Hermeneutik 1/​4: Ist die Bibel irrtumslos?

Von Manuel Becker

Exegese, Hermeneutik
Vor 4 Monaten

Feh­ler­los? Die Fra­ge der Irr­tums­lo­sig­keit der Bibel ist ein heiß dis­ku­tier­tes und rele­van­tes The­ma. Lesen Sie in 13 Min., wor­um es in der Dis­kus­si­on geht, was die wich­tigs­ten Argu­men­te sind und war­um das The­ma für die Her­me­neu­tik eine ent­schei­den­de Rol­le spielt.

Was ist Hermeneutik überhaupt? Und was ist der Unterschied zur Exegese?

Die­ser Arti­kel ist der ers­te einer Rei­he zum The­ma Her­me­neu­tik. Aber was ist Her­me­neu­tik über­haupt? Wor­in besteht der Unter­schied zwi­schen Her­me­neu­tik und Exege­se? Das Wort Her­me­neu­tik kommt vom grie­chi­schen Wort her­mē­neuō (ἑρμηνεύω) und bedeu­tet „aus­le­gen“. Ziel ist es, Prin­zi­pi­en und Leit­li­ni­en zu defi­nie­ren, die sinn­voll und hilf­reich für die Aus­le­gung der Bibel sind. Es geht also um die gro­ße Fra­ge „Was müs­sen wir beach­ten, um die Bibel rich­tig aus­le­gen zu können?“

Die Exege­se hin­ge­gen ist der Pro­zess der kon­kre­ten Aus­le­gung eines bibli­schen Tex­tes. Die Her­me­neu­tik erforscht sozu­sa­gen die über­ge­ord­ne­ten Prin­zi­pi­en und die geeig­ne­ten Werk­zeu­ge und dient damit als Grund­la­ge für eine fun­dier­te Exege­se. Way­ne Gru­dem (2013:119) fasst dies wie folgt zusammen:

Wenn jemand die Prin­zi­pi­en der Bibel­aus­le­gung stu­diert, so ist dies folg­lich „Her­me­neu­tik“; wenn aber jemand jene Prin­zi­pi­en anwen­det und tat­säch­lich beginnt, einen bibli­schen Text aus­zu­le­gen, dann betreibt er oder sie „Exege­se“.

Warum eine Reihe zum Thema Hermeneutik?

Zwei­fel­los spielt die Bibel eine zen­tra­le Rol­le für den christ­li­chen Glau­ben. Aller­dings gibt es eine gro­ße zeit­li­che, sprach­li­che und kul­tu­rel­le Kluft zwi­schen den bibli­schen Tex­ten und unse­rer moder­nen Welt. Die bibli­schen Autoren sahen die Welt durch ande­re Augen und schrie­ben ihre Tex­te in Spra­chen, über deren genaue Bedeu­tung sich die Theo­lo­gen bei man­chen Wör­tern bis heu­te streiten.

Logos Bibel­soft­ware exis­tiert, um der Gemein­de Jesu zu hel­fen, im Licht der Bibel zu wach­sen. Logos nimmt die Bibel ernst und bie­tet des­halb Werk­zeu­ge und Res­sour­cen an, um den Leib Chris­ti aus­zu­rüs­ten, die­se Kluft bes­ser zu über­brü­cken und Chris­ten zu hel­fen, die Bibel bes­ser zu ver­ste­hen und leh­ren zu können.

Zwei­fel­los spie­len die zugrun­de lie­gen­den her­me­neu­ti­schen Prin­zi­pi­en eine zen­tra­le Rol­le bei der kor­rek­ten Aus­le­gung der Bibel. Oft wer­den aber die her­me­neu­ti­schen Prin­zi­pi­en der eige­nen Gemein­de ein­fach unre­flek­tiert über­nom­men. Hier lohnt sich jedoch ein Blick über den eige­nen Tel­ler­rand, denn wir alle erken­nen nur bruch­stück­haft und brau­chen ein­an­der, um von­ein­an­der ler­nen zu können.

