Nach 60 Jahren: Neue Qumran-Höhle am Toten Meer gefunden

Von Benjamin Misja

Bibel, Craig Evans, Qumran, Randall Price, Schriftrollen vom Toten Meer, Tipps
Februar 9, 2017

Die zwölfte Höhle von Qumran

Von Prof. Craig A. Evans

Die bis­lang letz­te der elf Qum­ran-Höh­len wur­de 1956 ent­deckt – elf Höh­len, in denen sich neben den berühm­ten Schrift­rol­len vom Toten Meer Kera­mik­ge­fä­ße und eini­ge wei­te­re Fund­stü­cke fanden.

Sech­zig Jah­re lang haben Archäo­lo­gen und Plün­de­rer nach einer zwölf­ten Höh­le gesucht. Wür­de eine wei­te­re je ans Licht kom­men? Die Meis­ten waren skep­tisch. Gera­de das macht die Bekannt­ma­chung der Hebräi­schen Uni­ver­si­tät Jeru­sa­lem so erstaun­lich: Man hat eine zwölf­te Höh­le gefunden!

Man ist nie zu alt für den Sandkasten…

Zu dem Team, das den Fund mach­te, gehör­te auch der Archäo­lo­ge Rand­all Pri­ce, der heu­te an der Liber­ty Uni­ver­si­ty lehrt. Eine im Jahr 1993 für kur­ze Zeit erkun­de­te Höh­le – Höh­le 53 – weck­te sei­ne Aufmerksamkeit.

Im ver­gan­ge­nen Jahr erhielt Pri­ce die Geneh­mi­gung, in der Höh­le Gra­bun­gen durch­zu­füh­ren. Im Janu­ar die­sen Jah­res mach­te er sich mit Oren Gut­feld, Ahi­ad Ova­dia von der Hebräi­schen Uni­ver­si­tät und eini­gen Frei­wil­li­gen ans Werk.

Unter den Frei­wil­li­gen war auch der fünf­und­sech­zig­jäh­ri­ge Prä­si­dent des Muse­ums der Bibel in Washing­ton, Cary Sum­mers. Die umfang­rei­che Samm­lung von Expo­na­ten des Bibel­mu­se­ums in der ame­ri­ka­ni­schen Haupt­stadt wer­den der Öffent­lich­keit ab Novem­ber zugäng­lich sein.

Man ist nie zu alt, um im Sand zu spie­len”, sag­te mir Sum­mers kürz­lich in einer Email. Da ich selbst Vete­ran zahl­rei­cher Gra­bun­gen als Frei­wil­li­ger bin, weiß ich genau, was er meint! Und wie sich her­aus­stell­te, hat­te sich Herr Sum­mers genau die rich­ti­ge Stel­le als Sand­kas­ten ausgesucht.

Der Fund in Höhle 12

Pri­ce und sein Team mach­ten einen äußerst bedeut­sa­men Fund. Obwohl die Höh­le, die der Archäo­lo­ge und sein Team aus­gru­ben, bereits geplün­dert wor­den war (die Plün­de­rer hat­ten sogar eini­ge Spitz­ha­cken zurück­ge­las­sen), lie­fert ihre Ent­de­ckung wich­ti­ge Erkenntnisse.

Pri­ce und sei­ne Hel­fer fan­den näm­lich sechs Ton­ge­fä­ße, die gro­ße Ähn­lich­kei­ten mit Fun­den aus meh­re­ren ande­ren Qum­ran-Höh­len auf­wie­sen. Die Gefä­ße waren zu dem Zweck her­ge­stellt, Schrift­rol­len dar­in aufzubewahren.

Dass etli­che der bis­her bekann­ten Rol­len in so gutem Zustand sind, stützt die ver­brei­te­te Annah­me, dass die­se Gefä­ße tat­säch­lich dazu bestimmt waren. Die meis­ten die­ser Behält­nis­se sind heu­te in Jeru­sa­lem und Bet­le­hem aus­ge­stellt. Zwar gibt es eini­ge Skep­ti­ker, aber die meis­ten Fach­leu­te glau­ben, dass die­se Ton­ge­fä­ße ein­mal vie­le der Schrift­rol­len vom Toten Meer enthielten.

