Eine 3D Brille für Weihnachten

Von Johannes Traichel

Dezember 2, 2022

Die Welt in die Christus hineingeboren wurde

Die Weih­nachts­zeit gilt als eine Zeit für die Fami­lie, in der Frie­den und Gemein­schaft vor­herrscht. Fami­li­en sit­zen an Weih­nach­ten bei einem guten Bra­ten und in einer gemüt­li­chen Atmo­sphä­re zusam­men. Es wer­den klas­si­sche und moder­ne Weih­nachts­lie­der gehört und gesun­gen. Es wird vom Frie­den auf der Erde geträumt und gepredigt.

Glüh­wein wird liter­wei­se ver­nich­tet. Das Feu­er im Kamin brennt trotz der Ener­gie­kri­se gut und warm. Der mehr oder weni­ger geschmack­voll deko­rier­te Weih­nachts­baum tut sein Übri­ges, um eine weih­nacht­li­che Atmo­sphä­re zu schaf­fen. Es ist eine Wohl­fühl­zeit mit hohen Erwar­tun­gen und immer erschüt­tert durch die Realität.

Über das Kind in der Krip­pe, Hir­ten auf dem Feld und süße, wat­te­ar­ti­ge Engel mit hel­ler Stim­me kur­sie­ren roman­ti­sche Vor­stel­lun­gen. Und ja, es sind in der Tat inkor­rek­te Vor­stel­lun­gen und zum Teil fal­sche Illusionen.

Ich möch­te Ihnen mit die­sem Arti­kel nicht Ihre Weih­nachts­stim­mung ver­der­ben, ich möch­te aller­dings eine his­to­ri­sche Ein­ord­nung der Gescheh­nis­se rund um Chris­ti Geburt vor­neh­men, die wie eine Art von 3D Bril­le fun­giert und die wah­ren Ereig­nis­se von Weih­nach­ten deut­lich wer­den lässt.

Eine klei­ne Vor­war­nung möch­te ich hier jedoch anbrin­gen: Es kann pas­sie­ren, dass Ihnen nach die­sem Arti­kel die Weih­nachts­ge­schich­te nicht mehr so ange­nehm roman­tisch erscheint und die Plätz­chen­stim­mung durch die Rea­li­tät ver­dampft. Zu Risi­ken und Neben­wir­kun­gen lesen Sie bit­te die Bibel oder fra­gen Ihren Pas­tor oder einen Theo­lo­gen Ihres Vertrauens.

Dunkle Zeiten und die Schatten der Vergangenheit

Geboren hinein in eine spannungsreiche Welt

Die Zeit in die Jesus hin­ein­ge­bo­ren wur­de war von deut­lich mehr Kri­sen durch­schüt­telt als wir sie heu­te ken­nen. Es war ein Land­strich in dem sich die Kri­sen nicht abwech­sel­ten und ablös­ten, son­dern in der sich Kri­sen über­lapp­ten, gegen­sei­tig hoch­koch­ten und ein unschö­nes Mit- und Neben­ein­an­der lebten.

Poli­ti­sche Ver­wer­fun­gen, eine gespal­te­ne Gesell­schaft und eine blut­ge­tränk­te Ver­gan­gen­heit las­te­ten schwer auf dem Land. Die Kil­ler­ma­schi­ne­rie des römi­schen Impe­ri­ums war für Unrecht und für Mas­sa­ker ver­ant­wort­lich. Der Reich­tum war extrem unge­recht ver­teilt, was für gro­ße Span­nun­gen im sozia­len Gefü­ge sorg­te. Gerd Thei­ßen und Annet­te Merz beschrei­ben die­se Zeit wie folgt:

Gali­läa war von tie­fen struk­tu­rel­len Span­nun­gen durch­zo­gen, von Span­nun­gen zwi­schen Juden und Hei­den, Stadt und Land, Rei­chen und Armen, Herr­schern und Beherrschten.“

Der Schatten von Game of Thrones

Wer die Wer­ke von Fla­vi­us Jose­phus liest, wird schnell zum Ergeb­nis kom­men, dass Game of Thro­nes oder ande­re kaum zu emp­feh­len­de Seri­en etwas für Anfän­ger sind. Die wah­ren poli­ti­schen Intri­gen vol­ler Grau­sam­keit, Macht­geil­heit und Sex fin­den nicht in Film oder Seri­en statt. Viel­mehr schreibt die Geschich­te sie in den dun­kels­ten Farben.

