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Die Welt in die Christus hineingeboren wurde
Die Weihnachtszeit gilt als eine Zeit für die Familie, in der Frieden und Gemeinschaft vorherrscht. Familien sitzen an Weihnachten bei einem guten Braten und in einer gemütlichen Atmosphäre zusammen. Es werden klassische und moderne Weihnachtslieder gehört und gesungen. Es wird vom Frieden auf der Erde geträumt und gepredigt.
Glühwein wird literweise vernichtet. Das Feuer im Kamin brennt trotz der Energiekrise gut und warm. Der mehr oder weniger geschmackvoll dekorierte Weihnachtsbaum tut sein Übriges, um eine weihnachtliche Atmosphäre zu schaffen. Es ist eine Wohlfühlzeit mit hohen Erwartungen und immer erschüttert durch die Realität.
Über das Kind in der Krippe, Hirten auf dem Feld und süße, watteartige Engel mit heller Stimme kursieren romantische Vorstellungen. Und ja, es sind in der Tat inkorrekte Vorstellungen und zum Teil falsche Illusionen.
Ich möchte Ihnen mit diesem Artikel nicht Ihre Weihnachtsstimmung verderben, ich möchte allerdings eine historische Einordnung der Geschehnisse rund um Christi Geburt vornehmen, die wie eine Art von 3D Brille fungiert und die wahren Ereignisse von Weihnachten deutlich werden lässt.
Eine kleine Vorwarnung möchte ich hier jedoch anbringen: Es kann passieren, dass Ihnen nach diesem Artikel die Weihnachtsgeschichte nicht mehr so angenehm romantisch erscheint und die Plätzchenstimmung durch die Realität verdampft. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie bitte die Bibel oder fragen Ihren Pastor oder einen Theologen Ihres Vertrauens.
Dunkle Zeiten und die Schatten der Vergangenheit
Geboren hinein in eine spannungsreiche Welt
Die Zeit in die Jesus hineingeboren wurde war von deutlich mehr Krisen durchschüttelt als wir sie heute kennen. Es war ein Landstrich in dem sich die Krisen nicht abwechselten und ablösten, sondern in der sich Krisen überlappten, gegenseitig hochkochten und ein unschönes Mit- und Nebeneinander lebten.
Politische Verwerfungen, eine gespaltene Gesellschaft und eine blutgetränkte Vergangenheit lasteten schwer auf dem Land. Die Killermaschinerie des römischen Imperiums war für Unrecht und für Massaker verantwortlich. Der Reichtum war extrem ungerecht verteilt, was für große Spannungen im sozialen Gefüge sorgte. Gerd Theißen und Annette Merz beschreiben diese Zeit wie folgt:
„Galiläa war von tiefen strukturellen Spannungen durchzogen, von Spannungen zwischen Juden und Heiden, Stadt und Land, Reichen und Armen, Herrschern und Beherrschten.“
Der Schatten von Game of Thrones
Wer die Werke von Flavius Josephus liest, wird schnell zum Ergebnis kommen, dass Game of Thrones oder andere kaum zu empfehlende Serien etwas für Anfänger sind. Die wahren politischen Intrigen voller Grausamkeit, Machtgeilheit und Sex finden nicht in Film oder Serien statt. Vielmehr schreibt die Geschichte sie in den dunkelsten Farben.
Die Geschichte beginnt mit der Zeit der Makkabäer. Israel hatte unter den Makkabäern in einem blutigen Unabhängigkeitskrieg die Herrschaft der Griechen abgeschüttelt. Nach einer Zeit der grausamen Unterdrückung erhob sich die Bevölkerung gegen das Régime von Antiochus IV.
Unter Judas Makkabäus wurde gegen die hellenistische Fremdherrschaft eine Art von Guerilla-Krieg geführt. Im Jahr v.Chr. 164 wurde der Tempel befreit und gereinigt. Israel wurde zum ersten Mal seit dem babylonischen Exil wieder unabhängig. Eine Unabhängigkeit, die lediglich knapp 100 Jahre währen sollte.
