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Karl Barth im 3. Reich
Karl Barth gehörte zu der Generation, die gleich zwei Weltkriege erleben mussten (auch wenn er als Schweizer Bürger nicht direkt an Kriegshandlungen beteiligt war). Barth durchlebte ein Jahrhundert in der ein Höllensturz der Zivilisation erfolgte, nachdem zuvor die Katastrophe des 1. Weltkriegs für Millionen sinnlose Tote sorgte. Auf den Höllensturz der Zivilisation sollte anschließend ein Frieden in Form eines kalten Krieges folgen, welcher alles andere als versöhnlich war und bis zu seinem Tod eine unruhige und brisante Zeit darstellte. Nachdem der 1. Weltkrieg bei ihm eine theologische Wende auslöste wurde die Zeit vor und während dem zweiten Weltkrieg zu einer Zeit in der Karl Barth zu einem wichtigen Mahner gegen die antichristliche Ideologie des NS-Regimes und seiner Verbündeten wurde.
Die Situation in Deutschland unter Hitler und die Deutschen Christen
Nach den Wirren der Nachkriegszeit des 1. Weltkriegs und den bewegenden Zeiten der Weimarer Republik, erfolgte die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in Deutschland. Der deutsche Diktator Hitler hatte innerhalb der Evangelischen Kirchen willige Helfer, die ihre Theologie seiner Ideologie anpassten. Besonders sichtbar wurde dies durch die Gruppe der sogenannten „Deutschen Christen“ (DC).
Der Basler Kirchenhistoriker Armin Sirszyn schreibt:
„Weithin sichtbar demaskieren sich die „Deutschen Christen“ im November 1933 an ihrer Generalversammlung im Berliner Sportopalast (20.000 Teilnehmer). Dort wird „die Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus“ abgelehnt, das Alte Testament als ein „Buch von Viehjuden und Zuhältern“ verhöhnt und die „Rückkehr zu einem heldischen Jesus“ gefordert. Nach dieser Sportpalast-Kundgebung weiß nun wirklich jeder, was unter Hitlers „positivem Christentum“ zu verstehen ist.“ (2000 Jahre Kirchengeschichte, S. 841).
Da Adolf Hitler wusste, dass er für seine Ziele die Kirchen gleichschalten und auf Linie bringen musste (oder zum Stillhalten zwingen musste), betrieb er eine aktive Kirchenpolitik. Mit der katholischen Kirche vereinbarte er das sogenannte Konkordat. Bei den evangelischen Landeskirchen war die Herausforderung, dass sie in verschiedenen Landeskirchen organisiert waren. Hitlers Ziel war es, unter dem nationalsozialistischen Pfarrer Ludwig Müller eine einheitliche Reichskirche zu organisieren. Dies scheiterte am Widerstand der Bekennenden Kirche schlussendlich. Allerdings wurden die Kirchen, die nicht auf der NS-Linie waren, unterdrückt und große Teile zum Schweigen gegenüber den Verbrechen der Nazis gebracht, sodass nur viel zu wenige Stimmen gegen das Unrecht erhoben wurden.
Barth und die Bekennende Kirche
Karl Barth war in dieser Zeit ein aufstrebender Theologieprofessor in Deutschland. Barth, der von Anfang an Hitler und die Nationalsozialisten kritisch betrachtete, unterstützte daher die Bekennende Kirche theologisch und maßgeblich. Dauerhaft einflussreich wurde die Barmer Erklärung, welche die Bekenntnisgrundlage der Bekennenden Kirche wurde und welche deutlich die Handschrift von Karl Barth, der sie auch maßgeblich entworfen hatte, durchscheinen ließ. Dessen 1. These lautet:
„Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als können und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“
Der Regensburger Theologieprofessor Hans Schwarz schreibt erklärend hierzu über Barths Sichtweise:
„Es gibt keine natürliche Offenbarung, sei es durch Staat, Ideologie oder geschichtliche Ereignisse, denn Gottes Selbstoffenbarung geschieht nur in dem einen Wort Gottes, in der Heiligen Schrift. Die Nazibewegung und ihr Aufstieg zur Macht kann keine theologische Billigung finden, sondern muss sich der Kritik der Schrift unterwerfen. Dies heißt, dass für Barth die von ihm verkündete Theozentrizität und Christozentrizität nicht nur für Kirche und Theologie galt, sondern die gesamte Geschichte und Welt betraf.“ (Theologie im globalen Kontext, S. 236).
