Die Erde unterwerfen? Was bedeutet das und warum ist es wichtig?

Von Manuel Becker

Berufung des Menschen, Erde unterwerfen, Exegese

In Ver­ges­sen­heit gera­ten! Wir sol­len die Erde unter­wer­fen (Gen 1,28). Was ist damit gemeint? In die­sem Blog kön­nen Sie in 8 Min. lesen, was es bedeu­tet, die Erde zu unter­wer­fen und was das mit der Beru­fung des Men­schen zu tun hat. Mit Zita­ten eini­ger gro­ßen Theo­lo­gen unse­rer Zeit. 

Die Erde unterwerfen – das hebräische Wort für „unterwerfen“

Der Duden defi­niert „unter­wer­fen“ als „mit [mili­tä­ri­scher] Gewalt unter sei­ne Herr­schaft brin­gen, besie­gen und sich unter­tan machen“.

Der Wort­stu­die-Assis­tent lie­fert in Sekun­den eine Gra­fik, die einen Über­blick gibt, wie das Wort in einer selbst aus­ge­wähl­ten Bibel­über­set­zung über­setzt wird und meh­re­re Defi­ni­tio­nen des hebräi­schen Wor­tes für „unter­wer­fen“, כָּבַשׁ.

Wortstudie Assistent. Erde unterwerfen. Logos.

PONS über­setzt das Wort mit fol­gen­den Wor­ten: „unter die Herr­schaft stel­len: sich küm­mern, urbar machen Gen 1,28; sich (der Schuld) anneh­men, bezwin­gen Mi 7,19; Sach 9,15; ver­ge­wal­ti­gen“ (2015:140).

Strong’s defi­niert das Wort fol­gen­der­ma­ßen: „zer­tre­ten, erobern, unter­wer­fen, ver­ge­wal­ti­gen: in Knecht­schaft brin­gen, zwin­gen, unter­drü­cken, unter­wer­fen“ (2009:54).

Die Erde unterwerfen – Gottes Auftrag

Gott hat den Men­schen auf­ge­tra­gen, sich die Erde unter­tan zu machen. Gibt die­ser Auf­trag uns Men­schen die Erlaub­nis, die Erde zu miss­han­deln, zu „ver­ge­wal­ti­gen“? Erlaubt er uns, die­se Welt auszubeuten?

Wenn der Vers aus dem Zusam­men­hang geris­sen wird, scheint er den Men­schen die Erlaub­nis zu geben, die Erde zu miss­han­deln. Aber nur eine ober­fläch­li­che Lek­tü­re, die den kul­tu­rel­len Kon­text außer Acht lässt, erlaubt die­se Sichtweise.

Wie kann Logos mir bei der Exegese helfen?

Zuerst habe ich den Bibel­stel­len-Assis­tent in Logos genutzt, um mir schnell einen Über­blick zu ver­schaf­fen, was mei­ne ver­schie­de­nen Bibel­kom­men­ta­re über den kul­tu­rel­len Kon­text von Gene­sis 1,28 sagen.

Bibelstellen-Assistent. Erde unterwerfen. Logos.

In einem zwei­ten Schritt habe ich das Werk­zeug „Zitiert von“ genutzt, um zu schau­en in wel­chen mei­ner Bücher es um Gene­sis 1:28 geht. Mit­hil­fe einer Res­sour­cen­samm­lung habe ich mei­ne Suche auf eini­ge bestimm­te Bücher ein­ge­grenzt, deren Inhalt mich beson­ders inter­es­siert hat. Sofort hat Logos mir ange­zeigt, an wel­chen Stel­len Gene­sis 1,28 in die­sen Büchern dis­ku­tiert wird.

Zitiert von. Erde unterwerfen. Logos.

Die Erde unterwerfen – der kulturelle Kontext

Direkt bei der Erschaf­fung des Men­schen ver­kün­de­te Gott die Beru­fung des Men­schen: Der Mensch ist dazu bestimmt, die­se Welt gemein­sam mit Gott zu regie­ren (Gen 1,26–28).

Das Eben­bild Got­tes ist mit der Beru­fung des Men­schen ver­bun­den. In der alt­ori­en­ta­li­schen Sicht­wei­se wur­den Köni­ge als Eben­bild Got­tes ver­stan­den – Köni­ge waren Reprä­sen­tan­ten Got­tes in die­ser Welt (Wen­ham 1987:30). Dass Gott alle Men­schen nach sei­nem Bild geschaf­fen hat und nicht nur die Köni­ge, dürf­te für die meis­ten eine radi­kal neue Idee gewe­sen sein.

Der Trä­ger des Eben­bil­des hat Anteil an der Auto­ri­tät des Abge­bil­de­ten, und die Tat­sa­che, dass er das ‚Eben­bild Got­tes‘ ist, gab der Mensch­heit eine Form der Herr­schaft über die Welt als Got­tes Ver­tre­ter“ (Man­gum 2012:Gen 1,1–2:3).

