Das Markusevangelium ist das kürzeste Evangelium in der Bibel. Es wird zwar weniger häufig als die anderen Evangelien ausgelegt und auch weniger in Theologie, Liturgie, Kunst, Literatur und Musik rezipiert, gilt aber als das älteste. Das machte es zu einer wichtigen Quelle für Matthäus und Lukas und auch Johannes dürfte sein eigenes Evangelium nicht unabhängig von Markus verfasst haben. Die vorliegende Rezension 1 befasst sich mit dem Kommentar von Thomas Söding zum Markusevangelium, der in der Reihe „Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament” erschien.
Lesezeit: ca. 10 Minuten
Inhalt
- Über den Autor
- Der Aufbau des Markusevangeliums
- War Markus der Autor des Markusevangeliums?
- Zielgruppe des Markusevangeliums
- Abfassungsort
- Quellen des Markusevangeliums
- Interpretatorische Zugänge zum Markusevangelium
- Södings Auslegung des Markusevangeliums
- Der Schwerpunkt des Markuskommentars: Die bibeltheologische Perspektive
- Fazit zum Markuskommentar von Thomas Söding
Über den Autor
Thomas Söding ist emeritierter katholischer Neutestamentler der Ruhr-Universität Bochum und war von 2004 bis 2014 Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission im Vatikan. Er ist Berater der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz und war bis 2023 Konsultor des Päpstlichen Rates (heute: Dikasteriums) für die Neuevangelisierung. Thomas Söding ist ständiger Gast im Kammernetzwerk der EKD und Vizepräsident des Zentralkomitees deutscher Katholiken und des Synodalen Weges. Er ist theologischer Experte der Weltsynode der katholischen Kirche 2021–2024.
Im Vorwort zu seinem Kommentar hält er eingangs fest:
„Das Markusevangelium war meine erste große Liebe. Die Arbeit am Kommentar hat sie nicht erkalten lassen, sondern vertieft.“ (S. v).
Mit diesem persönlichen Statement gibt Thomas Söding sein langjähriges, bereits mit der in Münster entstandenen Dissertation (Glaube bei Markus: Glaube an das Evangelium, Gebetsglaube und Wunderglaube im Kontext der markinischen Basileiatheologie und Christologie, SBB 12, Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 21987) beginnendes exegetisches Interesse am ältesten Evangelium zu erkennen. Neben der Dissertation sind u. a. die folgenden Werke zu nennen: Der Evangelist als Theologe: Studien zum Markusevangelium, SBS 163, Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 1995 sowie Exegese und Predigt. Das Markus-Evangelium: Anregungen zum Lesejahr B, Würzburg: Echter 2002. Es scheint daher sehr naheliegend, ihm die Kommentierung des ältesten Evangeliums im renommierten Theologischen Handkommentar zum Neuen Testament anzuvertrauen.
Der Aufbau des Markusevangeliums
Dem gängigen Kommentaraufbau folgend bietet Söding eingangs eine einführende gut strukturierte Einleitung, die sich zunächst mit den literarischen Aspekten, wie Aufbau, Gattung etc., beschäftigt (S. 1–5) und sodann die klassischen einleitungswissenschaftlichen Fragen (S. 6–9) behandelt und mögliche Quellen des Markusevangeliums erörtert (S. 9–12). Die Einleitung abschließend werden gegenwärtige Perspektiven der Deutung des Markusevangeliums geboten sowie Södings eigener interpretatorischer Zugang erläutert (S. 12–18).
Den Aufbau des ältesten Evangeliums erklärt Söding vorwiegend nach geografischen Gesichtspunkten, die auch Zeitfaktoren berücksichtigen. Södings gliedert wie folgt:
Mk 1,1
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Überschrift
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Mk 1,2–15
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Einführung
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Mk 1,16–4,34
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Jesu Wirken in und um Kapharnaum
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Mk 4,35–8,26
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Jesu Wirken in Galiläa und darüber hinaus
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Mk 8,27–10,52
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Jesu Weg nach Jerusalem
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Mk 11–13
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Jesu Wirken in Jerusalem
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Mk 14–16
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Jesu Passion und Auferstehung
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Nach Überschrift (1,1) und programmatischer Einleitung (1,2–15) sieht Söding also eine Struktur von fünf Hauptteilen. Forschungsgeschichtlich bemerkenswert ist die Zäsur vor Mk 4,35, begründet mit der Ausweitung des Wirkens Jesu innerhalb Galiläas und darüber hinaus. Meist wird ein erster Hauptteil zum vorwiegend galiläischen Wirken bis 8,26 angesetzt.
