Gott, das Alte Testament und Gewalt

Das Alte Testament, Gott und Gewalt

Im Alten Tes­ta­ment gibt es vie­le erbau­li­che Tex­te. Es gibt aber auch Tex­te, die uns befrem­den oder sogar absto­ßen. Inwie­weit hat die­ser „ver­al­te­te“ Teil unse­rer Bibel für uns heu­te noch einen Wert in der Gemein­de und in unse­rem per­sön­li­chen All­tag als Chris­ten? Wenn über­haupt noch über Tex­te aus dem Alten Tes­ta­ment gepre­digt wird – wie gehen wir mit die­sen uns fremd erschei­nen­den Tex­ten um? Schließ­lich fin­den wir dort manch­mal Bil­der eines gewalt­tä­ti­gen und bru­ta­len Gottes.

Wir fin­den im Alten Tes­ta­ment einen Gott, der uns nicht passt.

Hinführung zum Alten Testament

Wie gehen wir mit einem sol­chen Gott um? Unser christ­lich-sozia­li­sier­tes Got­tes­bild passt oft nicht mit den Tex­ten aus dem Alten Tes­ta­ment zusam­men. Müs­sen wir unser Got­tes­bild ändern? Soll­ten wir gar die Tex­te abän­dern oder ihnen weni­ger Gewicht geben? Müs­sen wir eine neue Per­spek­ti­ve dar­auf gewinnen?

Jeden­falls fehlt es an Ver­ständ­nis für einen guten Umgang mit dem Alten Tes­ta­ment. Ein gro­ßer Teil davon dürf­te auf den Man­gel an deutsch­spra­chi­ger Lite­ra­tur zu die­sem The­ma zurück­zu­füh­ren sein. Tat­säch­lich fin­det man in Web­shops, Biblio­the­ken oder im christ­li­chen Buch­han­del nur wenig Mate­ri­al und Bücher zu den schwie­ri­gen Stel­len im Alten Tes­ta­ment. Auch ist oft kaum Grund­la­gen­wis­sen über das Alte Tes­ta­ment vorhanden.

Der in Logos erhält­li­che Sam­mel­band “Der Gott, der uns nicht passt”, der aus drei Tei­len mit 11 Bei­trä­gen besteht, will bewusst die­se Lücke schlie­ßen und das Alte Tes­ta­ment für sei­ne Leser zugäng­li­cher und ver­ständ­li­cher machen. Ich möch­te Ihnen die­ses Werk im Fol­gen­den näher bringen.

Kurzer Blick ins Buch

Teil 1: Grundsätzliche Überlegungen zum Alten Testament

Im ers­ten Teil die­ses Ban­des wer­den grund­sätz­li­che Über­le­gun­gen zum Alten Tes­ta­ment ange­stellt. Wel­ches Pro­blem hat unse­re moder­ne west­li­che Kul­tur mit dem Alten Tes­ta­ment? Wie gewann es eigent­lich sei­ne Gestalt? Wie steht es im Ver­hält­nis zum Neu­en Tes­ta­ment? Was hat es mit den soge­nann­ten Apo­kry­phen auf sich?

Teil 2: Texte aus dem AT und konkrete ethische Fragen

Der zwei­te Teil des Sam­mel­ban­des wid­met sich ver­schie­de­nen Tex­ten aus dem Alten Tes­ta­ment, die kon­kre­te ethi­sche Fra­gen auf­wer­fen. Dazu zäh­len bei­spiels­wei­se der von Gott befoh­le­ne Völ­ker­mord, schwie­ri­ge Geset­zes­tex­te, die für unse­ren All­tag oft kaum ver­ständ­lich sind, sowie die Geschich­te einer Frau, die nach einer Grup­pen­ver­ge­wal­ti­gung zer­stü­ckelt und deren sterb­li­che Über­res­te in ganz Isra­el ver­streut wur­den. Was kön­nen wir aus die­sen Geschich­ten ler­nen? Kön­nen wir einem Gott ver­trau­en, der sol­che Taten begeht oder zumin­dest zulässt? Am Ende die­ses Teils geht es auch um Got­tes Zorn und die Fra­ge, ob heu­te noch Rachep­sal­men gebe­tet wer­den sollten.

