Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen”

Von Joshua Ganz

Christsein, Freiheit, Kirchengeschichte, Luther, Reformation
Vor 2 Monaten

Mar­tin Luthers Schrift „Von der Frei­heit eines Chris­ten­men­schen“ ist über 500 Jah­re alt. Lohnt es sich, ein so altes Werk zu lesen? Kann es – nach heu­ti­gen Maß­stä­ben – als seriö­se Quel­le in wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten ver­wen­det, also als „wis­sen­schaft­lich” bezeich­net wer­den – oder ist es längst über­holt? Die­se Fra­ge wer­de ich Ihnen in den nächs­ten 7 Minu­ten beantworten.

Inhalt der Schrift

Der Inhalt klingt sehr modern: Es geht um die Frei­heit eines Chris­ten­men­schen. Kann eine Schrift, die zu Beginn des 16. Jahr­hun­derts ver­fasst wur­de, noch in unse­re Zeit spre­chen? Auf jeden Fall muss man die his­to­ri­sche Distanz wahr­neh­men und sich bewusst sein, dass eine unmit­tel­ba­re Anwen­dung kaum mög­lich ist. Die geis­ti­ge und reli­giö­se Situa­ti­on Luthers ist nicht die unse­re, und die Frei­heits­vor­stel­lun­gen sei­ner Zeit haben mit dem phi­lo­so­phisch-moder­nen Frei­heits­be­griff wenig gemein. Eine gewinn­brin­gen­de Lek­tü­re der Schrif­ten Luthers muss des­halb von einem genau­en Ver­ständ­nis des Tex­tes in sei­nem his­to­ri­schen Kon­text aus­ge­hen, um von dort aus sei­ne Bedeu­tung für heu­te zu erschließen. 

Einen sol­chen Weg zu ermög­li­chen, ist die Absicht die­ses Arti­kels. Die Poin­te der Inter­pre­ta­ti­on lau­tet: Das christ­li­che Frei­heits­ver­ständ­nis eröff­net einen eige­nen, frei­en Blick auf moder­ne Frei­heits­kon­zep­te, weil sich Christ­sein als Voll­zug von Frei­heit dar­stellt. Bei­de, Frei­heit und Christ­sein, haben die­sel­be Wur­zel: Jesus Christus.

Inhalt der Schrift: Glaube vs. Werke

Der Glau­be bil­det das Herz­stück des Chris­ten­tums, eine Über­zeu­gung, die im Neu­en Tes­ta­ment immer wie­der betont wird. Wäh­rend der Refor­ma­ti­on wur­de inten­siv dar­über debat­tiert, was einen ret­ten­den Glau­ben aus­macht. Ins­be­son­de­re die Fra­ge nach dem Ver­hält­nis von Glau­ben und Wer­ken wur­de lei­den­schaft­lich dis­ku­tiert. Hier­bei spiel­te Mar­tin Luther eine ent­schei­den­de Rol­le, denn er beton­te, dass der Glau­be allein für die Recht­fer­ti­gung vor Gott ausreicht. 

In sei­nem Werk „Von der Frei­heit eines Chris­ten­men­schen“ sprach Luther über den „leben­di­gen Glau­ben“, der unwei­ger­lich Früch­te der Gerech­tig­keit (Glau­bens­wer­ke, sie­he Gala­ter­brief und Jako­bus­brief) her­vor­bringt. Er beton­te, dass die Recht­fer­ti­gung allein durch den Glau­ben geschieht, jedoch nicht durch einen iso­lier­ten Glau­ben, der kei­ne Ver­än­de­rung im Leben bewirkt. Die­se Über­zeu­gung von Luther führ­te zu inten­si­ven theo­lo­gi­schen Dis­kus­sio­nen, ins­be­son­de­re mit der römisch-katho­li­schen Kir­che, die beton­te, dass die Recht­fer­ti­gung durch Glau­ben und Wer­ke erfolgt.

Protestantische Sichtweise

Für Luther und die pro­tes­tan­ti­schen Refor­ma­to­ren war Glau­be gleich Recht­fer­ti­gung plus auto­ma­tisch hin­zu­kom­men­de Wer­ke. Die kon­sti­tu­ie­ren­den Ele­men­te des ret­ten­den Glau­bens wur­den von ihnen als noti­tia, assen­sus und fidu­cia iden­ti­fi­ziert. „Noti­tia“ bezeich­net den Inhalt des Glau­bens, „Assen­sus“ die Über­zeu­gung in die Wahr­heit die­ses Inhalts, und „Fidu­cia“ das per­sön­li­che Ver­trau­en auf Chris­tus als Retter.

