Wer war eigentlich dieser Abraham? Nicht Abraham Lincoln, sondern der in der Bibel, der mit dem Messer auf Rembrandts Gemälde … Man glaubt ihn zu kennen, aber kennt man ihn wirklich? Und Jiftach? Wer war das nochmal und was hat er mit seiner Tochter gemacht? Und warum wird Jakobus „Herrenbruder“ genannt? Bekannte, weniger bekannte und unbekannte Figuren der Bibel eignen sich nicht nur für exotische Quizfragen, sondern laden auch zur Auseinandersetzung, Identifikation und Kritik ein – und führen so tiefer in die biblische Botschaft hinein. Über die Gestalt kommt man zum Gehalt, zum Kern, und dazu, wie von dort aus eine reichhaltige jüdische, christliche und manchmal auch muslimische Rezeptionsgeschichte und Tradition gespeist wurde und wird.
Schon über dreißig solche „Biblische Gestalten“ bespricht die gleichnamige Reihe der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig. Sie wird von Rüdiger Lux (AT) und Christfried Böttrich (NT) herausgegeben. Informationen zum Konzept und allen Bänden finden sich auf der Website der Evangelischen Verlagsanstalt (https://www.eva-leipzig.de/reihen.php?id=8). Logos Bibelsoftware hat nun mit Abraham, Jiftach und Jakobus drei weitere Bände verfügbar gemacht.
Es ist sehr hilfreich, diese Taschenbüchlein mit ihren konzentrierten und gut verständlichen Sachinformationen in Logos zur Verfügung zu haben. Wie immer befruchten sich beide Systeme gegenseitig: Bei der Lektüre des Buches kann man sich den Text der genannten Bibelstellen in der gewohnten Weise einblenden lassen. Beim Bibelstudium mit Logos kann man sich diese Ressourcen zu bestimmten Bibelstellen parallel aufschlagen lassen oder sie nach bestimmten Stichwörtern durchsuchen.
Inhalt
Was zeichnet die Reihe „Biblische Gestalten” aus?
Die einzelnen Bände haben einen gewissen gemeinsamen Grundduktus, sind aber dennoch je individuelle Werke von Bibelwissenschaftlerinnen und Bibelwissenschaftlern, die ihren jeweils eigenen Stil und Ansatz haben. Gemeinsames Ziel ist die Hinführung zu einer biblischen Gestalt: Wie ist sie in der Bibel bezeugt, in welchen Kontexten begegnet sie, wann wird von ihr sonst noch gesprochen? Wie etwa wird eine alttestamentliche Gestalt im Neuen Testament rezipiert? Ist von Abraham nur im Buch Genesis die Rede? Bezeichnen alle Belege des Namens Jakobus ein und dieselbe Person? Verbindet der Name bestimmte Literaturbereiche? Und schließlich: Wie wird die biblische Gestalt im Frühjudentum, im Frühchristentum und ggf. auch im Islam (Koran) aufgegriffen?
Biblische Gestalten: „Abraham: Ahnvater – Vorbild – Kultstifter”
Die drei hier zu besprechenden Bände zu Abraham, Jiftach und Jakobus führen jeweils in die Thematik ein, stellen die biblische Gestalt dar und fragen nach ihrer Wirkung. Matthias Köckert bietet zunächst grundsätzliche Überlegungen dazu, wie die Bibel erzählt und wie diese Erzählungen mehr als das sind, nämlich Ursprungsgeschichten Israels. Die am Genesis-Text entlanggehende Darstellung der Gestalt Abrahams ordnet Köckert nach den Orten (Ur, Hebron, Gerar, Beerscheba) und fragt dann nach der Entstehung der einen Abraham-Erzählung aus den vielen Geschichten.
Auch der Frage nach dem historischen Abraham weicht Köckert nicht aus und betont, dass nach früheren Versuchen einer geschichtlichen Verortung es mittlerweile als sinnvoller angesehen wird, die Abraham-Geschichten als Bewältigung von Krisen, insbesondere nach 587 v. Chr. (Untergang des Königreichs Juda), zu lesen. Der Abschnitt „Wirkung“ bietet einen guten Überblick über die Rezeption der biblischen Gestalt Abraham im Rest der Bibel, im Christentum und im Islam.