Diese Unabhängigkeit kann als eine Blaupause für spätere Unabhängigkeitsbestrebungen gesehen werden, welche sich in Revolutionsversuchen äußerten und schlussendlich im großen jüdisch-römischen Krieg mündete.
Zurück zur Makkabäerzeit. Aus dem Geschlecht der Makkabäer wurden Priesterkönige eingesetzt. Die religiöse und die weltliche Macht wurden miteinander verschmolzen (gegen das alttestamentliche Gesetz, das hier eine Gewaltenteilung vorsah).
Die Zeit war aber keine Zeit des Friedens. Das Reich Israel erreichte mit der Zeit eine große Ausdehnung und war politisch durchaus erfolgreich. Im Inneren des Reiches gab es aber Intrigen und Machkämpfe die grausam geführt wurden.
Die Herrschaft Roms
Rom herrschte mittels verschiedener Formen erst seit 63 v.Chr. über Israel. Schuld daran war ein Mephisto-Pakt zwischen Jerusalem und Rom in den 60er Jahren vor Christus. Mit Rom ging Israel quasi einen Pakt mit dem Teufel ein, aus dem sie nicht mehr rauskommen sollten.
Während der Herrschaft der Makkabäer verbündete sich das unabhängige Reich mit Rom. Als dann zwei Prinzen-Brüder sich nicht einigen konnten, wer die Macht als König bekommen sollte, begannen sie damit, einen blutigen Bürgerkrieg zu führen. Beide riefen nach Rom um Hilfe.
Rom kam um zu bleiben und besetzte seitdem das Land und gliederte es langfristig in sein Imperium ein. Sogar der Tempel wurde 63 v.Chr. durch den römischen Feldherrn Pompeius entweiht; er ging einfach in das Allerheiligste des Tempels hinein. Rom war seitdem völlig humorlos, was bereits geringste Versuche zur Unabhängigkeit betraf.
Aufstände wurden durch Massenkreuzigungen blutig niedergeschlagen. Das Imperium schlug erbarmungslos zu und zurück. Eine interessante Wendung nahm die Geschichte von Pompeius für die Juden der Zeit damals, als dieser mehrere Jahre nach seiner Tempelentweihung seinen Kopf los wurde. Dies sahen einige Juden als eine Strafe Gottes an.
Der britische Neutestamentler Nicolas Thomas Wright schreibt in seinem Werk „Das Neue Testament und das Volk Gottes“:
„Die Römer erbten die Verachtung gegenüber Babylon und Antiochus, die Verachtung der ganzen eindringenden hellenistischen Kultur. Sie schafften es, die Lage noch dadurch zu verschlimmern, dass sie (so erschien es den meisten Juden) mit einer unsensiblen Arroganz regierten, die ständig an die Art von Provokation grenze, die zur Rebellion reizt.“
Es muss einer kommen: Die Messiashoffnung
Die Zeit war Messias-Schwanger. Im wahrsten Sinn des Wortes.
Es gab die Hoffnungen, die im Alten Testament formuliert wurden. Diese wurden wachgehalten. Dass Gott selbst sein Reich aufrichten würde, war durch die Propheten vorhergesagt worden (Jes 2,2–4; Micha 4,15 usw.). Eine endzeitliche Heilszeit wurde erwartet.
Alle Völker sollten sich zu Gott wenden und die Welt erfüllt werden von der Erkenntnis Gottes, sowie Wasser die Meere bedecken (Jes 56,1–8; Sacharja 2,19–15 und 9,5–7). Damit gab es auch die Hoffnung auf einen messianischen König, der ein Nachfahre des berühmten Königs Davids sein wird (2. Samuel 7,12–16; Jesaja 11,1 und Jeremia 33,15).