Den Men­schen wur­de die Ver­ant­wor­tung über­tra­gen, die­se Welt als Got­tes Stell­ver­tre­ter mit ihm zusam­men zu regie­ren. Gott gab

eine dele­gier­te Form von Got­tes eige­ner könig­li­cher Auto­ri­tät über die gesam­te Schöp­fung an die Men­schen wei­ter“ (Wright, 2006a:426).

Psalm 8,6 (Luther) bestä­tigt die­se Sichtweise:

Du [Gott] hast ihn [den Men­schen] zum Herrn gemacht über dei­ner Hän­de Werk, alles hast du unter sei­ne Füße getan.“

Peters defi­niert den Auf­trag, der den Men­schen gege­ben wur­de, als

die Ver­ant­wor­tung des Men­schen, eine gesun­de Kul­tur auf­zu­bau­en, in der der Mensch als wah­res mensch­li­ches Wesen gemäß der mora­li­schen Ord­nung und der schöp­fe­ri­schen Absicht Got­tes leben kann“ (1984:140).

Die Erde unterwerfen – die Berufung des Menschen

Nach dem Bild Got­tes geschaf­fen zu sein, ist eine Beru­fung (Walt­on 2015:175). Das Ver­ständ­nis die­ser Beru­fung des Men­schen ist ent­schei­dend für das Ver­ständ­nis der Rol­le des Men­schen in Got­tes Mis­si­on und für das rich­ti­ge Ver­ständ­nis des Wor­tes „unter­wer­fen“.

Weil der Mensch nach Got­tes Eben­bild geschaf­fen ist, ist er König über die Natur. Er regiert die Welt in Got­tes Namen.“ (Wen­ham, 1987:33).

Doch was wur­de damals von Köni­gen erwartet?

Von alt­ori­en­ta­li­schen Köni­gen wur­de erwar­tet, dass sie sich für das Wohl­erge­hen ihrer Unter­ta­nen ein­setz­ten, ins­be­son­de­re für die ärms­ten und schwächs­ten Mit­glie­der der Gesell­schaft (Ps 72,12–14). Indem sie die gött­li­chen Prin­zi­pi­en von Recht und Gerech­tig­keit auf­recht­erhiel­ten, för­der­ten die Herr­scher Frie­den und Wohl­stand für alle ihre Untertanen. 

In ähn­li­cher Wei­se wird der Mensch hier beauf­tragt, die Natur wie ein wohl­wol­len­der König zu regie­ren, indem er als Got­tes Stell­ver­tre­ter über sie han­delt und sie daher genau­so behan­delt wie Gott, der sie geschaf­fen hat“ (Wen­ham 1987:33).

Die Erde unterwerfen – Shalom kultivieren

Köni­ge soll­ten in einer Wei­se regie­ren, die zu Shalom führt. Das hebräi­sche Wort Shalom hat

die Bedeu­tung von Ganz­heit, Gesund­heit und Voll­stän­dig­keit“ (Hea­ley, 1992:206).

In die­sem Licht müs­sen wir das Wort „unter­wer­fen“ ver­ste­hen. Gott befahl den Men­schen, sich die Erde zu unter­wer­fen, um Shalom her­vor­zu­brin­gen. Wich­tig ist dabei, dass die Men­schen sich die Tier­welt und die Erde unter­tan machen soll­ten und nicht ande­re Menschen!

Aber war­um ver­wen­det die Bibel ein Verb, das „mit Gewalt unter Kon­trol­le brin­gen“ bedeutet?

Der Kon­text des gesam­ten Kapi­tels hilft uns, eine Ant­wort zu fin­den. Die Schöp­fung in Gene­sis 1 ist von den Mäch­ten des Cha­os und des Bösen bedroht. Von Anfang an ist das Cha­os ein Teil der Schöp­fung (Gene­sis 1,2). Gott schuf die­se Welt, indem er das Cha­os über­wand und sei­nen Shalom in Eden hervorbrachte.

Dann gab er den Men­schen den Auftrag,

das Werk der Ent­wick­lung fort­zu­set­zen: Indem sie frucht­bar sind, sol­len die Men­schen die Erde noch mehr fül­len; indem sie die Erde unter­wer­fen, sol­len die Men­schen sie noch mehr gestal­ten. Der Mensch, als Got­tes Ver­tre­ter auf Erden, macht dort wei­ter, wo Gott auf­ge­hört hat“ (Walt­on, 2001:136).

So wie Gott das Cha­os und das Böse zurück­ge­drängt hat, müs­sen wir uns an sei­nem Werk betei­li­gen, Shalom her­vor­zu­brin­gen und zu erhal­ten. Wir kön­nen dies tun, indem wir uns die Erde unter­tan machen. Wir müs­sen die­se Erde beherr­schen. Aber das Ziel unse­rer Unter­wer­fung ist nicht, der Erde zu scha­den, son­dern Shalom in die­ser Welt her­zu­stel­len und zu erhalten.

Zu die­ser Auf­ga­be gehört es, die Mäch­te des Cha­os und des Bösen zurück­zu­drän­gen, die sich Gott stän­dig wider­set­zen und daher die­se Schöp­fung bedro­hen. Wir drän­gen die Mäch­te des Bösen und des Cha­os zurück, indem wir das Reich Got­tes in die­ser Welt errichten.

