Die Erde unterwerfen? Was bedeutet das und warum ist es wichtig?

Von Manuel Becker

Berufung des Menschen, Erde unterwerfen, Exegese
Mai 13, 2022

In Ver­ges­sen­heit gera­ten! Wir sol­len die Erde unter­wer­fen (Gen 1,28). Was ist damit gemeint? In die­sem Blog kön­nen Sie in 8 Min. lesen, was es bedeu­tet, die Erde zu unter­wer­fen und was das mit der Beru­fung des Men­schen zu tun hat. Mit Zita­ten eini­ger gro­ßen Theo­lo­gen unse­rer Zeit. 

Die Erde unterwerfen – das hebräische Wort für „unterwerfen“

Der Duden defi­niert „unter­wer­fen“ als „mit [mili­tä­ri­scher] Gewalt unter sei­ne Herr­schaft brin­gen, besie­gen und sich unter­tan machen“.

Der Wort­stu­die-Assis­tent lie­fert in Sekun­den eine Gra­fik, die einen Über­blick gibt, wie das Wort in einer selbst aus­ge­wähl­ten Bibel­über­set­zung über­setzt wird und meh­re­re Defi­ni­tio­nen des hebräi­schen Wor­tes für „unter­wer­fen“, כָּבַשׁ.

Wortstudie Assistent. Erde unterwerfen. Logos.

PONS über­setzt das Wort mit fol­gen­den Wor­ten: „unter die Herr­schaft stel­len: sich küm­mern, urbar machen Gen 1,28; sich (der Schuld) anneh­men, bezwin­gen Mi 7,19; Sach 9,15; ver­ge­wal­ti­gen“ (2015:140).

Strong’s defi­niert das Wort fol­gen­der­ma­ßen: „zer­tre­ten, erobern, unter­wer­fen, ver­ge­wal­ti­gen: in Knecht­schaft brin­gen, zwin­gen, unter­drü­cken, unter­wer­fen“ (2009:54).

Die Erde unterwerfen – Gottes Auftrag

Gott hat den Men­schen auf­ge­tra­gen, sich die Erde unter­tan zu machen. Gibt die­ser Auf­trag uns Men­schen die Erlaub­nis, die Erde zu miss­han­deln, zu „ver­ge­wal­ti­gen“? Erlaubt er uns, die­se Welt auszubeuten?

Wenn der Vers aus dem Zusam­men­hang geris­sen wird, scheint er den Men­schen die Erlaub­nis zu geben, die Erde zu miss­han­deln. Aber nur eine ober­fläch­li­che Lek­tü­re, die den kul­tu­rel­len Kon­text außer Acht lässt, erlaubt die­se Sichtweise.

Wie kann Logos mir bei der Exegese helfen?

Zuerst habe ich den Bibel­stel­len-Assis­tent in Logos genutzt, um mir schnell einen Über­blick zu ver­schaf­fen, was mei­ne ver­schie­de­nen Bibel­kom­men­ta­re über den kul­tu­rel­len Kon­text von Gene­sis 1,28 sagen.

Bibelstellen-Assistent. Erde unterwerfen. Logos.

In einem zwei­ten Schritt habe ich das Werk­zeug „Zitiert von“ genutzt, um zu schau­en in wel­chen mei­ner Bücher es um Gene­sis 1:28 geht. Mit­hil­fe einer Res­sour­cen­samm­lung habe ich mei­ne Suche auf eini­ge bestimm­te Bücher ein­ge­grenzt, deren Inhalt mich beson­ders inter­es­siert hat. Sofort hat Logos mir ange­zeigt, an wel­chen Stel­len Gene­sis 1,28 in die­sen Büchern dis­ku­tiert wird.

Zitiert von. Erde unterwerfen. Logos.

Die Erde unterwerfen – der kulturelle Kontext

Direkt bei der Erschaf­fung des Men­schen ver­kün­de­te Gott die Beru­fung des Men­schen: Der Mensch ist dazu bestimmt, die­se Welt gemein­sam mit Gott zu regie­ren (Gen 1,26–28).

Das Eben­bild Got­tes ist mit der Beru­fung des Men­schen ver­bun­den. In der alt­ori­en­ta­li­schen Sicht­wei­se wur­den Köni­ge als Eben­bild Got­tes ver­stan­den – Köni­ge waren Reprä­sen­tan­ten Got­tes in die­ser Welt (Wen­ham 1987:30). Dass Gott alle Men­schen nach sei­nem Bild geschaf­fen hat und nicht nur die Köni­ge, dürf­te für die meis­ten eine radi­kal neue Idee gewe­sen sein.

Der Trä­ger des Eben­bil­des hat Anteil an der Auto­ri­tät des Abge­bil­de­ten, und die Tat­sa­che, dass er das ‚Eben­bild Got­tes‘ ist, gab der Mensch­heit eine Form der Herr­schaft über die Welt als Got­tes Ver­tre­ter“ (Man­gum 2012:Gen 1,1–2:3).

