Was ist eine Hyperbel? Wer kennt die Alliteration? Was will der alttestamentliche Autor mit einer Synekdoche ausdrücken? Was für viele wie neue Fremdwörter klingt, ist in Wirklichkeit die Vielfalt der biblischen Sprache. Die Autoren der Bibel nutzen Stilmittel, Redeweisen und Gliederungsformen, um die Botschaft der Bibel zu dem zu machen, was sie ist: ein literarisches Meisterwerk.
In seinem Buch Die Vielfalt der biblischen Sprache nimmt uns der Ethiker und Theologe Thomas Schirrmacher (ehemaliger Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz) mit auf eine faszinierende Reise durch die reiche Sprachwelt der Bibel. In dieser Rezension erfahren Sie in 5 Minuten, für wen das Buch ist, was es kann und was nicht. Zudem gibt es am Ende eine Auswahl von Tipps und weiterführender Literatur, die für Proseminararbeiten und das Verfassen von Exegesen von großem Nutzen sein können.
Über die Vielfalt der biblischen Sprache
Beeindruckend ist die systematische Vorstellung von über 100 rhetorischen Stilmitteln. Von der Metapher bis zum Typus wird der Leser durch eine Fülle sprachlicher Techniken geführt, die ihm helfen, die Schönheit, Kraft und Vielfalt der biblischen Sprache zu verstehen und zu schätzen.
Darüber hinaus erläutert Schirrmacher in einem einführenden Text die Bedeutung von Stilmitteln und warum sie in der biblischen Sprache von großer Bedeutung sind. Er hebt ihre Rolle bei der Betonung von Botschaften hervor, nämlich bei der Schaffung von Bildern und der Erzeugung von rhetorischer Kraft.
In diesem Buch werden keine exakten Definitionen der einzelnen Stilarten, Redeweisen usw. gegeben, da es viele Überschneidungen gibt. Ebenso wenig wird ein vollständiger Überblick präsentiert. Stattdessen soll der Leser einen kleinen Einblick in die unglaublich große Vielfalt der Ausdrucksweisen der biblischen Verfasser erhalten. Er soll dadurch angeregt werden, bei seinem eigenen Studium mehr auf die Vielfalt der biblischen Sprache zu achten.
Das Buch richtet sich insbesondere an Leser, die des Hebräischen und Griechischen nicht mächtig sind. Aus diesem Grund werden hebräische und griechische Wörter, wenn nötig, in einer einfachen Umschrift wiedergegeben.
Stilmittel in der Literatur
Stilmittel sind sprachliche Techniken und rhetorische Figuren, die dazu dienen, die sprachliche Ausdruckskraft zu erhöhen, die Aufmerksamkeit des Lesers zu lenken und bestimmte Effekte zu erzielen. Sie werden in der Literatur und besonders häufig in antiken Texten eingesetzt, um Texte lebendiger, anschaulicher und wirkungsvoller zu gestalten.
Der Einsatz von Stilmitteln ermöglicht es Autoren, komplexe Gedanken und Emotionen kraftvoll und effektiv zu vermitteln. Sie können dazu beitragen, Bilder im Kopf des Lesers zu erzeugen, Gefühle zu wecken und eine bestimmte Stimmung oder Atmosphäre zu schaffen. Darüber hinaus tragen sie zur Strukturierung und Gliederung von Texten bei und helfen dabei, die Aufmerksamkeit des Lesers aufrechtzuerhalten. Beim Lesen einer deutschen Bibel geht diese Strukturierung jedoch verloren, sie findet sich nur im Urtext.
Stilmittel in der Bibel
In der Bibel spielen Stilmittel vor allem in Erzählungen sowie in poetischen und prophetischen Texten eine wichtige Rolle. Seltener finden sich entsprechende Beispiele in den Briefen und Gesetzestexten. Die Verwendung von Metaphern, Parabeln, Hyperbeln und anderen sprachlichen Techniken dient dazu, komplexe theologische Konzepte zu veranschaulichen und für den Leser verständlich zu machen. Noch häufiger dienen sie dazu, geistliche Wahrheiten auf ansprechende und praktische Art und Weise zu vermitteln. Ein gutes Beispiel dafür sind sicherlich die Gleichnisse von Jesus.
Ein Gleichnis ist „ein erweiterter und fortgesetzter Vergleich, der einen Sachverhalt näher veranschaulichen und weiter ausführen will. Wie im Vergleich werden alle Ausdrücke in ihrem eigentlichen realen Wortsinn genommen. Im Unterschied aber zum Vergleich handelt es sich beim Gleichnis nicht um eine Beziehung zwischen einzelnen Begriffen (wie z. B. er kämpft wie ein Löwe), sondern um die Beschreibung eines Geschehens, dessen Schwerpunkt (Pointe) in Beziehung zur intendierten Sache gebracht wird” (Bühlmann, S. 70).
Jesus verfolgte das Anliegen, seinen Mitmenschen tiefgründige Wahrheiten zu vermitteln. Zu diesem Zweck wählte er Veranschaulichungen, die dazu dienten, die Aufmerksamkeitseiner Zuhörer zu gewinnen und ihnen das zu erklären, was mit gewöhnlichen Worten zu schwer zu verstehen ist. Stilmittel sind daher nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der literarischen Kunst, sondern auch ein wichtiges Instrument der Kommunikation und der Vermittlung von Ideen. Ihr Einsatz erweitert den sprachlichen Ausdruck und eröffnet Autoren die Möglichkeit, ihre Botschaften kraftvoll und überzeugend weiterzugeben.
