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Wer war Philipp Melanchthon?
Der Reformator Philipp Melanchthon war nicht nur einer der wichtigsten Theologen der Reformation, sondern auch hochgebildeter Humanist. Als Rektor der Wittenberger Universität war er ein Modellgelehrter mit einem gewaltigen Wissensschatz, der Studenten in großen Zahlen in seine Vorlesungen locken konnte. An zahlreichen Schulen und Hochschulen erwirkte er Bildungsreformen im Sinne des Renaissancehumanismus.
Als Pädagoge legte er Wert auf eine intensive Begleitung der Studierenden unter seiner Obhut. Das zeigt sich in einem Studienplan, den der aus Mittelfranken stammende Theologe etwa 1554 für einen polnischen Studenten zusammenstellte.
Für Adrian Chelmicki verfasste er einen geregelten und individuell zugeschnittenen Studienplan. Zu lernen empfahl er ihm „auf jeden Fall die Lehre der Kirche, die Dialektik, die Art und Weise des lateinischen Schreibstils, Griechisch, das Grundgerüst des Hebräischen, Ethik und Grundkenntnisse in der Naturlehre.“
Der junge Pole war also kein Theologiestudent. Ich vermute, er trat zu diesem Zeitpunkt ein Studium der freien Künste an. Dennoch nimmt die Theologie und insbesondere die Lektüre der Bibel darin einen sehr prominenten Platz ein.
Melanchthons Vorgaben zum Bibellesen
“Am Montag und Dienstag beginne frühmorgens mit einem Kapitel aus dem Alten Testament. Lies es in der Abfolge des Textes, um den Gang der Ereignisse zutreffend zu erkennen und um dich mit den Worten der Verse vertraut zu machen. […]
Am Donnerstag und Freitag beginne frühmorgens in der bereits beschriebenen Weise mit einem Kapitel aus dem Alten Testament. […]
Sonnabend und Sonntag gehören der Lektüre des Römerbriefes und der „Loci communes“ (Anm. meinerseits: Die „Loci communes“, ein Werk Melanchthons, war die erste evangelische Dogmatik). An einem jeden Tag aber, am Abend vor dem Schlafengehen, lies ein Kapitel aus dem Neuen Testament sowohl lateinisch als auch griechisch und überlege dabei mit abwägender Sorgfalt die eigentliche Bedeutung der Worte. So erlangst du viel: in der Lehre der Kirche wie in der Kenntnis der griechischen Sprache.”
(Hevorhebungen meinerseits)
Schwerpunkt Römerbrief?
Es fällt auf: Die Bibellektüre ist fest in den Lehrplan integriert. An den meisten Tagen sollte der Student Texte aus beiden Testamenten in ihrem Kontext lesen und sich dabei bemühen, den Sinn des Bibeltexts zu ergründen. Der Römerbrief war Philipp Melanchthon zumindest in diesem Fall so wichtig, dass ihm das ganze Wochenende zu widmen war.
Der Mittwoch ist der einzige Tag, der etwas aus der Reihe fällt. Er sollte ganz dem Studium des Griechischen und der Ethik dienen (bis auf die Abendlesung des Neuen Testaments). Weil auch die tägliche Lektüre des Neuen Testaments sowohl auf Lateinisch als auch auf Griechisch stattfinden sollte, war der junge Pole dadurch dazu herausgefordert, sich jeden Tag mit der Sprache des Neuen Testaments auseinandersetzen. An zwei Tagen die Woche war zudem eine Vorlesung über einen Paulusbrief zu besuchen.
Wie Lernen gelingt
Gleichzeitig stand Melanchthon offensichtlich mit beiden Füßen auf dem Boden der Realität und kannte die Dynamiken der menschlichen Motivation: „Diese Ordnung soll nicht sklavisch befolgt werden. Denn anregende Vorlesungen und eher trockene Stilübungen sollen sich so abwechseln, dass das Studium gewiss zu einem sicheren Abschluss geführt wird.“
Melanchthon war es eben wichtig, dass jeder seiner Schützlinge individuell nach seinen Stärken und Schwächen gefördert würde. Dem Adressaten des Briefs ließ er abgesehen von den beschriebenen Vorgaben denn auch die Wahl, sich unter den Teilgebieten der Wissenschaften auf das zu konzentrieren, „was dem Lebensweg angemessen ist, den du zu gehen dich entschieden hast.“[1]
Individuell und herausfordernd
Gerade vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, welchen Stellenwert der Reformator dem intensiven Bibelstudium im Studienplan Adrian Chelmickis zumaß. Im Vergleich zu seinen detaillierten Vorgaben zum Bibellesen fallen seine Anmerkungen zum Studium der klassischen Autoren, der biblischen Ursprachen, der Naturwissenschaften und der Theologie viel knapper und umrissartiger aus.
Es ist zu vermuten, dass es Melanchthon besonders wichtig war, das geistliche Leben des jungen Studenten auch über die Anforderungen seines Studiums hinaus zu fördern und auf ein festes gewohnheitliches Fundament zu stellen. Gleichzeitig hätte die tägliche Lektüre den Studenten auch akademisch weitergebracht. Melanchthon wusste die richtigen Prioritäten zu setzen.
Den Text „Studienplan für Adrian Chelmicki aus Polen“ und viele weitere von Philipp Melanchthon finden Sie in unserer Melanchthon-Sammlung.
[1] Alle Zitate und die meisten Hintergrundinformationen aus: Melanchthon. Schule und Universität, Philosophie, Geschichte und Politik. Herausgegeben von Michael Beyer, Stefan Rhein, und Günther Wartenberg. 2., korrigierte Auflage. Bd. 1. Melanchthon deutsch. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2011, S. 107–109.
Habe diesen Artikel erst jetzt entdeckt und finde ihn hervorragend! Was wäre aus M. Luther geworden ohne Melanchthon? 16 Jahre meines Lebens verbracht ich in theologischen Ausbildungen. Altgriechisch, Hebräisch, Latein sind ganz wichtig. „Ad Fontes”. Zurück zu den Quellen! Die beste Bibelübersetzung ist die Ursprache. Meine Kenntnisse will ich gerne Logos zur Verfügung stellen. Gut, dass es Euch gibt! Bis dann. Meldet Eusch !!!