Dieser Messias sollte sein Reich aufrichten (Daniel 7,12–16 und 27). In diesem Reich Gottes wird Gott Heil schaffen und die Schöpfung in ihrer Gesamtheit in Ordnung bringen (Jesaja 24–27; 52,7–60; 60 und 65; Sacharja 14 und Maleachi 1,14). Der endgültige Sieg über das Böse wird angekündigt und beschrieben. Alle Feinde Gottes sollten vernichtet werden (Micha 5,8–14 und Zefanja 2,9–13).
Die Art, wie die Menschen auf den Messias hofften, war durchaus vielseitig. Während die Essener sich in die Einsamkeit zurückzogen und eine Gegengesellschaft bildeten, erhofften die Pharisäer diese Zeit durch eine strikte Einhaltung des Gesetzes herbeizuführen. Aufrührerische Gruppen (die später Zeloten genannt wurden) wollten die Sache selbst in die Hand nehmen und erwarteten Gottes Eingreifen erst dann, wenn sie selbst zu den Waffen griffen.
Herodes und die Weihnachtsgeschichte
Ein König der Gegensätze
Herodes war ein König der Gegensätzlichkeit. Er war eine Mischung aus genial und grausam, spendabel und paranoid. Die Römer hatten Herodes den Großen als König eingesetzt. Er sollte dort in einer schwierigen Gegend für Ordnung sorgen und Ruhe schaffen. Ansonsten hatte er aber viel Narrenfreiheit. In einer Zeit, in der das römische Imperium auf dem Zenit seiner Macht war. Es galt als unbesiegbar.
Rom setzte diesen Herodes als König über Israel ein. Er war ein Vasall von Roms Gnaden. Dieser Herodes, es gab viele mit dem Namen, wurde Herodes der Große genannt. Er regierte zur Zeit von Jesu Geburt. Insgesamt regierte er über 30 Jahre. Von seiner Herkunft wegen war er schon nicht sonderlich beliebt.
Herodes war kein Nachkomme Davids, des eigentlichen Herrschergeschlechts. Seine Mutter war vermutlich eine Araberin, sein Vater war ein Idumäer, als ein Nachfahre der Edomiter, welche auf Esau zurückgeführt werden. Unter den Makkabäern wurden die Edomiter in den jüdischen Glauben eingegliedert.
Der paranoide König: Herodes
Herodes war der Inbegriff eines paranoiden Despoten. Er regierte grausam und war gleichzeitig genial. Genial war er in seinen Bauprojekten. Prestige Projekte konnte er so überall aus dem Boden stampfen. Bei Herodes dem Großen gab es kein PR Desaster wie bei manch einem Flughafenbau in der jüngeren Geschichte eines führenden europäischen Industrielandes.
Den Tempel ließ er völlig erneuern und quasi neu bauen. Er finanzierte die Olympischen Spiele. Im ganzen Land veranlasste er Bauprojekte. Eine besondere Erwähnung verdient noch den Ausbau einer schwer einnehmbaren Wüstenfestung in Massada, welche im Jüdischen Krieg eine besondere Bedeutung noch erhalten sollte.
Gleichzeitig war er auch grausam. Selbstverständlich gegen seine Feinde, aber auch gegenüber Freunden und sogar gegenüber seinen Familienangehörigen, die vielleicht einmal etwas gegen ihn gehabt haben könnten, unter Umständen, die möglicherweise einmal eintreten würden. In seinem Herrschaftsgebiet war klar: Ein Herodes teilt seine Macht mit niemandem.
Er war das Gesetz. Er entschied. Einen Widerspruch duldete er nicht. Dort, wo er seine Macht in Gefahr sah, schlug die eiserne Faust seines Apparats brutal zu. Zumeist mit der politischen Waffe des Mordes. Dies musste auch seine Frau erleiden. Herodes hatte zwar 10 Frauen, aber eine von ihnen war seine Lieblingsfrau. Ihr Name war Mariamne.