Die­se Her­me­neu­tik-Rei­he will zum Nach­den­ken anre­gen, ver­schie­de­ne theo­lo­gi­sche Per­spek­ti­ven beleuch­ten und wich­ti­ge her­me­neu­ti­sche Prin­zi­pi­en benen­nen und erläu­tern. Mein Ziel ist es, Anre­gun­gen zu geben, die Ihnen hel­fen, Ihre Her­me­neu­tik zu erwei­tern und tie­fer zu durch­den­ken, um Ihr Bibel­stu­di­um zu ver­tie­fen und zu bereichern.

Die Hermeneutik und die Frage nach der Irrtumslosigkeit der Bibel

Im 20. Jahr­hun­dert gab es eine Rei­he von Ereig­nis­sen, die die Glaub­wür­dig­keit der Bibel in Fra­ge stell­ten. Archäo­lo­gi­sche Ent­de­ckun­gen zogen die His­to­ri­zi­tät man­cher bibli­schen Geschich­ten in Zwei­fel. Die Ver­brei­tung der Evo­lu­ti­ons­leh­re und geo­lo­gi­sche Fun­de, die auf eine sehr alte Erde hin­deu­te­ten, wider­spra­chen einer wört­li­chen Aus­le­gung der Schöpfungsgeschichte.

Fun­de anti­ker, reli­giö­ser Tex­te, die den bibli­schen Geschich­ten ver­blüf­fend ähn­lich waren, lie­ßen man­che Chris­ten an der gött­li­chen Inspi­ra­ti­on des Alten Tes­ta­ments zwei­feln. Eini­ge deut­sche Theo­lo­gen ver­mu­te­ten, dass der Pen­ta­teuch nicht von Mose allein, son­dern von meh­re­ren Autoren ver­fasst wor­den sei. Die wach­sen­de athe­is­ti­sche Bewe­gung mach­te zuneh­mend auf Wider­sprü­che in der Bibel und auf unmo­ra­li­sche Got­tes­bil­der aufmerksam.

Man­che Chris­ten betrach­te­ten die Häu­fung die­ser Ereig­nis­se als eine Art Angriff auf die Inspi­ra­ti­on und Auto­ri­tät der Bibel. Des­halb schlos­sen sich 1977 Theo­lo­gen ver­schie­de­ner Kon­fes­sio­nen zum „Inter­na­tio­nal Coun­cil on Bibli­cal Iner­ran­cy“ (kurz: ICBI; deutsch: Inter­na­tio­na­ler Rat für bibli­sche Irr­tums­lo­sig­keit) zusam­men. Die­ser Rat woll­te allen Auf­fas­sun­gen ent­ge­gen­tre­ten, die die Irr­tums­lo­sig­keit der Hei­li­gen Schrift in Fra­ge stell­ten. Im Jahr 1978 ver­ab­schie­de­te er die „Chicago-Erklärung zur Irr­tums­lo­sig­keit der Bibel“.

Die Chicago-Erklärung

Die Logik der Chi­ca­go-Erklä­rung ist, dass „Gott, der selbst die Wahr­heit ist und nur die Wahr­heit spricht“ (ICBI 2008:7), die Bibel inspi­riert hat und des­halb jedes Wort der Bibel 100% wahr ist.

Da die Schrift vollständig und wörtlich von Gott gege­ben wur­de, ist sie in allem, was sie lehrt, ohne Irr­tum oder Feh­ler.“ (:7)

Die­ser Wahr­heits­an­spruch schließt ein, dass alles, was in der Bibel berich­tet wird, his­to­risch kor­rekt ist und z. B. auch natur­wis­sen­schaft­li­che Anga­ben wahr sind. Die Bibel wird als ein Buch ver­stan­den, das ein­heit­lich eine Wahr­heit ver­kün­det und kei­ner­lei Wider­sprü­che ent­hält (Arti­kel XIV der CE).

