Bonhoeffer: Gemeinsames Leben /​Das Gebetbuch der Bibel

Von martinschroeder

Bonhoeffer, Gemeinsames Leben
August 29, 2019

Zwei Bei­trä­ge Bon­hoef­fers zur geist­li­chen Gemeinschaft

Dietrich Bonhoeffer (1906–1945)

Diet­rich Bon­hoef­fer ist sicher­lich einer der wich­tigs­ten Theo­lo­gen des 20. Jahr­hun­derts. Er stamm­te nicht aus from­mem Eltern­haus, und sei­ne Ent­schei­dung für den Weg der Theo­lo­gie war für sei­ne Fami­lie über­ra­schend. Zeit sei­nes Lebens war das Cha­rak­te­ris­ti­sche an Bon­hoef­fer denn auch sein ori­gi­nel­les Den­ken, das es schwer macht, ihn in eine bestimm­te Glau­bens- und Theo­lo­gie­rich­tung ein­zu­glie­dern. Sei­nen Scharf­sinn und sei­ne Uner­schro­cken­heit zeig­te er schon zwei Tage nach Hit­lers Macht­er­grei­fung wäh­rend einer Radio­an­spra­che zum Füh­rer­be­griff, die wäh­rend der Über­tra­gung vom Sen­der abge­bro­chen wur­de. So war er schon früh im Wider­stand gegen das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Régime und soll­te auch eines sei­ner pro­mi­nen­tes­ten Opfer werden. 

Einen sei­ner Lebens­ab­schnit­te ver­brach­te er als Lei­ter des ille­ga­len Pre­di­ger­se­mi­nars der Beken­nen­den Kir­che, wo er mit sei­nen Stu­den­ten in einer Glau­bens- und Lebens­ge­mein­schaft stand. Von 1935–1937 währ­te die­se Zeit. Einer ihrer Früch­te ist das klei­ne Buch “Gemein­sa­mes Leben /​Das Gebet­buch der Bibel”, das er 1938 in Göt­tin­gen schrieb. Es ist digi­tal für Logos erhält­lich, wie auch sämt­li­che ande­re Wer­ke Bonhoeffers. 

Gemeinsames Leben

Fünf kur­ze Tei­le hat das Büch­lein, das mit einem kur­zen Vor­wort beginnt. In ihm bezeich­net Bon­hoef­fer die Ord­nung des gemein­sa­men Lebens als eine gemein­sa­me kirch­li­che Ver­ant­wor­tung. Das gesam­te Werk besteht zu einem nicht gerin­gen Teil aus bibli­schen Zita­ten, die gleich­sam das Gerüst des Buches bilden. 

1. Gemeinschaft

Es ist nichts Selbst­ver­ständ­li­ches für den Chris­ten, dass er unter Chris­ten leben darf.” Die­ser Satz steht am Anfang des ers­ten Kapi­tels. Gemein­schaft ist eine Vor­weg­nah­me der Ewig­keit, und in der Gemein­schaft der Chris­ten ist Chris­tus in beson­de­rer Wei­se gegen­wär­tig. Bon­hoef­fer teilt das Kapi­tel in drei The­men ein und schreibt dazu: 

Christ­li­che Gemein­schaft heißt Gemein­schaft durch Jesus Chris­tus und in Jesus Chris­tus. Es gibt kei­ne christ­li­che Gemein­schaft, die mehr, und kei­ne, die weni­ger wäre als die­ses. […] Wir gehö­ren ein­an­der allein durch und in Jesus Chris­tus. Was heißt das? Es heißt ers­tens, dass ein Christ den andern braucht um Jesu Chris­ti wil­len. Es heißt zwei­tens, dass ein Christ zum andern nur durch Jesus Chris­tus kommt. Es heißt drit­tens, dass wir in Jesus Chris­tus von Ewig­keit her erwählt, in der Zeit ange­nom­men und für die Ewig­keit ver­ei­nigt sind.” (DBW 5:18). 

Nach­dem er die­se drei Punk­te aus­ge­führt hat, kommt er wie­der­um zu einer wich­ti­gen Aussage: 

Es liegt für die christ­li­che Bru­der­schaft alles dar­an, dass es vom ers­ten Anfang an deut­lich wer­de: Ers­tens, christ­li­che Bru­der­schaft ist kein Ide­al, son­dern eine gött­li­che Wirk­lich­keit. Zwei­tens, christ­li­che Bru­der­schaft ist eine pneu­ma­ti­sche und nicht eine psy­chi­sche Wirk­lich­keit.” (DBW 5,22). 