War Markus der Autor des Markusevangeliums?
Nach Söding wurde das Markusevangelium anonym verfasst, die Zuschreibung an einen Markus ist zwar alt (dafür wird auf die Evangelienüberschriften verwiesen), jedoch sekundär:
„Die inscriptio ‚(Evangelium) nach Markus‘ zeigt an, dass das Buch des Evangelisten nicht mit dem ‚Evangelium Jesu Christi‘ identisch ist, das im Titel (Mk 1,1) angekündigt wird. Es ist vielmehr die Vergegenwärtigung dieses Evangeliums in Form einer Erzählung. Damit wird es zur historischen Quelle (unter antiken Bedingungen) und zum theologischen Grunddokument (unter urchristlichen Vorzeichen)“(S. 6)
Die altkirchliche Tradition von Markus als Petrusbegleiter – allen voran das Zeugnis des Papias – diente der apostolischen Verankerung des Buches und wurde aus 1 Petr 5,13 herausentwickelt. Als Verfasser nimmt Söding einen hellenistischen Judenchristen an, „weil er in der Lage ist, sachgerecht über Judaica zu informieren, richtig zu übersetzen und die Schriftreflexion pointiert zu platzieren“. (S. 7) Söding weist allerdings auch auf Informationen des Evangelisten aus dem engsten Umkreis Jesu hin, wenn er feststellt: „Markus hat Zugang zu alten Jesustraditionen gehabt, auch solchen aus dem Zwölferkreis und von Petrus. Diese Spur liegt der Tradition zugrunde, die sie neu arrangiert hat.“ (S. 7)
Zielgruppe des Markusevangeliums
Das anonyme Werk des hellenistischen Juden Markus wendet sich an eine vorwiegend, aber nicht ausschließlich heidenchristliche Gemeinde, die Orientierung sucht, missionarisch tätig ist und deren Konflikte mit dem pharisäischen Judentum in der Darstellung jüdischer Eliten deutliche Spuren hinterlassen haben. Geschrieben wurde das Werk während des jüdisch-römischen Krieges in den Jahren 66–70. Für Söding war dessen Ende früh absehbar, sodass Mk 13 nicht – wie sonst häufig in der Markus- bzw. Evangelienforschung generell der Fall – in unmittelbare Nähe zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Sommer des Jahres 70 gerückt werden muss.
Abfassungsort
Da Rom als traditionell vertretener Abfassungsort an die Papiasnotiz gebunden bleibt, diese jedoch nicht als historisch tragfähig angesehen werden kann, plädiert Söding (mit vielen anderen in der Markusforschung, die in den Osten tendieren anstatt zur Hauptstadt) für „ein[en] Ort in größerer Nähe zu Galiläa, im Osten des Imperiums, etwa Syrien oder doch eher Alexandrien“ (S. 9). Warum gerade Alexandrien als besonders wahrscheinlich eingestuft wird, lässt Söding – außer durch den Verweis auf die Alte Kirche – leider unbegründet.
Quellen des Markusevangeliums
Was die vom Autor Markus verwendeten Traditionen betrifft, kann man nach Söding davon ausgehen, dass dieser neben Einzeltraditionen wahrscheinlich einen alten Passionsbericht sowie Sammlungen von Streitgesprächen (Mk 2,1–3,6) und Parabeln (Mk 4,3–8.26–29.30–32) sowie die Endzeitrede vorliegen hatte. Diese Grundlagen hat er zu einer spannungsvollen Einheit von Traditionen des öffentlichen Wirkens und des ohnmächtigen Leidens Jesu verbunden. In Form einer dramatischen Erzählung entwickelt der erste Evangelist so eine theologische Deutung Jesu, die als „Schule des Glaubens“ (17) zur Nachfolge ruft.