Teil 3: Die Anwendung im Alltag

Schließ­lich soll­te die Anwend­bar­keit nicht ver­nach­läs­sigt wer­den. Wie kann man über ver­schie­de­ne Tex­te aus dem Alten Tes­ta­ment pre­di­gen? Der drit­te Teil des Sam­mel­ban­des schließt daher mit einer Bei­spiel­pre­digt, in deren Mit­tel­punkt ein ver­stö­ren­der Text aus dem Alten Tes­ta­ment steht: Auf den Fluch des Pro­phe­ten Eli­sa hin zer­rei­ßen zwei Bärin­nen 42 Kin­der, weil die­se den Pro­phe­ten zuvor als Glatz­kopf ver­spot­tet haben. 

An wel­ches Ziel­pu­bli­kum ist der Sam­mel­band gerichtet?

Wenn Sie Pas­tor oder Dozent sind, oder auch ein­fach hin und wie­der Bibel­aben­de hal­ten und in der Sonn­tags­schu­le unter­rich­ten, kann die­ses Buch sehr hilf­reich sein. Es ist übri­gens in einem ein­fa­chen Stil geschrie­ben und die hebräi­schen und grie­chi­schen Wör­ter wer­den tran­skri­biert (jedoch ohne Voka­li­sa­ti­on der hebräi­schen Wör­ter). Das macht es für den wis­sen­schaft­li­chen Leser etwas schwie­ri­ger, hebräi­sche Begrif­fe zu erken­nen, stellt aber für den inter­es­sier­ten Lai­en kei­ne unnö­ti­ge Hür­de dar. 

Der Sam­mel­band soll Ihnen als Hil­fe­stel­lung die­nen, um sich mit kri­ti­schen The­men aus­ein­an­der­set­zen zu kön­nen. Dabei geht es eben nicht um spitz­fin­di­ge Fra­gen, die nichts mit der Lebens­wirk­lich­keit zu tun haben. Viel­mehr geht es um den Stel­len­wert und die Bedeu­tung des grö­ße­ren Teils unse­rer Bibel. Die­ses Buch hilft Ihnen dabei, die­sen Stel­len­wert zu entdecken.

Wir wis­sen nun, an wen der Sam­mel­band gerich­tet ist. Doch woher kommt es? Wer kam auf die­se gute Idee, ein The­men­buch mit ver­schie­de­nen Autoren zu den schwie­ri­gen Tex­ten des Alten Tes­ta­ments zu erarbeiten?

Die Herausgeber …

Das Buch gehört zu einer fünf­tei­li­gen Buch­rei­he, wel­che vom “Forum Theo­lo­gie & Gemein­de” (FThG) her­aus­ge­ge­ben wur­de. Die­ses Forum ist ein Arbeits­zweig des Bun­des Frei­kirch­li­cher Pfingst­ge­mein­den (BFP) Deutsch­land. Das Buch liegt mitt­ler­wei­le in der drit­ten Auf­la­ge vor (2020) und wur­de 2015 erst­mals ver­öf­fent­licht. Der Bund Frei­kirch­li­cher Pfingst­ge­mein­den ist Mit­glied der Ver­ei­ni­gung Evan­ge­li­scher Frei­kir­chen (VEF). Aktu­ell gehö­ren 872 Gemein­den in Deutsch­land dem Bund an, die wöchent­lich von rund 117.000 Men­schen besucht werden.

Die meis­ten der sechs Autoren die­ses Sam­mel­ban­des arbei­ten als Pas­to­ren und Dozen­ten an frei­kirch­li­chen Aus­bil­dungs­stät­ten mit cha­ris­ma­ti­schem Hin­ter­grund (Theo­lo­gi­sches Semi­nar Erz­hau­sen und Theo­lo­gi­sche Aka­de­mie Stutt­gart). Eini­ge der Autoren sind an ihrer Bibel­schu­le Fach­be­reichs­lei­ter des Alten Testaments.