Die Erde unterwerfen – Gottes Sieg verwirklichen

Das Reich Got­tes mani­fes­tiert sich über­all dort, wo der Wil­le Got­tes getan wird. Der Weg des Rei­ches Got­tes ist geprägt von der selbst auf­op­fern­den Lie­be, die Jesus uns durch sein Leben gelehrt hat. Des­halb darf unser Weg des Herr­schens und Unter­wer­fens nicht von Gewalt und Domi­nanz geprägt sein, son­dern von Demut, Die­ner­schaft und Liebe.

Das ist die Art und Wei­se, wie Jesus uns vor­ge­lebt hat, was es heißt zu herr­schen. Durch sein Leben und sei­nen Tod hat Jesus die bösen Mäch­te unter­wor­fen (Kol 1,13; 2,15; 1 Joh 3,8) und uns die Auf­ga­be gege­ben, sei­nen Sieg über die bösen Mäch­te in die­ser Welt zu manifestieren.

Der Theo­lo­ge N. T. Wright fasst es so zusammen:

Das Evan­ge­li­um ruft die Kir­che dazu auf, den Sieg Got­tes in der Welt durch selbst­lo­se Lie­be zu ver­wirk­li­chen. Das Kreuz ist nicht nur ein Bei­spiel, dem man fol­gen soll­te; es ist eine Errun­gen­schaft, die es zu ver­wirk­li­chen gilt, die in die Pra­xis umge­setzt wer­den“ (2006b:62).

N.T.Wright. Erde unterwerfen. Logos

Die Erde unterwerfen – offene Fragen

Dies führt uns zu eini­gen wich­ti­gen Fragen:

Herr­schen und unter­wer­fen wir die­se Erde in einer Wei­se, die Got­tes Cha­rak­ter gut widerspiegelt?

Führt die Art und Wei­se, wie wir uns die Erde unter­tan machen, zum Heil für Men­schen und Schöp­fung oder zu Zer­stö­rung und Schaden?

Was sind die Kräf­te des Cha­os und des Bösen, die die­se Erde jetzt bedro­hen und die wir unter­wer­fen müssen?

Beson­ders hilf­reich bei der Recher­che waren die­se zwei exzel­len­ten Kom­men­tar­rei­hen, die voll­ge­packt sind mit Infor­ma­tio­nen zu dem kul­tu­rel­len und his­to­ri­schen Hintergrund:

WBC Logos

NIVAC 44Vols Logos

Bibliografie:

Hea­ley, J.P. (1992). ‘Peace: Old Tes­ta­ment’. In: Freed­man, D.N. ed., The Anchor Yale Bible Dic­tion­a­ry (Vol. 5). New York: Doubleday.

Man­gum, D., Cus­tis, M., and Wid­der, W. (2012). Gene­sis 1–11. Bel­ling­ham: Lex­ham Press.

Matheus, F. (2015). In PONS Kom­pakt­wör­ter­buch Alt­he­brä­isch: Alt­he­brä­isch-Deutsch (1. Auf­la­ge, S. 140). PONS GmbH.

Peters, G.W. (1984). A bibli­cal theo­lo­gy of mis­si­ons. E‑Book. Chi­ca­go: Moo­dy Press.

Strong, J. (2009). A Con­cise Dic­tion­a­ry of the Words in the Greek Tes­ta­ment and The Hebrew Bible (Vol. 2). Bel­ling­ham, WA: Logos Bible Software.

Walt­on, J. H. (2001). Gene­sis. Grand Rapids, MI: Zondervan.

Walt­on, J.H. (2015). The Lost World of Adam and Eve: Gene­sis 2–3 and the Human Ori­g­ins Deba­te. Dow­ners Gro­ve: IVP Aca­de­mic: An Imprint of Inter­Var­si­ty Press.

Wen­ham, G. J. (1987). Gene­sis 1–15 (Vol. 1). Dal­las: Word, Incorporated.

Wright, C.J.H. (2006a). The Mis­si­on of God: Unlo­cking the Bible’s Grand Nar­ra­ti­ve. Dow­ners Gro­ve: IVP Aca­de­mic: An Imprint of Inter­Var­si­ty Press.

Wright, N. T. (2006b). Evil and the jus­ti­ce of God. Lon­don: Socie­ty for Pro­mo­ting Chris­ti­an Knowledge.

Manuel Becker

Über den Autor

Manuel arbeitet als Gemeindegründer unter einer der 25 größten unerreichten Völkergruppen weltweit. Wenn seine 4 Kinder ihn nicht gerade auf Trab halten, dann liebt er es theologische Bücher in seiner freien Zeit zu lesen, zu fotografieren oder seine Logos-Bücherei zu erweitern. Aktuell studiert er nebenher an der Akademie für Weltmission in Korntal und hofft 2023 sein MA-Studium zu beenden. Er ist der Autor von dem beliebten Kinderbuch „Der große Sieg“.

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