Interpretatorische Zugänge zum Markusevangelium
Vor der eigentlichen Auslegung des Textes bietet die Einleitung noch einen äußerst instruktiven Überblick über gegenwärtige interpretatorische Zugänge zum Markusevangelium, denen sich auch Söding selbst im Bekenntnis zur Multiperspektivität beim Arbeiten als Exeget verpflichtet sieht:
„Heute gilt es, Traditionen und Redaktionen stärker als Einheit zu sehen, im Evangelium als Erzählung eine genuine Form der Theologie zu sehen und nicht nur die Intention des Autors, sondern auch die Rezeption der Lesegemeinden und den Sinn des Textes selbst zu eruieren.“ (S. 12)
Einer zu stark pointierten politischen (apologetisch oder subversiv akzentuierten) wie sozialgeschichtlichen Deutung des ältesten Evangeliums erteilt Söding eine deutliche Absage („problematisch“, S. 13). Seine Skepsis beruht vor allem auf dem Verständnis von Mk 10,41–45 einerseits und Mk 12,13–17 andererseits (13.433; die Legio X Fretensis war „nie in der Dekapolis stationiert“, 151 Anm. 229). Unterstrichen wird einmal mehr die Glaubensdimension der markinischen Jesusdarstellung:
„Das Markusevangelium ist zeitsensibel und anspielungsreich, aber nicht im Sinn einer Kirche als Kontrastgesellschaft, sondern als ‚Haus des Gebetes‘ (Mk 11,17; Jes 56,7), das mitten in der Welt Gottes- und Nächstenliebe vereint (Mk 12,28–34).“ (S. 14)
Christologie als Zentrum der narrativen Theologie im Markusevangelium
Im Zentrum der narrativen Theologie, die das älteste Evangelium bietet, sieht Söding durchaus zu Recht die Christologie, der Blick auf sie bildet daher den Cantus firmus seines Kommentars. Eindrücklich wird auf S. 16 festgehalten:
„In Form einer dramatischen Erzählung entwickelt Markus eine fundamentale theologische Deutung der Person, des Wirkens, des Leidens und der Auferstehung Jesu. Er zeigt einerseits, dass der vollmächtige Wundertäter und Lehrer Jesus nur von seinem Tod und seiner Auferweckung her verstanden und geglaubt werden kann, weil er von Anfang an in jener Unbedingtheit der Hingabe seinen Dienst der Verkündigung leistet (Mk 10,45), die er in seiner Passion besiegelt, und weil er von Anfang an in jener Unbedingtheit der Liebe Gottes lebt (Mk 1,11), die sich in der Sendung (Mk 12,1–12) und Auferweckung des Sohnes (Mk 9,31; 10,32ff.) letztgültig ereignet. Andererseits zeigt Markus, dass Jesus keinen anderen Tod als den des in die Welt gesandten Gottessohnes stirbt, auf dass aus dem Bösen das Beste folge (Mk 12,1–12); deshalb ist die Verkündigung des Todes und der Auferweckung Jesu bleibend darauf angewiesen, immer wieder Jesus in Erinnerung zu rufen, den Boten der Basileia. Die christologische Grundspannung der Traditionen, die Markus aufgenommen hat, wird im Evangelium nicht abgebaut, sondern aufgebaut, weil sich die Vollmacht von der Ohnmacht Jesu her erklärt, die seine Hingabe prägt, so wie sich auch seine Auferstehung aus seiner irdischen Sendung erklärt. Dafür ist die Theozentrik der Basileia wesentlich. In der Liebe Gottes geht Jesus seinen Weg und stirbt seinen Tod; in der Liebe zu seinem Sohn weckt Gott ihn von den Toten auf, wie er ihn gesandt hat, um die Nähe seines Reiches zu verkünden.”
Mit den folgenden Sätzen beschließt Söding seine Einleitung:
„Markus schreibt sein Evangelium in der Hermeneutik des Glaubens, die er mit seiner Gemeinde teilt und auf Jesus selbst zurückführt. Er unterstreicht das Versagen der Jünger nicht, um Machtkämpfe in der jungen Kirche auszulösen oder zu entscheiden, sondern um die permanente Anfechtung, Schwäche und Ohnmacht der Menschen, die an Jesus glauben, in ein Wechselverhältnis zur Macht und zum Dienst Jesu zu stellen, dem sie sich anvertrauen dürfen. Markus erinnert an das Versagen der Jünger, weil es der ständige Wegbegleiter der Gläubigen durch alle Zeit hindurch sein wird – ohne dass in den menschlichen Schwächen und Sünden das Evangelium selbst kraftlos würde. Stark ist vielmehr Gott, der mit Jesus einen ‚Anfang‘ macht (Mk 1,1), den der auferstandene Jesus Christus selbst immer wieder vergegenwärtigt.” (S. 18)
Södings Auslegung des Markusevangeliums
Der umfangreiche Teil zur eigentlichen Textauslegung (S. 19–467) gliedert den Text des ältesten Evangeliums in entsprechende Erzähleinheiten. Die Perikopen, die zunächst in deutscher Übersetzung wiedergegeben werden, werden in der Regel in einem Dreischritt von Gliederung, Einzelexegese und historischer Rückfrage interpretiert. Kompositionsbögen werden u. a. zu Mk 1,21–39; 2,1–3,6; 4,1–34, 6,45–8,10 etc. gesondert thematisiert.