Barths Abschied aus Deutschland
Als von Barth der Treueeid gegenüber Hitler gefordert wurde, verweigerte er diesen. Als er den Treueeid leisten sollte blieb er einfach fern. Barth riet auch anderen den Führereid zu verweigern. Er war nur bereit ihn mit dem Zusatz „soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann“ zu leisten, was aber abgelehnt wurde. Er blieb auch standhaft als zum Hitlergruß in den Vorlesungen aufgefordert wurde und verweigerte auch dies. Im Jahr 1935 erhielt Karl Barth in Deutschland Rede- und Predigtverbot.
Aufgrund seiner Weigerung seinen Eid auf Hitler und damit den unbedingten Gehorsam im gegenüber zu schwören, verlor Barth schließlich seine Professur an der Universität in Bonn. Er legte erfolgreich Berufung gegen diese Entscheidung ein, wurde dann aber anschließend im Jahr 1935 von der Universität in den Ruhestand (ohne Bezüge) versetzt. Zeitnah bekam er das Angebot von der Universität in Basel, an der er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1962 lehren sollte.
Auch in die Schweiz wurde die Familie Barth von Charlotte von Kirschbaum begleitet. Aus der Schweiz heraus kritisierte Barth das Verbrecher-Régime von Hitler weiter. Er rief die Christen zum Widerstand gegen Hitler auf und forderte ab 1938 auch den bewaffneten Widerstand der Christen. Während des Krieges, als sich die Kämpfe in Russland zum Nachteil von Hitler-Deutschland wendete, sah er die vernichtende Niederlage von Nazi-Deutschland in der Schlacht um Stalingrad als ein Gottesurteil an, da das Hitler-Deutschland gegen den Juden Jesus streite.
Das Nazi Régime hatte für Barth ein antichristliches und totalitäres Profil. In seinem Widerstand gegen Hitler und sein Régime war Karl Barth vorbildlich und konsequent. Er hatte eine klare Sicht auf das Übel, dass ihm vor der ideologischen Verführung der Theologie durch die Nazis bewahrte.
Karl Barth in der Nachkriegszeit
Barth als Rufer zur Versöhnung
Nach dem 2. Weltkrieg setzte sich Barth schon früh für die Versöhnung der Welt mit Deutschland ein. Als einer, der mit deutschen Exil-Protestanten zusammenarbeitete, sprach er sich dafür aus, eine neue Bereitschaft und Freundschaft zu den Deutschen zu wagen. Dies sollte aber nicht bedeuten, über die Schuld zu schweigen. Er forderte Hitleranhänger, SS-Soldaten und Gestapo Angehörige, sowie alle, die Kompromisse mit dem Hitler-Régime eingingen oder geschwiegen haben, zur Umkehr auf und dazu die Vergebung von Jesus Christus zu empfangen.
Barth und die Politik
Barth äußerte sich regelmäßig zur politischen Lage. So gründete er unter anderem mit dem bekannten Atheisten Bertrand Russell einen Kongress für nukleare Abrüstung. Auch gegen die Verwendung von Bio- und Chemiewaffen setzte sich Karl Barth deutlich ein. Auch lehnte Barth zusammen mit Gustav Heinemann und Martin Niemöller die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik im Jahr 1950 ab.
