Rezension: Biblische Dogmatik von Wayne Grudem

Von Jens Binfet

April 12, 2019

Ich ver­wen­de die Bibli­sche Dog­ma­tik von Way­ne Gru­dem bereits eini­ge Jah­re mit Gewinn und bin froh, dass sie nun auch in elek­tro­ni­scher Form in Logos zur Ver­fü­gung steht. Sie ist ein wert­vol­les Werk für den pri­va­ten Gebrauch, den Gemein­de­dienst und die aka­de­mi­sche Arbeit, auf das ich immer wie­der ger­ne zurückgreife.

Die Ausrichtung dieser Dogmatik

Eine der schöns­ten Eigen­schaf­ten die­ser Dog­ma­tik ist ihre Zugäng­lich­keit. Way­ne Gru­dem hat aus­drück­lich nicht nur Theo­lo­gie-Exper­ten im Blick, son­dern jeden Chris­ten, der tie­fer in die Glau­bens­leh­ren ein­tau­chen will. Das wird deut­lich an der ein­gän­gi­gen Spra­che: Erfri­schen­der­wei­se fin­den sich kaum unnö­ti­ge Fach­be­grif­fe und wo sie vor­kom­men, wer­den sie zunächst erklärt. Die Struk­tu­rie­rung des Buches als Nach­schla­ge­werk lässt es zudem zu, ein The­ma von Inter­es­se zu lesen, ohne vor­he­ri­ge Kapi­tel mit­le­sen zu müssen.

Dabei bleibt Gru­dem kei­nes­wegs auf einem ober­fläch­li­chen Level, son­dern bie­tet einen soli­den Ein­stieg in die ver­schie­de­nen Berei­che der christ­li­chen Dogmatik.

Sei­ne Absicht mit die­sem Werk legt er im Vor­wort in sechs zen­tra­len Punk­ten dar:

  1. Eine kla­re bibli­sche Basis für dog­ma­ti­sche Leh­ren.
    Gru­dem legt einen beson­de­ren Wert dar­auf, Glau­bens­sät­ze nicht nur logisch-sys­te­ma­tisch kor­rekt zu kon­stru­ie­ren, son­dern sie auf eine bibli­sche Grund­la­ge zu stel­len. So ist der Text mit Bibel­stel­len und ‑ver­wei­sen durch­zo­gen. Die­se Aus­rich­tung gip­felt dann in einem Lern­vers am Ende des Kapitels.
  2. Klar­heit in der Erklä­rung von dog­ma­ti­schen Leh­ren.
    Gru­dem argu­men­tiert für eine kla­re Dog­ma­tik, die gemein­de- und lebens­taug­lich ist. Trotz­dem bil­det er meis­tens eine brei­te Viel­falt an Mei­nun­gen mög­lichst fair ab.
  3. Anwen­dung auf das Leben.
    „Theo­lo­gie soll­te gelebt und gebe­tet und gesun­gen werden!“
  4. Kon­zen­tra­ti­on auf die evan­ge­li­ka­le Welt.
    Das meint Gru­dem vor allem in Abgren­zung zu einem „libe­ra­len“ Ver­ständ­nis der Bibel (die dann nicht mehr Got­tes Wort ist). Er berück­sich­tigt damit nur ein „kon­ser­va­ti­ves“ Spek­trum, dass sich auf ein grund­le­gen­des Bekennt­nis zur Bibel als Wort Got­tes beruft.
  5. Hoff­nung auf Fort­schritt in der lehr­mä­ßi­gen Ein­heit in der Kir­che.
    Hier zeigt sich der „öku­me­ni­sche Geist“ Gru­dems, aber kei­nes­falls durch Ver­ne­beln oder Zurück­stel­len der Dog­ma­tik, son­dern gera­de in der fai­ren Aus­ein­an­der­set­zung der ver­schie­de­nen Standpunkte.
  6. Ein Emp­fin­den der drin­gen­den Not­wen­dig­keit grö­ße­ren lehr­mä­ßi­gen Ver­ständ­nis­ses in der gesam­ten Kir­che.
    Gru­dem ver­tritt die Posi­ti­on, dass Dog­ma­tik für die gan­ze Gemein­de – nicht nur für ihre Leh­rer – nütz­lich und hilf­reich ist. Des­halb bemüht er sich auch um eine nied­ri­ge Ein­stiegs­hür­de zu sei­nem Werk.

Was erwartet den Leser dieser Dogmatik?

