Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen”

Die Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen"

Mar­tin Luthers Schrift „Von der Frei­heit eines Chris­ten­men­schen“ ist über 500 Jah­re alt. Lohnt es sich, ein so altes Werk zu lesen? Kann es – nach heu­ti­gen Maß­stä­ben – als seriö­se Quel­le in wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten ver­wen­det, also als „wis­sen­schaft­lich” bezeich­net wer­den – oder ist es längst über­holt? Die­se Fra­ge wer­de ich Ihnen in den nächs­ten 7 Minu­ten beantworten.

Inhalt der Schrift

Der Inhalt klingt sehr modern: Es geht um die Frei­heit eines Chris­ten­men­schen. Kann eine Schrift, die zu Beginn des 16. Jahr­hun­derts ver­fasst wur­de, noch in unse­re Zeit spre­chen? Auf jeden Fall muss man die his­to­ri­sche Distanz wahr­neh­men und sich bewusst sein, dass eine unmit­tel­ba­re Anwen­dung kaum mög­lich ist. Die geis­ti­ge und reli­giö­se Situa­ti­on Luthers ist nicht die unse­re, und die Frei­heits­vor­stel­lun­gen sei­ner Zeit haben mit dem phi­lo­so­phisch-moder­nen Frei­heits­be­griff wenig gemein. Eine gewinn­brin­gen­de Lek­tü­re der Schrif­ten Luthers muss des­halb von einem genau­en Ver­ständ­nis des Tex­tes in sei­nem his­to­ri­schen Kon­text aus­ge­hen, um von dort aus sei­ne Bedeu­tung für heu­te zu erschließen. 

Einen sol­chen Weg zu ermög­li­chen, ist die Absicht die­ses Arti­kels. Die Poin­te der Inter­pre­ta­ti­on lau­tet: Das christ­li­che Frei­heits­ver­ständ­nis eröff­net einen eige­nen, frei­en Blick auf moder­ne Frei­heits­kon­zep­te, weil sich Christ­sein als Voll­zug von Frei­heit dar­stellt. Bei­de, Frei­heit und Christ­sein, haben die­sel­be Wur­zel: Jesus Christus.

Inhalt der Schrift: Glaube vs. Werke

Der Glau­be bil­det das Herz­stück des Chris­ten­tums, eine Über­zeu­gung, die im Neu­en Tes­ta­ment immer wie­der betont wird. Wäh­rend der Refor­ma­ti­on wur­de inten­siv dar­über debat­tiert, was einen ret­ten­den Glau­ben aus­macht. Ins­be­son­de­re die Fra­ge nach dem Ver­hält­nis von Glau­ben und Wer­ken wur­de lei­den­schaft­lich dis­ku­tiert. Hier­bei spiel­te Mar­tin Luther eine ent­schei­den­de Rol­le, denn er beton­te, dass der Glau­be allein für die Recht­fer­ti­gung vor Gott ausreicht. 

In sei­nem Werk „Von der Frei­heit eines Chris­ten­men­schen“ sprach Luther über den „leben­di­gen Glau­ben“, der unwei­ger­lich Früch­te der Gerech­tig­keit (Glau­bens­wer­ke, sie­he Gala­ter­brief und Jako­bus­brief) her­vor­bringt. Er beton­te, dass die Recht­fer­ti­gung allein durch den Glau­ben geschieht, jedoch nicht durch einen iso­lier­ten Glau­ben, der kei­ne Ver­än­de­rung im Leben bewirkt. Die­se Über­zeu­gung von Luther führ­te zu inten­si­ven theo­lo­gi­schen Dis­kus­sio­nen, ins­be­son­de­re mit der römisch-katho­li­schen Kir­che, die beton­te, dass die Recht­fer­ti­gung durch Glau­ben und Wer­ke erfolgt.

Protestantische Sichtweise

Für Luther und die pro­tes­tan­ti­schen Refor­ma­to­ren war Glau­be gleich Recht­fer­ti­gung plus auto­ma­tisch hin­zu­kom­men­de Wer­ke. Die kon­sti­tu­ie­ren­den Ele­men­te des ret­ten­den Glau­bens wur­den von ihnen als noti­tia, assen­sus und fidu­cia iden­ti­fi­ziert. „Noti­tia“ bezeich­net den Inhalt des Glau­bens, „Assen­sus“ die Über­zeu­gung in die Wahr­heit die­ses Inhalts, und „Fidu­cia“ das per­sön­li­che Ver­trau­en auf Chris­tus als Retter.