… und ihr Ziel

Das Ziel die­ses Buches kommt in einem Wunsch zum Aus­druck, den man in Bibel­schu­len oft hört:

Wir wün­schen den Lesern die­ses Buches auch wei­ter­hin, dass ihnen die hier vor­lie­gen­den Bei­trä­ge den Zugang zum oft­mals fremd emp­fun­de­nen Wesen des Alten Tes­ta­ments sowie des­sen Lebens- und Erle­bens­welt erleich­tern.“ (S. 12)

Die Autoren ver­su­chen, das Alte Tes­ta­ment in über­blicks­ar­ti­gen und gehalt­vol­len Bei­trä­gen für den heu­ti­gen Leser inter­es­sant und ver­ständ­lich zu machen. In Gemein­den wird über das Alte Tes­ta­ment kaum noch gepre­digt. Viel­leicht sogar zurecht. Denn der Gott, den wir dar­in fin­den, hat durch­aus Sei­ten an sich, die für uns unan­ge­nehm sind. Er ist ein Gott, der uns nicht passt. Doch genau dar­um gibt es die­ses Buch. Es will nicht um den hei­ßen Brei her­um­re­den, son­dern die schwie­ri­gen Pas­sa­gen des Alten Tes­ta­ments beleuch­ten. Und die­se Lam­pe, die uns die Autoren sym­bo­lisch in die Hand geben, wirft tat­säch­lich ein Licht auf man­che The­men, das zumin­dest ich mir nicht mehr neh­men lasse.

Die Aufsätze des Buches

Die­ses Ziel ver­fol­gen die Her­aus­ge­ber auf 350 Sei­ten. Das Buch ist in drei Tei­le geglie­dert, die wie­der­um in Auf­sät­ze auf­ge­teilt sind. Hier ein kur­zer Überblick:

Teil 1: Einführung und Grundlagen

Auf­satz 1: Das Alte Tes­ta­ment als Her­aus­for­de­rung, von Rudolf Fichtner

Der ers­te Auf­satz behan­delt die Her­aus­for­de­rung des Alten Tes­ta­ments grund­le­gend. Zudem wird bereits hier die Kon­ti­nui­tät vom Alten und Neu­en Tes­ta­ment ange­spro­chen. Pas­send plat­ziert, wie ich fin­de. Denn vie­le Lese­rin­nen und Leser schau­en oft vom Neu­en Tes­ta­ment aufs Alte.

Auf­satz 2: Vom Wer­den des Alten Tes­ta­ments, von Mathi­as Nell

Der zwei­te Auf­satz beinhal­tet die gan­ze Ent­ste­hung des Kanons, des­sen Aus­wir­kun­gen auf das Neue Tes­ta­ment und all­ge­mei­ne, leicht ver­ständ­li­che Infor­ma­tio­nen zum hebräi­schen und grie­chi­schen Alten Testament.

Auf­satz 3: Das Ver­hält­nis vom Alten zum Neu­en Tes­ta­ment, von Mark Schröder

Die­ser Auf­satz ent­hält eini­ge Anre­gun­gen zur Bibel der ers­ten Chris­ten und einen Ver­such, die bei­den Tes­ta­men­te stär­ker mit­ein­an­der zu lesen.

Teil 2: Das Alte Testament und seine Stolpersteine

Auf­satz 4: Völ­ker­mord im Alten Tes­ta­ment – Auf­trag eines lie­ben­den Got­tes?, von Tobi­as Wolff (unten mehr dazu)

Auf­satz 5: Kei­ne Hosen für Frau­en – Zur Aus­le­gung schwie­ri­ger Geset­zes­tex­te, von Mathi­as Nell

Es gibt Geset­ze im Alten Tes­ta­ment, bei denen man sich fra­gen muss: Was bedeu­ten die­se und wofür sind sie eigent­lich da? Was soll­te das Volk Isra­el mit die­sen Geset­zen anfan­gen? Die­sen Fra­gen geht Nell nach.

Auf­satz 6: Die Schand­tat von Gibea – Eine Exege­se von Rich­ter 19, von Mathi­as Nell

Die Erzäh­lung über die soge­nann­te „Schand­tat von Gibea“ in Rich­ter 19 stellt für Bibel­aus­le­ger und Pre­di­ger noch immer eine gro­ße Her­aus­for­de­rung dar. Die Fra­ge die­ses Auf­sat­zes lau­tet daher, ob – und falls ja, wie – die Erzäh­lung von Ri 19 biblisch-theo­lo­gisch zu bewer­ten ist.