Damit geht oft der Gedan­ke ein­her, dass, wenn die Bibel in einem ein­zi­gen Punkt irrt, sie nicht völ­lig irr­tums­los und unfehl­bar ist und damit mög­li­cher­wei­se auch in Fra­gen des Heils irren könn­te. Des­halb wird betont, dass die Irr­tums­lo­sig­keit der Bibel eine fun­da­men­tal not­wen­di­ge Leh­re ist, deren Ableh­nung zu „schwer­wie­gen­de Kon­se­quen­zen für den Ein­zel­nen und die Kir­che“ (XIX) füh­ren wird.

Bekann­te Theo­lo­gen, die an der Chi­ca­go-Erklä­rung mit­ge­ar­bei­tet haben, sind z. B. John Mac­Ar­thur, Josh McDo­well, John W. Mont­go­me­ry, James I. Packer und R. C. Sproul.

Die Bibel beschützen

Es gibt viel Posi­ti­ves über das Anlie­gen der Theo­lo­gen zu sagen, die hin­ter der Chi­ca­go-Erklä­rung ste­hen. Ihr Auf­ruf, die gött­li­che Inspi­ra­ti­on der Bibel zu ver­tei­di­gen, zeugt von einer tie­fen Wert­schät­zung und Lie­be zur Bibel. Ihr Ziel war es, die Bibel vor zer­set­zen­der Bibel­kri­tik und allen mög­li­chen Angrif­fen von außen zu schüt­zen. Sie woll­ten jedem Chris­ten ermög­li­chen, ein fes­tes Ver­trau­en in die Bibel haben zu kön­nen, ohne an ihrer Glaub­wür­dig­keit zu zwei­feln oder stu­die­ren zu müs­sen, um sie ver­ste­hen zu können.

Kom­pro­mis­se kön­nen gefähr­lich wer­den und so woll­ten sie Chris­ten davor bewah­ren, auf die schie­fe Bahn zu gera­ten, wo ein Kom­pro­miss zum ande­ren führt und am Ende die gan­ze Bibel, oder gar der gan­ze christ­li­che Glau­be, abge­lehnt wird.

Die häu­fig zitier­ten Bibel­stel­len, auf denen die Idee der Irr­tums­lo­sig­keit der Bibel beruht, sind:

Mat­thä­us 5,17–20; 1 Thes­sa­lo­ni­cher 2,13; 2 Timo­theus 3,16; Hebrä­er 6,18 und 2 Petrus 1,21.

Das RGG ver­steht die Leh­re der Irr­tums­lo­sig­keit der Bibel als Fun­da­men­ta­lis­mus. In solch einem Bibel-Fun­da­men­ta­lis­mus wird die

wört­lich-buch­stäb­li­che irr­tums­lo­se Unfehl­bar­keit der Bibel als das »Fun­da­ment« des christl. Glau­bens pro­pa­giert. (RGG 2000:Vol. 3:421)

Kritik an der Chicago-Erklärung

Die Sicht­wei­se der Chi­ca­go-Erklä­rung, dass die Bibel völ­lig irr­tums­los und unfehl­bar sein muss, um wirk­lich Got­tes inspi­rier­tes Wort sein zu kön­nen, ist unter evan­ge­li­ka­len Chris­ten weit ver­brei­tet, aber in Wirk­lich­keit nur eine von vie­len Sicht­wei­sen in der christ­li­chen Welt. Vie­le Theo­lo­gen betrach­ten die Chi­ca­go-Erklä­rung als eine Ansamm­lung moder­ner Ideen, die der Bibel auf­ge­zwun­gen wer­den, aber ihrem wah­ren Wesen nicht gerecht werden.