Wenn man Mar­tin Luther und sein Ver­ständ­nis von Glau­ben und Wer­ken nach­voll­zie­hen will, ist es wich­tig, auch sei­ne bio­gra­fi­schen Ein­flüs­se zu berück­sich­ti­gen. Luther selbst durch­leb­te eine tie­fe geist­li­che Kri­se, in der er sich inten­siv mit der Fra­ge nach der eige­nen Recht­fer­ti­gung vor Gott aus­ein­an­der­setz­te. Die­se per­sön­li­che Erfah­rung präg­te sei­ne theo­lo­gi­schen Über­zeu­gun­gen und führ­te zu einer radi­ka­len Neu­be­wer­tung der Bedeu­tung des Glau­bens für das christ­li­che Leben.

In sei­nem Trak­tat und ande­ren Schrif­ten beton­te Luther immer wie­der die zen­tra­le Rol­le des per­sön­li­chen Ver­trau­ens auf Chris­tus als Ret­ter. Er erkann­te, dass die­ser Glau­be nicht allein auf intel­lek­tu­el­len Über­zeu­gun­gen beruht, son­dern eine tie­fe per­sön­li­che Bezie­hung zu Chris­tus ein­schließt. Die­se Über­zeu­gung Luthers hat nicht nur die Refor­ma­ti­on geprägt, son­dern auch die theo­lo­gi­schen Dis­kus­sio­nen über Glau­be und Wer­ke bis heu­te beeinflusst.

Der Grund für Luthers Bekanntheit

Luther woll­te nie bekannt, geschwei­ge denn zitiert und gefei­ert wer­den. Dass sei­ne Schrif­ten auch nach 500 Jah­ren noch gele­sen wer­den, liegt also nicht an sei­ner Absicht. Es liegt auch nicht an sei­ner schrift­stel­le­ri­schen Bega­bung. Auch als Mensch wur­de er nicht bekannt, weil er ein beson­ders auf­fäl­li­ger und glanz­vol­ler Cha­rak­ter war. Luthers Schrif­ten wer­den bis heu­te gele­sen, weil ihr Inhalt direkt aus der Bibel abge­lei­tet ist und von einer Wahr­heit zeugt, die zeit­los ist. Sei­ne Rede vom Evan­ge­li­um, von der Recht­fer­ti­gung allein aus Glau­ben, ist in den Her­zen vie­ler Gläu­bi­ger fest ver­an­kert und hochaktuell.

Martin Luther - Verfasser der Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen"
Bron­ze­sta­tue von Mar­tin Luther in Wit­ten­berg, Deutsch­land (Bild­quel­le: Unsplash)

Enthaltene Schriften

Das vor­lie­gen­de Werk ent­hält drei­er­lei: die früh­neu­hoch­deut­sche Wit­ten­ber­ger Erst­aus­ga­be Luthers, eine moder­ne, in unse­rem Schrift­deutsch gut ver­ständ­li­che Über­set­zung von Diet­rich Korsch und den Kom­men­tar, den er dazu ver­fasst hat. In der Druck­ver­si­on ste­hen Ori­gi­nal und Über­set­zung neben­ein­an­der auf einer Sei­te, was den Vor­teil hat, dass man sie schnell mit­ein­an­der ver­glei­chen kann. Für Sie als Leser ist das viel­leicht nicht ganz so wich­tig, da heu­te kaum noch jemand die­se ver­al­te­te Schrift lesen kann. Wer es den­noch wagen möch­te, fin­det in der spe­zi­ell für Logos bear­bei­te­ten Fas­sung zuerst den Ori­gi­nal­text und dann die all­ge­mein ver­ständ­li­che Ver­si­on. Das Werk ist der ers­te Band der Rei­he Gro­ße Tex­te der Chris­ten­heit. Die­se Schrift Luthers ist neben sei­nen The­sen wohl die bekann­tes­te und meist­ge­le­se­ne. Denn sie ent­hält das Herz­stück von Luthers Theo­lo­gie: die Recht­fer­ti­gung allein aus Glau­ben (sola fide). Wie kam Luther dazu, dar­über zu schreiben?