Herodes tötliche Liebschaft
Marianne war eine jüdische Venus. Eine Prinzessin aus der Makkabäer-Dynastie, der Sippe der früheren Könige von Israel. Für diese Schönheit war er Feuer und Flamme. Allerdings galt dies nicht für ihren Bruder. Er befürchtet, dass dieser ihm einmal, vielleicht, unter Umständen, wenn sich für ihn die Gelegenheit ergeben sollte, zum Rivalen werden könnte. Denn was wäre schließlich, wenn?
Daher ließ er ihn kurzerhand umbringen. Sein Motto lautete: Ein Mensch, ein Problem – ein toter Mensch, kein Problem. Seine Frau Mariamne fand das verständlicherweise gar nicht in Ordnung und machte aus der Ehe eine WG. Sie trat also in den Sex-Streik. Herodes, der davon nicht sonderlich begeistert sein dürfte, ließ sie später im Streit hinrichten.
Wohlgemerkt seine ehemalige Lieblingsfrau. Das ist übrigens die schlechteste Form der Konfliktbewältigung überhaupt. Die beiden Kinder, die er mit ihr hatte, mussten auch noch sterben. Denn was wäre, wenn sie ihre Mutter hätten rächen wollen?
Kaiser Augustus soll über Herodes gesagt haben: “An seinem Hof ist es besser, ein Schwein zu sein, als einer seiner Söhne.” Schließlich ernährte sich König Herodes Koscher und verzichtete auf Schweinefleisch. Das war immerhin ein Bereich, an dem er sich an die alttestamentlichen Gebote hielt.
Der klebende Geruch des Todes
Herodes war ein Despot, der überall Feinde sah. Man kann mit Fug und Recht von einem paranoiden König sprechen. Übrigens, einen dritten Sohn ließ er auch noch ermorden. Als einige seiner Angestellten dies zu kritisieren wagten, ließ er hunderte Offiziere töten. Kritik war unerwünscht.
Auch gegen die Bevölkerung wütet er brutal. Als es Demonstrationen gegen einen römischen Adler auf dem Tempel gab, den Herodes hatte anbringen lassen, ließ er die Anführer, die den Adler abgehängt hatten, verbrennen.
Als Herodes der Große dann schwer krank wurde (vermutlich hatte er Darmkrebs) und sich auf das Sterben vorbereiten sollte, hatte er die Befürchtung, dass sein Tod Jubelstürme in Israel auslösen könnten. Das war für ihn ein Alptraum.
Keiner sollte sich an dem Tag seines Todes freuen. Deswegen befahl er, dass viele jüdische Prominente gefangen genommen werden sollten, um an seinem Todestag abgeschlachtet zu werden. So sollte das Volk seinen Todestag betrauern und es verhindert werden, dass dieser Tag als Fest gefeiert wird. Dieser Befehl wurde von seinen Offizieren glücklicherweise nicht vollstreckt.
Übrigens: Weil Herodes so ein gefährlicher Despot war, flohen viele Bürger aus Israel nach Ägypten. In Alexandria gab es eine große jüdische Community.
Herodes: Der Kindermörder von Bethlehem?
Eng mit der Weihnachtsgeschichte verbunden ist der Kindermord in Bethlehem. Der Evangelist Matthäus berichtet davon. Da Herodes Jesus nicht als Kind direkt töten kann, lässt er pauschal alle Kinder in der Altersklasse von unter zwei Jahren umbringen.
Die Historizität dieses Berichtes wurde immer wieder angezweifelt. Dies hängt unter anderem auch damit zusammen, dass zeitgenössische Quellen diesen Kindermord nicht erwähnen. Der Exeget Ulrich Luz schreibt in seinem Evangelisch-Katholischen Kommentar zu Matthäus:
„Weder die sattsam bekannte Grausamkeit des Herodes noch die Tatsache, daß Ägypten immer schon Zufluchtsort für Verfolgte in Israel gewesen ist helfen viel […] Einzelheiten bleiben historisch unverständlich, etwa, warum der schlaue Fuchs Herodes so lange wartet, bis ihm nur noch ein politisch unkluger Massenmord übrigblieb. Unsere Geschichte hängt außerdem an der vermutlich unhistorischen Tradition von der Geburt Jesus in Bethlehem.”