Die­se Dis­kre­panz, zwi­schen den Behaup­tun­gen der Chi­ca­go-Erklä­rung und der Bibel selbst, ist gefähr­lich. War­um gefähr­lich? Vie­le Pre­di­ger beto­nen, dass die Bibel hun­dert­pro­zen­tig feh­ler­los sein muss, um wirk­lich Got­tes Wort sein zu kön­nen. Wenn Chris­ten dann aber Wider­sprü­che und Feh­ler in der Bibel ent­de­cken, führt das oft zu einem Ver­trau­ens­ver­lust in die Bibel, in den Pre­di­ger und even­tu­ell sogar zu einer Abkehr vom Glau­ben. Damit bewirkt die Theo­lo­gie der Chi­ca­go-Erklä­rung in vie­len Fäl­len genau das, was sie eigent­lich bekämp­fen will.

Hier sind ein paar der Argu­men­te der Kri­ti­ker der Chicago-Erklärung:

Argument 1: Die Chicago-Erklärung wird dem Wesen der Bibel nicht gerecht

Der Haupt­kri­tik­punkt ist in der Regel, dass die Form der uns vor­lie­gen­den Bibel dem Anspruch des Bibel­fun­da­men­ta­lis­mus ein­fach nicht gerecht wird. Kri­ti­ker sehen die Irr­tums­lo­sig­keit der Bibel als eine moder­ne Idee, die der Bibel über­ge­stülpt wird, obwohl sie die­sem Anspruch an vie­len Stel­len ganz offen­sicht­lich nicht gerecht wird. Damit wird die Gestalt der Bibel nicht ernst genom­men, son­dern es wird ver­sucht, die Bibel zu etwas zu machen, was sie nicht ist.

Kri­ti­ker des Bibel­fun­da­men­ta­lis­mus wei­sen auf eine Viel­zahl von bibli­schen Aus­sa­gen hin, die nicht wahr sind. Hier eini­ge Beispiele:

In Mat­thä­us 13,32 behaup­tet Jesus, das Senf­korn sei das kleins­te aller Samen­kör­ner. Das war das all­ge­mei­ne Ver­ständ­nis der Men­schen in Isra­el zur Zeit Jesu. Tat­sa­che ist aber, dass es vie­le ande­re Samen­kör­ner gibt, die klei­ner sind als das Senf­korn (ca. 1 mm lang), z. B. die Samen der Juwe­len­or­chi­dee (ca. 0,05 mm lang). Die Aus­sa­ge Jesu ist also sach­lich falsch.

Abja­tar (Mk 2,26) war nicht der Hohe­pries­ter, als David die Schau­bro­te im Tem­pel aß, son­dern Ahim­e­lech (1 Sam 21,1). Mat­thä­us schreibt einen Vers fälsch­li­cher­wei­se Jere­mia zu, obwohl er ursprüng­lich aus Sachar­ja stammt (Mt 27,9–10; vgl. Sach 11,12–13).

Widersprüche in der Bibel

Dar­über hin­aus wird häu­fig auf eine Viel­zahl von Wider­sprü­chen ver­wie­sen, z. B.:

Bestraft Gott die Nach­kom­men für die Sün­den der Vor­fah­ren oder nicht?

Ja: Ex 20,5 und Jer 16,11
Nein: Deut 24,16 und Jer 31,30 und Hes 18,4.

Wer hat David zur Sün­de angestiftet?

Gott: 2 Sam 24,1
Satan: 1 Chr 21,1

Wer war der Vater von Joseph?

Jakob: Mt 1,16
Heli: Lk 3,23–24

Wohin ging Pau­lus nach sei­ner Bekehrung?

Nach Ara­bi­en, NICHT nach Jeru­sa­lem: Gal 1,15–17
Damas­kus und Jeru­sa­lem: Apg 9,18–25

Es gibt so vie­le sol­cher „Pro­blem­stel­len“ in der Bibel, dass es sogar eine „New Inter­na­tio­nal Ency­clo­pe­dia of Bible Dif­fi­cul­ties“ (Neue Inter­na­tio­na­le Enzy­klo­pä­die für bibli­sche Pro­ble­me) gibt, die ver­sucht sol­che schwie­ri­gen Stel­len zu erklä­ren. Schon die Exis­tenz eines sol­chen Buches zeigt bereits, dass die uns vor­lie­gen­de Bibel schwer­lich in die Form eines irr­tums­lo­sen, in allen Aus­sa­gen wah­ren Buches zu pres­sen ist.