Die Geschich­te beginnt mit der Zeit der Mak­ka­bä­er. Isra­el hat­te unter den Mak­ka­bä­ern in einem blu­ti­gen Unab­hän­gig­keits­krieg die Herr­schaft der Grie­chen abge­schüt­telt. Nach einer Zeit der grau­sa­men Unter­drü­ckung erhob sich die Bevöl­ke­rung gegen das Régime von Antio­chus IV.

Unter Judas Mak­ka­bä­us wur­de gegen die hel­le­nis­ti­sche Fremd­herr­schaft eine Art von Gue­ril­la-Krieg geführt. Im Jahr v.Chr. 164 wur­de der Tem­pel befreit und gerei­nigt. Isra­el wur­de zum ers­ten Mal seit dem baby­lo­ni­schen Exil wie­der unab­hän­gig. Eine Unab­hän­gig­keit, die ledig­lich knapp 100 Jah­re wäh­ren sollte.

Die­se Unab­hän­gig­keit kann als eine Blau­pau­se für spä­te­re Unab­hän­gig­keits­be­stre­bun­gen gese­hen wer­den, wel­che sich in Revo­lu­ti­ons­ver­su­chen äußer­ten und schluss­end­lich im gro­ßen jüdisch-römi­schen Krieg mündete.

Zurück zur Mak­ka­bä­er­zeit. Aus dem Geschlecht der Mak­ka­bä­er wur­den Pries­ter­kö­ni­ge ein­ge­setzt. Die reli­giö­se und die welt­li­che Macht wur­den mit­ein­an­der ver­schmol­zen (gegen das alt­tes­ta­ment­li­che Gesetz, das hier eine Gewal­ten­tei­lung vorsah).

Die Zeit war aber kei­ne Zeit des Frie­dens. Das Reich Isra­el erreich­te mit der Zeit eine gro­ße Aus­deh­nung und war poli­tisch durch­aus erfolg­reich. Im Inne­ren des Rei­ches gab es aber Intri­gen und Mach­kämp­fe die grau­sam geführt wurden.

Die Herrschaft Roms

Rom herrsch­te mit­tels ver­schie­de­ner For­men erst seit 63 v.Chr. über Isra­el. Schuld dar­an war ein Mephis­to-Pakt zwi­schen Jeru­sa­lem und Rom in den 60er Jah­ren vor Chris­tus. Mit Rom ging Isra­el qua­si einen Pakt mit dem Teu­fel ein, aus dem sie nicht mehr raus­kom­men sollten.

Wäh­rend der Herr­schaft der Mak­ka­bä­er ver­bün­de­te sich das unab­hän­gi­ge Reich mit Rom. Als dann zwei Prin­zen-Brü­der sich nicht eini­gen konn­ten, wer die Macht als König bekom­men soll­te, began­nen sie damit, einen blu­ti­gen Bür­ger­krieg zu füh­ren. Bei­de rie­fen nach Rom um Hilfe.

Rom kam um zu blei­ben und besetz­te seit­dem das Land und glie­der­te es lang­fris­tig in sein Impe­ri­um ein. Sogar der Tem­pel wur­de 63 v.Chr. durch den römi­schen Feld­herrn Pom­pei­us ent­weiht; er ging ein­fach in das Aller­hei­ligs­te des Tem­pels hin­ein. Rom war seit­dem völ­lig humor­los, was bereits gerings­te Ver­su­che zur Unab­hän­gig­keit betraf.

Auf­stän­de wur­den durch Mas­sen­kreu­zi­gun­gen blu­tig nie­der­ge­schla­gen. Das Impe­ri­um schlug erbar­mungs­los zu und zurück. Eine inter­es­san­te Wen­dung nahm die Geschich­te von Pom­pei­us für die Juden der Zeit damals, als die­ser meh­re­re Jah­re nach sei­ner Tem­pel­ent­wei­hung sei­nen Kopf los wur­de. Dies sahen eini­ge Juden als eine Stra­fe Got­tes an.

Der bri­ti­sche Neu­tes­ta­ment­ler Nico­las Tho­mas Wright schreibt in sei­nem Werk „Das Neue Tes­ta­ment und das Volk Gottes“:

Die Römer erb­ten die Ver­ach­tung gegen­über Baby­lon und Antio­chus, die Ver­ach­tung der gan­zen ein­drin­gen­den hel­le­nis­ti­schen Kul­tur. Sie schaff­ten es, die Lage noch dadurch zu ver­schlim­mern, dass sie (so erschien es den meis­ten Juden) mit einer unsen­si­blen Arro­ganz regier­ten, die stän­dig an die Art von Pro­vo­ka­ti­on gren­ze, die zur Rebel­li­on reizt.“ 

Es muss einer kommen: Die Messiashoffnung

Die Zeit war Mes­si­as-Schwan­ger. Im wahrs­ten Sinn des Wortes.