Die­se zwei­te Aus­sa­ge ist wesent­lich für sei­nen Gemein­schafts­ge­dan­ken: Christ­li­che Gemein­schaft lebt nicht von der Zwi­schen­mensch­lich­keit, von den mensch­li­chen Bemü­hun­gen um Lie­be, Ver­ge­bung, Sym­pa­thie und Gemein­schaft. Der Christ hat sein Gegen­über nicht direkt vor sich, son­dern er hat Gemein­schaft nur durch Jesus Chris­tus und sei­nen Geist. 

2. Der gemeinsame Tag

Mit der Kolos­ser­stel­le “Las­set das Wort Chris­ti reich­lich unter euch woh­nen” (Kol 3,16) begin­nen die Aus­füh­run­gen die­ses Abschnitts. Für Bon­hoef­fer ist es ganz klar, dass die Gemein­schaft unter dem Wort Got­tes steht, und dies äußert sich an ver­schie­de­nen Stel­len des Tages im Fei­ern einer gemein­sa­men Lit­ur­gie. Dazu gehört ers­tens das gemein­sa­me Psalm­ge­bet. “Der Psal­ter ist das stell­ver­tre­ten­de Gebet Chris­ti für sei­ne Gemein­de.” (DBW 5:40). Wir ler­nen aus dem Psal­ter, was Beten heißt, was wir beten sol­len und wie wir als Gemein­schaft beten. Zu die­sem Gebet kommt zwei­tens die Schrift­le­sung, und zwar bevor­zugt in der lec­tio con­ti­nua (fort­lau­fen­de Lesung). Die Kennt­nis der Schrift ist wesent­lich für das christ­li­che Leben. 

Wie sol­len wir z.B. in unserm per­sön­li­chen und kirch­li­chen Han­deln jemals Gewiss­heit erlan­gen, wenn wir nicht auf fes­tem Schrift­grund ste­hen? Nicht unser Herz ent­schei­det über unsern Weg, son­dern Got­tes Wort.” (DBW 5:47). 

Das drit­te Ele­ment des gemein­sa­men Fei­erns ist das gemein­sa­me Lied. Am Ende der Andacht steht das Gebet des Haus­va­ters, auf jeden Fall aber mög­lichst von ein und dem­sel­ben Bru­der. Dazu gehört die Für­bit­te, ein sol­ches Gebet soll auch so sein, dass mög­lichst alle es mit­be­ten kön­nen, und es muss geord­net sein. 

Ein wei­te­res Ele­ment des gemein­sa­men Tages ist die Tischgemeinschaft. 

Der Tag gehört dann der Arbeit, unter­bro­chen durch eine Mit­tags­an­dacht. Abends ver­ei­nigt “die abend­li­che Tisch­ge­mein­schaft und die letz­te Andacht” (DBW 5,62) die Gemein­schaft wieder. 

3. Der einsame Tag

Am Anfang die­ses Abschnitts ste­hen die bei­den berühm­ten Sät­ze: “Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemein­schaft.” “Wer nicht in der Gemein­schaft steht, der hüte sich vor dem Allein­sein.” Zum ers­ten Satz sagt Bonhoeffer: 

Allein stan­dest du vor Gott, als er dich rief, allein muss­test du dem Ruf fol­gen, allein muss­test du dein Kreuz auf­neh­men, muss­test du kämp­fen und beten, und allein wirst du ster­ben und Gott Rechen­schaft geben. Du kannst dir selbst nicht aus­wei­chen, denn Gott selbst hat dich ausgesondert.” 

Zum zwei­ten Satz heißt es: 

In der Gemein­de bist du beru­fen, der Ruf galt nicht dir allein, in der Gemein­de der Beru­fe­nen trägst du dein Kreuz, kämpfst und betest du. […] Miss­ach­test du die Gemein­schaft der Brü­der, so ver­wirfst du den Ruf Jesu Chris­ti, so kann dein Allein­sein dir nur zum Unheil wer­den.” (DBW 5,65f). 

Gemein­sa­mer und ein­sa­mer Tag bedin­gen ein­an­der, der eine ist ohne den ande­ren nicht frucht­bar. Auch hier hat Bon­hoef­fer drei wesent­li­che Ele­men­te: Schrift­be­trach­tung, Gebet und Für­bit­te. “Alle drei soll er in der täg­li­chen Medi­ta­ti­ons­zeit fin­den.” (DBW 5,69). Zusam­men­fas­send sagt der Autor am Ende die­ses Abschnitts: “Wer nach bestan­de­nem Tage in die christ­li­che Haus­ge­mein­schaft zurück­kehrt, der bringt den Segen des Allein­seins mit, er selbst aber emp­fängt aufs Neue den Segen der Gemein­schaft. […] Die Kraft des Allein­seins und die Kraft der Gemein­schaft aber ist allein die Kraft des Wor­tes Got­tes, das dem Ein­zel­nen in der Gemein­schaft gilt.” (DBW 5,76). 