Besonders hilfreich und als sehr verdienstvoll erweist sich, dass Söding in einer ersten Anmerkung relevante Spezialliteratur auflistet. Hierbei handelt es sich um eine Art Literaturbericht in sehr kompakter und gelungener Form, da die bibliographischen Angaben häufig mit kurzen Hinweisen zu deren Inhalt bzw. der in ihnen vertretenen Position versehen werden. Beachtenswert ist, dass neben deutscher und englischer auch französische, italienische, spanische und niederländische Literatur einbezogen worden ist.
Auf textkritische Diskussionen verzichtet Söding zum größten Teil. Er verweist auf die inzwischen zum Markusevangelium vorliegende Editio Critica Maior von 2021 und legt diese seiner Auslegung zugrunde. Ausnahmen bieten vieldiskutierte Einzelfälle: Bei „Sohn Gottes“ in Mk 1,1 votiert Söding etwa für die Langfassung. Nur der „Sekundäre Markusschluss“ erfährt eine textkritisch ausführlichere Behandlung und wird wie allgemein üblich als nachmarkinisch eingestuft. Bemerkenswert ist, dass Söding für die unterschiedlichen Ausformulierungen sogar Analyse und Auslegung bietet. Der als kanonisch geltende „Längere Markusschluss“ (Mk 16,9–20)
„ist sekundär, aber kein Fremdkörper, sondern – anders als der kürzere Anhang – eine stimmige Fortschreibung des Markusevangeliums, sofern es in den Kanon der anderen Evangelien eingepasst wird.“ (S. 463)
In der Kommentierung begegnen manchmal Hinweise zur (teilweise problematischen) Rezeptionsgeschichte in den verschiedenen Konfessionen (beispielsweise S. 83 in Bezug auf die Fastenfrage; S. 101 in Bezug auf die Hl. Familie, S. 342f in Bezug auf die Frage „was Gottes ist“.). Erfreulich sind Stellungnahmen gegen antijüdische Verwertung (z. B. bei der Fastenfrage S. 83f. zum Verständnis von 8,38 S. 249).
Der Schwerpunkt des Markuskommentars: Die bibeltheologische Perspektive
Wie schon deutlich wurde, ist und bleibt für Södings Markuskommentar die (bibel-)theologische Perspektive prägend. Das wird bereits auf den ersten Seiten, die die Einleitungsfragen behandeln, deutlich: Wenn beispielsweise Aufbau oder Gattung behandelt werden, geht es weniger um die literarisch-formalen Aspekte selbst als vielmehr darum, das Verkündigungsanliegen des ältesten Evangelisten zu skizzieren. So wird z. B. die gattungsmäßige Nähe von Evangelium und antiker Biografie benannt und das älteste Evangelium ganz zurecht hier eingeordnet. Anhand der zugleich erkennbaren Differenzen zwischen beiden Gattungen wird jedoch keine eigentliche Diskussion zur Gattungsfrage geführt, vielmehr werden Grundzüge der markinischen Christologie dargestellt.
Södings Anliegen, die „Schule des Glaubens“ auf heute hin zu verstehen, ist durch und durch spürbar. Und auch wenn man das Stichwort „kanonisch“ nur am (hinteren) Buchdeckel neben „historisch-kritisch“ liest, so durchdringt diese spezielle Hermeneutik doch deutlich wahrnehmbar den gesamten Kommentar. Söding vereint in der für einen Kommentar typischen versweisen Einzelkommentierung auf eigene Art philologisch wie historisch-kritisch präzise gearbeitete Analysen mit einer ins Bibeltheologische führenden Deutung. Diese Deutungen überschreiten den markinischen Horizont dabei auch immer wieder, da Verweise auf andere neutestamentliche Schriften häufig nicht einer traditionsgeschichtlichen Präzisierung des ältesten Evangeliums dienen, sondern dieses in den theologischen Gesamthorizont des (später entstandenen und kanonisierten) Neuen Testaments einbinden.
Der „Heilsdienst“ (76) bzw. die „Heilssendung Jesu“ (101) beinhaltet Sündenvergebung wie äußere Heilung „in Vorwegnahme der eschatologischen Vollendung und damit als Ausdruck der Nähe Gottes, die im Glauben erfasst wird“ (6). Zur Heilssendung gehört es, dass Jesus als Sohn Gottes sich nicht selbst in den Mittelpunkt stellt, sondern den Weg des Dienens geht (225, zu Mk 8,11–13), dass er „auf Gewalt nicht mit Gegengewalt reagiert, sondern das Leiden zwar nicht sucht, aber annimmt“ (441, zu Mk 15,29–32). Jesus hat von der Syrophönizierin „gelernt“ (213).