Sein Verhältnis zum Kommunismus war allerdings durchaus ambivalent. Karl Barth protestierte gegen die Verhaftung von Pfarrern in der kommunistischen DDR und gegen das Unrecht in den von den Sowjets beherrschten Gebieten. Gleichzeitig war Karl Barth der Meinung, dass der Westen den Kommunismus durch eine „bessere Gerechtigkeit“ abwehren könne. Auf der anderen Seite zeigte sich bei Barth eine gewisse Naivität gegenüber dem sowjetischen Diktator Stalin und seiner Sowjetunion. So sagte Karl Barth im Jahr 1951: „Stalin kann nicht mit Hitler verglichen werden. Er ist ernst zu nehmen. Seinem Kommunismus geht es ja um die soziale Frage.“ (siehe Sirszyn, 2000 Jahre Kirchengeschichte, S. 829f).
Hier darf durchaus vermutet werden, dass Barth nicht über das Ausmaß des Terrors unter Lenin und Stalin informiert war, welchem Millionen Menschen zum grausamen Opfer fielen. So ließ allein Lenin bereits 8000 Geistliche ermorden. Stalin schaffte Millionen Hungertote in der Ukraine durch eine Politik der bewussten Aushungerung in einer künstlich geschaffenen Hungersnot, dem Genozid des Holodomor. Ansonsten wäre Karl Barth wohl kaum zu solch einer Sichtweise fähig gewesen, sondern hätte Stalins roten Terror scharf verurteilen müssen. Hier war der Blick seines früheren Mitstreiters Emil Brunner deutlich schärfer und weitsichtiger, welcher den Kommunismus in der Sowjetunion als einen Totalitarismus bezeichnete, dem die Kirche mit einem klaren „Nein“ zu begegnen habe.
Lebensabend und Tod
Im Jahr 1961, Karl Barth war mittlerweile über 70 Jahre alt geworden, beantragte er erst den Ruhestand. Als Barth im Jahr 1962 seinen Sohn Markus Barth, der in den USA als Professor unterrichtete (Markus Barth schrieb unter anderem ein einflussreiches Buch über die Taufe und einen weit verbreiteten Kommentar zum Brief an die Epheser), besuchte, berichteten die amerikanische Medien groß über seinen Besuch. Unter anderem brachte das „Time magazin“ ihn auf ihre Titelseite.
Karl Barth starb im Dezember 1968 im Alter von 82 Jahren und wurde in einem Familiengrab auf einem Friedhof in Basel beigesetzt. Später sollten in seinem Grab auch seine Frau Nelly und Charlotte von Kirschbaum beigesetzt werden.
Epilog: Karl Barth und andere christliche Strömungen
Pietismus
Karl Barth war sicherlich kein natürlicher Verbündeter des Pietismus. Er scheute sich nicht davor, den Pietismus zu kritisieren, was ihm nicht unbedingt dessen Sympathien einbrachte. (Auch die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ wurde von Karl Barth in einem offenen Brief hinterfragt, wenn nicht gar kritisiert.) Allerdings hatte Karl Barth trotz der Diskrepanz gegenüber dem Pietismus auch viel Wertschätzung von Pietisten erlebt. Als Beispiel soll der pietistische Pfarrer Wilhelm Busch gelten, welcher wegen seinem Protest gegen das Nazi-Régime öfters von der Gestapo verhaftet wurde.
Der Grund für die Wertschätzung von Busch gegenüber Barth war, dass Barth Gott in den Mittelpunkt des Denkens bei seiner Theologie sah. Als dann in den 30ger Jahren Hitler an die Macht kam und Busch mit dem Machtapparat der Nazis Schwierigkeiten bekam, las er eine frisch erschienene Schrift von Barth (Theologische Existenz – heute), in welcher Barth den Pfarrern zurief, dass sie trotz der Machtergreifung weiter predigen sollten, als ob nichts gewesen wäre und Gottes Taten in Christus verkündigen sollen. Barth, so Busch, habe ihm den Weg gezeigt, wie man auf Gott hinweist und Nein zu den Ideologien und falschen Lehren der Nazis sagt.