Wenn man Mar­tin Luther und sein Ver­ständ­nis von Glau­ben und Wer­ken nach­voll­zie­hen will, ist es wich­tig, auch sei­ne bio­gra­fi­schen Ein­flüs­se zu berück­sich­ti­gen. Luther selbst durch­leb­te eine tie­fe geist­li­che Kri­se, in der er sich inten­siv mit der Fra­ge nach der eige­nen Recht­fer­ti­gung vor Gott aus­ein­an­der­setz­te. Die­se per­sön­li­che Erfah­rung präg­te sei­ne theo­lo­gi­schen Über­zeu­gun­gen und führ­te zu einer radi­ka­len Neu­be­wer­tung der Bedeu­tung des Glau­bens für das christ­li­che Leben.

In sei­nem Trak­tat und ande­ren Schrif­ten beton­te Luther immer wie­der die zen­tra­le Rol­le des per­sön­li­chen Ver­trau­ens auf Chris­tus als Ret­ter. Er erkann­te, dass die­ser Glau­be nicht allein auf intel­lek­tu­el­len Über­zeu­gun­gen beruht, son­dern eine tie­fe per­sön­li­che Bezie­hung zu Chris­tus ein­schließt. Die­se Über­zeu­gung Luthers hat nicht nur die Refor­ma­ti­on geprägt, son­dern auch die theo­lo­gi­schen Dis­kus­sio­nen über Glau­be und Wer­ke bis heu­te beeinflusst.

Der Grund für Luthers Bekanntheit

Luther woll­te nie bekannt, geschwei­ge denn zitiert und gefei­ert wer­den. Dass sei­ne Schrif­ten auch nach 500 Jah­ren noch gele­sen wer­den, liegt also nicht an sei­ner Absicht. Es liegt auch nicht an sei­ner schrift­stel­le­ri­schen Bega­bung. Auch als Mensch wur­de er nicht bekannt, weil er ein beson­ders auf­fäl­li­ger und glanz­vol­ler Cha­rak­ter war. Luthers Schrif­ten wer­den bis heu­te gele­sen, weil ihr Inhalt direkt aus der Bibel abge­lei­tet ist und von einer Wahr­heit zeugt, die zeit­los ist. Sei­ne Rede vom Evan­ge­li­um, von der Recht­fer­ti­gung allein aus Glau­ben, ist in den Her­zen vie­ler Gläu­bi­ger fest ver­an­kert und hochaktuell.

Martin Luther - Verfasser der Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen"
Bron­ze­sta­tue von Mar­tin Luther in Wit­ten­berg, Deutsch­land (Bild­quel­le: Unsplash)

Enthaltene Schriften

Das vor­lie­gen­de Werk ent­hält drei­er­lei: die früh­neu­hoch­deut­sche Wit­ten­ber­ger Erst­aus­ga­be Luthers, eine moder­ne, in unse­rem Schrift­deutsch gut ver­ständ­li­che Über­set­zung von Diet­rich Korsch und den Kom­men­tar, den er dazu ver­fasst hat. In der Druck­ver­si­on ste­hen Ori­gi­nal und Über­set­zung neben­ein­an­der auf einer Sei­te, was den Vor­teil hat, dass man sie schnell mit­ein­an­der ver­glei­chen kann. Für Sie als Leser ist das viel­leicht nicht ganz so wich­tig, da heu­te kaum noch jemand die­se ver­al­te­te Schrift lesen kann. Wer es den­noch wagen möch­te, fin­det in der spe­zi­ell für Logos bear­bei­te­ten Fas­sung zuerst den Ori­gi­nal­text und dann die all­ge­mein ver­ständ­li­che Ver­si­on. Das Werk ist der ers­te Band der Rei­he Gro­ße Tex­te der Chris­ten­heit. Die­se Schrift Luthers ist neben sei­nen The­sen wohl die bekann­tes­te und meist­ge­le­se­ne. Denn sie ent­hält das Herz­stück von Luthers Theo­lo­gie: die Recht­fer­ti­gung allein aus Glau­ben (sola fide). Wie kam Luther dazu, dar­über zu schreiben?