In seinem Kommentar „Matthäus für Heute“ schreibt der anglikanische Theologe N. T. Wright allerdings zu dieser Frage:
„Herodes der Große dachte sich nichts dabei, Mitglieder seiner eigenen Familie zu ermorden. Wenn er Menschen verdächtigte, Pläne gegen ihn zu schmieden, ließ er sie einfach umbringen, sogar seine eigene geliebte Frau. Er ordnete noch im Sterben an, man möge die führenden Bürger Jerichos umbringen. Damit wollte er sicherstellen, dass die Menschen an seiner Beerdigung weinen würden. Dieser Herodes würde bei dem Gedanken, viele kleine Babys zu töten, weil eines ein Anwärter auf den Königsthron sein könnte, nicht einmal mit der Wimper zucken. Mit seiner Macht hatte auch seine Paranoia zugenommen – keine unbekannte Entwicklung, wie man bei Diktatoren rund um die Welt von damals bis heute feststellen kann.“
Zu beachten ist allerdings, dass Herodes immer sehr weit ging, um seine Macht zu sichern. Skrupel kannte er nicht und Gewissensbisse schien er erfolgreich zu verdrängen. Auch ein Kindermord ist ihm durchaus zuzutrauen. In Bethlehem dürften zu dieser Zeit ungefähr 20–30 Kinder in der Altersklasse gelebt haben.
Dass andere historische Quellen den Kindermord nicht erwähnen, spricht nicht gegen dessen Historizität. Für Herodes wäre solch eine Tat nicht außergewöhnlich und die Tat wäre nicht viel mehr als eine historische Fußnote.
Christus ist geboren! Aber wo?
Geboren in Bethlehem oder Nazareth?
Die Berichte der Evangelien stimmen überein. Jesus ist in Bethlehem geboren und in Nazareth erwachsen geworden.
Mit der Zeit der historisch-kritischen Erforschung der Evangelien kamen Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben auf. In ihrem Lehrbuch „Der historische Jesus“ (welches als ein Standardwerk gilt) kommen die Autoren Gerd Theißen und Annette Merz zu dem Schluss:
„Jesus stammt aus Nazareth. Die Verlagerung des Geburtsortes nach Bethlehem ist ein Ergebnis religiöser Phantasie und Vorstellungskraft: Weil der Messias nach der Schrift in Bethlehem geboren werden mußte, wurde Jesu Geburt dorthin verlegt.“
Kurz gesagt: Für einige Theologen klingen diese Berichte etwas zu fingiert, um die alttestamentliche Prophezeiung zu erfüllen, dass der Messias in Bethlehem geboren wurde. Eng damit zusammen hing auch die Frage, ob in der Zeit von Jesu Geburt wirklich ein Zensus, sprich eine Volkszählung, stattgefunden hatte.
Das spricht für Betlehem
Schließlich berichtet der jüdische Historiker Flavius Josephus erst 6 n. Chr. von einer Volkszählung. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Angaben von Lukas falsch sind. Zum einen unterliefen Flavius Josephus gelegentlich Fehler, was Jahresangaben betraf und zum anderen gab es zahlreiche Volkszählungen in den Jahren vor der Zeitenwende. Augustus schien Zahlen und Statistiken zu mögen.
Zugleich macht auch für Josef ein Umzug vor der Geburt von Nazareth nach Bethlehem Sinn. Die Frau, die er heiraten wollte, Maria, war schwanger. Vor der Eheschließung, was bereits Skandal genug war und zusätzlich wusste er, dass er nicht der Vater war. Bethlehem bot eine gute Gelegenheit, aus diesem Skandal herauszukommen, bzw. dies nicht sichtbar werden zu lassen.
In Nazareth entbrannte in der Zeit, in der Jesus in Betlehem bzw. in Ägypten war, die Lunte einer Katastrophe. Wenn Maria und Joseph tatsächlich nach Bethlehem gingen (wovon ich ausgehe), dann rettete dies ihnen unter Umständen sogar das Leben. In Galiläa gab es nach dem Tod von Herodes dem Großen Aufstände.
