Inhalt
- Zum Todestag von Johann Christoph Blumhardt am 25. Februar 1880
- Aus einfachen Verhältnissen
- Pietisten erwarteten das Tausendjährige Reich
- Einblick in die weltweite Missionsarbeit
- 1842 wird für Blumhardt ein besonderes Jahr
- Zwei Jahre Gebetskampf für die kranke Frau
- „Jesus ist Sieger“
- Kritik von vielen Seiten
- Kirchenleitung: Blumhardt darf nicht mehr für Heilungen beten
- Falsche Abschriften mit Übertreibungen
- Einfältiges, schlichtes und schlicht vertrauendes Gebet
- Entscheidend: Die Erneuerung der Gemeinde
- Neuanfang in Bad Boll – ganzheitliche Seelsorge
- Blumhardts soziales und politisches Engagement
- Vom sanktionierten Seelsorger zum Glaubensvorbild
- „…Vorahnung von einer größeren Heilszeit, die noch anbrechen wird…“
- Blumhardt-Gesellschaft und Comic
Zum Todestag von Johann Christoph Blumhardt am 25. Februar 1880
Ein Gastartikel von Norbert Abt
Möttlingen, ein 500-Seelen-Dorf im nördlichen Schwarzwald, geriet 1844 unversehens in den Fokus der Öffentlichkeit. Tausende Menschen kamen sonntags in die evangelische Kirche zum Gottesdienst. Sie wollten Pfarrer Johann Christoph Blumhardt predigen hören, von dem man sagte, dass durch sein Gebet Menschen geheilt und befreit werden.
Aus einfachen Verhältnissen
Dass Johann Christoph Blumhardt eine solche Berühmtheit erlangen würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Der Sohn eines Bäckers kam am 16. Juli 1805 zur Welt und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Seine Mutter war die Tochter eines Schneiders. Er war ein kleiner und eher schmächtiger Junge. Seine Eltern erzogen ihn im christlichen Glauben. Blumhardt wurde schon in seiner Jugend stark vom württembergischen Pietismus geprägt.
Als besonders begabter Schüler durfte Blumhardt aufs Stuttgarter Gymnasium gehen und bekam die Unterrichtskosten erlassen. Ein herzogliches Stipendium ermöglichte ihm das Studium am Evangelisch-Theologischen Seminar in Schöntal. Auch in Tübingen studierte er. Hier lernte er den Dichter Eduard Mörike kennen, mit dem sich eine tiefe Freundschaft entwickelte.
Pietisten erwarteten das Tausendjährige Reich
Es war eine bewegte Zeit, in der Blumhardt aufwuchs: Nur wenige Jahre nach den Umwälzungen der Französischen Revolution, war Deutschland in Teilen von den Franzosen besetzt. Das Land war noch lange keine geeinte Nation und in weiten Teilen war es in Wirtschaft und Gesellschaft von der Landwirtschaft geprägt. Deutschland – das war ein Sammelsurium von vielen kleinen und einigen größeren selbständigen Staaten.
In dieser Zeit gab es unter den bibelgläubigen Pietisten die Erwartung, dass das Tausendjährige Reich bald anbrechen würde, wie es der Pfarrer und Theologe Albrecht Bengel verkündete. Der war zur Geburt Blumhardts zwar schon 50 Jahre tot, doch seine Schriften und Gedanken prägten weiter die pietistischen Kreise in der evangelischen Kirche.
Einblick in die weltweite Missionsarbeit
Nach seinem Examen trat Johann Christoph Blumhardt eine Vikarstelle in Dürrmenz-Mühlacker an. Schon ein Jahr später ging er zum Basler Missionshaus und unterrichtete in den folgenden sieben Jahren (1830–1837) Missionare. Sein Großonkel Gottlieb Blumhardt wirkte hier und hatte ihm die Stelle angeboten. Während dieser Zeit gewann der junge Blumhardt einen ersten Einblick in die weltweite Missionsarbeit. Während seiner Zeit in Basel lernte er auch seine spätere Frau kennen.