4. Der Dienst

In die­sem Abschnitt folgt nun nicht das, was wir selbst meis­tens unter Dienst ver­ste­hen. Es geht Bon­hoef­fer wesent­lich um den Dienst unter­ein­an­der, und dazu gehört für ihn zuerst Sün­de­ner­kennt­nis und Sün­den­be­kennt­nis. “Nicht Selbst­recht­fer­ti­gung und dar­um Ver­ge­wal­ti­gung, son­dern die Recht­fer­ti­gung aus Gna­de und dar­um Dienst soll die christ­li­che Gemein­schaft regie­ren.” (DBW 5,80). Die dazu nöti­ge Hal­tung ist, den Ande­ren höher zu ach­ten als sich selbst und sei­ne eige­ne Sün­de grö­ßer als die des Nächsten. 

Der ers­te Dienst, den einer dem ande­ren in der Gemein­schaft schul­det, besteht dar­in, dass er ihn anhört” (DBW 5,82), und zwar mit unge­teil­ter Auf­merk­sam­keit. “Der ande­re Dienst […] ist die täti­ge Hilfs­be­reit­schaft.” (DBW 5,84). “Wir spre­chen drit­tens von dem Dienst, der im Tra­gen des Andern besteht.” (DBW 5,85). Dazu gehört, die Frei­heit des Andern zu tra­gen sowie ihr Miss­brauch, die Sün­de, wel­che den Dienst der Ver­ge­bung erfor­dert. Wir brau­chen Furcht vor der Ver­ant­wor­tung zum Wort und auch die Furcht vor dem Ande­ren. Wesent­lich ist auch, dass wir uns das Wort vom Ande­ren sagen las­sen, aber auch selbst Zurecht­wei­sung üben durch den Mitt­ler Jesus Chris­tus selbst. 

5. Beichte und Abendmahl

Der vor­he­ri­ge Abschnitt mün­det unmit­tel­bar in den letz­ten. Bon­hoef­fer spricht sich für das Beicht­ge­spräch aus, denn die Sün­de, die aus­ge­spro­chen wird, ver­liert ihre Macht. 

Die Sün­de will mit dem Men­schen allein sein. […] Sün­de will uner­kannt blei­ben. Sie scheut das Licht.” Aber “die Sün­de muss ans Licht”. Zu einem sol­chen Beicht­ge­spräch gehört der Zuspruch der Ver­ge­bung. Dabei geht es nicht um Seel­sor­ge. “Der Bru­der hört unser Sün­den­be­kennt­nis an Chris­ti Statt, und er ver­gibt uns unse­re Sün­de an Chris­ti Statt.” (DBW 5,93f). 

So geschieht in der Sün­de der Durch­bruch zur Gemein­schaft, der Durch­bruch zum Kreuz, der Durch­bruch zum neu­en Leben und der Durch­bruch zur Gewiss­heit. Das Abend­mahl, dem nur ein kur­zer Abschnitt gewid­met ist, ist dann – und damit schließt das Buch – die Erfül­lung des gemein­sa­men Lebens der Christen. 

Das Gebetbuch der Bibel

Im Jahr 1940 gibt Bon­hoef­fer eine Ein­lei­tung in die Psal­men her­aus, sicher­lich auch eng ver­knüpft mit sei­nen Aus­füh­run­gen zum gemein­sa­men Leben. Er beginnt mit der Fest­stel­lung, dass es uns wider­spruchs­voll erscheint, wenn wir beten ler­nen müs­sen. Ist ech­tes Gebet – und das gilt vor allem für den refor­miert-freiklich­li­chen Teil mei­nes christ­li­chen Lebens – nicht gera­de dadurch cha­rak­te­ri­siert, dass es frei ist? Aber Bon­hoef­fer schreibt uns ins Stammbuch: 

Beten heißt ja nicht ein­fach, das Herz aus­schüt­ten, son­dern es heißt, mit sei­nem erfüll­ten oder auch lee­ren Her­zen den Weg zu Gott fin­den und mit ihm reden. Das kann kein Mensch von sich aus, dazu braucht er Jesus Chris­tus.” (DBW 5,107). 

Beten ler­nen ist wie spre­chen ler­nen beim Kind. 

Bon­hoef­fer steht in der alt­kirch­li­chen Tra­di­ti­on, dass die Psal­men eigent­lich “sol­che Gebe­te” sind, “die wir mit Jesus Chris­tus beten.” (DBW 5,108). “Wenn wir daher die Gebe­te der Bibel und beson­ders die Psal­men lesen und beten wol­len, so müs­sen wir nicht zuerst danach fra­gen, was sie mit uns, son­dern was sie mit Jesus Chris­tus zu tun haben.” Die­se über­ra­schen­de und her­aus­for­dern­de Sicht der Psal­men durch­zieht nun das gan­ze Buch. 

