Zürcher Bibel – Neuauflage in Logos. Eine Rezension

Von Prof. Thomas Hieke

Vor 4 Monaten

Die Zürcher Bibel von 1524 bis 2019

Die Zür­cher Bibel ist ein Werk des Über­set­zer­krei­ses um Hul­drych Zwing­li. Die Arbeit setz­te 1524 mit ver­schie­de­nen Aus­ga­ben ein und wur­de 1531 mit der soge­nann­ten Froschau­er­bi­bel abge­schlos­sen. Meh­re­re Revi­sio­nen schlos­sen sich – wie auch bei der Luther­bi­bel – in den fol­gen­den Jahr­hun­der­ten an. Eine grund­le­gend neue Über­set­zung aus den hebräi­schen, ara­mäi­schen und grie­chi­schen Urspra­chen erfolg­te von 1907 bis 1931. Der nüch­ter­ne Sprach­stil und die Ori­en­tie­rung an der Aus­gangs­spra­che („Nähe zum Urtext“) kenn­zeich­net die „Zür­cher Bibel.“ 

Im Jahr 1984 beschloss die Syn­ode der Evan­ge­lisch-refor­mier­ten Kir­che Zürich, eine Neu­über­set­zung in Auf­trag zu geben, um dem Sprach­wan­del durch die Jahr­zehn­te Rech­nung zu tra­gen. Es soll­te eine wis­sen­schaft­lich zuver­läs­si­ge und sprach­lich sorg­fäl­ti­ge Über­set­zung für die Gegen­wart wer­den, die zugleich in Got­tes­dienst und Unter­richt ver­wend­bar sein soll­te. Damit teilt die Zür­cher Bibel viel mit der katho­li­schen Ein­heits­über­set­zung, die eben­falls als eine ein­heit­li­che Über­set­zung für Got­tes­dienst, Kate­che­se und Reli­gi­ons­un­ter­richt fun­gie­ren soll. 

Die Zürcher Bibel – eine Herausforderung für die Übersetzenden

Die­ses Kon­zept einer ein­heit­li­chen Über­set­zung für vie­le Zwe­cke ist grund­sätz­lich zu begrü­ßen, stellt aber die Über­set­zen­den vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen. Das Ziel ist eine zeit­ge­mä­ße Über­set­zung, die jedoch nicht an die All­tags­spra­che ange­passt ist, weil auch die Bibel selbst kei­ne All­tags­spra­che spricht, son­dern reli­giö­se Lite­ra­tur ist. Eine über­wie­gend an der Aus­gangs­spra­che ori­en­tier­te Über­set­zung wird Mehr­deu­ti­ges nicht ein­deu­tig machen, wird fremd Klin­gen­des so klin­gen las­sen, Schwie­ri­ges nicht ver­ein­fa­chen und vor allem auch Erschre­cken­des (und davon ist die Bibel voll) nicht abmil­dern. In die­sem Stil sind auch die deu­te­ro­ka­no­ni­schen Schrif­ten über­setzt wor­den, die in der Aus­ga­be von 2019 erst­mals bei­gefügt wer­den und nun auch in der Logos-Aus­ga­be zur Ver­fü­gung stehen.

Die stär­ke­re Ori­en­tie­rung an der Aus­gangs­spra­che (gele­gent­lich auch miss­ver­ständ­lich „Urtext“ genannt), die für die neue Ein­heits­über­set­zung (2016) wie die Zür­cher Bibel (2007/​2019) gilt, soll heu­ti­gen Lese­rin­nen und Lesern das Ver­ständ­nis bibli­scher Tex­te ermög­li­chen, ohne eine bestimm­te Inter­pre­ta­ti­on zu favo­ri­sie­ren (falls eine sol­che „Neu­tra­li­tät“ über­haupt mög­lich ist). Der dadurch beding­te anspruchs­vol­le­re Sprach­stil macht die bibli­schen Tex­te zugäng­lich als Tex­te, die aus einer ver­gan­ge­nen Zeit in die heu­ti­ge Zeit hin­ein­spre­chen. Die Bibel kann so wahr­ge­nom­men wer­den als Grund-Urkun­de christ­li­chen Glau­bens und als lite­ra­ri­scher Text, der über den All­tag und das All­täg­li­che hinausweist.

Neue Features in der Zürcher Bibel: Einleitungen, Glossar, deuterokanonische Schriften

Die Aus­ga­be der Zür­cher Bibel von 2019 (ZB 2019) ent­hält Ein­lei­tun­gen zu den ein­zel­nen Büchern, ein Glos­sar und die deu­te­ro­ka­no­ni­schen Schrif­ten, die als gan­zes Buch vor­lie­gen: Judit, Tobit, Baruch, Jesus Sirach, Weis­heit Salo­mos, Ers­tes Buch der Mak­ka­bä­er, Zwei­tes Buch der Mak­ka­bä­er. Die neu­en Fea­tures, die auch in der Logos-Aus­ga­be der ZB 2019 ent­hal­ten sind, wer­den im Fol­gen­den kurz besprochen.