Es gab die Hoff­nun­gen, die im Alten Tes­ta­ment for­mu­liert wur­den. Die­se wur­den wach­ge­hal­ten. Dass Gott selbst sein Reich auf­rich­ten wür­de, war durch die Pro­phe­ten vor­her­ge­sagt wor­den (Jes 2,2–4; Micha 4,15 usw.). Eine end­zeit­li­che Heils­zeit wur­de erwartet.

Alle Völ­ker soll­ten sich zu Gott wen­den und die Welt erfüllt wer­den von der Erkennt­nis Got­tes, sowie Was­ser die Mee­re bede­cken (Jes 56,1–8; Sachar­ja 2,19–15 und 9,5–7). Damit gab es auch die Hoff­nung auf einen mes­sia­ni­schen König, der ein Nach­fah­re des berühm­ten Königs Davids sein wird (2. Samu­el 7,12–16; Jesa­ja 11,1 und Jere­mia 33,15).

Die­ser Mes­si­as soll­te sein Reich auf­rich­ten (Dani­el 7,12–16 und 27). In die­sem Reich Got­tes wird Gott Heil schaf­fen und die Schöp­fung in ihrer Gesamt­heit in Ord­nung brin­gen (Jesa­ja 24–27; 52,7–60; 60 und 65; Sachar­ja 14 und Malea­chi 1,14). Der end­gül­ti­ge Sieg über das Böse wird ange­kün­digt und beschrie­ben. Alle Fein­de Got­tes soll­ten ver­nich­tet wer­den (Micha 5,8–14 und Zefan­ja 2,9–13).

Die Art, wie die Men­schen auf den Mes­si­as hoff­ten, war durch­aus viel­sei­tig. Wäh­rend die Esse­ner sich in die Ein­sam­keit zurück­zo­gen und eine Gegen­ge­sell­schaft bil­de­ten, erhoff­ten die Pha­ri­sä­er die­se Zeit durch eine strik­te Ein­hal­tung des Geset­zes her­bei­zu­füh­ren. Auf­rüh­re­ri­sche Grup­pen (die spä­ter Zelo­ten genannt wur­den) woll­ten die Sache selbst in die Hand neh­men und erwar­te­ten Got­tes Ein­grei­fen erst dann, wenn sie selbst zu den Waf­fen griffen.

Herodes und die Weihnachtsgeschichte

Ein König der Gegensätze

Hero­des war ein König der Gegen­sätz­lich­keit. Er war eine Mischung aus geni­al und grau­sam, spen­da­bel und para­no­id. Die Römer hat­ten Hero­des den Gro­ßen als König ein­ge­setzt. Er soll­te dort in einer schwie­ri­gen Gegend für Ord­nung sor­gen und Ruhe schaf­fen. Ansons­ten hat­te er aber viel Nar­ren­frei­heit. In einer Zeit, in der das römi­sche Impe­ri­um auf dem Zenit sei­ner Macht war. Es galt als unbesiegbar.

Rom setz­te die­sen Hero­des als König über Isra­el ein. Er war ein Vasall von Roms Gna­den. Die­ser Hero­des, es gab vie­le mit dem Namen, wur­de Hero­des der Gro­ße genannt. Er regier­te zur Zeit von Jesu Geburt. Ins­ge­samt regier­te er über 30 Jah­re. Von sei­ner Her­kunft wegen war er schon nicht son­der­lich beliebt.

Hero­des war kein Nach­kom­me Davids, des eigent­li­chen Herr­scher­ge­schlechts. Sei­ne Mut­ter war ver­mut­lich eine Ara­be­rin, sein Vater war ein Idu­mä­er, als ein Nach­fah­re der Edo­mi­ter, wel­che auf Esau zurück­ge­führt wer­den. Unter den Mak­ka­bä­ern wur­den die Edo­mi­ter in den jüdi­schen Glau­ben eingegliedert.

Der paranoide König: Herodes

Hero­des war der Inbe­griff eines para­no­iden Des­po­ten. Er regier­te grau­sam und war gleich­zei­tig geni­al. Geni­al war er in sei­nen Bau­pro­jek­ten. Pres­ti­ge Pro­jek­te konn­te er so über­all aus dem Boden stamp­fen. Bei Hero­des dem Gro­ßen gab es kein PR Desas­ter wie bei manch einem Flug­ha­fen­bau in der jün­ge­ren Geschich­te eines füh­ren­den euro­päi­schen Industrielandes.