Antike Quellen bezeugen die Schriftrollenbehälter

Tat­säch­lich gibt es sogar anti­ke Quel­len, die erwäh­nen, dass Kera­mik­ge­fä­ße zu die­sem Zweck benutzt wur­den. So erhielt der Pro­phet Jere­mia die Anwei­sung: „Nimm die­se Brie­fe, den ver­sie­gel­ten Kauf­brief samt die­ser offe­nen Abschrift, und lege sie in ein irde­nes Gefäß, dass sie lan­ge erhal­ten blei­ben.” (Jer 32,14)

In einer apo­kry­phen Schrift aus dem 1. Jahr­hun­dert soll Mose eine ihm anver­trau­te Schrift sicher auf­be­wah­ren – eben­falls in irde­nen Gefä­ßen (Him­mel­fahrt des Mose 1,16–17).

Lan­ge vor den Fun­den der Qum­ran-Schrift­rol­len am Toten Meer wur­den in der Gegend anti­ke Schrift­rol­len gefun­den. So berich­tet der Kir­chen­va­ter Euse­bi­us im 4. Jahr­hun­dert, dass Orig­e­nes im 3. Jahr­hun­dert irgend­wie in den Besitz einer bibli­schen Schrift­rol­le gekom­men war, die man in einem Gefäß in Jeri­cho ent­deckt hat­te (Kir­chen­ge­schich­te 6.16.3).

Wir wer­den nie erfah­ren, ob Orig­e­nes’ Bibel­hand­schrift aus der anti­ken Samm­lung stamm­te, die, in Tei­len erhal­ten, zwi­schen 1947 und 1956 in den berühm­ten elf Höh­len bei Qum­ran auf­ge­fun­den wur­de. Den­noch kann der Bericht eines Schrift­rol­len­funds in einem Ton­ge­fäß als Beleg eines ent­spre­chen­den anti­ken Brauchs dienen.

Gibt es eine 13. Höhle?

Ent­ge­gen alle Vor­her­sa­gen schei­nen Pri­ce und sein Team tat­säch­lich eine zwölf­te Höh­le ent­deckt zu haben – davon träu­men Qum­ran-Fach­leu­te seit sech­zig Jah­ren. Und nicht nur das: Pri­ce ver­mu­tet in der Nähe der Rui­nen von Qum­ran sogar eine drei­zehn­te Höhle.

Im Gegen­satz zu der jetzt gefun­de­nen Höh­le 12 wäre der Ein­gang zu der ver­mu­te­ten Höh­le 13 ver­bor­gen – es wäre also gut mög­lich, dass auch Plün­de­rer sie noch nicht ange­tas­tet haben. In die­sem Fall bestün­de sogar die Mög­lich­keit wei­te­rer Textfunde!

Natür­lich kom­men schon seit Jahr­zehn­ten immer wie­der ein­mal neue Schrift­rol­len ans Licht. Viel­fach sind sie im Besitz von Bedui­nen, stam­men also aus der Zeit der ers­ten Fun­de in den 1940er und 1950er Jah­ren. Aus wel­chen Höh­len sol­che Rol­len stam­men, lässt sich dabei meist nicht mehr feststellen.

Pergament, Papyri und Leinen!

Gera­de das macht die von Pri­ce gefun­de­ne Höh­le so bedeut­sam. Es steht zu erwar­ten, dass es sich dabei tat­säch­lich um eine zwölf­te Qum­ran-Höh­le han­delt. Denn neben den sechs töner­nen Schrift­rol­len­be­häl­tern fan­den sich klei­ne Per­ga­ment- und Papy­rus­frag­men­te sowie min­des­tens ein Stück Lei­nen­stoff, in den man Schrift­rol­len ein­wi­ckeln konn­te.

Labor­tests soll­ten eine Ver­bin­dung zwi­schen den Kera­mik­ge­fä­ßen und den Rui­nen in Qum­ran sowie eini­gen wei­te­ren Gefä­ßen aus benach­bar­ten Höh­len erwei­sen. DNA-Tests an den Per­ga­men­ten könn­ten Ver­bin­dun­gen zu ande­ren Schrift­rol­len zuta­ge brin­gen, deren Her­kunft bis­lang im Dun­keln lag. Der Fund der Gefä­ße und des Lei­nen­wi­ckels beweist, dass sich in die­ser Höh­le ein­mal Schrift­rol­len befun­den haben (wie es auch auf Höh­le 8 zutrifft).

Ein wahr­haft erstaun­li­cher Fund! Und viel­leicht darf ich ergän­zen, dass auch Erfor­scher der Urge­schich­te sich für die Arte­fak­te aus der neu­en Qum­ran-Höh­le inter­es­sie­ren dürf­ten. Dar­un­ter fan­den Pri­ce und sei­ne Hel­fer näm­lich auch Gegen­stän­de aus der Jung­stein­zeit, etwa Pfeil­spit­zen und Messer.