Eine Auswahl von Stilmitteln
Ich möchte Ihnen gerne einen guten Überblick über das Werk verschaffen, indem ich Ihnen nachfolgend einzelne Definitionen von Stilformen aufzähle. Schirrmacher definiert eingangs jeweils die Stilformen und bringt anschließend biblische Beispiele dafür. Dazu nehme ich bewusst einerseits bekannte, andererseits aber auch unbekannte Stilformen.
Groteske Bilder
„Groteske Bilder, die zum Schmunzeln anregen, aber doch eine ernste Mahnung enthalten, finden sich vor allem bei Jesus.“ (S. 40)
Beispiel: Mt 7,9–10: „Wer ist unter euch Menschen, der seinem Kind, wenn es ihn um Brot bittet, einen Stein anbietet?; oder der ihm, wenn es ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange anbietet?“
Metapher (Vergleich ohne Hinweis)
„Ein Vergleich bzw. eine übertragene Bedeutung wird ohne jeden Hinweis darauf, dass es sich um einen Vergleich handelt, im laufenden Text benutzt (dt. Bsp. ‚Ich bin doch kein D‑Zug‘). Der größte Teil jeder Sprache besteht letztlich aus Metaphern und übertragenen Bedeutungen.“ (S. 49)
Beispiel: 1Kor 5,7–8: „Fegt den alten Sauerteig aus!“ (gemeint ist die Sünde, die wie ein Sauerteig wirkt.)
Antithetischer Parallelismus
„Der Inhalt eines Satzes wird bestätigt, indem dieselbe Aussage negativ ausgedrückt wird.“ (S. 56)
Beispiel: Jesaja 5,20: „Wehe denen, die das Böse gut nennen und das Gute böse, die Finsternis zu Licht machen und Licht zu Finsternis, die Bitteres süß machen und Süßes bitter!“
Redewendungen
„Ein Bild oder eine Beschreibung sind so gebräuchlich geworden, dass sie auch unabhängig von der eigentlich beschriebenen Situation weiterexistieren (dt. Bsp. ‚darauf kannst du Gift nehmen‘)“ (S. 60)
Beispiel: Apg 2,42+46: „Brotbrechen“ wird zum Ausdruck für das Abendmahl, das natürlich nicht nur das ‚Brechen‘, sondern auch das Austeilen und das Essen des Brotes, sowie das Austeilen und Trinken des Weines umfasst.
Ironie
„Feiner, verdeckter Spott, der etwas zu treffen versucht, indem er es durch übertriebene Zustimmung lächerlich macht. Dabei wird meist ein Gedanke konsequent zu Ende gedacht und der Schluss daraus gezogen, selbst wenn und gerade weil diese Konsequenz absurd ist; vgl. ‚Sarkasmus‘.“ (S. 42)
Beispiel: Hiob 12,2: Hiob über seine Freunde: „Wahrhaftig, ihr seid die Leute [schlechthin] und mit euch wird die Weisheit aussterben!“
Pleonasmus mit Verneinung
„Ein Begriff und die Verneinung seines Gegenteils werden nebeneinandergestellt, so dass eine Aussage eigentlich zweimal gemacht und damit unterstrichen wird (dt. Bsp. ‚er siegte und verlor nicht‘); vgl. ‚Wiederholung von Ausdrücken‘“ (S. 58)
Beispiel: Hes 18,21+28: „Er soll leben und nicht sterben.“
Stilmittel in Logos erforschen
Alle diese Stilmittel machen die biblische Botschaft spannender und lebendiger. Eine solche Liste hilft natürlich einerseits als Nachschlagewerk, um bestimmte Stilfiguren aktiv im Text zu suchen. Wenn Sie eine Exegese zu einem prophetischen Text schreiben und nicht wissen, ob darin ein Stilmittel verwendet wird, können Sie natürlich auch in der Index-Suche einfach ihre Bibelstelle eingeben. Wenn Sie noch einen Schritt weitergehen wollen, empfehle ich Ihnen nachfolgend noch ein weiteres Werk vom Brunnen-Verlag, welches um eine längere Auflistung der Stilfiguren bemüht ist. Des Weiteren gibt es ein englisches Werk, welches sehr viele Stilmittel definiert, leider jedoch ohne Beispiele.
Abschließend sei noch auf zwei hilfreiche Tools für die Psalmen und Sprüche hingewiesen. Es gibt von Logos jeweils einen Psalmenexplorer und einen Sprücheexplorer (nur auf Englisch). Neben vielen anderen Tools können Sie damit die Psalmen – wie im folgenden Screenshot gezeigt – nach Stilmitteln gliedern.
Literaturverzeichnis
Bühlmann, W., & Scherer, K. (1994). Sprachliche Stilfiguren der Bibel: Von Assonanz bis Zahlenspruch: Ein Nachschlagewerk (2. verbesserte Auflage). Giessen: Brunnen Verlag.
Schirrmacher, T. (2017). Die Vielfalt biblischer Sprache: Über 100 alt- und neutestamentliche Stilarten, Ausdrucksweisen, Redeweisen und Gliederungsformen (3. Auflage, Bd. 5). Verlag für Kultur und Wissenschaft.
Mangum, D. (2014). The Lexham Glossary of Theology. Lexham Press.