Seine nächste Station führte ihn als Pfarrgehilfe nach Iptingen (bei Vaihingen/Enz). Hier fanden seine Predigten großen Zuspruch, viele Menschen kamen zu seinen Gottesdiensten. Es gelang ihm auch die Anhänger des separatistischen Webers Johann Georg Rapp wieder in die Landeskirche zu integrieren. Rapp war die Führungsfigur einer radikal-pietistischen Gruppe, wie es sie viele im Land gab. Ihnen war der Glaube, wie sie ihn in den evangelischen Pfarreien vorfanden zu lau. Johann Georg Rapp wanderte 1803 nach Amerika in die Nähe von Pittsburgh aus, um eine Siedlung für seiner Glaubensgemeinschaft zu gründen. Etwa 700 Gläubige aus Deutschland folgten ihm 1804 /1805. Blumhardt gelang es weitere Anhänger von Rapp wieder an die Landeskirche heranzuführen und von der Auswanderung abzuhalten.
1842 wird für Blumhardt ein besonderes Jahr
Im Juli 1838 wurde er zum Pfarrer in Möttlingen (bei Bad Liebenzell) ernannt. Wenige Monate später, im September, heiratete er Doris Köllner, eine Tochter seines Missionsfreundes Karl Köllner. 1842 kam Sohn Christoph Friedrich zur Welt. Er wird wie sein Vater Theologe, führt das Werk des Vaters weiter und wird sich politisch engagieren.
Im gleichen Jahr wurde Pfarrer Blumhardt an das Krankenbett der jungen Frau Gottliebin Dittus aus seiner Gemeinde gerufen. Sie litt an Krämpfen, Ohnmachten und Blutungen. Als sie mit ihren ebenfalls unverheirateten Geschwistern in ein altes Haus umzog, in dem die verstorbenen Vorbewohner verschiedene Arten der Magie praktiziert hatten, fingen ihre Belastungen an. Nun hörte sie Stimmen und hatte Geisterscheinungen. Der behandelnde Arzt ist ratlos und weiß nicht, wie er der jungen Kranken helfen soll.
Zwei Jahre Gebetskampf für die kranke Frau
1842 und 1843 begleitete Johann Christoph Blumhardt die Frau seelsorgerlich, indem er sie immer wieder an Gottes Verheißungen erinnerte und mit ihr betete. Nur Blumhardts Frau Doris und einige wenige Gemeindemitglieder wussten davon und beteten mit. Sie erlebten wie Krankheitsymptome wie Blutungen kamen und wieder verschwanden. Gottlibin Dittus verletzte sich immer wieder selbst; sie erbrach Sand, Glasscherben und verbogene Nägel, aus Kopf und Haut kamen Nadeln, ohne dass eine Wunde zu sehen war. Mehr als einmal versuchte sie sich das Leben zu nehmen.
„Jesus ist Sieger“
Ein Jahr und neun Monate dauerte das kräfteverzehrende Ringen um die junge Frau, das Pfarrer Blumhardt völlig an seine Grenzen bringt. In der Nacht vom 27. Dezember 1843 endet endlich das Leiden der Gottlibin Dittus. Als sie geheilt wird, ruft sie aus: „Jesus ist Sieger“. Diese Worte werden fortan zum Losungswort von Johann Christoph Blumhardt. Nach ihrer Heilung arbeitet Gottlibin Dittus engagiert in der Gemeinde mit: Ab 1844 leitet sie den Kindergarten in Möttlingen. Später ist sie mit Blumhardts Frau für die Hauswirtschaft im Heilbad in Bad Boll verantwortlich, Blumhardts nächste Station.
Kritik von vielen Seiten
Die Vorgänge in Möttlingen fanden in Zeitungsartikeln ihren Niederschlag. Zumeist sind die Berichte im Ton negativ gehalten.
Von evangelischen Pfarrkollegen wird Blumhardt angezeigt. Die vorgesetzte Kirchenbehörde verlangt einen Bericht über die Vorgänge um die Betreuung und Heilung der Frau. Blumhardt schrieb einen Bericht nach bestem Wissen und Gewissen. Ihm war klar, dass seine Darstellung der „Krankheitsgeschichte der Gottliebin Dittus“ auf mehr als nur Unverständnis treffen würde.
Kirchenleitung: Blumhardt darf nicht mehr für Heilungen beten
Die Kirchenleitung sieht sich durch den Bericht von Blumhardt zum Handeln gezwungen. Sie verbietet dem Pfarrer künftig in der Seelsorge weiter für Heilungen zu beten. Der kirchliche Erlass untersagt ihm ausdrücklich, sich als Seelsorger in das Gebiet der Ärzte einzumischen.