Theologische Ausrichtung

Gru­dem ist ein eigen­stän­di­ger sys­te­ma­ti­scher Theo­lo­ge, der nicht streng nur einer dog­ma­ti­schen Tra­di­ti­on folgt. Die dog­ma­ti­sche Posi­tio­nie­rung die­ses Wer­kes lässt sich etwa so umreißen:

  • Irr­tums­lo­sig­keit der Bibel i.S. der „Chi­ca­go-Erklä­rung“
  • Eine tra­di­tio­nell refor­mier­te Posi­ti­on (bzgl. Sou­ve­rä­ni­tät Got­tes und Soteriologie/​Heilslehre).
  • Eine kom­ple­men­tä­re Sicht der Geschlech­ter in Ehe und Gemeinde
  • Eine modi­fi­zier­te kon­gre­ga­tio­na­lis­ti­sche Gemein­de­ver­fas­sung mit meh­re­ren Ältesten.
  • Ein bap­tis­ti­sches Taufverständnis
  • Ein modi­fi­ziert cha­ris­ma­ti­sches Ver­ständ­nis von Geis­tes­tau­fe und Geistesgaben
  • Eine prä­mil­len­nia­lis­tisch-post­tri­bu­la­tio­nis­ti­sche Escha­to­lo­gie (Wie­der­kunft Jesu vor dem 1000-jäh­ri­gen Reich, aber nach der „gro­ßen Trübsal“)

Die­se Mischung macht Gru­dem so inter­es­sant, aber auch angreif­bar. Vor allem sei­ne Leh­re von den Geis­tes­ga­ben wird von bei­den Sei­ten des Spek­trums kritisiert.

Aller­dings muss man Gru­dem zugu­te­hal­ten, dass er enorm fair ande­re Posi­tio­nen wie­der­gibt. Damit ist sei­ne Dog­ma­tik auch dann hilf­reich, wenn er nicht den eige­nen Stand­punkt vertritt.

Struktur

Die Grob­glie­de­rung der The­men lehnt sich durch­aus an tra­di­tio­nel­len Dog­ma­ti­ken an:

  1. Leh­re vom Wort Got­tes (Kap 2–8)
  2. Leh­re von Gott (Kap 9–20)
  3. Leh­re vom Men­schen (Kap 21–25)
  4. Leh­re von Chris­tus und vom Hei­li­gen Geist (Kap 26–30)
  5. Leh­re von der Zueig­nung der Erlö­sung – Sote­rio­lo­gie (Kap 31–43)
  6. Leh­re von der Kir­che (Kap 44–53)
  7. Leh­re von der Zukunft (Kap 54–57)

Hier zeigt sich die klas­sisch pro­tes­tan­ti­sche und evan­ge­li­ka­le Ver­an­ke­rung der Dog­ma­tik im Bibel- und Offen­ba­rungs­ver­ständ­nis. Beson­de­re Schwer­punk­te sei­ner Dog­ma­tik bil­den die Sote­rio­lo­gie und die Geistesgaben.

Durch die detail­lier­te Auf­tei­lung in 57 Kapi­tel las­sen sich spe­zi­fi­sche The­men leicht fin­den und auch sepa­rat durcharbeiten.

Aufbau der Kapitel

Jedes Kapi­tel beginnt mit der „Erklä­rung und biblische[n] Grund­la­ge“, d. h. mit dem Haupt­text zu die­sem Lehr­satz. Die Aus­füh­rung ist dann jeweils noch­mals dem The­ma ange­mes­sen unter­teilt.
Dar­auf fol­gen Fra­gen zur per­sön­li­chen Anwen­dung. Hier wird Gru­dems Anlie­gen sicht­bar, Leh­ren nicht nur für den Kopf, son­dern für Herz und Hand rele­vant zu machen. Die­se Fra­gen eig­nen sich her­vor­ra­gend als Mate­ri­al für den bibli­schen Unter­richt, eine Gemein­de­bi­bel­schu­le oder sons­ti­gen Lehr­an­ge­bo­ten in der Gemein­de und dar­über hinaus.

Anschlie­ßend erhält man einen Kata­log beson­de­rer Schlag­wör­ter (Begrif­fe) aus die­sem Abschnitt. Die­se sind in Logos prak­ti­scher­wei­se direkt mit dem Glos­sar ver­linkt. Die Begriffs­samm­lung inner­halb der Gru­dem­schen Dog­ma­tik fin­de ich gera­de im Gemein­de­lehr­kon­text hilf­reich. Es han­delt sich aller­dings um eine Über­set­zung eng­li­scher Fach­be­grif­fe, die (um die Ver­ständ­lich­keit zu för­dern) nicht immer die deut­sche Fach­ent­spre­chung beinhal­ten. (Bei­spiel: „Im Kreis argu­men­tie­ren“ ent­sprä­che in deut­scher Fach­li­te­ra­tur eher dem Begriff „Zir­kel­schluss“). Das ist an sich kein Man­gel – viel­leicht sogar eine Stär­ke des Wer­kes, der Leser soll­te sich aber der Limi­ta­ti­on im Kla­ren sein.