Auf­satz 7: Men­schen­zorn und Got­tes Zorn, von Mark Schröder

Wie steht es mit dem Zorn Got­tes? Wenn der Mensch nach dem Eben­bild Got­tes geschaf­fen ist, dann muss Gott auch der Maß­stab dafür sein, wie wir mit unse­rem Zorn umge­hen. Wenn der Mensch nicht zor­nig sein darf, war­um darf Gott es dann? Die­se Fra­gen ver­sucht Schrö­der in sei­nem Auf­satz zu beantworten.

Auf­satz 8: „Selig, wer dei­ne Kind­lein am Fel­sen zer­schmet­tert“?, von Rudolf Fichtner

Ficht­ner geht in sei­nem Auf­satz der Fra­ge nach, was die Kla­ge­psal­men damals bedeu­te­ten und wie wir sie auf heu­te über­tra­gen kön­nen. Dabei stellt er Über­le­gun­gen zu Kla­ge­psal­men mit gewalt­tä­ti­gem Inhalt an.

Teil 3: Das Alte Testament in der Verkündigung

Auf­satz 9: „Es war ein­mal“ – Lite­ra­ri­sche Gat­tun­gen im Alten Tes­ta­ment, von Mathi­as Nell

Einen guten Über­blick über alle lite­ra­ri­schen Gat­tun­gen, wie er oft auch in Ein­lei­tun­gen und Wer­ken zur Theo­lo­gie des Alten Tes­ta­ments zu fin­den ist, lie­fert Nell in die­sem Aufsatz.

Auf­satz 10: Pre­digt­hil­fen zu ver­schie­de­nen Text­gat­tun­gen, von Ste­fan Striefler

Strief­lers Auf­satz ist pra­xis­ori­en­tiert. Er teilt Kurz­pre­dig­ten und die Metho­dik zu den ver­schie­de­nen Gat­tun­gen mit uns, wie wir sie im neun­ten Auf­satz bereits ken­nen­ge­lernt haben.

Auf­satz 11: Bei­spiel­pre­digt: „Bethels Kin­der“, von Rei­mer Dietze

Den Abschluss des Buches bil­det eine tran­skri­bier­te Pre­digt von Rei­mer Diet­ze aus dem Jahr 2014. Bei dem Pre­digt­text han­delt es sich um die Erzäh­lung vom Pro­phe­ten Eli­sa, der auf einer Rei­se 42 fre­che Kin­der ver­flucht, die dar­auf­hin von Bären gefres­sen werden.

Im Fol­gen­den gön­nen wir uns einen etwas tie­fe­ren Ein­blick in den Sam­mel­band. Ich wer­de Ihnen den Auf­satz “Völ­ker­mord im Alten Tes­ta­ment – Auf­trag eines lie­ben­den Got­tes?” etwas näher vor­stel­len. Wei­ter­füh­ren­de Lite­ra­tur zu die­sem The­ma fin­den Sie im Lite­ra­tur­ver­zeich­nis am Ende die­ses Artikels.

Völkermord im Alten Testament

Der Bei­trag bil­det den Anfang von Teil 2 des Sam­mel­ban­des und wur­de von Tobi­as Wolff ver­fasst. Der Auf­satz umfasst cir­ca 50 Sei­ten (S. 101–154) und ist damit über­durch­schnitt­lich lang. Bekannt­lich ist Völ­ker­mord ein schwie­ri­ges The­ma, an dem man­che Gläu­bi­ge, aber auch Athe­is­ten und Agnos­ti­ker zu ver­zwei­feln schei­nen. So fin­det der Athe­ist Richard Daw­kins har­te Worte:

Der Gott des Alten Tes­ta­ments ist – das kann man mit Fug und Recht behaup­ten – die unan­ge­nehms­te Gestalt in der gesam­ten Lite­ra­tur: Er ist eifer­süch­tig und auch noch stolz dar­auf; ein klein­li­cher, unge­rech­ter, nach­tra­gen­der Über­wa­chungs­fa­na­ti­ker; ein rach­süch­ti­ger, blut­rüns­ti­ger eth­ni­scher Säu­be­rer; ein frau­en­feind­li­cher, homo­pho­ber, ras­sis­ti­scher, Kin­der und Völ­ker mor­den­der, ekli­ger, grö­ßen­wahn­sin­ni­ger, sado­ma­so­chis­ti­scher, lau­nisch-bos­haf­ter Tyrann.” (Aus: “Der Got­tes­wahn”, S. 45.)

