In Vergessenheit geraten! Wir sollen die Erde unterwerfen (Gen 1,28). Was ist damit gemeint? In diesem Blog können Sie in 8 Min. lesen, was es bedeutet, die Erde zu unterwerfen und was das mit der Berufung des Menschen zu tun hat. Mit Zitaten einiger großen Theologen unserer Zeit.
Inhalt
- Die Erde unterwerfen – das hebräische Wort für „unterwerfen“
- Die Erde unterwerfen – Gottes Auftrag
- Wie kann Logos mir bei der Exegese helfen?
- Die Erde unterwerfen – der kulturelle Kontext
- Die Erde unterwerfen – die Berufung des Menschen
- Die Erde unterwerfen – Shalom kultivieren
- Die Erde unterwerfen – Gottes Sieg verwirklichen
- Die Erde unterwerfen – offene Fragen
- Bibliografie:
Die Erde unterwerfen – das hebräische Wort für „unterwerfen“
Der Duden definiert „unterwerfen“ als „mit [militärischer] Gewalt unter seine Herrschaft bringen, besiegen und sich untertan machen“.
Der Wortstudie-Assistent liefert in Sekunden eine Grafik, die einen Überblick gibt, wie das Wort in einer selbst ausgewählten Bibelübersetzung übersetzt wird und mehrere Definitionen des hebräischen Wortes für „unterwerfen“, כָּבַשׁ.
PONS übersetzt das Wort mit folgenden Worten: „unter die Herrschaft stellen: sich kümmern, urbar machen Gen 1,28; sich (der Schuld) annehmen, bezwingen Mi 7,19; Sach 9,15; vergewaltigen“ (2015:140).
Strong’s definiert das Wort folgendermaßen: „zertreten, erobern, unterwerfen, vergewaltigen: in Knechtschaft bringen, zwingen, unterdrücken, unterwerfen“ (2009:54).
Die Erde unterwerfen – Gottes Auftrag
Gott hat den Menschen aufgetragen, sich die Erde untertan zu machen. Gibt dieser Auftrag uns Menschen die Erlaubnis, die Erde zu misshandeln, zu „vergewaltigen“? Erlaubt er uns, diese Welt auszubeuten?
Wenn der Vers aus dem Zusammenhang gerissen wird, scheint er den Menschen die Erlaubnis zu geben, die Erde zu misshandeln. Aber nur eine oberflächliche Lektüre, die den kulturellen Kontext außer Acht lässt, erlaubt diese Sichtweise.
Wie kann Logos mir bei der Exegese helfen?
Zuerst habe ich den Bibelstellen-Assistent in Logos genutzt, um mir schnell einen Überblick zu verschaffen, was meine verschiedenen Bibelkommentare über den kulturellen Kontext von Genesis 1,28 sagen.
In einem zweiten Schritt habe ich das Werkzeug „Zitiert von“ genutzt, um zu schauen in welchen meiner Bücher es um Genesis 1:28 geht. Mithilfe einer Ressourcensammlung habe ich meine Suche auf einige bestimmte Bücher eingegrenzt, deren Inhalt mich besonders interessiert hat. Sofort hat Logos mir angezeigt, an welchen Stellen Genesis 1,28 in diesen Büchern diskutiert wird.
Die Erde unterwerfen – der kulturelle Kontext
Direkt bei der Erschaffung des Menschen verkündete Gott die Berufung des Menschen: Der Mensch ist dazu bestimmt, diese Welt gemeinsam mit Gott zu regieren (Gen 1,26–28).
Das Ebenbild Gottes ist mit der Berufung des Menschen verbunden. In der altorientalischen Sichtweise wurden Könige als Ebenbild Gottes verstanden – Könige waren Repräsentanten Gottes in dieser Welt (Wenham 1987:30). Dass Gott alle Menschen nach seinem Bild geschaffen hat und nicht nur die Könige, dürfte für die meisten eine radikal neue Idee gewesen sein.