Freikirchen
Auch im freikirchlichen Bereich hatte Karl Barth während der Zeit des Dritten Reiches positive Impulse gesetzt. Zwar hatte Barth kein wirkliches Interesse mit Freikirchen im Rahmen der bekennenden Kirche zusammenzuarbeiten (siehe hierzu Voigt, Freikirchen in Deutschland, S. 168ff), seine Schriften wirkten dennoch inspirierend. Als Beispiel dürfte der Gemeindepastor und Theologe Werner Schnepper gelten, der im Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG) aktiv war. Er war inspiriert von Barths Theologie der Offenbarung, dass es allein um Gott gehen soll.
Für Schnepper war die Beschäftigung mit Barths Ausführungen eine wichtige Hilfe, um der Verführung durch die Nationalsozialisten zu widerstehen. Schnepper war daher auch ein wichtiger Kämpfer gegen die Ideologie der „Deutschen Christen“ die auch versuchten, im Bund FeG Fuß zu fassen. Schnepper war es auch, der gegen das „Führerprinzip“ Widerspruch erhob.
Römisch-katholische Kirche
Auch der Ende 2022 verstorbene Joseph Ratzinger, der ehemalige Papst Benedikt XVI fand Karl Barth beeindruckend und inspirierend. Noch als junger Professor besuchte Joseph Ratzinger mit seinen Studenten Karl Barth in Basel. Karl Barth war mit Joseph Ratzinger immer wieder in Kontakt und empfahl seinen Studenten, dass sie Joseph Ratzingers Bücher lesen sollten. In seiner Eschatologie griff Ratzinger auch auf Barth zurück und diskutierte seine Positionen (auch wenn Barth in der Frage der Verlorenheit nach dem Gericht zu anderen Ergebnissen als Joseph Ratzinger kam). Auch empfahl Joseph Ratzinger noch die Ausarbeitung von Hans Küng über die Rechtfertigungslehre von Karl Barth, welche ein Plädoyer zu einer ökumenischen Gemeinsamkeit hin war.
Schlussbemerkung
Diese kurzen Begebenheiten können aufzeigen, wie aus den verschiedenen theologischen Gruppen von Barth gelernt werden kann. Barth war ein außerordentlicher Theologe. Nicht alles war gut und nicht alles war schlecht. Es gilt, um die Ausgewogenheit zu wahren, dass die positiven Leistungen nicht mit den negativen Ereignissen geschmälert werden und gleichzeitig können die negativen Ereignisse nicht durch seine positiven Leistungen reingewaschen werden.
Karl Barth war ein großer Theologe im Widerspruch, dessen Werke und Leben heute noch in vielen Bereichen durchaus lehrreich sind, der aber auch Grenzen und seine (moralischen) Fehler hatte. Auf jeden Fall gilt, dass wir heute viel von Barths theologischen Schriften lernen können und dass sein theologisches Erbe weiter gelesen, behandelt und diskutiert werden muss. Am Ende kann ich Ulrich Wilckens zustimmen und ihm das letzte Wort in diesem Artikel geben, wenn dieser schreibt:
„Dem Gesamtwerk Barths kann man hohe Achtung nicht versagen. Es ist von zentraler Bedeutung als einer der beiden Pole der tiefgreifenden Wende in der Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts.“ (Theologie des Neuen Testaments, Band III, Historische Kritik der historisch-kritischen Exegese, S. 335).
Einladung zur Panel-Diskussion
Am 25.4.2023 haben wir einige besondere Gäste geladen, mit welchen wir über Karl Barth und seinen Einfluss sprechen werden. Melden Sie sich hier an und folgen Sie unserem YouTube Kanal für mehr Informationen.
ich finde es verwirrend, dass Barth quasi zwei Frauen hatte
Danke für Ihre Rückmeldung!
Darauf gehe ich in dem ersten Artikel etwas ein:
https://deutsch.logos.com/karl-barth-ein-grosser-theologe-mit-licht-und-schatten‑1–2/
Ausführlich beschäftigt sich auch Christiane Tietz damit in ihrem Buch: „Karl Barth: Ein Leben im Widerspruch”.