Den Tem­pel ließ er völ­lig erneu­ern und qua­si neu bau­en. Er finan­zier­te die Olym­pi­schen Spie­le. Im gan­zen Land ver­an­lass­te er Bau­pro­jek­te. Eine beson­de­re Erwäh­nung ver­dient noch den Aus­bau einer schwer ein­nehm­ba­ren Wüs­ten­fes­tung in Massa­da, wel­che im Jüdi­schen Krieg eine beson­de­re Bedeu­tung noch erhal­ten sollte.

Gleich­zei­tig war er auch grau­sam. Selbst­ver­ständ­lich gegen sei­ne Fein­de, aber auch gegen­über Freun­den und sogar gegen­über sei­nen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen, die viel­leicht ein­mal etwas gegen ihn gehabt haben könn­ten, unter Umstän­den, die mög­li­cher­wei­se ein­mal ein­tre­ten wür­den. In sei­nem Herr­schafts­ge­biet war klar: Ein Hero­des teilt sei­ne Macht mit niemandem.

Er war das Gesetz. Er ent­schied. Einen Wider­spruch dul­de­te er nicht. Dort, wo er sei­ne Macht in Gefahr sah, schlug die eiser­ne Faust sei­nes Appa­rats bru­tal zu. Zumeist mit der poli­ti­schen Waf­fe des Mor­des. Dies muss­te auch sei­ne Frau erlei­den. Hero­des hat­te zwar 10 Frau­en, aber eine von ihnen war sei­ne Lieb­lings­frau. Ihr Name war Mariamne.

Herodes tötliche Liebschaft

Mari­an­ne war eine jüdi­sche Venus. Eine Prin­zes­sin aus der Mak­ka­bä­er-Dynas­tie, der Sip­pe der frü­he­ren Köni­ge von Isra­el. Für die­se Schön­heit war er Feu­er und Flam­me. Aller­dings galt dies nicht für ihren Bru­der. Er befürch­tet, dass die­ser ihm ein­mal, viel­leicht, unter Umstän­den, wenn sich für ihn die Gele­gen­heit erge­ben soll­te, zum Riva­len wer­den könn­te. Denn was wäre schließ­lich, wenn?

Daher ließ er ihn kur­zer­hand umbrin­gen. Sein Mot­to lau­te­te: Ein Mensch, ein Pro­blem – ein toter Mensch, kein Pro­blem. Sei­ne Frau Mariam­ne fand das ver­ständ­li­cher­wei­se gar nicht in Ord­nung und mach­te aus der Ehe eine WG. Sie trat also in den Sex-Streik. Hero­des, der davon nicht son­der­lich begeis­tert sein dürf­te, ließ sie spä­ter im Streit hinrichten.

Wohl­ge­merkt sei­ne ehe­ma­li­ge Lieb­lings­frau. Das ist übri­gens die schlech­tes­te Form der Kon­flikt­be­wäl­ti­gung über­haupt. Die bei­den Kin­der, die er mit ihr hat­te, muss­ten auch noch ster­ben. Denn was wäre, wenn sie ihre Mut­ter hät­ten rächen wollen?

Kai­ser Augus­tus soll über Hero­des gesagt haben: “An sei­nem Hof ist es bes­ser, ein Schwein zu sein, als einer sei­ner Söh­ne.” Schließ­lich ernähr­te sich König Hero­des Koscher und ver­zich­te­te auf Schwei­ne­fleisch. Das war immer­hin ein Bereich, an dem er sich an die alt­tes­ta­ment­li­chen Gebo­te hielt.

Der klebende Geruch des Todes

Hero­des war ein Des­pot, der über­all Fein­de sah. Man kann mit Fug und Recht von einem para­no­iden König spre­chen. Übri­gens, einen drit­ten Sohn ließ er auch noch ermor­den. Als eini­ge sei­ner Ange­stell­ten dies zu kri­ti­sie­ren wag­ten, ließ er hun­der­te Offi­zie­re töten. Kri­tik war unerwünscht.

Auch gegen die Bevöl­ke­rung wütet er bru­tal. Als es Demons­tra­tio­nen gegen einen römi­schen Adler auf dem Tem­pel gab, den Hero­des hat­te anbrin­gen las­sen, ließ er die Anfüh­rer, die den Adler abge­hängt hat­ten, verbrennen.

Als Hero­des der Gro­ße dann schwer krank wur­de (ver­mut­lich hat­te er Darm­krebs) und sich auf das Ster­ben vor­be­rei­ten soll­te, hat­te er die Befürch­tung, dass sein Tod Jubel­stür­me in Isra­el aus­lö­sen könn­ten. Das war für ihn ein Alptraum.