„Der Träger des Ebenbildes hat Anteil an der Autorität des Abgebildeten, und die Tatsache, dass er das ‚Ebenbild Gottes‘ ist, gab der Menschheit eine Form der Herrschaft über die Welt als Gottes Vertreter“ (Mangum 2012:Gen 1,1–2:3).
Den Menschen wurde die Verantwortung übertragen, diese Welt als Gottes Stellvertreter mit ihm zusammen zu regieren. Gott gab
„eine delegierte Form von Gottes eigener königlicher Autorität über die gesamte Schöpfung an die Menschen weiter“ (Wright, 2006a:426).
Psalm 8,6 (Luther) bestätigt diese Sichtweise:
„Du [Gott] hast ihn [den Menschen] zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan.“
Peters definiert den Auftrag, der den Menschen gegeben wurde, als
„die Verantwortung des Menschen, eine gesunde Kultur aufzubauen, in der der Mensch als wahres menschliches Wesen gemäß der moralischen Ordnung und der schöpferischen Absicht Gottes leben kann“ (1984:140).
Die Erde unterwerfen – die Berufung des Menschen
Nach dem Bild Gottes geschaffen zu sein, ist eine Berufung (Walton 2015:175). Das Verständnis dieser Berufung des Menschen ist entscheidend für das Verständnis der Rolle des Menschen in Gottes Mission und für das richtige Verständnis des Wortes „unterwerfen“.
„Weil der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen ist, ist er König über die Natur. Er regiert die Welt in Gottes Namen.“ (Wenham, 1987:33).
Doch was wurde damals von Königen erwartet?
„Von altorientalischen Königen wurde erwartet, dass sie sich für das Wohlergehen ihrer Untertanen einsetzten, insbesondere für die ärmsten und schwächsten Mitglieder der Gesellschaft (Ps 72,12–14). Indem sie die göttlichen Prinzipien von Recht und Gerechtigkeit aufrechterhielten, förderten die Herrscher Frieden und Wohlstand für alle ihre Untertanen.
In ähnlicher Weise wird der Mensch hier beauftragt, die Natur wie ein wohlwollender König zu regieren, indem er als Gottes Stellvertreter über sie handelt und sie daher genauso behandelt wie Gott, der sie geschaffen hat“ (Wenham 1987:33).
Die Erde unterwerfen – Shalom kultivieren
Könige sollten in einer Weise regieren, die zu Shalom führt. Das hebräische Wort Shalom hat
„die Bedeutung von Ganzheit, Gesundheit und Vollständigkeit“ (Healey, 1992:206).
In diesem Licht müssen wir das Wort „unterwerfen“ verstehen. Gott befahl den Menschen, sich die Erde zu unterwerfen, um Shalom hervorzubringen. Wichtig ist dabei, dass die Menschen sich die Tierwelt und die Erde untertan machen sollten und nicht andere Menschen!
Aber warum verwendet die Bibel ein Verb, das „mit Gewalt unter Kontrolle bringen“ bedeutet?
Der Kontext des gesamten Kapitels hilft uns, eine Antwort zu finden. Die Schöpfung in Genesis 1 ist von den Mächten des Chaos und des Bösen bedroht. Von Anfang an ist das Chaos ein Teil der Schöpfung (Genesis 1,2). Gott schuf diese Welt, indem er das Chaos überwand und seinen Shalom in Eden hervorbrachte.
Dann gab er den Menschen den Auftrag,
„das Werk der Entwicklung fortzusetzen: Indem sie fruchtbar sind, sollen die Menschen die Erde noch mehr füllen; indem sie die Erde unterwerfen, sollen die Menschen sie noch mehr gestalten. Der Mensch, als Gottes Vertreter auf Erden, macht dort weiter, wo Gott aufgehört hat“ (Walton, 2001:136).