Sehr hilf­reich zum tie­fer gehen­den Stu­di­um (auch der unter­schied­li­chen Ansich­ten) ist die Biblio­gra­fie jedes Kapi­tels. Hier erhält man Hin­wei­se auf Refe­renz­wer­ke mit prä­zi­ser Sei­ten­an­ga­be und Ein­ord­nung nach Tra­di­ti­on. Die eng­li­schen Wer­ke sind dabei Gru­dems Emp­feh­lung, die deut­schen wur­den dan­kens­wer­ter­wei­se vom deut­schen Her­aus­ge­ber ergänzt.

Jedes Kapi­tel schließt mit einer Bibel­stel­le zum Ein­prä­gen sowie einem Lob­lied. Das kann nütz­lich sein für die lit­ur­gi­sche Ein­bet­tung des The­mas in einen Got­tes­dienst oder zur Ein­bin­dung in die Lehr­ver­an­stal­tung. So wird der Leser von der Theo­lo­gie in den Lob­preis und die Ver­in­ner­li­chung des Wor­tes Got­tes geführt. Selbst wenn ich das Lob­lied dann nicht sin­ge oder ken­ne, erin­nert es dar­an, dass Theo­lo­gie nie nur Kopf­sa­che blei­ben soll.

Die biblische Dogmatik in Logos

Die Bibli­sche Dog­ma­tik von Gru­dem ist in den deut­schen Basis­pa­ke­ten ab Bron­ze ent­hal­ten und ist auch sepa­rat erhält­lich. Wie gewohnt bie­tet die Logos-Ver­si­on eine schnel­le und über­sicht­li­che Navi­ga­ti­on zwi­schen den Kapi­teln, Sprung­mar­ken inner­halb des Wer­kes und eine tol­le Inte­gra­ti­on der Bibel­stel­len.
Lei­der sind so gut wie alle deut­schen Refe­renz­dog­ma­ti­ken (noch) nicht über Logos erhält­lich, sodass hier die Macht der schnel­len Quer­ver­wei­se nicht zum Tra­gen kommt.

Wer ist Wayne Grudem?

Way­ne Gru­dem ist Rese­arch Pro­fes­sor of Theo­lo­gy and Bibli­cal Stu­dies am Phö­nix Semi­na­ry in Ari­zo­na. Bekannt wur­de er durch sei­ne Bibli­sche Dog­ma­tik, die in mehr als einem Dut­zend Spra­chen welt­weit über 300.000 Mal ver­kauft wur­de. Zudem war er Teil des Über­set­zungs­ko­mi­tees der Eng­lish Stan­dard Ver­si­on (ESV) sowie ver­ant­wort­li­cher Her­aus­ge­ber der ESV Stu­dy Bible. Gru­dem ver­tritt eine refor­ma­to­ri­sche (cal­vi­nis­ti­sche) sowie cha­ris­ma­ti­sche Theo­lo­gie. Er hat diver­se Wer­ke zum Ver­hält­nis der Geschlech­ter ver­fasst, in denen er ein kom­ple­men­tä­res Geschlech­ter­ver­ständ­nis ver­tei­digt. Sein neu­es­tes Buch ist eine christ­li­che Ethik.



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Jens Binfet

Über den Autor

Der Autor Jens Binfet ist Doktorand an der Universität Wien. Er hat ein Anliegen, Theologie für die Kirche und den einzelnen Menschen zugänglich zu machen.

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  1. Schön, dass Sie von Gru­dems Dog­ma­tik so begeis­tert sind; da haben Sie mir was vor­aus (mich hat sie eher unan­ge­nehm berührt); aber Sie haben es ohne­hin gut beschrie­ben: eine evan­ge­li­ka­le Sicht­wei­se auf Gott und die Welt. Wenn jemand das teilt, dann ist er damit sicher­lich gut bedient. Wenn nicht – naja … – dann wird er mit die­sem Werk eher nicht so viel anfan­gen können.
    Der Unter­schied liegt nicht in irgend­wel­chen Details, die man so oder anders sehen kann, son­dern in den zen­tra­len Grund­an­nah­men (wie oben beschrie­ben). Gru­dem argu­men­tiert nicht so sehr, war­um ihm sei­ne Sicht als ange­mes­se­ner erscheint als eine ande­re, son­dern er doziert, was für ihn (!) zwei­fels­frei auf dem Tisch liegt.
    Gott ist für ihn nicht so sehr jemand, der das Geheim­nis der Welt ist (um es mit E.Jüngel zu sagen), son­dern jemand, der ein Lehr­buch über sich offen­bart hat.

    1. Vie­len Dank für Ihre Sicht­wei­se und Wahr­neh­mung von Gru­dems Werk.
      Sie haben sicher recht, dass Gru­dems Dog­ma­tik nicht für jeden glei­cher­ma­ßen geeig­net ist.
      Des­halb war es mir auch wich­tig sei­ne Grund­an­nah­men trans­pa­rent zu machen.

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