Dabei zu beach­ten ist, dass die­se pro­ble­ma­ti­schen Stel­len für die Bot­schaft und Auto­ri­tät der Bibel grund­sätz­lich kein Pro­blem dar­stel­len, da sie zumeist neben­säch­lich und unbe­deu­tend sind. Pro­ble­ma­tisch wer­den sie aber dann, wenn man den Anspruch erhebt, dass jede Aus­sa­ge in der Bibel zu 100 % wahr sein muss. Dann wer­den sol­che Stel­len schnell zum Stein des Ansto­ßes und zum Mit­tel­punkt hit­zi­ger Diskussionen.

Dar­über hin­aus wei­sen die uns heu­te vor­lie­gen­den Urtex­te gele­gent­lich ortho­gra­fi­sche oder gram­ma­ti­ka­li­sche Feh­ler auf. Wie las­sen sich die­se mit der Vor­stel­lung der Irr­tums­lo­sig­keit der Schrift ver­ein­ba­ren? In der Tat scheint die Gestalt der uns über­lie­fer­ten Bibel oft schwer ver­ein­bar mit dem Anspruch, ein feh­ler­frei­er und irr­tums­lo­ser Text zu sein.

Argument 2: Unterschiedliche Manuskripte

Die Irr­tums­lo­sig­keit der Bibel bezieht sich auf wel­che Bibel­über­set­zun­gen? Oder sind alle Über­set­zun­gen feh­ler­frei? Oder gilt sie nur für die Urtex­te? Auch das ist pro­ble­ma­tisch. Denn es gibt nicht den einen per­fek­ten Urtext der bibli­schen Tex­te. Viel­mehr gibt es sehr vie­le ver­schie­de­ne Abschrif­ten des Urtex­tes, aus denen dann der moder­ne Bibel­ka­non rekon­stru­iert wurde.

Es ist ein wah­res Wun­der, dass die meis­ten die­ser vie­len Abschrif­ten eine erstaun­li­che Über­ein­stim­mung zei­gen. Aber es gibt auch eini­ge Tex­te, bei denen die ver­schie­de­nen Abschrif­ten nicht mit­ein­an­der ver­ein­bar sind. Eini­ge Bibel­ver­se sind in den ältes­ten Abschrif­ten nicht ent­hal­ten, son­dern wur­den wahr­schein­lich erst spä­ter hin­zu­ge­fügt. Es ist also nicht so ein­fach, genau zu bestim­men, wel­che Tex­te feh­ler­frei sind und wel­che nicht.

Argument 3: Das Inspirations-Verständnis der Chicago-Erklärung ist nicht berechtigt

Die Logik des Bibel­fun­da­men­ta­lis­mus lautet:

  1. Gott ist hei­lig und kann des­halb nicht lügen (Titus 1,2).
  2. Die Hei­li­ge Schrift ist von Gott ein­ge­ge­ben (ein­ge­haucht) (2 Tim 3,16).
  3. Was Gott haucht, ist wie Gott, voll­kom­men und fehlerlos.
  4. Die Bibel ist irr­tums­los und unfehlbar.

Die Argu­men­ta­ti­on ist logisch ein­wand­frei. Die Fra­ge ist: Sind alle The­sen halt­bar? Die The­sen a und b sind in der Chris­ten­heit nahe­zu uni­ver­sal aner­kannt. The­se c ist der Knack­punkt. Vie­le Chris­ten sehen kein Pro­blem dar­in zu glau­ben, dass die Bibel zu 100 % von Gott inspi­riert ist. Dies muss aber nicht not­wen­di­ger­wei­se bedeu­ten, dass sie auch feh­ler­frei ist. Die ent­schei­den­de Fra­ge ist das Ver­ständ­nis des­sen, was Inspi­ra­ti­on genau bedeu­tet. Die Dis­kus­si­on dreht sich meist um das Wort „theopneu­s­tos“ aus 2 Tim 3,16.