So wie Gott das Chaos und das Böse zurückgedrängt hat, müssen wir uns an seinem Werk beteiligen, Shalom hervorzubringen und zu erhalten. Wir können dies tun, indem wir uns die Erde untertan machen. Wir müssen diese Erde beherrschen. Aber das Ziel unserer Unterwerfung ist nicht, der Erde zu schaden, sondern Shalom in dieser Welt herzustellen und zu erhalten.
Zu dieser Aufgabe gehört es, die Mächte des Chaos und des Bösen zurückzudrängen, die sich Gott ständig widersetzen und daher diese Schöpfung bedrohen. Wir drängen die Mächte des Bösen und des Chaos zurück, indem wir das Reich Gottes in dieser Welt errichten.
Die Erde unterwerfen – Gottes Sieg verwirklichen
Das Reich Gottes manifestiert sich überall dort, wo der Wille Gottes getan wird. Der Weg des Reiches Gottes ist geprägt von der selbst aufopfernden Liebe, die Jesus uns durch sein Leben gelehrt hat. Deshalb darf unser Weg des Herrschens und Unterwerfens nicht von Gewalt und Dominanz geprägt sein, sondern von Demut, Dienerschaft und Liebe.
Das ist die Art und Weise, wie Jesus uns vorgelebt hat, was es heißt zu herrschen. Durch sein Leben und seinen Tod hat Jesus die bösen Mächte unterworfen (Kol 1,13; 2,15; 1 Joh 3,8) und uns die Aufgabe gegeben, seinen Sieg über die bösen Mächte in dieser Welt zu manifestieren.
Der Theologe N. T. Wright fasst es so zusammen:
„Das Evangelium ruft die Kirche dazu auf, den Sieg Gottes in der Welt durch selbstlose Liebe zu verwirklichen. Das Kreuz ist nicht nur ein Beispiel, dem man folgen sollte; es ist eine Errungenschaft, die es zu verwirklichen gilt, die in die Praxis umgesetzt werden“ (2006b:62).
Die Erde unterwerfen – offene Fragen
Dies führt uns zu einigen wichtigen Fragen:
Herrschen und unterwerfen wir diese Erde in einer Weise, die Gottes Charakter gut widerspiegelt?
Führt die Art und Weise, wie wir uns die Erde untertan machen, zum Heil für Menschen und Schöpfung oder zu Zerstörung und Schaden?
Was sind die Kräfte des Chaos und des Bösen, die diese Erde jetzt bedrohen und die wir unterwerfen müssen?
Besonders hilfreich bei der Recherche waren diese zwei exzellenten Kommentarreihen, die vollgepackt sind mit Informationen zu dem kulturellen und historischen Hintergrund:
Bibliografie:
Healey, J.P. (1992). ‘Peace: Old Testament’. In: Freedman, D.N. ed., The Anchor Yale Bible Dictionary (Vol. 5). New York: Doubleday.
Mangum, D., Custis, M., and Widder, W. (2012). Genesis 1–11. Bellingham: Lexham Press.
Matheus, F. (2015). In PONS Kompaktwörterbuch Althebräisch: Althebräisch-Deutsch (1. Auflage, S. 140). PONS GmbH.
Peters, G.W. (1984). A biblical theology of missions. E‑Book. Chicago: Moody Press.
Strong, J. (2009). A Concise Dictionary of the Words in the Greek Testament and The Hebrew Bible (Vol. 2). Bellingham, WA: Logos Bible Software.
Walton, J. H. (2001). Genesis. Grand Rapids, MI: Zondervan.
Walton, J.H. (2015). The Lost World of Adam and Eve: Genesis 2–3 and the Human Origins Debate. Downers Grove: IVP Academic: An Imprint of InterVarsity Press.
Wenham, G. J. (1987). Genesis 1–15 (Vol. 1). Dallas: Word, Incorporated.
Wright, C.J.H. (2006a). The Mission of God: Unlocking the Bible’s Grand Narrative. Downers Grove: IVP Academic: An Imprint of InterVarsity Press.
Wright, N. T. (2006b). Evil and the justice of God. London: Society for Promoting Christian Knowledge.