Obwohl ich Daw­kins ger­ne ein paar Rück­fra­gen stel­len wür­de, die vor­wie­gend metaethi­scher und erkennt­nis­theo­re­ti­scher Natur sind, scheint er einen wun­den Punkt des Juden- und Chris­ten­tums getrof­fen zu haben. Vie­le gläu­bi­ge Men­schen tun sich offen­sicht­lich schwer mit dem Gott, der ihnen im Alten Tes­ta­ment begegnet.

Das Problem

Im sechs­ten Buch der Bibel erhält der jun­ge Josua den Auf­trag, das Volk Isra­el ins gelob­te Land zu füh­ren und den Auf­trag Jah­wes aus­zu­füh­ren. Dabei soll er kei­ne Angst vor den Bewoh­nern des Lan­des haben, son­dern Män­ner, Frau­en, Kin­der, Alte und Jun­ge töten, ver­nich­ten und aus­rot­ten. Nichts, was atmet, soll am Leben blei­ben (Jos 1,9: Jos 6,21 und Dtn 20,16).

Was sind die Grün­de für solch bru­ta­le und abscheu­li­che Ver­bre­chen? War­um wer­den sogar Zivi­lis­ten, dar­un­ter unschul­di­ge Kin­der und wehr­lo­se Frau­en, rück­sichts­los getö­tet? Heu­te wür­de man sol­che Taten als Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit bezeich­nen, als Ver­stoß gegen das huma­ni­tä­re Völkerrecht.

Wider­spricht das nicht der Leh­re Jesu, sei­ne Fein­de zu lie­ben statt zu has­sen und für sie zu beten, statt sie zu töten (Mt 5,44; Lk 6,27f.)? Wie ver­trägt sich der auf­fäl­li­ge Kon­trast zwi­schen dem Gebot der Fein­des­lie­be und dem Befehl zum Völ­ker­mord mit unse­rem Got­tes­bild? Bedeu­ten die­se Tex­te wirk­lich das, was wir gemein­hin damit ver­bin­den:: dass Gott der Initia­tor von Völ­ker­mord ist?

Wolff kommt auf einen inter­es­san­ten Gedan­ken, wenn er schreibt:

So manch einer wür­de die ent­spre­chen­den Sei­ten wohl ger­ne aus sei­ner Bibel säu­ber­lich her­aus­schnei­den. Das tut natür­lich kei­ner. Aber ist es nicht das Glei­che, wenn sie in der Ver­kün­di­gung in unse­ren Gemein­den ein­fach über­gan­gen wer­den?“ (S. 102)

Und es ist ja gera­de das Ziel der Autoren, dass das Alte Tes­ta­ment ver­kün­digt und ver­stan­den wird! So trifft Wolff mit die­sem „Stol­per­stein“ den Nagel auf den Kopf. Schaut man sich die anglo­ame­ri­ka­ni­sche Lite­ra­tur zu die­sem The­ma an, ist allein die Aus­wahl bereits rie­sig und unüber­schau­bar. Im deutsch­spra­chi­gen Raum hin­ge­gen ist sie Man­gel­wa­re. Zeit, dies zu ändern, dach­te sich wohl Tobi­as Wolff, als er sei­ne Abschluss­ar­beit zu die­sem The­ma einreichte.

Vorarbeiten

Wolff nähert sich dem The­ma sys­te­ma­tisch und gut struk­tu­riert. Nach einer ein­lei­ten­den Pro­blem­be­schrei­bung und der For­mu­lie­rung einer For­schungs­fra­ge gibt er eine Ein­füh­rung in den soge­nann­ten Ver­nich­tungs­krieg im und außer­halb des jüdi­schen Kon­tex­tes. Aus den Vor­ar­bei­ten kris­tal­li­sie­ren sich zwei The­men­schwer­punk­te heraus.