Die deuterokanonischen Schriften

Die deu­te­ro­ka­no­ni­schen Schrif­ten wer­den als eige­ner Block zwi­schen dem Ende des Cor­pus Pro­phe­ti­cum mit der Malea­chischrift und dem Beginn des Neu­en Tes­ta­ments mit dem Evan­ge­li­um nach Mat­thä­us ein­ge­fügt. Damit geht der seit der Luther­bi­bel in sehr vie­len deutsch­spra­chi­gen Aus­ga­ben übli­che Über­gang von Malea­chi zu Mat­thä­us (und damit vom wie­der­kom­men­den Eli­ja in Mal 3,23 zum Täu­fer Johan­nes in Mt 11,14) verloren. 

Frei­lich ist die­ser Über­gang auch erst mit der Luther­bi­bel ent­stan­den: Die refor­ma­to­ri­sche Ent­schei­dung, die deu­te­ro­ka­no­ni­schen Schrif­ten als „Apo­crypha“ nicht in die pro­tes­tan­ti­schen Bibel­aus­ga­ben auf­zu­neh­men, führ­te dazu, dass die­se meist zwi­schen den Pro­phe­ten des Alten Tes­ta­ments und dem Neu­en Tes­ta­ment ange­ord­ne­ten Bücher nicht in die auf­kom­men­den gedruck­ten Bibeln Ein­gang fan­den und so Mat­thä­us direkt auf Malea­chi folgte.

Ich habe kei­ne aus­drück­li­che Infor­ma­ti­on dazu gefun­den, dass (und war­um) die apo­kry­phen bzw. deu­te­ro­ka­no­ni­schen Zusät­ze zum Buch Ester und zum Buch Dani­el (Dan 3,24–45.51–90 LXX; Dan 13–14) nicht auf­ge­nom­men wur­den. Tat­säch­lich stel­len die­se Zusät­ze, die nur grie­chisch über­lie­fert bzw. von vor­ne­her­ein grie­chisch abge­fasst sind, inso­fern ein Pro­blem dar, als die Aus­gangs­spra­che vom Hebräi­schen bzw. Ara­mäi­schen ins Grie­chi­sche wech­selt, die Ziel­spra­che Deutsch aber gleich bleibt. Zudem sind die­se Zusät­ze in den grie­chi­schen Fas­sun­gen von Ester und Dani­el in den Erzähl­ver­lauf eingebettet. 

Es gibt hier kei­ne ein­fa­chen Lösun­gen, wie dies dar­zu­stel­len bzw. zu hand­ha­ben ist. Daher ist die Ent­schei­dung nach­voll­zieh­bar, dass vor­erst auf die­se deu­te­ro­ka­no­ni­schen Zusät­ze in den pro­to­ka­no­ni­schen Büchern Ester und Dani­el sei­tens der Über­set­zer und des Theo­lo­gi­schen Ver­lags Zürich ver­zich­tet wur­de. Man muss dies eben wis­sen, damit man nicht ver­geb­lich das Gebet des Asar­ja (Aza­ri­as) und den Lob­ge­sang der drei jun­gen Män­ner in Dan 3,24–45.51–90 (Sep­tuag­in­ta) in der Zür­cher Bibel „mit deu­te­ro­ka­no­ni­schen Schrif­ten“ sucht.

Die Einleitungen zu den einzelnen Büchern

Die Ein­lei­tun­gen geben einen kur­zen Über­blick zum Inhalt des jewei­li­gen Buches, zum Kan­on­teil, in dem es sich befin­det, zum Namen und zur mut­maß­li­chen Ent­ste­hungs­ge­schich­te. Beim Buch Gene­sis ist bei­spiels­wei­se erfreu­lich, dass nicht län­ger von der „Patri­ar­chen­ge­schich­te“, son­dern von der „Erz­el­tern­ge­schich­te“ gespro­chen wird und so die emi­nent wich­ti­ge Rol­le der weib­li­chen Erzähl­fi­gu­ren nicht län­ger unter­schätzt wird. Bedau­er­lich ist hin­ge­gen, dass sich auch die neue ZB nicht hat durch­rin­gen kön­nen, die Adjek­ti­ve in Gen 1,27 als sol­che wie­der­zu­ge­ben, son­dern beim tra­di­tio­nel­len „als Mann und Frau“ geblie­ben ist (sie­he aber den Glos­sar-Ein­trag zu „Adam und Eva“, in dem die Adjek­ti­ve „männ­lich und weib­lich“ begegnen).