Auch in Nazareth ist die Stimmung revolutionär. Die Wut und der Frust der Bevölkerung entlädt sich mit Gewalt. Der römische Feldherr Varus schlägt diese Aufstände mit äußerster Brutalität nieder. Rom setzte sein Militär als Killermaschine ein.
Massaker rund um Nazareth (und vermutlich auch in Nazareth) wurden begangen, Abertausende Menschen wurden versklavt. Es war übrigens der Varus, der später im Kampf mit den Germanen seinen Kopf verlieren sollte.
Lassen wir den Stall im Haus?
In traditionellen Darstellungen wird Jesus außerhalb der Häuser in einem Stall oder einer Stallhöhle zur Welt gebracht. Nach dem biblischen Zeugnis wurde er im Stall geboren, aber unsere Vorstellung von diesem Stall könnte falsch sein.
Auf den Weihnachtsmärkten der heutigen Zeit finden wir schöne Nachbildungen von Maria und Josef, mit Jesus in einem (europäischen) Stall. Maria und Josef fanden keine Herberge. Diese Herbergen darf man sich allerdings nicht wie ein heutiges Hotel oder eine Jugendherberge vorstellen. Es ähnelt vielmehr dem, was wir heute als ein Gästezimmer in einem Privathaus kennen.
N. T. Wright schreibt dazu:
„Wir sollten klar vor Augen haben, wo die beiden untergekommen waren. In vielen Krippenspielen sehen wir, wie sie an die Tür einer Gaststätte anklopfen. Weil es dort kein Zimmer mehr für sie gab, bot man ihnen den Stall an, in dem auch Tiere waren. Aber das Wort für „Herberge“ in der traditionellen Übersetzung hat verschiedene Bedeutungen. Wahrscheinlich übernachteten sie im Erdgeschoss eines Hauses, in dem Menschen normalerweise im Obergeschoss lebten. Das Erdgeschoss wurde oft als Stall für die Tiere genutzt – daher die Krippe, die sich dann als Wiege anbot –, aber es steht nirgends, dass tatsächlich Tiere dort waren.“
Auch wenn es nicht gesichert ist, könnte der Stall durchaus im Haus gewesen sein. Ein Futtertrog für Tiere war auch dann vorhanden. Im Israel des 1. Jahrhunderts kam es durchaus vor, dass Haus und Stall eine bauliche Einheit waren.
Besucher ohne Prestige
Die Gratulanten aus der Unterschicht
Die Hirten auf dem Feld waren die ersten Gratulanten. Wir können auch sagen, dass die Unterschicht zu Besuch kommt. Die Arbeit als Hirte war keine romantische Arbeit. Sie war voller Entbehrungen und von der unangenehmen nächtlichen Kälte.
Es war ein Knochenjob der Unterschicht. Es waren auch in der Regel nicht die eigenen Schafe, sondern die Schafe eines gut betuchten Bauers, auf die sie aufzupassen hatten und dem sie auch einen Ausgleich zahlen mussten, wenn ein Schaf verloren ging.
So waren die ersten Besucher nicht die klassischen Gäste einer Königsgeburt, sondern diejenigen, die am Rand der Gesellschaft standen und mit ihren stinkenden Kleidern zum Neugeborenen kamen.
Beschenkt von Heiden
Lassen Sie es mich direkt sagen. Die „Heiligen drei Könige“ hat es nicht gegeben. Ihre Bezeichnung entstand erst 200 Jahre nach Christus. Die Bibel berichtet nicht von Königen, sondern von Magiern aus dem Osten.
Es könnten Angehörige einer persischen Priesterkaste sein, die sich auch mit der Sternkunde und mit der Deutung von Träumen beschäftigen. Einen guten Ruf hatten sie in der jüdischen Kultur eher nicht. Zum Teil wurden sie von Rabbinern als Gotteslästerer bezeichnet.