Zum einen stellt er das Ver­hält­nis zwi­schen dem jüdi­schen Gott Jah­we und den Krie­gen dar. Gott stellt sich im Alten Tes­ta­ment immer wie­der als gewalt­tä­ti­ger und zor­ni­ger Gott vor. Der ver­mut­lich ältes­te Hym­nus preist Jah­we für die Ver­nich­tung der ägyp­ti­schen Streit­macht. Erin­nert sei hier an den poe­ti­schen Klang aus Exodus 15,21: „Singt Jah­we, denn hoch erha­ben ist er, Pferd und Rei­ter warf er ins Meer!“

In einem wei­te­ren Sie­ges­lied wird spür­bar, dass Jah­we an Krie­gen aktiv betei­ligt ist. So fin­det man im Rich­ter­buch den Kampf­spruch: „Für Jah­we und für Gideon“ (Ri 7,18; vgl. 7,20). Auch in ande­ren Kul­tu­ren und Völ­kern scheint es selbst­ver­ständ­lich gewe­sen zu sein, dass Gott­hei­ten eine akti­ve Rol­le in Krie­gen spielten.

Dass die Gott­heit eines Vol­kes Anteil hat am Krieg und Jah­we als Krie­ger bezeich­net wird, ist im Alten Vor­de­ren Ori­ent völ­lig nor­mal.“ (S. 108)

Das hebräische Wort חרם

Zum ande­ren gibt Wolff einen kur­zen Über­blick über das hebräi­sche Wort (חרם: chrm), das in den deut­schen Bibeln bis­her meist mit “Bann” oder sel­ten mit “der Ver­nich­tung wei­hen” über­setzt wird. Die­ses Wort kommt im Alten Tes­ta­ment 29 Mal im Zusam­men­hang mit Krieg vor, davon 13 Mal im Buch Josua.

Aller­dings hat der Begriff chrm im Alten Tes­ta­ment eine ganz ande­re Bedeu­tung als das, was man im Deut­schen unter „Bann“ ver­steht. Es gibt in der deut­schen Spra­che kein pas­sen­des Äqui­va­lent für chrm. Was das Wort eigent­lich bedeu­tet, lässt sich nicht in zwei Sät­zen sagen, wenn es sich über­haupt genau bestim­men lässt.“ (S. 104)

Das hört sich defi­ni­tiv nach einem Stol­per­stein an! Offen­sicht­lich muss die­ser Begriff durch die Exege­se ein­zel­ner Tex­te wei­ter unter­sucht und erhellt wer­den. Genau das beab­sich­tigt Wolff mit sei­nem Auf­satz. Die­se Exege­sen erstre­cken sich einer­seits auf Geset­zes­tex­te aus dem Buch Deu­te­ro­no­mi­um, ande­rer­seits behan­deln sie kon­se­quen­ter­wei­se auch Peri­ko­pen, die von der Land­nah­me han­deln (Josua 6–12).

Exegetische Untersuchungen

Grund­sätz­lich war Isra­el eine fried­lie­ben­de Nati­on, die nur zur eige­nen Ver­tei­di­gung kämpf­te. Im Fal­le eines Angriffs­krie­ges wur­de zunächst eine fried­li­che poli­ti­sche Lösung gesucht. Erst wenn der König eines Vol­kes den Frie­den ablehn­te, durf­te das Volk die­se Stadt bela­gern. Es gibt jedoch auch Tex­te, in denen Gott ein sol­ches Frie­dens­an­ge­bot ver­bie­tet. Kon­kret betrifft dies sechs Völ­ker. Die­se Völ­ker haben gemein­sam, dass sie sich auf dem Ter­ri­to­ri­um des heu­ti­gen Isra­el west­lich des Jor­dans befin­den. Die Ver­nich­tung die­ser Völ­ker wird gefor­dert, was eine extre­me Maß­nah­me dar­stellt. Die Haupt­be­grün­dung dafür ist folgende:

Es ist Jah­wes Eigen­tums­volk aus sei­ner frei­en Erwäh­lung und als sol­ches ein hei­li­ges Volk. Die­se und die fol­gen­den Ver­se zie­len auf die Befol­gung vor allem des ers­ten Gebo­tes ab: Jah­we allein ist der Gott Isra­els (V. 9; Ex 20,2f.; Dtn 6,4). Dies zu gewähr­leis­ten, ist eine Begrün­dung für die Ver­nich­tung der Völ­ker, die im Deu­te­ro­no­mi­um gege­ben wird.“ (S. 121)