Bei schwie­ri­gen Über­lie­fe­rungs­la­gen ins­be­son­de­re bei den deu­te­ro­ka­no­ni­schen Schrif­ten wer­den eini­ge knap­pe Bemer­kun­gen zum Text- und Hand­schrif­ten­be­fund gemacht. So wird etwa fest­ge­hal­ten, dass das Buch Tobit in meh­re­ren grie­chi­schen Fas­sun­gen erhal­ten ist und dass die Über­set­zung aus der Lang­fas­sung GII erfolg­te. Das Buch Jesus Sirach (Sir) ist nach Aus­kunft der dor­ti­gen Ein­lei­tung aus der maß­geb­li­chen wis­sen­schaft­li­chen Aus­ga­be des grie­chi­schen Texts über­setzt wor­den. Lei­der wird nicht ange­ge­ben, um wel­che Aus­ga­be es sich genau han­delt. In Ein­zel­fäl­len, so die Ein­lei­tung wei­ter, sei­en hebräi­sche Hand­schrif­ten kon­sul­tiert wor­den. Auch bei Sir gibt es eine Kurz- und eine Lang­fas­sung; der Über­schuss der Lang­fas­sung steht in Eck­klam­mern. Die beim Buch Sir vor­ge­kom­me­nen Blatt­ver­tau­schun­gen wur­den gemäß der wis­sen­schaft­li­chen Aus­ga­be rück­gän­gig gemacht und die ursprüng­li­che Abfol­ge wiederhergestellt.

Glossar

Das Glos­sar ist ein alpha­be­tisch geord­ne­tes knap­pes Bibel­le­xi­kon (von A und O bis Zun­gen­re­de). Dar­in wer­den wich­ti­ge Stich­wor­te und Phä­no­me­ne erläu­tert. Zu „Zah­len“ bei­spiels­wei­se wird die sym­bo­lisch hoch auf­ge­la­de­ne Bedeu­tung der Zah­len 1, 2, 3, 4, 7, 12 und 40 erklärt. Die Kür­ze der Ein­trä­ge ist einer­seits hilf­reich, weil ein schnel­ler Über­blick erreicht wird. Gleich­wohl ver­misst man an bestimm­ten Punk­ten die exege­ti­sche und theo­lo­gi­sche Tie­fe, die aber in einem sol­chen Glos­sar ohne­hin nicht erreicht wer­den kann. Dazu ist inten­si­ve­res Bibel­stu­di­um erfor­der­lich, zu dem wie­der­um Logos-Bibel­soft­ware einen ganz wesent­li­chen Bei­trag leis­ten kann.

Wer die ZB 2019 in Logos nutzt, wird das Glos­sar der Print­aus­ga­be kaum benö­ti­gen. Man wird dann die übri­gen infor­ma­ti­ven Res­sour­cen in Logos, die leicht zur Hand sind, her­an­zie­hen und bei­spiels­wei­se über das Fak­ten­buch erheb­lich umfang­rei­che­re Infor­ma­tio­nen zu den offe­nen Fra­gen finden.

Empfehlenswert? Ja!

Ist die Zür­cher Bibel emp­feh­lens­wert? Ja, unbe­dingt und auf jeden Fall! Sie gehört in jedes Logos-Porte­feuille. Sie ist neben der Elber­fel­der Bibel die­je­ni­ge deut­sche Über­set­zung, die den hebräi­schen, ara­mäi­schen und grie­chi­schen Aus­gangs­tex­ten am nächs­ten kommt. Wer also eine gut ver­ständ­li­che, aber eng an der Aus­gangs­spra­che ori­en­tier­te deut­sche Bibel­über­set­zung sucht, braucht die Zür­cher Bibel. Zudem ist der Sprach­stil up-to-date

Ich selbst habe für eine Kom­men­tie­rung sehr inten­siv mit der Zür­cher Über­set­zung der Chro­nik (1/​2 Chro­nik) im Ver­gleich mit dem hebräi­schen Aus­gangs­text gear­bei­tet und bin rest­los begeis­tert von der Treue zur Aus­gangs­spra­che bei gleich­zei­ti­ger guter Ver­ständ­lich­keit. Die ZB 2019 gehört in jedes gute deutsch­spra­chi­ge Logos-Basispaket.


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Prof. Thomas Hieke

Über den Autor

Dr. Thomas Hieke ist Professor für Altes Testament an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Buch Levitikus, der Pentateuch, die Bücher der Chronik sowie Esra-Nehemia, Fragen der Biblischen Theologie sowie der Hermeneutik und Methodologie.

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