nur dazu berufen zu leben, sondern dazu, als Christen zu leben.
Inhalt des Buches
Hinführung
Die grundlegende Frage des Buches lautet: „Was ist christliches Leben — wahres geistliches Leben — und wie kann man es im Milieu des 20. Jahrhunderts verwirklichen?” (S. 9). Im ersten Kapitel legt Schaeffer dar, was geistliches Leben nicht ist: Eine Ansammlung von Geboten, die eingehalten werden müssen. Dies werde zuhauf gemacht und diese Definierung über Negationen seien letztlich weder richtig noch lebendig.
Allerdings bedeutet wahres geistliches Leben noch mehr. Geistliches Leben (Heiligung) wird oft darüber definiert, was man alles nicht tun darf und im Anschluss daran die gesamte Zehn-Gebote-Sammlung sowie das Liebesgebot miteinbezogen. In der Kirche wird tendenziell vorwiegend auf die negativen Aspekte eingegangen. Das christliche Leben kann jedoch nicht auf ein noch so tiefgründiges und richtiges negatives Konzept reduziert werden. Ein wahrhaft geistliches Leben kann letztlich nur als positiv bezeichnet werden (S. 20).
Ein Christ sei berufen zu sterben
Schaeffer demonstriert zunächst, wie die geistliche Geburt eine Verbindung zwischen den Gläubigen und dem Tod und der Auferstehung Christi herstellt. Nach der beschriebenen, neuen Geburt des Menschen ergibt sich ein scheinbarer Widerspruch, der als wunderbar bezeichnet werden kann. Gemäß der Heiligen Schrift wird den Gläubigen von Jesus Christus geboten, zu sterben.
In Lukas 9,23–24 wird von Jesus Christus den Jüngern auferlegt, sich selbst zu verleugnen, das tägliche Kreuz auf sich zu nehmen und ihm nachzufolgen. Denn gemäß dieser Aussage wird eine Person, die ihr Leben retten möchte, es letzten Endes verlieren; eine Person hingegen, die bereit ist, ihr Leben um Jesu willen zu verlieren, wird es retten.
In seiner Darstellung betont Schaeffer die zentrale Bedeutung des physischen und geistlichen Todes für das christliche Leben. Schaeffer leistet hier einen wichtigen Beitrag, indem er sich nicht von den schwierigen Aspekten des christlichen Glaubens abwendet, sondern sich ihnen stellt. Wenn wir irgendetwas von der Wirklichkeit des christlichen Lebens, irgendetwas von wahrer Spiritualität erfahren wollen, so müssen wir täglich unser Kreuz auf uns nehmen (S. 30).
Ein Christ sei berufen zu leben
Die Auferstehung bildet also die Grundlage für wahre Spiritualität. Dies bildet die Essenz des christlichen Lebens. Somit kann festgehalten werden, dass wir von Augenblick zu Augenblick „mit Christus auferweckt” (Eph 2,6) worden sind. Welche Implikationen ergeben sich daraus für Christen? Christen sollen so leben, dass sie in ihren Gedanken und in ihrem Leben bereits gestorben wären, im Himmel gewesen und als Auferstandene wieder zurückgekommen sind. Schaeffer präsentiert somit eine radikale und aus der Bibel abgeleitete Darstellung christlicher Spiritualität. Der Theologe fasst unsere Verbindung mit der Ablehnung, dem Tod und der Auferstehung Christi wie folgt zusammen:
„Und nun bin ich bereit zum Kampf. Nun kann echtes geistliches Leben im biblischen Sinn entstehen. Verworfen, getötet, auferweckt: nun sind wir bereit, in dieser Welt, in Raum und Zeit, gebraucht zu werden. Mehr noch: nun können wir uns an dieser Welt als Geschöpfe freuen, weil auch die Welt von Gott geschaffen ist. Wir können uns daran freuen, auch wenn wir sie realistisch so sehen, wie sie seit dem Fall nun einmal ist. Die Rechtfertigung gilt ein für allemal. In einem einzigen Augenblick wird festgestellt, daß meine Schuld weggenommen ist. Aber hier, im Vollzug des geistlichen Lebens, gilt dieses »Einfür-Allemal« nicht. Dies ist ein Prozeß, der andauert — jeden Augenblick neu müssen wir allem »absterben«, um für Gott zu leben; jeden Augenblick neu müssen wir im Glauben in diese Welt zurückkehren, als seien wir von den Toten auferweckt worden. Das ist der positive Aspekt, der auf die Negation folgt.” (S. 49)
Ein Christ sei berufen, anzubeten
In der zweiten Hälfte des Buches verdeutlicht Schaeffer, dass geistliches Leben die Befreiung von Sünden und deren Konsequenzen in diesem Leben ist. In diesem Kontext fokussiert er sich auf Fragen des Gewissens, wobei er verschiedene Aspekte beleuchtet, darunter unser Gedankenleben, psychologische Probleme, unsere Beziehungen und die Kirche.