Zusam­men­fas­send las­sen sich bezüg­lich der Begrün­dun­gen für die Tötung und Ver­nich­tung der Völ­ker Kanaans im Deu­te­ro­no­mi­um zwei wei­te­re Aus­sa­gen treffen:

  • Die Gräu­el­ta­ten der Völ­ker sol­len für Isra­el nicht zum Vor­bild wer­den, damit sie nicht gegen das ers­te Gebot verstoßen.
  • Die Gräu­el­ta­ten der Völ­ker und ihre Gott­lo­sig­keit sind der Grund, war­um Jah­we sie aus dem Land vertreibt.

Die Art und Wei­se der Land­nah­me ist zwei­fel­los anstö­ßig. Ins­be­son­de­re die dras­ti­sche Aus­rot­tung der Völ­ker, wie sie in Josua 6,21 geschil­dert wird, bei der Män­ner, Frau­en und Kin­der getö­tet wur­den, ist mit dem christ­li­chen Got­tes­bild – auch mit den Begrün­dun­gen des Deu­te­ro­no­mi­um nur schwer in Ein­klang zu brin­gen. Offen­sicht­lich lie­fern die exege­ti­schen Unter­su­chun­gen kei­ne ver­nünf­ti­ge Ant­wor­ten auf die Fra­ge­stel­lung. Wolff kommt daher zu ver­schie­de­nen her­me­neu­ti­schen Ansät­zen, um dem Pro­blem zu begegnen.

Vier Ansätze des Verstehens

Die ers­te Vari­an­te, die­ses Pro­blem zu lösen, ist eine anti­his­to­ri­sche. Die­se in der libe­ra­len Theo­lo­gie begrün­de­te Auf­fas­sung ver­neint, dass sol­che Ereig­nis­se jemals statt­ge­fun­den haben. Das Pro­blem des zor­ni­gen Got­tes wird ent­spre­chend auf eine rein hypo­the­ti­sche Ebe­ne verlagert.

Eine ande­re Mög­lich­keit besteht dar­in, den Geno­zid aus der Per­spek­ti­ve des Kreu­zes zu betrach­ten. Die­se chris­to­zen­tri­sche Metho­de ver­sucht, fol­gen­de Fra­ge zu stel­len (und letzt­lich natür­lich auch zu beant­wor­ten): Hät­te Jesus einen Krieg und die Ver­nich­tung gan­zer Städ­te samt Kin­dern, Frau­en und alten Men­schen gebil­ligt? Die neu­tes­ta­ment­li­che Ethik rela­ti­viert in der Per­son Jesu also das alt­tes­ta­ment­li­che Bild eines mit­un­ter grau­sa­men Got­tes. Jesus ver­trat eine Ethik des Frie­dens und der Lie­be und die­ser Ansatz lenkt den Blick auf den gewalt­lo­sen Gott des Neu­en Tes­ta­ments. Pro­ble­ma­tisch wird hier jedoch die Dis­kon­ti­nui­tät zum Alten Tes­ta­ment, wes­halb Wolff die­sen Ansatz für zu schwach hält.

Der drit­te Ansatz besteht dar­in, Gott und sein Han­deln als ein Geheim­nis zu betrach­ten, das wir nicht ver­ste­hen kön­nen. Gott ist rät­sel­haft und anders. Aber auch die­ser Ansatz erklärt nicht, wie das grau­sa­me Han­deln Got­tes zu recht­fer­ti­gen ist. Man löst das Pro­blem nicht, son­dern ver­schiebt es in eine escha­to­lo­gi­sche Zukunft, in der sich alle Fra­gen klä­ren werden.