Die Schriftrollen verbinden Welten

Bedeu­tend sind die Höh­len, die Rui­nen und die Hand­schrif­ten von Qum­ran auch des­halb, weil sie eine Ver­bin­dung her­stel­len zwi­schen der Welt des Alten Tes­ta­ments und des Juden­tums einer­seits und der Welt Jesu, der frü­hen Kir­che und den Schrif­ten des Neu­en Tes­ta­ments andererseits.

Zudem lie­fern die­se Fun­de in der Nähe des Toten Meers kon­kre­te Bele­ge für hei­li­ge Tex­te. Die Tex­te erleuch­ten die kon­kre­ten Bele­ge, und die kon­kre­ten Bele­ge erleuch­ten die Texte.

So zei­gen uns archäo­lo­gi­sche Erkennt­nis­se, dass die uralten Erzäh­lun­gen unse­rer Hei­li­gen Schrift in einer anti­ken Welt ver­an­kert sind, die es tat­säch­lich so gab, nicht in einer aus­ge­dach­ten, fik­ti­ven Welt.

Die Archäo­lo­gie hat uns in den ver­gan­ge­nen etwa hun­dert Jah­ren mit einer gro­ßen Men­ge alter Tex­te bekannt gemacht. Daher ist es ihr zu ver­dan­ken, dass wir inzwi­schen wis­sen, dass die uralten Tex­te tat­säch­lich von rea­len Men­schen, rea­len Orten und rea­len Ereig­nis­sen berichten.

Digi­ta­le Ver­sio­nen der Qum­ran-Tex­te kön­nen Sie übri­gens in Logos erkun­den – zum Bei­spiel in Logos 6 Gold (Deutsch)! Wei­te­re Infos erhal­ten Sie auf unse­rer eng­li­schen Qum­ran-Info­sei­te.

Das Judentum zur Zeit Jesu

Wei­ter­hin sind die Qum­ran-Schrif­ten bedeut­sam, weil sie Auf­schluss über vie­le Details bestimm­ter Leh­ren Jesu und sei­ner frü­hen Anhän­ger geben.

So spricht eine ara­mäi­sche Rol­le aus Höh­le 4 von der erwar­te­ten Ankunft einer Per­son, die als „Sohn Got­tes”, „Sohn des Höchs­ten” bezeich­net wird und die eine ewi­ge Herr­schaft füh­ren wird. Die Gemein­sam­kei­ten mit der Ankün­di­gung in Lukas 1 sind offensichtlich.

Eine wei­te­re Rol­le aus Höh­le 4 erwar­tet das Kom­men von Got­tes Mes­si­as, der den Blin­den Augen­licht geben, die Ver­letz­ten hei­len, die Toten auf­er­we­cken und den Armen fro­he Bot­schaft ver­kün­den wür­de. Die Par­al­le­len zu Jesu Ent­geg­nung an Johan­nes den Täu­fer sind klar ersichtlich.

Selbst wenn Pau­lus von „Wer­ken des Geset­zes” spricht, fin­den sich dazu wich­ti­ge Par­al­le­len in einem Brief aus Höh­le 4, der das Gesetz the­ma­ti­sier­te. Die Meli­chise­dek-Rol­le aus Höh­le 11 kün­digt die Ankunft eines Men­schen an, der Gott selbst zu sein scheint und über die Macht ver­fügt, Sün­de zu ver­ge­ben, zu hei­len und Satan zu besiegen.

Sol­che Bei­spie­le – es gibt noch weit­aus mehr – machen klar, wie groß die Bedeu­tung die­ser Schrift­rol­len ist.

Eine neu entfachte Kontroverse

Natür­lich wird die­ser ver­blüf­fen­de Fund auch zu neu­en Dis­kus­sio­nen dar­über füh­ren, wem die Schrift­rol­len vom Toten Meer zuste­hen – Isra­el (zur Zeit der ers­ten Fun­de gehör­te Qum­ran zu Jor­da­ni­en) oder den Paläs­ti­nen­sern? Es war die­se erhitzt geführ­te poli­ti­sche Debat­te, die zu dem neu­en Fund führte.