Den Men­schen wur­de die Ver­ant­wor­tung über­tra­gen, die­se Welt als Got­tes Stell­ver­tre­ter mit ihm zusam­men zu regie­ren. Gott gab

eine dele­gier­te Form von Got­tes eige­ner könig­li­cher Auto­ri­tät über die gesam­te Schöp­fung an die Men­schen wei­ter“ (Wright, 2006a:426).

Psalm 8,6 (Luther) bestä­tigt die­se Sichtweise:

Du [Gott] hast ihn [den Men­schen] zum Herrn gemacht über dei­ner Hän­de Werk, alles hast du unter sei­ne Füße getan.“

Peters defi­niert den Auf­trag, der den Men­schen gege­ben wur­de, als

die Ver­ant­wor­tung des Men­schen, eine gesun­de Kul­tur auf­zu­bau­en, in der der Mensch als wah­res mensch­li­ches Wesen gemäß der mora­li­schen Ord­nung und der schöp­fe­ri­schen Absicht Got­tes leben kann“ (1984:140).

Die Erde unterwerfen – die Berufung des Menschen

Nach dem Bild Got­tes geschaf­fen zu sein, ist eine Beru­fung (Walt­on 2015:175). Das Ver­ständ­nis die­ser Beru­fung des Men­schen ist ent­schei­dend für das Ver­ständ­nis der Rol­le des Men­schen in Got­tes Mis­si­on und für das rich­ti­ge Ver­ständ­nis des Wor­tes „unter­wer­fen“.

Weil der Mensch nach Got­tes Eben­bild geschaf­fen ist, ist er König über die Natur. Er regiert die Welt in Got­tes Namen.“ (Wen­ham, 1987:33).

Doch was wur­de damals von Köni­gen erwartet?

Von alt­ori­en­ta­li­schen Köni­gen wur­de erwar­tet, dass sie sich für das Wohl­erge­hen ihrer Unter­ta­nen ein­setz­ten, ins­be­son­de­re für die ärms­ten und schwächs­ten Mit­glie­der der Gesell­schaft (Ps 72,12–14). Indem sie die gött­li­chen Prin­zi­pi­en von Recht und Gerech­tig­keit auf­recht­erhiel­ten, för­der­ten die Herr­scher Frie­den und Wohl­stand für alle ihre Untertanen. 

In ähn­li­cher Wei­se wird der Mensch hier beauf­tragt, die Natur wie ein wohl­wol­len­der König zu regie­ren, indem er als Got­tes Stell­ver­tre­ter über sie han­delt und sie daher genau­so behan­delt wie Gott, der sie geschaf­fen hat“ (Wen­ham 1987:33).

Die Erde unterwerfen – Shalom kultivieren

Köni­ge soll­ten in einer Wei­se regie­ren, die zu Shalom führt. Das hebräi­sche Wort Shalom hat

die Bedeu­tung von Ganz­heit, Gesund­heit und Voll­stän­dig­keit“ (Hea­ley, 1992:206).

In die­sem Licht müs­sen wir das Wort „unter­wer­fen“ ver­ste­hen. Gott befahl den Men­schen, sich die Erde zu unter­wer­fen, um Shalom her­vor­zu­brin­gen. Wich­tig ist dabei, dass die Men­schen sich die Tier­welt und die Erde unter­tan machen soll­ten und nicht ande­re Menschen!

Aber war­um ver­wen­det die Bibel ein Verb, das „mit Gewalt unter Kon­trol­le brin­gen“ bedeutet?

Der Kon­text des gesam­ten Kapi­tels hilft uns, eine Ant­wort zu fin­den. Die Schöp­fung in Gene­sis 1 ist von den Mäch­ten des Cha­os und des Bösen bedroht. Von Anfang an ist das Cha­os ein Teil der Schöp­fung (Gene­sis 1,2). Gott schuf die­se Welt, indem er das Cha­os über­wand und sei­nen Shalom in Eden hervorbrachte.

Dann gab er den Men­schen den Auftrag,

das Werk der Ent­wick­lung fort­zu­set­zen: Indem sie frucht­bar sind, sol­len die Men­schen die Erde noch mehr fül­len; indem sie die Erde unter­wer­fen, sol­len die Men­schen sie noch mehr gestal­ten. Der Mensch, als Got­tes Ver­tre­ter auf Erden, macht dort wei­ter, wo Gott auf­ge­hört hat“ (Walt­on, 2001:136).

So wie Gott das Cha­os und das Böse zurück­ge­drängt hat, müs­sen wir uns an sei­nem Werk betei­li­gen, Shalom her­vor­zu­brin­gen und zu erhal­ten. Wir kön­nen dies tun, indem wir uns die Erde unter­tan machen. Wir müs­sen die­se Erde beherr­schen. Aber das Ziel unse­rer Unter­wer­fung ist nicht, der Erde zu scha­den, son­dern Shalom in die­ser Welt her­zu­stel­len und zu erhalten.

Zu die­ser Auf­ga­be gehört es, die Mäch­te des Cha­os und des Bösen zurück­zu­drän­gen, die sich Gott stän­dig wider­set­zen und daher die­se Schöp­fung bedro­hen. Wir drän­gen die Mäch­te des Bösen und des Cha­os zurück, indem wir das Reich Got­tes in die­ser Welt errichten.