Kei­ner soll­te sich an dem Tag sei­nes Todes freu­en. Des­we­gen befahl er, dass vie­le jüdi­sche Pro­mi­nen­te gefan­gen genom­men wer­den soll­ten, um an sei­nem Todes­tag abge­schlach­tet zu wer­den. So soll­te das Volk sei­nen Todes­tag betrau­ern und es ver­hin­dert wer­den, dass die­ser Tag als Fest gefei­ert wird. Die­ser Befehl wur­de von sei­nen Offi­zie­ren glück­li­cher­wei­se nicht vollstreckt.

Übri­gens: Weil Hero­des so ein gefähr­li­cher Des­pot war, flo­hen vie­le Bür­ger aus Isra­el nach Ägyp­ten. In Alex­an­dria gab es eine gro­ße jüdi­sche Community.

Herodes: Der Kindermörder von Bethlehem?

Eng mit der Weih­nachts­ge­schich­te ver­bun­den ist der Kin­der­mord in Beth­le­hem. Der Evan­ge­list Mat­thä­us berich­tet davon. Da Hero­des Jesus nicht als Kind direkt töten kann, lässt er pau­schal alle Kin­der in der Alters­klas­se von unter zwei Jah­ren umbringen.

Die His­to­ri­zi­tät die­ses Berich­tes wur­de immer wie­der ange­zwei­felt. Dies hängt unter ande­rem auch damit zusam­men, dass zeit­ge­nös­si­sche Quel­len die­sen Kin­der­mord nicht erwäh­nen. Der Exeget Ulrich Luz schreibt in sei­nem Evan­ge­lisch-Katho­li­schen Kom­men­tar zu Matthäus:

Weder die satt­sam bekann­te Grau­sam­keit des Hero­des noch die Tat­sa­che, daß Ägyp­ten immer schon Zufluchts­ort für Ver­folg­te in Isra­el gewe­sen ist hel­fen viel […] Ein­zel­hei­ten blei­ben his­to­risch unver­ständ­lich, etwa, war­um der schlaue Fuchs Hero­des so lan­ge war­tet, bis ihm nur noch ein poli­tisch unklu­ger Mas­sen­mord übrig­blieb. Unse­re Geschich­te hängt außer­dem an der ver­mut­lich unhis­to­ri­schen Tra­di­ti­on von der Geburt Jesus in Bethlehem.”

In sei­nem Kom­men­tar „Mat­thä­us für Heu­te“ schreibt der angli­ka­ni­sche Theo­lo­ge N. T. Wright aller­dings zu die­ser Frage:

Hero­des der Gro­ße dach­te sich nichts dabei, Mit­glie­der sei­ner eige­nen Fami­lie zu ermor­den. Wenn er Men­schen ver­däch­tig­te, Plä­ne gegen ihn zu schmie­den, ließ er sie ein­fach umbrin­gen, sogar sei­ne eige­ne gelieb­te Frau. Er ord­ne­te noch im Ster­ben an, man möge die füh­ren­den Bür­ger Jeri­chos umbrin­gen. Damit woll­te er sicher­stel­len, dass die Men­schen an sei­ner Beer­di­gung wei­nen wür­den. Die­ser Hero­des wür­de bei dem Gedan­ken, vie­le klei­ne Babys zu töten, weil eines ein Anwär­ter auf den Königs­thron sein könn­te, nicht ein­mal mit der Wim­per zucken. Mit sei­ner Macht hat­te auch sei­ne Para­noia zuge­nom­men – kei­ne unbe­kann­te Ent­wick­lung, wie man bei Dik­ta­to­ren rund um die Welt von damals bis heu­te fest­stel­len kann.“

Zu beach­ten ist aller­dings, dass Hero­des immer sehr weit ging, um sei­ne Macht zu sichern. Skru­pel kann­te er nicht und Gewis­sens­bis­se schien er erfolg­reich zu ver­drän­gen. Auch ein Kin­der­mord ist ihm durch­aus zuzu­trau­en. In Beth­le­hem dürf­ten zu die­ser Zeit unge­fähr 20–30 Kin­der in der Alters­klas­se gelebt haben.

Dass ande­re his­to­ri­sche Quel­len den Kin­der­mord nicht erwäh­nen, spricht nicht gegen des­sen His­to­ri­zi­tät. Für Hero­des wäre solch eine Tat nicht außer­ge­wöhn­lich und die Tat wäre nicht viel mehr als eine his­to­ri­sche Fußnote.

Christus ist geboren! Aber wo?

Geboren in Bethlehem oder Nazareth?