Die orga­ni­sier­te, geneh­mig­te Suche nach Höh­len mit neu­en Tex­ten fand ihren Anfang im Kon­flikt um das West­jor­dan­land und die Befürch­tung, Isra­el könn­te den Zugang zu den berühm­ten Höh­len in der judäi­schen Wüs­te ver­lie­ren, die bis dato über 1.000 Doku­men­te her­vor­ge­bracht haben, dar­un­ter ins­be­son­de­re die erwähn­ten Qum­ran-Schrift­rol­len, die eini­ge für den bedeu­tends­ten archäo­lo­gi­schen Fund des 20. Jahr­hun­derts halten.

Auf­grund die­ser Befürch­tung wur­de 1993 die „Ope­ra­ti­on Scroll” ins Leben geru­fen. Ver­tre­ter der Israe­li­schen Alter­tü­mer­be­hör­de (unter Lei­tung Amir Dro­ris), der israe­li­schen Streit­kräf­te sowie ver­schie­de­ne Archäo­lo­gen und Frei­wil­li­ge began­nen nun an der West­küs­te des Toten Mee­res und wei­ter nörd­lich bei Jeri­cho mit der Erkun­dung und Erfas­sung von Hun­der­ten von Höhlen.

Dabei wur­den zwar ein­zel­ne neue Ent­de­ckun­gen gemacht, aber nichts, das auch nur annä­hernd mit einer wei­te­ren Qum­ran-Höh­le ver­gleich­bar wäre.[1]

Neue Schätze, neue Sorgen

Ich bin Dr. Pri­ce zu gro­ßem Dank ver­pflich­tet, dass er mich in die Details sei­ner wich­ti­gen Ent­de­ckung ein­ge­weiht hat. Mit ihm tei­le ich die Hoff­nung, dass Höh­le 12 nicht die letz­te ent­deck­te Qum­ran-Höh­le blei­ben wird.

Wer kann sagen, wel­che neu­en Schät­ze wir noch zuta­ge för­dern wer­den? Und wer kann sagen, wel­che neu­en poli­ti­schen Ver­wick­lun­gen etwa­ige wei­te­re Fun­de her­bei­füh­ren könn­ten? Wir leben in inter­es­san­ten Zeiten.

Über den Autor

Craig A. Evans ist Pro­fes­sor of Chris­ti­an Ori­g­ins an der Hous­ton Bap­tist Uni­ver­si­ty in Süd­te­xas. Evans ist Autor zahl­rei­cher Ver­öf­fent­li­chun­gen zum his­to­ri­schen Jesus, den Qum­ran-Schrift­rol­len und der Archäo­lo­gie. Er pro­mo­vier­te unter Wil­liam Hugh Brown­lee, einem der ers­ten Fach­leu­te, die die Schrift­rol­len zu Gesicht beka­men. Evans gehört der Scho­lars Initia­ti­ve an, die sich der Erfor­schung der bibli­schen Arte­fak­te im Muse­um der Bibel in Washing­ton (USA) wid­met. Evans lehrt zudem meh­re­re aka­de­mi­sche Video­kur­se unse­res „Mobi­le Ed”-Kursprogramms. Zudem ist er in der Doku-Serie Archaeo­lo­gy and Jesus zu sehen.

Die­ser Bei­trag erschien zuerst unter dem Titel Parch­ments found at new­ly dis­co­ver­ed Dead Sea Scrolls Cave 12 auf unse­rem eng­lisch­spra­chi­gen aka­de­mi­schen Blog the­LAB. Für die Über­set­zung haben wir den Text an man­chen Stel­len leicht gekürzt.

Digi­ta­le Ver­sio­nen der Qum­ran-Tex­te kön­nen Sie übri­gens in Logos erkun­den – zum Bei­spiel in Logos 6 Gold (Deutsch)! Wei­te­re Infos erhal­ten Sie auf unse­rer eng­li­schen Qum­ran-Info­sei­te.

[1] Einen Bericht zur „Ope­ra­ti­on Scroll” ver­fasst Neil Asher Sil­ber­man, “Ope­ra­ti­on Scroll,” Archaeo­lo­gy 47/​2 (1994) 27–28; ders., “Ope­ra­ti­on Scroll,” in K. D. Vitel­li (Hg.), Archaeo­lo­gi­cal Ethics (Lon­don: Alta­mi­ra Press, 1996) 132–35.


Keine Logos-News mehr verpassen!

Benjamin Misja

Über den Autor

Benjamin Misja leitet das deutsche Logos-Team.

Kommentar hinterlassen

Your email address will not be published. Required fields are marked

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Logos Basic jetzt auf deutsch herunterladen

Kostenfrei - Bibelstudium wie nie zuvor!