Die Erde unterwerfen – Gottes Sieg verwirklichen

Das Reich Got­tes mani­fes­tiert sich über­all dort, wo der Wil­le Got­tes getan wird. Der Weg des Rei­ches Got­tes ist geprägt von der selbst auf­op­fern­den Lie­be, die Jesus uns durch sein Leben gelehrt hat. Des­halb darf unser Weg des Herr­schens und Unter­wer­fens nicht von Gewalt und Domi­nanz geprägt sein, son­dern von Demut, Die­ner­schaft und Liebe.

Das ist die Art und Wei­se, wie Jesus uns vor­ge­lebt hat, was es heißt zu herr­schen. Durch sein Leben und sei­nen Tod hat Jesus die bösen Mäch­te unter­wor­fen (Kol 1,13; 2,15; 1 Joh 3,8) und uns die Auf­ga­be gege­ben, sei­nen Sieg über die bösen Mäch­te in die­ser Welt zu manifestieren.

Der Theo­lo­ge N. T. Wright fasst es so zusammen:

Das Evan­ge­li­um ruft die Kir­che dazu auf, den Sieg Got­tes in der Welt durch selbst­lo­se Lie­be zu ver­wirk­li­chen. Das Kreuz ist nicht nur ein Bei­spiel, dem man fol­gen soll­te; es ist eine Errun­gen­schaft, die es zu ver­wirk­li­chen gilt, die in die Pra­xis umge­setzt wer­den“ (2006b:62).

N.T.Wright. Erde unterwerfen. Logos

Die Erde unterwerfen – offene Fragen

Dies führt uns zu eini­gen wich­ti­gen Fragen:

Herr­schen und unter­wer­fen wir die­se Erde in einer Wei­se, die Got­tes Cha­rak­ter gut widerspiegelt?

Führt die Art und Wei­se, wie wir uns die Erde unter­tan machen, zum Heil für Men­schen und Schöp­fung oder zu Zer­stö­rung und Schaden?

Was sind die Kräf­te des Cha­os und des Bösen, die die­se Erde jetzt bedro­hen und die wir unter­wer­fen müssen?

Beson­ders hilf­reich bei der Recher­che waren die­se zwei exzel­len­ten Kom­men­tar­rei­hen, die voll­ge­packt sind mit Infor­ma­tio­nen zu dem kul­tu­rel­len und his­to­ri­schen Hintergrund:

WBC Logos

NIVAC 44Vols Logos

Bibliografie:

Hea­ley, J.P. (1992). ‘Peace: Old Tes­ta­ment’. In: Freed­man, D.N. ed., The Anchor Yale Bible Dic­tion­a­ry (Vol. 5). New York: Doubleday.

Man­gum, D., Cus­tis, M., and Wid­der, W. (2012). Gene­sis 1–11. Bel­ling­ham: Lex­ham Press.

Matheus, F. (2015). In PONS Kom­pakt­wör­ter­buch Alt­he­brä­isch: Alt­he­brä­isch-Deutsch (1. Auf­la­ge, S. 140). PONS GmbH.

Peters, G.W. (1984). A bibli­cal theo­lo­gy of mis­si­ons. E‑Book. Chi­ca­go: Moo­dy Press.

Strong, J. (2009). A Con­cise Dic­tion­a­ry of the Words in the Greek Tes­ta­ment and The Hebrew Bible (Vol. 2). Bel­ling­ham, WA: Logos Bible Software.

Walt­on, J. H. (2001). Gene­sis. Grand Rapids, MI: Zondervan.

Walt­on, J.H. (2015). The Lost World of Adam and Eve: Gene­sis 2–3 and the Human Ori­g­ins Deba­te. Dow­ners Gro­ve: IVP Aca­de­mic: An Imprint of Inter­Var­si­ty Press.

Wen­ham, G. J. (1987). Gene­sis 1–15 (Vol. 1). Dal­las: Word, Incorporated.

Wright, C.J.H. (2006a). The Mis­si­on of God: Unlo­cking the Bible’s Grand Nar­ra­ti­ve. Dow­ners Gro­ve: IVP Aca­de­mic: An Imprint of Inter­Var­si­ty Press.

Wright, N. T. (2006b). Evil and the jus­ti­ce of God. Lon­don: Socie­ty for Pro­mo­ting Chris­ti­an Knowledge.


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Manuel Becker

Über den Autor

Manuel arbeitet als Gemeindegründer unter einer der 25 größten unerreichten Völkergruppen weltweit. Wenn seine vier Kinder ihn nicht gerade auf Trab halten, liest er gern theologische Bücher oder nutzt Logos, um sich in die Bibel zu vertiefen. Jetzt, wo sein MA-Studium an der Akademie für Weltmission abgeschlossen ist, plant er bald einen PhD in Theologie dranzuhängen. Er ist der Autor des beliebten Kinderbuchs „Der große Sieg“, welches das Evangelium in einer packenden Bildergeschichte für Jung und Alt illustriert.

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