Hier nagelte Martin Luther, der Verfasser der Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche
Wit­ten­ber­ger Schloss­kir­che aus der Fer­ne (Bild­quel­le: Unsplash)

Die Entstehung der Schrift

Luther war 34 Jah­re alt, als er 1517 sei­ne 95 The­sen an die Tür der Wit­ten­ber­ger Schloss­kir­che nagel­te, soweit zumin­dest die Legen­de. Mit die­ser Akti­on wand­te er sich vor allem gegen den Ablass­han­del. Nur drei Jah­re spä­ter ver­häng­te die katho­li­sche Reichs­kir­che eine Bann­an­dro­hungs­bul­le über ihn. Doch Luther sporn­te dies nur zur Ver­öf­fent­li­chung eini­ger refor­ma­to­ri­schen Gedan­ken an. Noch im sel­ben Jahr ver­fass­te er die Schrif­ten Von den guten Wer­ken, An den christ­li­chen Adel deut­scher Nati­on und nicht zuletzt Von der Frei­heit eines Chris­ten­men­schen. In letz­te­rer leg­te er sei­ne Gedan­ken zum theo­lo­gi­schen Begriff der Frei­heit dar. 

Was Frei­heit bedeu­te­te, drück­te Luther auch noch auf ande­re Wei­se aus. Unter Beru­fung auf sei­ne Funk­ti­on als Leh­rer der christ­li­chen Reli­gi­on hat­te er sei­nen Her­kunfts­na­men „Luder“ über die grä­zi­sier­te Vari­an­te „Eleu­the­ri­us“ (der Freie) in „Luther“ geän­dert. Der Name „Luther“ drückt aus, dass das Evan­ge­li­um mit der eige­nen Per­son zu tun hat und die­se durch die Bezie­hung zu Gott in die Frei­heit führt. Luther hat also nicht nur einen Frei­heits­be­griff ent­wi­ckelt, son­dern Frei­heit als Wesens­merk­mal christ­li­chen Lebens dar­ge­stellt. Und er hat sie selbst auch ganz prak­tisch gelebt.

Gliederung der Schrift

Um Ihnen ein Über­blick über den Inhalt zu geben, wer­de ich die kur­ze Schrift glie­dern. Luther hat sein Anlie­gen bezüg­lich des Ver­hält­nis­ses von Glau­ben und Taten in 30 The­sen verfasst.

  • The­se 1–2 Ein­lei­tung: Christ­sein bedeu­tet frei sein und geknech­tet sein durch Christus
  • The­se 3–18 behan­delt den inne­ren Men­schen. Hier wird Luthers damals revo­lu­tio­nä­res Schrift­ver­ständ­nis ersichtlich
  • The­se 19–28 beinhal­tet die Fra­ge, was es mit den (Glaubens-)Werken auf sich hat und in wel­cher Rela­ti­on die­se zum ret­ten­den Glau­ben stehen.
  • The­se 29–30 dient dazu, sei­ne Schrift zusam­men­zu­fas­sen und eini­ge Hin­wei­se für das prak­ti­sche Leben als Christ zu geben.

Der Begleitkommentar zu „Von der Freiheit eines Christenmenschen“

Der Begleit­kom­men­tar zu die­ser Aus­ga­be ist mit sei­nen drei Tei­len sehr aus­führ­lich. Der ers­te Teil behan­delt sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­che Aspek­te. Im zwei­ten Teil nimmt Korsch den his­to­ri­schen Faden auf und bet­tet Luthers Schrift in ihren Kon­text ein. Der letz­te und größ­te Teil umfasst Korschs Inter­pre­ta­ti­on und sei­ne Erklä­run­gen zum Text.

Interpretation

Mar­tin Luthers Schrift „Von der Frei­heit eines Chris­ten­men­schen“ ist ein kom­ple­xer Text, der einer sorg­fäl­ti­gen Lek­tü­re bedarf. Diet­rich Korsch betont daher in sei­ner Inter­pre­ta­ti­on in die­ser Neu­aus­ga­be die Wich­tig­keit, den Wort­laut genau zu beach­ten, ein­schließ­lich der rhe­to­ri­schen Figu­ren, der Stil­wech­sel und der Bibel­zi­ta­te, die wesent­li­che Bestand­tei­le des Inhalts sind. Dies ist ent­schei­dend, um den vol­len Gehalt des Tex­tes zu erfassen.