Alle Schrift ist gott­ge­haucht [theopneu­s­tos] und nütz­lich zum … (2 Tim 3,16 Die Bibel in deut­scher Fas­sung)

Das Wort kommt nur an die­ser Stel­le in der Bibel vor und ist daher schwer aus­zu­le­gen. Ein gründ­li­ches Bibel­stu­di­um ist not­wen­dig, um her­aus­zu­fin­den, was Gott in der Bibel alles anhaucht und was genau das Ergeb­nis des Anhau­chens durch Gott ist. Ein alter­na­ti­ves Ver­ständ­nis wäre z. B. dass Got­tes Hau­chen nicht zur Voll­kom­men­heit führt, son­dern dazu, dass etwas Totes leben­dig wird.

Buchempfehlung

Es lie­ßen sich noch vie­le wei­te­re Argu­men­te anfüh­ren, doch das wür­de den Rah­men die­ses Arti­kels spren­gen. In dem Buch “Five Views on Bibli­cal Iner­ran­cy (Coun­ter­points)” stel­len die Autoren fünf ver­schie­de­ne Ansich­ten zum The­ma Irr­tums­lo­sig­keit der Schrift vor und brin­gen sie mit­ein­an­der ins Gespräch. Die Über­set­zungs­funk­ti­on in Logos ermög­licht es, dass die­ses Buch auch Men­schen zugäng­lich ist, deren Eng­lisch ein wenig ein­ge­staubt ist.

Warum ist diese Diskussion wichtig für die Hermeneutik?

Was wir über das Wesen der Schrift glau­ben, wird die Art und Wei­se, wie wir an einen bibli­schen Text her­an­ge­hen und ihn lesen, mas­siv beein­flus­sen. Wenn wir uns der Bibel mit vor­ge­fer­tig­ten Vor­stel­lun­gen dar­über nähern, wie die­se Tex­te zu sein haben, kön­nen wir sie nicht mit offe­nem Her­zen betrach­ten. Wir wer­den dem Text (unbe­wusst) unse­re Vor­stel­lun­gen auf­zwin­gen und dabei bibli­sche Wahr­hei­ten über­se­hen, die unse­rem Para­dig­ma fremd sind.

Ein Beispiel: Ist der Schöpfungsbericht historisch oder nicht?

Für die Ver­tre­ter des Bibel­fun­da­men­ta­lis­mus ist es wich­tig, dass die bibli­schen Tex­te his­to­ri­sche Berich­te sind. Sie lesen bibli­sche Geschich­ten kon­se­quent als his­to­ri­sche Tat­sa­chen­be­rich­te. Zwei­fel­los ver­ste­hen sich vie­le bibli­sche Tex­te, vor allem im Neu­en Tes­ta­ment, als his­to­ri­sche Tex­te (z. B. die Evan­ge­li­en, die Apos­tel­ge­schich­te). Der Streit ent­zün­det sich oft vor allem an den Geschich­ten in den Büchern Gene­sis und Josua.

Ging es den Autoren der Schöp­fungs­ge­schich­te dar­um, einen Bericht zu schrei­ben, wie die Welt tat­säch­lich erschaf­fen wur­de? Oder haben sie, wie alle Völ­ker damals, das For­mat einer Geschich­te genutzt, um tie­fe Wahr­hei­ten dar­über zu ver­mit­teln, wozu und von wem wir geschaf­fen sind? Hat­ten sie wirk­lich den Anspruch, einen Tat­sa­chen­be­richt zu schrei­ben oder war ihnen die­ser Gedan­ke fremd? Wie gehen wir mit der Tat­sa­che um, dass vie­le ande­re Mythen aus die­ser Zeit fast iden­ti­sche Ele­men­te enthalten?