Die Beter der Psalmen

Im Fol­gen­den kommt eine kur­ze Aus­füh­rung zu den Autoren der Psal­men. Auf eines kommt es dabei aber an: 

Wer betet den Psal­ter? David (Salo­mo, Asaph usw.) betet, Chris­tus betet, wir beten. Wir – das ist zunächst die gan­ze Gemein­de, […], es ist schließ­lich aber auch jeder ein­zel­ne, sofern er an Chris­tus und sei­ner Gemein­de teil hat und ihr Gebet mit­be­tet.” (DBW 5,112). 

Name, Musik, Versgestalt

Eini­ge weni­ge Bemer­kun­gen zur eigent­li­chen theo­lo­gi­schen Ein­lei­tung in die Psal­men fol­gen, wobei Bon­hoef­fer gera­de auch auf den heil­sa­men Cha­rak­ter christ­li­chen Gesan­ges hinweist. 

Der Gottesdienst und die Psalmen

Auch hier bleibt Bon­hoef­fer kurz, weist aber beson­ders auf die schon im Buch “Gemein­sa­mes Leben” ange­führ­te Wich­tig­keit des Psalm­ge­bets in der Kir­che und auch im Pri­vat­le­ben hin. 

Einteilung

Bon­hoef­fer meint mit der Ein­tei­lung nicht die struk­tu­rel­le Ein­tei­lung, wie sie ja schon bei den Juden vor­liegt (in fünf Bücher, ent­spre­chend dem Pen­ta­teuch), son­dern eine the­ma­ti­sche Unter­tei­lung der Psal­men: “Die Schöp­fung, das Gesetz, die Heils­ge­schich­te, der Mes­si­as, die Kir­che, das Leben, das Lei­den, die Schuld, die Fein­de, das Ende.” (DBW 5,117). Er fährt fort (ebd): “Es wäre nicht schwer, alle die­se Stü­cke dem Vater­un­ser ein­zu­ord­nen und so zu zei­gen, wie der Psal­ter ganz in das Gebet Jesu auf­ge­nom­men ist.” Die oben ange­spro­che­nen The­men illus­triert er mit eini­gen cha­rak­te­ris­ti­schen Psal­men und sieht sie – ganz sei­nem Anlie­gen nach – zuerst nach dem Ein­druck, den sie auf den Beter machen und dem Zusam­men­hang mit dem Beter aller Beter, Jesus Christus. 

Fazit

Die bei­den Bücher mit zusam­men etwa 130 Sei­ten sind für mich abso­lu­te Grund­la­ge für ein Leben in der (kirch­li­chen) Gemein­schaft. Sie zu lesen und zu medi­tie­ren hat mei­nen Hori­zont über die Gemein­schaft der Hei­li­gen wesent­lich erwei­tert. Beson­ders beein­druckt hat mich die Unter­schei­dung zwi­schen zwi­schen­mensch­li­cher Gemein­schaft und Gemein­schaft in Chris­tus, wo wir den Bru­der oder die Schwes­ter (gen­der­ge­rech­te Spra­che war zur dama­li­gen Zeit noch nicht auf dem Schirm der Men­schen) nur durch Jesus Chris­tus haben, aber auch Jesus Chris­tus in segens­haf­ter Wei­se durch unse­re Brü­der und Schwes­tern. Inso­fern sind die Bücher nicht nur kir­chen­ge­schicht­lich inter­es­san­te Quel­len son­dern ein wert­vol­les Wort in unser heu­ti­ges geist­li­ches Leben hin­ein. Über den Autor: Mar­tin Schrö­der, Jahr­gang 1961, ist evan­ge­li­scher Diplom­theo­lo­ge, Reli­gi­ons­leh­rer an öffent­li­chen Schu­len und beschäf­tigt sich inten­siv mit den bibli­schen Urspra­chen. Außer­dem ist er in der Gemein­de­lei­tung des Württ. Chris­tus­bun­des in der Nähe sei­nes Wohn­or­tes und als Lai­en­pre­di­ger unterwegs. 


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martinschroeder

Über den Autor

Martin Schröder, Jahrgang 1961, ist evangelischer Diplomtheologe, Religionslehrer an öffentlichen Schulen und beschäftigt sich intensiv mit den biblischen Ursprachen. Außerdem ist er in der Gemeindeleitung des Württ. Christusbundes in der Nähe seines Wohnortes und als Laienprediger unterwegs.

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