Hier nagelte Martin Luther, der Verfasser der Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche
Wit­ten­ber­ger Schloss­kir­che aus der Fer­ne (Bild­quel­le: Unsplash)

Die Entstehung der Schrift

Luther war 34 Jah­re alt, als er 1517 sei­ne 95 The­sen an die Tür der Wit­ten­ber­ger Schloss­kir­che nagel­te, soweit zumin­dest die Legen­de. Mit die­ser Akti­on wand­te er sich vor allem gegen den Ablass­han­del. Nur drei Jah­re spä­ter ver­häng­te die katho­li­sche Reichs­kir­che eine Bann­an­dro­hungs­bul­le über ihn. Doch Luther sporn­te dies nur zur Ver­öf­fent­li­chung eini­ger refor­ma­to­ri­schen Gedan­ken an. Noch im sel­ben Jahr ver­fass­te er die Schrif­ten Von den guten Wer­ken, An den christ­li­chen Adel deut­scher Nati­on und nicht zuletzt Von der Frei­heit eines Chris­ten­men­schen. In letz­te­rer leg­te er sei­ne Gedan­ken zum theo­lo­gi­schen Begriff der Frei­heit dar. 

Was Frei­heit bedeu­te­te, drück­te Luther auch noch auf ande­re Wei­se aus. Unter Beru­fung auf sei­ne Funk­ti­on als Leh­rer der christ­li­chen Reli­gi­on hat­te er sei­nen Her­kunfts­na­men „Luder“ über die grä­zi­sier­te Vari­an­te „Eleu­the­ri­us“ (der Freie) in „Luther“ geän­dert. Der Name „Luther“ drückt aus, dass das Evan­ge­li­um mit der eige­nen Per­son zu tun hat und die­se durch die Bezie­hung zu Gott in die Frei­heit führt. Luther hat also nicht nur einen Frei­heits­be­griff ent­wi­ckelt, son­dern Frei­heit als Wesens­merk­mal christ­li­chen Lebens dar­ge­stellt. Und er hat sie selbst auch ganz prak­tisch gelebt.

Gliederung der Schrift

Um Ihnen ein Über­blick über den Inhalt zu geben, wer­de ich die kur­ze Schrift glie­dern. Luther hat sein Anlie­gen bezüg­lich des Ver­hält­nis­ses von Glau­ben und Taten in 30 The­sen verfasst.

  • The­se 1–2 Ein­lei­tung: Christ­sein bedeu­tet frei sein und geknech­tet sein durch Christus
  • The­se 3–18 behan­delt den inne­ren Men­schen. Hier wird Luthers damals revo­lu­tio­nä­res Schrift­ver­ständ­nis ersichtlich
  • The­se 19–28 beinhal­tet die Fra­ge, was es mit den (Glaubens-)Werken auf sich hat und in wel­cher Rela­ti­on die­se zum ret­ten­den Glau­ben stehen.
  • The­se 29–30 dient dazu, sei­ne Schrift zusam­men­zu­fas­sen und eini­ge Hin­wei­se für das prak­ti­sche Leben als Christ zu geben.

Der Begleitkommentar zu „Von der Freiheit eines Christenmenschen“

Der Begleit­kom­men­tar zu die­ser Aus­ga­be ist mit sei­nen drei Tei­len sehr aus­führ­lich. Der ers­te Teil behan­delt sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­che Aspek­te. Im zwei­ten Teil nimmt Korsch den his­to­ri­schen Faden auf und bet­tet Luthers Schrift in ihren Kon­text ein. Der letz­te und größ­te Teil umfasst Korschs Inter­pre­ta­ti­on und sei­ne Erklä­run­gen zum Text.

Interpretation

Mar­tin Luthers Schrift „Von der Frei­heit eines Chris­ten­men­schen“ ist ein kom­ple­xer Text, der einer sorg­fäl­ti­gen Lek­tü­re bedarf. Diet­rich Korsch betont daher in sei­ner Inter­pre­ta­ti­on in die­ser Neu­aus­ga­be die Wich­tig­keit, den Wort­laut genau zu beach­ten, ein­schließ­lich der rhe­to­ri­schen Figu­ren, der Stil­wech­sel und der Bibel­zi­ta­te, die wesent­li­che Bestand­tei­le des Inhalts sind. Dies ist ent­schei­dend, um den vol­len Gehalt des Tex­tes zu erfassen.