Beispielhaft für die Haltung vieler Kritiker ist der Theologe und Arzt Dr. de Valenti. 1849 greift er in seiner Schrift „Die Wunder in Möttlingen“ Pfarrer Blumhardt scharf an, wegen der bekannt gewordenen Heilungen und Befreiungen. Der „ordentliche Weg“ hätte darin bestanden, körperlich Kranke der Obhut von Ärzten zu überlassen und sich als Seelsorger allein auf die Belehrung, Bestrafung und Tröstung zu beschränken, so de Valenti.
Pfarrer Blumhardt will, wie er sich ausdrückt, keine „Gebets-Heilanstalt“, sondern ein Haus, in dem Seelsorge ganzheitlich verstanden und praktiziert wird. Seine Einzelgespräche mit den Hilfesuchenden sind kurz, er legt den Menschen beim Gebet nicht die Hände auf und lädt sie zu seinen Gottesdiensten ein.
Falsche Abschriften mit Übertreibungen
Nach einiger Zeit kursierten verschiedene Abschriften des Berichts von Blumhardt. Sie entstanden wohl aus Sensationslust und ergänzten den Bericht um weitere Details und Erfindungen, um den Gebetskampf und die Heilung noch ungewöhnlicher erscheinen zu lassen. Blumhardt wollte den falschen Berichten entgegentreten:
Er gab 100 lithographierte Exemplare heraus, um so zu verhindern, dass durch immer weiter veränderte Abschriften aus seinem Bericht ein volkstümliches Schauermärchen wird.
Er wollte die ganze Angelegenheit mit Diskretion behandelt wissen, weil in der Zeit unmittelbar nach den beschriebenen Vorfällen noch die Zweifel bei ihm überwogen, ob es wirklich gut und sinnvoll ist, dass eine breite Öffentlichkeit davon erfährt. Doch je älter er wurde, desto stärker wuchs seine Überzeugung, dass sein Bericht von großer Bedeutung für die gesamte Kirche ist.
Einfältiges, schlichtes und schlicht vertrauendes Gebet
Die Macht Christi über das Reich der Finsternis durch einfältiges, schlichtes und schlicht vertrauendes Gebet in Anspruch nehmen, das war Blumhardts pastoraltheologisches Leitmotiv; und die ihm unerschütterliche, „felsenfeste Gewißheit“, dass Jesus in jenem alles entscheidenden Kampf um die Gottliebin Dittus Sieger geblieben ist und in allen anderen solcher Kämpfe auch Sieger bleiben wird, gab ihm immer wieder die Kraft, sich solchem Kampfe zu stellen.
Entscheidend: Die Erneuerung der Gemeinde
Blumhardt lehnte alles Laute und Sensationelle ab. Auch den Fokus auf die „Geisterwelt“ zu setzen war seine Sache nicht. Gottliebins Krankheitsgeschichte sei nicht das, was „Möttlingen” ausmachte. Die zentrale Erfahrung sei das geistliche Neuwerden der Gemeinde. Als einem Diener des Evangeliums sei ihm „nicht befohlen …, von der Zauberei zu reden, sondern einzig davon, ohne alle weitere Auseinandersetzung, dass Christus gekommen ist, die Werke des Teufels zu zerstören (1Joh 3,8). Der Teufel sei immer noch ein Thema, aber nur am Rande. In die Mitte rückte das Motto „Jesus ist Sieger!”
Neuanfang in Bad Boll – ganzheitliche Seelsorge
Ein neues Kapitel schlug Blumhardt mit seinem Wechsel nach Bad Boll auf. Mit Unterstützung von vermögenden Freunden kaufte er 1852 das Schwefelbad in Bad Boll. Künftig hieß es „Königlich Württembergisches Bad für die Oberen Stände“.
Blumhardt will, wie er sich ausdrückt, keine „Gebets-Heilanstalt“, sondern ein Haus, in dem Seelsorge ganzheitlich verstanden und praktiziert wird. Seine Einzelgespräche mit den Hilfesuchenden sind kurz, er legt den Menschen beim Gebet nicht die Hände auf und lädt sie zu seinen Gottesdiensten ein.