Der letz­te Ver­such, die­se Tex­te zu ver­ste­hen, nennt Wolff die Stra­te­gie der Gegen­tex­te. Die­se Sicht­wei­se ver­sucht auf­zu­zei­gen, dass es im Alten Tes­ta­ment eine Hoff­nung auf Frie­den gibt. Die pro­ble­ma­ti­schen Tex­te über den Völ­ker­mord im Auf­trag Got­tes las­sen sich mit die­sem Ansatz weder erklä­ren noch abschwä­chen. Sie kön­nen nicht gegen­ein­an­der abge­wo­gen wer­den. Aber sie tra­gen dazu bei, zu erken­nen, dass das Alte Tes­ta­ment nicht aus­schließ­lich aus gewalt­tä­ti­gen Tex­ten besteht und dass das Bild vom Alten Tes­ta­ment als gewalt­tä­tig und dem Neu­en Tes­ta­ment als lie­be­voll ein­sei­tig und nicht stim­mig ist – zumal es auch Ansät­ze eines gewalt­tä­ti­gen Got­tes­bil­des im Neu­en Tes­ta­ment gibt.

Fazit zum Thema Völkermord

Letzt­lich liegt es an uns, auch die­se Sei­te Got­tes anzu­neh­men. Wir dür­fen ihm nicht unse­ren Wil­len auf­zwin­gen. Gott stellt sich selbst als „Ich bin, der ich bin” (Ex 3,14) vor, was auch sei­ne Sou­ve­rä­ni­tät und Ent­schei­dungs­frei­heit ver­deut­licht. Die radi­ka­le Ver­nich­tung der Völ­ker Kanaans durch den von Gott ver­häng­ten Bann wird uns aber wohl immer unver­ständ­lich bleiben.

Fazit zu diesem Sammelband

Die­ser Sam­mel­band ist ein her­vor­ra­gen­des Hilfs­mit­tel für alle, die sich ver­tieft mit einer Theo­lo­gie des Alten Tes­ta­ments beschäf­ti­gen wol­len, ohne die Pri­mär­li­te­ra­tur durch­fors­ten zu müs­sen. Auch dient der Sam­mel­band Pas­to­ren, Stu­den­ten und Haus­krei­sen dazu, den Gott des Alten Tes­ta­ments bes­ser ken­nen­zu­ler­nen. Die Auf­sät­ze geben einen guten Über­blick und Ein­stieg in ver­schie­de­ne The­men, die gera­de auch unter apo­lo­ge­ti­schen Gesichts­punk­ten von gro­ßer Bedeu­tung sind.

Lese­rin­nen und Leser suchen jedoch ver­geb­lich Vor­schlä­ge für wei­ter­füh­ren­de Lite­ra­tur. Eine Art Fazit mit einem Aus­blick wäre schön gewe­sen, um inter­es­sier­te Lese­rin­nen und Leser auf geeig­ne­te Lite­ra­tur hin­zu­wei­sen. Im Lite­ra­tur­ver­zeich­nis am Ende die­ses Arti­kels fin­den Sie jedoch eini­ge Vor­schlä­ge zu den im Sam­mel­band behan­del­ten Themen.

Ansons­ten ist der Band sehr über­sicht­lich gestal­tet und hilft, das alt­tes­ta­ment­li­che Got­tes­bild neu und tie­fer zu ver­ste­hen. Der prak­ti­sche Teil lädt Geist­li­che dazu ein, sich auf eine reflek­tier­te Ver­kün­di­gung des Alten Tes­ta­ments ein­zu­las­sen. „Der Gott, der uns nicht passt” ist eine prak­ti­sche Hil­fe für Men­schen, die in der Gemein­de Ver­ant­wor­tung im Bereich der Leh­re tra­gen und kri­ti­schen Fra­gen nicht aus­wei­chen wol­len. Das Buch ist jedoch auch ein Gewinn für jeden Bibel­le­ser, der die Bibel bes­ser ver­ste­hen möchte.

Literaturverzeichnis

Bücher zum The­ma Völ­ker­mord (Geno­zid):

Gute Bibel­kom­men­ta­re zum Buch Josua auf Englisch:

Gute Bibel­kom­men­ta­re zum Buch Josua auf Deutsch:

Geschrieben von
Joshua Ganz

Joshua ist als Jugendpastor in der Nordostschweiz tätig. Aktuell studiert er systematische Theologie auf dem Master-Level und plant einen MTh. In der Schweizer Armee dient er als Armeeseelsorger. Er liebt Theologie, sein Rennrad und Kaffee. Am liebsten alles miteinander, oder zumindest nacheinander ;)

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