Zur Bedeutung Abrahams für Muslime führt Köckert zunächst in die Umwelt des Koran und dessen grundsätzlicher Beschaffenheit ein. Dann zeigt er exemplarisch die Rezeption von Gen 18 in drei Suren (51, 15 und 11) auf. Große Themen für den Islam sind der Monotheismus der Abraham-Gestalt, Abrahams vorbildliche Gottergebenheit und die Stiftung eines Kultes. Diese Züge werden gegenüber der biblischen Überlieferung durch weiteres Erzählmaterial, das zum Teil auch aus der jüdischen außer- und nachbiblischen Tradition stammt, ausgestaltet.
Biblische Gestalten: „Jiftach und seine Tochter. Eine biblische Tragödie”
Rüdiger Lux, emeritierter Professor für Alttestamentliche Wissenschaft an der Universität Leipzig, stellt die biblische Gestalt Jiftach (und seine Tochter) vor. Dabei lässt er sich vor allem vom Begriff des „Tragischen“ leiten. Er führt diesen allgemein ein und verweist dabei auf den bekannten Iphigenie-Stoff. Figuren wie Jiftach, Simson und Saul scheinen dem Tragischen gut zu entsprechen – dennoch sei es, so Lux, durchaus umstritten, ob „das Tragische“ auch auf die hebräische Bibel anwendbar sei.
In die Darstellung der Jiftach-Episode aus dem Richterbuch baut Lux Exkurse zum Gott der Ammoniter, zum Thema Gelübde, zur Frage des Menschenopfers, zum Thema JHWHs Rache und zur Mädchentragödie ein. Insbesondere beim Thema Menschenopfer, das von manchen Alttestamentler*innen allzu begeistert für das alte Israel angenommen wird, ist Lux wohltuend zurückhaltend und betont, dass es keine außerbiblischen Beweise für einen regelhaften Menschenopfer-Kult vor und in Israel gegeben habe und es sich vor allem um ein literarisches Motiv handle. Lux unternimmt daher sinnvollerweise eine „kanonische Lektüre“ der beiden „Opfer“-Geschichten: Jiftachs Tochter (Ri 11) und die Bindung Isaaks (Gen 22). Bei letzterer greift er interessanterweise vor allem auf die Deutungen von Matthias Köckert zurück. Unter „Wirkung“ sammelt Lux viele Beispiele der Auslegungsgeschichte von Flavius Josephus bis Martin Luther.
Biblische Gestalten: „Jakobus: Im Schatten des Größeren”
Roland Deines widmet sich der biblischen Gestalt des Jakobus und stellt schon in der Einführung die verschiedenen Facetten dieser Figur heraus: Moralist, Karrierist, Judenchrist. Insbesondere die paradigmatische Verkörperung des Judenchristentums in Jakobus, verbunden mit dem Ehrentitel „der Gerechte“, wird von Deines herausgearbeitet.
In der Darstellung folgt Deines den neutestamentlichen Belegen des Namens und diskutiert die verschiedenen Identifikationsversuche. Auch die pseudepigraphische Zuschreibung des Protevangeliums des Jakobus wird kurz erwähnt. Bemerkenswert ist die ausführliche Darstellung der nachbiblischen Überlieferung, in der der Herrenbruder Jakobus als Zeuge für Jesu Geburt und Kindheit, für die Auferstehung, für gnostische Offenbarungen und schließlich als Märtyrer fungiert.
Abschließend diskutiert Deines archäologische Spuren: das vermeintliche Grabmal des Jakobus und dessen unterschiedliche Lokalisierungen sowie das in seiner Echtheit umstrittene Jakobus-Ossuar mit der aramäischen Inschrift.
Die materialreichen und allgemein verständlichen Bände der Reihe „Biblische Gestalten“ sind sehr zu empfehlen. Insbesondere der Blick in die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte erhellt viele Traditionslinien, die bis in die heutige Zeit reichen. Dass diese präzisen und hilfreichen Informationen in Logos zur Verfügung stehen, ist ein großer Gewinn.
Neben diesen drei vorgestellten Bänden sind weitere 29 in Logos erhältlich. Sie können als Einzelwerke, als vollständige Sammlung oder in thematisch geordneter Zusammenstellung (Altes Testament, Neues Testament, Frauen der Bibel, Könige Israels) erworben werden. Ergänzen Sie jetzt Ihre Logos-Bibliothek mit diesen wertvollen Ressourcen!