Wir sehen, die ersten Besucher des Christus waren Menschen von zweifelhaftem Ruf.
Fazit: Eine Welt aus den Fugen
Sie haben sich mit mir auf eine Reise in die Zeit von Weihnachten gemacht. Sollten Sie verklärte Vorstellungen über Weihnachten gehabt haben, dann hoffe ich, dass diese Vorstellungen einen Prozess der Entmythologisierung durchlaufen haben.
Schließlich ist es unmöglich, einerseits die modernen Forschungsergebnissen zu betrachten, d.h. die Geschichte, Quellen wie Josephus und das Wissen über die Lebensrealität der Welt des 1. Jahrhunderts, andererseits aber gleichzeitig an den romantischen Vorstellungswelten der modernen Weihnachtsmarkt-Gefühle festzuhalten.
Und wer es doch tut, muss wissen, dass er der Botschaft von Weihnachten keinen Gefallen tut.
Vielmehr tut sich uns die schonungslose Welt der ersten Weihnacht auf. Eine Welt aus den Fugen. Eine Welt der Dunkelheit. Eine Welt voller Unsicherheit und politischer und sozialer Gewalt. Eine Welt, in der die Grundversorgung nicht für alle gegeben war. Diese Welt war voller Unsicherheiten.
In diese Welt der Intrigen und Gewalt, in eine Gesellschaft, die zerrissen und energiegeladen war, ist Gott in Christus hineingeboren. Gottes Projekt ging mitten in der dunkelsten Dunkelheit in eine neue Phase hinein.
Die Welt, die in der Finsternis lebte, wurde von einem hellen Licht überrascht, aber der Großteil hat es nicht erfasst. Wer es erfasste und sich darauf eingelassen hat, der wurde von Hoffnung überrascht. Und hier entsteht mehr als Hoffnung. Hier bricht ein neues Kapitel der Weltgeschichte an. Die Welt wurde für immer verändert.
Mit dem Bild eines Computers gesprochen: Gottes Königsherrschaft wurde „heruntergeladen” und zwischen dem ersten und zweiten Kommen von Jesus wird dieses „Update” installiert. Noch sind wir in diesem Prozess, aber weil Christus Mensch wurde, haben wir die Perspektive auf die neue Version, die kommen wird.
Weihnachten für heute
Wie geht es Ihnen nach diesem Artikel mit dem Weihnachtsfest? Ich wünsche Ihnen, dass für Sie das, was an Weihnachten wirklich geschehen ist, in einer neuen Schärfe vor Augen steht. Hoffnung, die nicht naiv ist, beginnt mit dem realistischen Blick auf die Welt und einem Gott, der trotzdem handelt.
Sie öffnet eine Perspektive, die gesellschaftliche Unruhen nicht einfach wegwischt, die das Leid und die Not nicht klein redet oder ausklammert, sondern die durch diese Situationen hindurch eine Perspektive hat, durch den, der an der ersten Weihnacht kam und der wiederkommen wird.
Die Gewissheit von Weihnachten ist, dass Gott in die Dunkelheit und in die Grausamkeit unserer Welt hineingekommen ist. Schutzlos als Säugling und dass dort die große Geschichte begonnen hat, als Gott mit Christus anfing, unsere Welt in Ordnung zu bringen.
Weihnachten ist mehr als eine Erinnerung der Hoffnung, sondern vielmehr deren Grundlage, “denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.” (Lk 2,11)
Ein sehr guter Artikel, welcher mir zum einen viele neue Fakten über die Zeit Jesu aufgezeigt hat (und mich somit auch motiviert hat, mich selbst intensiver mit den geschichtlichen Hintergründen auseinanderzusetzen) und zum anderen sehr gut die Erlösungsbedürftigkeit der Menschheit aufgezeigt hat. Und diese ist in der heutigen Zeit nicht geringer als damals, als der Heiland geboren wurde.
Frohe Weihnachten.