Die Berich­te der Evan­ge­li­en stim­men über­ein. Jesus ist in Beth­le­hem gebo­ren und in Naza­reth erwach­sen geworden.

Mit der Zeit der his­to­risch-kri­ti­schen Erfor­schung der Evan­ge­li­en kamen Zwei­fel an der Rich­tig­keit die­ser Anga­ben auf. In ihrem Lehr­buch „Der his­to­ri­sche Jesus“ (wel­ches als ein Stan­dard­werk gilt) kom­men die Autoren Gerd Thei­ßen und Annet­te Merz zu dem Schluss:

Jesus stammt aus Naza­reth. Die Ver­la­ge­rung des Geburts­or­tes nach Beth­le­hem ist ein Ergeb­nis reli­giö­ser Phan­ta­sie und Vor­stel­lungs­kraft: Weil der Mes­si­as nach der Schrift in Beth­le­hem gebo­ren wer­den muß­te, wur­de Jesu Geburt dort­hin verlegt.“

Kurz gesagt: Für eini­ge Theo­lo­gen klin­gen die­se Berich­te etwas zu fin­giert, um die alt­tes­ta­ment­li­che Pro­phe­zei­ung zu erfül­len, dass der Mes­si­as in Beth­le­hem gebo­ren wur­de. Eng damit zusam­men hing auch die Fra­ge, ob in der Zeit von Jesu Geburt wirk­lich ein Zen­sus, sprich eine Volks­zäh­lung, statt­ge­fun­den hatte.

Das spricht für Betlehem

Schließ­lich berich­tet der jüdi­sche His­to­ri­ker Fla­vi­us Jose­phus erst 6 n. Chr. von einer Volks­zäh­lung. Aller­dings bedeu­tet dies nicht, dass die Anga­ben von Lukas falsch sind. Zum einen unter­lie­fen Fla­vi­us Jose­phus gele­gent­lich Feh­ler, was Jah­res­an­ga­ben betraf und zum ande­ren gab es zahl­rei­che Volks­zäh­lun­gen in den Jah­ren vor der Zei­ten­wen­de. Augus­tus schien Zah­len und Sta­tis­ti­ken zu mögen.

Zugleich macht auch für Josef ein Umzug vor der Geburt von Naza­reth nach Beth­le­hem Sinn. Die Frau, die er hei­ra­ten woll­te, Maria, war schwan­ger. Vor der Ehe­schlie­ßung, was bereits Skan­dal genug war und zusätz­lich wuss­te er, dass er nicht der Vater war. Beth­le­hem bot eine gute Gele­gen­heit, aus die­sem Skan­dal her­aus­zu­kom­men, bzw. dies nicht sicht­bar wer­den zu lassen.

In Naza­reth ent­brann­te in der Zeit, in der Jesus in Bet­le­hem bzw. in Ägyp­ten war, die Lun­te einer Kata­stro­phe. Wenn Maria und Joseph tat­säch­lich nach Beth­le­hem gin­gen (wovon ich aus­ge­he), dann ret­te­te dies ihnen unter Umstän­den sogar das Leben. In Gali­läa gab es nach dem Tod von Hero­des dem Gro­ßen Aufstände.

Auch in Naza­reth ist die Stim­mung revo­lu­tio­när. Die Wut und der Frust der Bevöl­ke­rung ent­lädt sich mit Gewalt. Der römi­sche Feld­herr Varus schlägt die­se Auf­stän­de mit äußers­ter Bru­ta­li­tät nie­der. Rom setz­te sein Mili­tär als Kil­ler­ma­schi­ne ein.

Mas­sa­ker rund um Naza­reth (und ver­mut­lich auch in Naza­reth) wur­den began­gen, Aber­tau­sen­de Men­schen wur­den ver­sklavt. Es war übri­gens der Varus, der spä­ter im Kampf mit den Ger­ma­nen sei­nen Kopf ver­lie­ren sollte.

Lassen wir den Stall im Haus?

In tra­di­tio­nel­len Dar­stel­lun­gen wird Jesus außer­halb der Häu­ser in einem Stall oder einer Stall­höh­le zur Welt gebracht. Nach dem bibli­schen Zeug­nis wur­de er im Stall gebo­ren, aber unse­re Vor­stel­lung von die­sem Stall könn­te falsch sein.

Auf den Weih­nachts­märk­ten der heu­ti­gen Zeit fin­den wir schö­ne Nach­bil­dun­gen von Maria und Josef, mit Jesus in einem (euro­päi­schen) Stall. Maria und Josef fan­den kei­ne Her­ber­ge. Die­se Her­ber­gen darf man sich aller­dings nicht wie ein heu­ti­ges Hotel oder eine Jugend­her­ber­ge vor­stel­len. Es ähnelt viel­mehr dem, was wir heu­te als ein Gäs­te­zim­mer in einem Pri­vat­haus kennen.