Ein Beispiel: Die Tauferzählung im Markusevangelium
Ein eindrückliches Beispiel für Södings theologische Auslegung bietet bereits die Exegese der wenigen Verse der Tauferzählung (Mk 1,9–11). Auf das „‚Du‘ Gottes antwortet Jesus in Gethsemane mit dem ‚Abba‘ seines Gebetes“ (S. 31f.), und dieses „Du bist“ der Himmelsstimme „ist weniger eine Proklamation als eine Identifikation“ (S. 32). Die Schriftanspielungen der Himmelsstimme (Ps 2,7; Jes 42,1) stellen „starke“ und „schwache“ Christologie nebeneinander.
„Stärke und Schwäche aber sind keine Gegensätze, sondern Entsprechungen, weil Jesus als Diener der Herr ist (Mk 10,41–45) und durch reine Hingabe die Menschen für die Gottesherrschaft gewinnt.“ (S. 32)
Und so birgt auch die Taufe selbst ein Mysterium in sich: „Im Unter- und Auftauchen aus dem Wasser zeichnen sich Tod und Auferstehung Jesu vor: als Heilsgeschehen für alle, zu denen Jesus gesandt ist.“ (S. 33) Hier und an wenigen anderen Stellen (z. B. im Kontext der Verklärungsszene S. 256) lässt sich eine theologische Eisegese anstelle einer Exegese erkennen.
Historische „Haftpunkte” im Markusevangelium
Die historische Rückfrage nicht hinsichtlich der Details, aber hinsichtlich eines Gesamtbildes eines Überlieferungszuges wird meist mit großer Zuversicht beantwortet: Die Speisungserzählungen gelten als „Verdichtung“ (222; zu diesem Stichwort in solchem Zusammenhang vgl. auch 139) einer Praxis Jesu, Juden wie Nichtjuden in Gastmählern mit sich zu verbinden. Nicht selten begegnet die Charakterisierung, bestimmte Stellen spiegelten „zwar nicht ureigene Worte, aber typische Motive Jesu […] die der Evangelist aufgenommen und zu einer neuen Einheit komponiert hat“ (251; vgl. 276 u. ö.). So gilt auch:
„Alle Menschensohnworte sind nachösterlich; aber alle fangen Reflexe der Verkündigung Jesu ein.“ (76)
Historische Haftpunkte auch im Detail werden zu Recht u. a. da vermutet, wo sich Jesus mit seiner Position nicht durchsetzt (Mk 6,1–6a; 7,24–30) oder wo Hyperbolik herrscht (bspw. zu 3,27 S. 108 u. ö.). Hingegen spiegelt Mk 6,45–52 eine „österliche Erzählperspektive“, in der „im Grenzbereich von Mystik und Realistik […] religiöse Urerfahrungen angesiedelt sind“ (197).
Fazit zum Markuskommentar von Thomas Söding
Mit seinem Markuskommentar bewegt sich Thomas Söding exegetisch auf höchstem Niveau. Zudem ergänzt er mit seiner konsequent durchgehaltenen theologischen Perspektive die ausgezeichneten literarischen wie philologischen Analysen und zahlreichen Detailinformationen auf der Sachebene der Historie und setzt so im Gesamt des Kommentars einen besonderen Akzent. Insofern erklärt er mit seinem Kommentar nicht nur das Werk des ältesten Evangelisten und Theologen Markus, sondern schreibt es auch gezielt in den theologischen Horizont des neutestamentlichen Kanons ein.
Als besonderer Vorzug ist Södings feine, d. h. geschliffene Sprache hervorzuheben, die den Germanisten Söding durchscheinen lässt.
Der Kommentar bietet neben vielen exzellenten und detailreichen Exegesen einen Lesegenuss sowohl für Kenner*innen sowie Menschen, die auf dem Weg des Kennenlernens des Markusevangeliums sind!
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- Als Quellen für diese Rezension wurden neben dem Kommentar selbst auch die beiden Rezensionen: Martin Stowasser. Rezension zu: Thomas Söding. Das Evangelium nach Markus. Leipzig 2022 in: bbs 6.2023 https://www.bibelwerk.de/fileadmin/verein/buecherschau/2023/Soeding_Markusevangelium.pdf sowie Martin Meiser, Söding, Thomas: Das Evangelium nach Markus, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 496 S. = Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, 2. Geb. EUR 39,00. ISBN 9783374053476, in ThLZ Juli/August/2023, 707–709 verwendet.