Luthers Gedan­ken kön­nen aber auch anders for­mu­liert und im Kon­text moder­ner Ideen kri­tisch gewür­digt und hin­ter­fragt zu wer­den. Dies gilt auch für den Autor selbst, der auf die­se Wei­se in einen Gedan­ken­dia­log ein­be­zo­gen wird. 

Der Kom­men­tar von Diet­rich Korsch ver­bin­det zwei Metho­den: eine erklä­ren­de und eine kon­struk­tiv-kri­ti­sche. Die kon­struk­tiv-kri­ti­sche Ana­ly­se steht in der Tra­di­ti­on Luthers, der die Bibel als Wort Got­tes ver­stan­den und ihr damit eine hohe Auto­ri­tät zuer­kannt hat. Daher müs­sen sich die theo­lo­gi­sche Arbeit und das Urteil der Lesen­den und Hören­den an den bibli­schen Tex­ten ori­en­tie­ren. Auf die­se Wei­se steht die Arbeit in der Tra­di­ti­on Luthers, der die Auto­ri­tät nicht beim Autor, son­dern im Text selbst sah.

Luther selbst hielt sei­ne Schrift für wich­tig. In einem Brief an Papst Leo X. beton­te er, dass das Werk trotz sei­ner Kür­ze die gan­ze Sum­me des christ­li­chen Lebens ent­hal­te, wenn es rich­tig ver­stan­den wer­de. Der Kom­men­tar von Korsch soll hel­fen, die­sen tie­fe­ren Sinn zu erschlie­ßen und die Bedeu­tung der Schrift für die heu­ti­ge Zeit aufzuzeigen.

Fazit zu dieser Neuausgabe

Die Neu­aus­ga­be die­ser bedeu­ten­den Schrift des Refor­ma­tors Mar­tin Luther wirft wich­ti­ge Fra­gen auf, ins­be­son­de­re die nach der Rele­vanz eines über 500 Jah­re alten Tex­tes für moder­ne Leser, vor allem aus pro­tes­tan­ti­schen und evan­ge­li­ka­len Krei­sen. Trotz des his­to­ri­schen Kon­tex­tes und der sprach­li­chen Hür­den bie­tet die Schrift zeit­lo­se Ein­sich­ten in das christ­li­che Ver­ständ­nis von Frei­heit und Glau­ben. Zen­tral aus refor­ma­to­ri­scher Per­spek­ti­ve ist die Ein­sicht, dass Glau­be und Glau­bens­wer­ke unter­schie­den wer­den müssen.

Der Begleit­kom­men­tar betont die Wich­tig­keit einer genau­en Lek­tü­re und bie­tet Inter­pre­ta­ti­ons­an­sät­ze, um Luthers Text sowohl kri­tisch zu hin­ter­fra­gen als auch kon­struk­tiv zu wür­di­gen. Indem der Kom­men­tar die Bibel als Maß­stab und die theo­lo­gi­sche Arbeit als Dia­log betrach­tet, steht er in der Tra­di­ti­on Luthers.

Ins­ge­samt ist „Von der Frei­heit eines Chris­ten­men­schen“ nicht nur ein his­to­ri­sches Doku­ment, son­dern auch ein leben­di­ger Text, der wei­ter­hin zum Nach­den­ken und zur Aus­ein­an­der­set­zung ein­lädt, beson­ders für pro­tes­tan­ti­sche und evan­ge­li­ka­le Lese­rin­nen und Leser, die nach einem tie­fe­ren Ver­ständ­nis der Grund­la­gen ihres Glau­bens streben.

Wenn Ihnen die biblisch-theo­lo­gi­sche Betrach­tung von der katho­li­schen und pro­tes­tan­ti­schen Sicht­wei­se zum The­ma Glau­be vs. Wer­ke in die­sem Arti­kel zu kurz gekom­men ist, hin­ter­las­sen Sie ein­fach einen Kom­men­tar. Ger­ne kann ich in einem wei­te­ren Bei­trag die­se The­ma­tik tie­fer entfalten.

Geschrieben von
Joshua Ganz

Joshua ist als Jugendpastor in der Nordostschweiz tätig. Aktuell studiert er systematische Theologie auf dem Master-Level und plant einen MTh. In der Schweizer Armee dient er als Armeeseelsorger. Er liebt Theologie, sein Rennrad und Kaffee. Am liebsten alles miteinander, oder zumindest nacheinander ;)

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