Luthers Gedan­ken kön­nen aber auch anders for­mu­liert und im Kon­text moder­ner Ideen kri­tisch gewür­digt und hin­ter­fragt zu wer­den. Dies gilt auch für den Autor selbst, der auf die­se Wei­se in einen Gedan­ken­dia­log ein­be­zo­gen wird. 

Der Kom­men­tar von Diet­rich Korsch ver­bin­det zwei Metho­den: eine erklä­ren­de und eine kon­struk­tiv-kri­ti­sche. Die kon­struk­tiv-kri­ti­sche Ana­ly­se steht in der Tra­di­ti­on Luthers, der die Bibel als Wort Got­tes ver­stan­den und ihr damit eine hohe Auto­ri­tät zuer­kannt hat. Daher müs­sen sich die theo­lo­gi­sche Arbeit und das Urteil der Lesen­den und Hören­den an den bibli­schen Tex­ten ori­en­tie­ren. Auf die­se Wei­se steht die Arbeit in der Tra­di­ti­on Luthers, der die Auto­ri­tät nicht beim Autor, son­dern im Text selbst sah.

Luther selbst hielt sei­ne Schrift für wich­tig. In einem Brief an Papst Leo X. beton­te er, dass das Werk trotz sei­ner Kür­ze die gan­ze Sum­me des christ­li­chen Lebens ent­hal­te, wenn es rich­tig ver­stan­den wer­de. Der Kom­men­tar von Korsch soll hel­fen, die­sen tie­fe­ren Sinn zu erschlie­ßen und die Bedeu­tung der Schrift für die heu­ti­ge Zeit aufzuzeigen.

Fazit zu dieser Neuausgabe

Die Neu­aus­ga­be die­ser bedeu­ten­den Schrift des Refor­ma­tors Mar­tin Luther wirft wich­ti­ge Fra­gen auf, ins­be­son­de­re die nach der Rele­vanz eines über 500 Jah­re alten Tex­tes für moder­ne Leser, vor allem aus pro­tes­tan­ti­schen und evan­ge­li­ka­len Krei­sen. Trotz des his­to­ri­schen Kon­tex­tes und der sprach­li­chen Hür­den bie­tet die Schrift zeit­lo­se Ein­sich­ten in das christ­li­che Ver­ständ­nis von Frei­heit und Glau­ben. Zen­tral aus refor­ma­to­ri­scher Per­spek­ti­ve ist die Ein­sicht, dass Glau­be und Glau­bens­wer­ke unter­schie­den wer­den müssen.

Der Begleit­kom­men­tar betont die Wich­tig­keit einer genau­en Lek­tü­re und bie­tet Inter­pre­ta­ti­ons­an­sät­ze, um Luthers Text sowohl kri­tisch zu hin­ter­fra­gen als auch kon­struk­tiv zu wür­di­gen. Indem der Kom­men­tar die Bibel als Maß­stab und die theo­lo­gi­sche Arbeit als Dia­log betrach­tet, steht er in der Tra­di­ti­on Luthers.

Ins­ge­samt ist „Von der Frei­heit eines Chris­ten­men­schen“ nicht nur ein his­to­ri­sches Doku­ment, son­dern auch ein leben­di­ger Text, der wei­ter­hin zum Nach­den­ken und zur Aus­ein­an­der­set­zung ein­lädt, beson­ders für pro­tes­tan­ti­sche und evan­ge­li­ka­le Lese­rin­nen und Leser, die nach einem tie­fe­ren Ver­ständ­nis der Grund­la­gen ihres Glau­bens streben.

Wenn Ihnen die biblisch-theo­lo­gi­sche Betrach­tung von der katho­li­schen und pro­tes­tan­ti­schen Sicht­wei­se zum The­ma Glau­be vs. Wer­ke in die­sem Arti­kel zu kurz gekom­men ist, hin­ter­las­sen Sie ein­fach einen Kom­men­tar. Ger­ne kann ich in einem wei­te­ren Bei­trag die­se The­ma­tik tie­fer entfalten.


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Joshua Ganz

Über den Autor

Joshua ist seit seinem Bachelor in Theology als Jugendpastor in der Nordostschweiz tätig. In der Schweizer Armee dient er als Armeeseelsorger. Er liebt Theologie, sein Rennrad und Kaffee. Am liebsten alles miteinander, oder zumindest nacheinander ;)

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