Der Ver­gleich hinkt sicher an vie­len Stel­len, aber viel­leicht kann man eine Par­al­le­le zu dem Ent­schluss zie­hen, die Nar­nia-Bücher als his­to­ri­sche Tex­te zu lesen. Tut man dies, kann es dazu füh­ren, dass vie­le unnö­ti­ge Fra­gen auf­ge­wor­fen wer­den („War­um kön­nen die Tie­re reden?“), umständ­li­che Erklä­run­gen gebas­telt wer­den müs­sen und dabei die tie­fe­ren geist­li­chen Wahr­hei­ten über­se­hen werden.

Man kann jedoch auch auf der ande­ren Sei­te vom Pferd fal­len und alle bibli­schen Wun­der­ge­schich­ten für Fik­ti­on hal­ten. Auch das kann gro­ßen Scha­den anrichten.

Wenn wir die Bibel ernst neh­men wol­len, müs­sen wir zuerst prü­fen, ob unse­re Annah­men (z. B. „Dies ist ein his­to­ri­scher Bericht“) ange­mes­sen sind. Dazu müs­sen wir über die oben skiz­zier­ten Fra­gen nach­den­ken, denn die Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen tra­gen wesent­lich dazu bei, wie wir die bibli­schen Tex­te interpretieren.

Fazit

Jeder Christ soll­te sorg­fäl­tig und mit offe­nem Her­zen die Argu­men­te für und gegen die Irr­tums­lo­sig­keit der Bibel prü­fen und ver­su­chen, eine gut infor­mier­te Ent­schei­dung in die­ser Fra­ge zu tref­fen. Die­se Ent­schei­dung soll­te der vor­lie­gen­den Form der bibli­schen Tex­te gerecht wer­den und mit der Wahr­heit und den Fak­ten ver­ein­bar sein. Wenn wir ernst­haft nach der Wahr­heit suchen, brau­chen wir das, was wir fin­den, nicht zu fürch­ten, denn Gott ist die Wahr­heit – und wer die Wahr­heit sucht, wird sie – bzw. letzt­lich ihn – finden.

Bibliografie zur Hermeneutik und zur Irrtumslosigkeit der Bibel

Gru­dem, W. (2013). Bibli­sche Dog­ma­tik: Eine Ein­füh­rung in die Sys­te­ma­ti­sche Theo­lo­gie. Trans­la­ted by V. Jor­dan. Bonn; Ham­burg: VKW; arche-medi­en (Theo­lo­gi­sches Lehr- und Stu­di­en­ma­te­ri­al des Mar­tin Bucer Semi­nars), p. 119.

Inter­na­tio­na­len Rat für bibli­sche Irr­tums­lo­sig­keit (ICBI). (2008). Die Irr­tums­lo­sig­keit der Bibel: Ers­te Chicago-Erklärung von 1978. Bibel­bund-Ver­lag

RGG. (2000). Küenz­len, G., Küenz­len, G., et al. “Fun­da­men­ta­lis­mus,” Reli­gi­on in Geschich­te und Gegen­wart. 4., voll­stän­dig neu­be­ar­bei­te­te Auf­la­ge. Edi­ted by H.D. Betz et al. Tübin­gen: Mohr Siebeck.


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Manuel Becker

Über den Autor

Manuel arbeitet als Gemeindegründer unter einer der 25 größten unerreichten Völkergruppen weltweit. Wenn seine vier Kinder ihn nicht gerade auf Trab halten, liest er gern theologische Bücher oder nutzt Logos, um sich in die Bibel zu vertiefen. Jetzt, wo sein MA-Studium an der Akademie für Weltmission abgeschlossen ist, plant er bald einen PhD in Theologie dranzuhängen. Er ist der Autor des beliebten Kinderbuchs „Der große Sieg“, welches das Evangelium in einer packenden Bildergeschichte für Jung und Alt illustriert.

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