Mit der Einrichtung machte sich Blumhardt unabhängig. Er war nicht mehr Angestellter der Kirche und konnte seiner seelsorgerlichen Arbeit so nachgehen, wie es seiner Überzeugung entsprach. Die Heilanstalt zog denn auch Gäste aus ganz Europa an. Blumhardt war Hausvater und Seelsorger der Hausgemeinde. Viele Menschen erlebten hier eine Begegnung mit Gott, einige wurden körperlich geheilt.
Blumhardts soziales und politisches Engagement
Johann Christoph Blumhardt machte aber nicht nur als Pfarrer und Seelsorger von sich reden. Ihm war die Armut vieler seiner Dorfbewohner alles andere als gleichgültig. Auf ihn geht die Gründung einer Vieh-Leihkasse zurück. Außerdem initiierte er eine gewerbliche Spinnstube, sowie das Sammeln und Dörren von Tannensamen. Seine Frau Doris gründete eine Strick- und Nähschule.
Auch die demokratischen Bewegungen seiner Zeit ließen Blumhardt nicht unberührt. Ihm ist es wichtig, dass auch die Leute zu Wort kommen und gehört werden, die nicht über Vermögen und Einfluss verfügen. So regt er Bürgerversammlungen in seiner Region an (im Bereich des Oberamtes Calw), damit die Forderungen der Menschen an die Behörden gelangen. Obwohl er nicht kandidiert, wird er von über tausend Männern (1086) zur Frankfurter Nationalversammlung gewählt, aber Abgeordneter wird er nicht.
Als 1869 die erste württembergischen Landessynode mit ihrer Arbeit beginnt, gehört Blumhardt zu den gewählten Abgeordneten. Durch die Synode werden Pfarrer und Laien erstmals an der Leitung der Kirche beteiligt. Blumhardt engagiert sich in der Synode und stellt Anträge. Außerdem gehört er der Kommission für christliches Leben an.
Vom sanktionierten Seelsorger zum Glaubensvorbild
Zeitlebens ist Pfarrer Blumhardt ein gefragter Prediger und Redner auf missionarischen Veranstaltungen wie Kirchentagen. Er stirbt am 25. Februar 1880 in Bad Boll. Johann Christoph Blumhardts Lied „Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht” (EG 375) dokumentiert den kämpferischen Geist und die Glaubensgewissheit Blumhardts für die er so bekannt wurde.
So kritisch Blumhardts Wirken in Möttlingen von der damaligen Kirchenleitung auch gesehen wurde, so sehr ist der schwäbische Theologe heute für nicht wenige ein geachteter Theologe und ein Glaubensvorbild, der mancher Gemeinde und kirchlichem Haus seinen Namen gab.
„…Vorahnung von einer größeren Heilszeit, die noch anbrechen wird…“
In einer seiner letzten Predigten, zwei Monate vor seinem Tod, sagte Blumhardt über seine Zeit in Möttlingen: „Aber es war eine große Zeit; wer sie gesehen und erlebt hat, muß sagen: Das ist nicht von ungefähr, das ist eine Vorahnung von einer größeren Heilszeit, die noch anbrechen wird, nicht auf eine Gemeinde allein beschränkt …, sondern über die ganze Welt.“
Blumhardt-Gesellschaft und Comic
Die Blumhardt-Gesellschaft e.V. hält in Möttlingen die Erinnerung an Johann Christoph Blumhardt wach. Unter anderem verantwortet sie ein kleines Museum (www.blumhardt-gesellschaft.de).
Die Möttlinger evangelische Kirchengemeinde kam auf eine besondere Idee, um das Leben und Wirken von Johann Christoph Blumhardt in zeitgemäßer Form zu vermitteln: Der evangelische Pfarrer und eine Kunstlehrerin schufen gemeinsam einen Comic über Blumhardt.
Über den Autor: Norbert Abt, Journalist, studierte Politikwissenschaft, Publizistik und Soziologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Seine Magisterarbeit in Politikwissenschaft hatte die Zwei-Reiche-Lehre bei Luther und Augustinus zum Thema.
Bildnachweis:
Porträt von Johann Christoph Blumhardt und Möttlinger evangelische Pfarrkirche: https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Christoph_Blumhardt