N. T. Wright schreibt dazu:

Wir soll­ten klar vor Augen haben, wo die bei­den unter­ge­kom­men waren. In vie­len Krip­pen­spie­len sehen wir, wie sie an die Tür einer Gast­stät­te anklop­fen. Weil es dort kein Zim­mer mehr für sie gab, bot man ihnen den Stall an, in dem auch Tie­re waren. Aber das Wort für „Her­ber­ge“ in der tra­di­tio­nel­len Über­set­zung hat ver­schie­de­ne Bedeu­tun­gen. Wahr­schein­lich über­nach­te­ten sie im Erd­ge­schoss eines Hau­ses, in dem Men­schen nor­ma­ler­wei­se im Ober­ge­schoss leb­ten. Das Erd­ge­schoss wur­de oft als Stall für die Tie­re genutzt – daher die Krip­pe, die sich dann als Wie­ge anbot –, aber es steht nir­gends, dass tat­säch­lich Tie­re dort waren.“

Auch wenn es nicht gesi­chert ist, könn­te der Stall durch­aus im Haus gewe­sen sein. Ein Fut­ter­trog für Tie­re war auch dann vor­han­den. Im Isra­el des 1. Jahr­hun­derts kam es durch­aus vor, dass Haus und Stall eine bau­li­che Ein­heit waren.

Besucher ohne Prestige

Die Gratulanten aus der Unterschicht

Die Hir­ten auf dem Feld waren die ers­ten Gra­tu­lan­ten. Wir kön­nen auch sagen, dass die Unter­schicht zu Besuch kommt. Die Arbeit als Hir­te war kei­ne roman­ti­sche Arbeit. Sie war vol­ler Ent­beh­run­gen und von der unan­ge­neh­men nächt­li­chen Kälte.

Es war ein Kno­chen­job der Unter­schicht. Es waren auch in der Regel nicht die eige­nen Scha­fe, son­dern die Scha­fe eines gut betuch­ten Bau­ers, auf die sie auf­zu­pas­sen hat­ten und dem sie auch einen Aus­gleich zah­len muss­ten, wenn ein Schaf ver­lo­ren ging.

So waren die ers­ten Besu­cher nicht die klas­si­schen Gäs­te einer Königs­ge­burt, son­dern die­je­ni­gen, die am Rand der Gesell­schaft stan­den und mit ihren stin­ken­den Klei­dern zum Neu­ge­bo­re­nen kamen.

Beschenkt von Heiden

Las­sen Sie es mich direkt sagen. Die „Hei­li­gen drei Köni­ge“ hat es nicht gege­ben. Ihre Bezeich­nung ent­stand erst 200 Jah­re nach Chris­tus. Die Bibel berich­tet nicht von Köni­gen, son­dern von Magi­ern aus dem Osten.

Es könn­ten Ange­hö­ri­ge einer per­si­schen Pries­ter­kas­te sein, die sich auch mit der Stern­kun­de und mit der Deu­tung von Träu­men beschäf­ti­gen. Einen guten Ruf hat­ten sie in der jüdi­schen Kul­tur eher nicht. Zum Teil wur­den sie von Rab­bi­nern als Got­tes­läs­te­rer bezeichnet.

Wir sehen, die ers­ten Besu­cher des Chris­tus waren Men­schen von zwei­fel­haf­tem Ruf.

Fazit: Eine Welt aus den Fugen

Sie haben sich mit mir auf eine Rei­se in die Zeit von Weih­nach­ten gemacht. Soll­ten Sie ver­klär­te Vor­stel­lun­gen über Weih­nach­ten gehabt haben, dann hof­fe ich, dass die­se Vor­stel­lun­gen einen Pro­zess der Ent­my­tho­lo­gi­sie­rung durch­lau­fen haben.

Schließ­lich ist es unmög­lich, einer­seits die moder­nen For­schungs­er­geb­nis­sen zu betrach­ten, d.h. die Geschich­te, Quel­len wie Jose­phus und das Wis­sen über die Lebens­rea­li­tät der Welt des 1. Jahr­hun­derts, ande­rer­seits aber gleich­zei­tig an den roman­ti­schen Vor­stel­lungs­wel­ten der moder­nen Weih­nachts­markt-Gefüh­le festzuhalten.

Und wer es doch tut, muss wis­sen, dass er der Bot­schaft von Weih­nach­ten kei­nen Gefal­len tut.