Wie von einem christlichen Philosophen zu erwarten, widmet sich ein Großteil dieses Abschnitts den Verbindungen zwischen unserem Denken und wahrer Spiritualität. Wahre Spiritualität ist eine Frage der Gedanken. Moralische Konflikte werden nicht durch äußere Einflüsse entschieden. Diese Kämpfe werden nicht in der äußeren Welt gekämpft und gewonnen, sondern finden in unserem Denken statt. Schaeffers Grundgedanke ist dabei folgender: Ein Christ kann durch die Mitwirkung und Hilfe des Heiligen Geistes die Anfechtungen und schlechten Gedanken überwinden, indem er Gott anbetet, anstelle sich mit weltlichen Dingen beschäftigt. So komme Gott zu seinem Ziel, und dem Christ sei geholfen.
Ein Christ sei berufen zur geistlichen Gemeinschaft
Schaeffer präsentiert sich als Pfarrer, indem er uns die Bedeutung der Kirche für die wahre Spiritualität verdeutlicht. Die Kirche demonstriert, wie Christus uns auf übernatürliche Weise wiederherstellt. Schaeffer ist der Ansicht, dass jede Generation die Kirche ihrer Zeit als Ort der übernatürlichen Wiederherstellung betrachten sollte. Dies umfasst sowohl die Beziehung des Einzelnen zu Gott als auch die Beziehung des Einzelnen zu sich selbst und zu anderen Menschen innerhalb der Kirche (vertikale und horizontale Wiederherstellung). Schaeffer erinnert uns daran, dass das Christentum zwar etwas Individuelles ist, aber eben nicht nur. Christliche Spiritualität kann nicht „wahr” sein ohne die Versammlung des Volkes Gottes. Daher ist die Ortsgemeinde der Ort, an dem wir unsere wahre Spiritualität sowohl untereinander als auch gegenüber der Welt ausleben.
Fazit
Schaeffer’s Einfluss als evangelikaler Theologe im 20. Jahrhundert kann nicht genug betont werden. Seine Fähigkeit, biblische Texte so zu erklären, dass sie für das Leben als Christ relevant und verständlich werden, war enorm groß. Und all das bewerkstelligte er, ohne in ausufernde oder langatmige Vorträge zu verfallen.
Kritisch anzumerken ist jedoch, dass Schaeffers Botschaft an die evangelikalen Amerikaner im letzten Jahrhundert gerichtet ist. Dies spürt man beim Lesen durchaus. Sein Versuch, einen Mittelweg zwischen einer sehr konservativen Spiritualität und einer Bibelvergessenheit einzuschlagen, ist durchaus lobenswert.
Ich denke jedoch, dass wir knapp sechzig Jahre später vor einer anderen Herausforderung stehen: Nämlich ob christliche Spiritualität und Heiligung überhaupt noch gelebt wird. In unserer schnelllebigen und gestressten Zeit finden Christen kaum noch Zeit für ihre Beziehung zu Gott. Wenn ein Christ diese vertikale Beziehung vergisst oder verdrängt (bewusst oder unbewusst), kommt er auch in der Heiligung nicht voran. Aus diesem Grund finde ich Schaeffers Literatur enorm spannend, auch wenn nicht ganz so dringlich und modern, wie mir scheint.
Relevanter und zeitnaher wäre Dane C. Ortlunds Buch Tiefer: Wie Christen echte Veränderung erleben. Ich habe dieses Buch hier bereits rezensiert, falls Sie einen Blick ins Buch wagen möchten. Für diejenigen Leserinnen und Leser, die bis hierher gelangt sind und eine theologische Abhandlung über den Begriff der Heiligung vermisst haben: Ich werde Ihnen keine bieten. Ich kann Ihnen lediglich zeigen, wo Sie diese Abhandlung in Ihrer Logos-Bibliothek finden.
Literatur- und Werkzeugempfehlung
Die erste Idee ist, sich im englischen Logos-Store eine evangelikale Studie von Gary Millar zu diesem Begriff ergattern (A Biblical Theology of Personal Transformation). Falls Ihnen englischsprachige Literatur Mühe macht, schafft Logos Abhilfe mit dem KI-Übersetzungstool von DeepL und Google Translate.
Die zweite Variante ist scheinbar einfacher und bequemer: Öffnen Sie Ihren Dogmatik- oder Themen-Assistenten und suchen Sie darin nach den Begriffen Wachstum oder Heiligung. Logos wird Ihnen dann in Sekundenschnelle diverse Artikel und Definitionen liefern, die sich in den Werken Ihrer Bibliothek zu diesen Begriffen finden.