Viel­mehr tut sich uns die scho­nungs­lo­se Welt der ers­ten Weih­nacht auf. Eine Welt aus den Fugen. Eine Welt der Dun­kel­heit. Eine Welt vol­ler Unsi­cher­heit und poli­ti­scher und sozia­ler Gewalt. Eine Welt, in der die Grund­ver­sor­gung nicht für alle gege­ben war. Die­se Welt war vol­ler Unsicherheiten.

In die­se Welt der Intri­gen und Gewalt, in eine Gesell­schaft, die zer­ris­sen und ener­gie­ge­la­den war, ist Gott in Chris­tus hin­ein­ge­bo­ren. Got­tes Pro­jekt ging mit­ten in der dun­kels­ten Dun­kel­heit in eine neue Pha­se hinein.

Die Welt, die in der Fins­ter­nis leb­te, wur­de von einem hel­len Licht über­rascht, aber der Groß­teil hat es nicht erfasst. Wer es erfass­te und sich dar­auf ein­ge­las­sen hat, der wur­de von Hoff­nung über­rascht. Und hier ent­steht mehr als Hoff­nung. Hier bricht ein neu­es Kapi­tel der Welt­ge­schich­te an. Die Welt wur­de für immer verändert.

Mit dem Bild eines Com­pu­ters gespro­chen: Got­tes Königs­herr­schaft wur­de „her­un­ter­ge­la­den” und zwi­schen dem ers­ten und zwei­ten Kom­men von Jesus wird die­ses „Update” instal­liert. Noch sind wir in die­sem Pro­zess, aber weil Chris­tus Mensch wur­de, haben wir die Per­spek­ti­ve auf die neue Ver­si­on, die kom­men wird.

Weihnachten für heute

Wie geht es Ihnen nach die­sem Arti­kel mit dem Weih­nachts­fest? Ich wün­sche Ihnen, dass für Sie das, was an Weih­nach­ten wirk­lich gesche­hen ist, in einer neu­en Schär­fe vor Augen steht. Hoff­nung, die nicht naiv ist, beginnt mit dem rea­lis­ti­schen Blick auf die Welt und einem Gott, der trotz­dem handelt.

Sie öff­net eine Per­spek­ti­ve, die gesell­schaft­li­che Unru­hen nicht ein­fach weg­wischt, die das Leid und die Not nicht klein redet oder aus­klam­mert, son­dern die durch die­se Situa­tio­nen hin­durch eine Per­spek­ti­ve hat, durch den, der an der ers­ten Weih­nacht kam und der wie­der­kom­men wird.

Die Gewiss­heit von Weih­nach­ten ist, dass Gott in die Dun­kel­heit und in die Grau­sam­keit unse­rer Welt hin­ein­ge­kom­men ist. Schutz­los als Säug­ling und dass dort die gro­ße Geschich­te begon­nen hat, als Gott mit Chris­tus anfing, unse­re Welt in Ord­nung zu bringen.

Weih­nach­ten ist mehr als eine Erin­ne­rung der Hoff­nung, son­dern viel­mehr deren Grund­la­ge, “denn euch ist heu­te der Hei­land gebo­ren, wel­cher ist Chris­tus, der Herr, in der Stadt Davids.” (Lk 2,11)


Keine Logos-News mehr verpassen!

Johannes Traichel

Über den Autor

Johannes Traichel ist Pastor der FeG in Donaueschingen.
Der Theologe verfasste die Bücher "Die christliche Taufe" (2020) und "Evangelikale und Homosexualität" (2022). Hinzu kommen Aufsätze in Themenbänden, die sich mit der Systematischen Theologie beschäftigen.
Dazu ist Traichel ein begeisterter und leidenschaftlicher Kaffeetrinker.

Kommentar hinterlassen

Your email address will not be published. Required fields are marked

  1. Ein sehr guter Arti­kel, wel­cher mir zum einen vie­le neue Fak­ten über die Zeit Jesu auf­ge­zeigt hat (und mich somit auch moti­viert hat, mich selbst inten­si­ver mit den geschicht­li­chen Hin­ter­grün­den aus­ein­an­der­zu­set­zen) und zum ande­ren sehr gut die Erlö­sungs­be­dürf­tig­keit der Mensch­heit auf­ge­zeigt hat. Und die­se ist in der heu­ti­gen Zeit nicht gerin­ger als damals, als der Hei­land gebo­ren wurde.

    Fro­he Weihnachten.

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Logos Basic jetzt auf deutsch herunterladen

Kostenfrei - Bibelstudium wie nie zuvor!