Jahreslosung 2025: Alles prüfen – aber wie???

Von Manuel Becker

Bibelarbeit, Jahreslosung
Vor 6 Tagen

Die Jah­res­lo­sung for­dert dazu auf, alle Leh­ren zu prü­fen-aber wie? Die­ser Arti­kel erklärt vier bibli­sche Prin­zi­pi­en zum Prü­fen von Leh­ren und bie­tet ein hilf­rei­ches Werk­zeug

Alles prüfen – aber wie?

Prüft alles und behaltet das Gute! (1. Thessalonicher 5,21)

Mir scheint es, als hät­ten vie­le die neue Jah­res­lo­sung schon längst ver­in­ner­licht. Ich ken­ne vie­le lie­be Geschwis­ter, die über­all Irr­leh­re wit­tern. Gefühlt jede Pre­digt, die nicht exakt ihrer Sicht­wei­se ent­spricht, wird sofort als gefähr­lich abge­stem­pelt. Und natür­lich – so scheint es – haben sie selbst die ein­zig rich­ti­ge, „bibli­sche“ Sicht.

Doch wenn ich genau­er nach­fra­ge, wie genau sie eine Leh­re prü­fen, lau­tet die Ant­wort fast immer: „Das ist doch ganz ein­fach. Man schaut ein­fach, ob sie biblisch ist.“ Klingt gut, oder? Das Pro­blem ist nur: Was genau bedeu­tet das?

Dass die Bibel der Maß­stab für unse­re Über­zeu­gun­gen sein muss, steht außer Fra­ge. Doch vie­le ver­ges­sen, dass wir alle die Bibel nicht neu­tral lesen. Wir brin­gen unse­re Prä­gun­gen, unse­re Erzie­hung, unse­re theo­lo­gi­schen Tra­di­tio­nen, unse­re Gemein­de­er­fah­run­gen und sogar unse­re per­sön­li­chen Vor­lie­ben mit an den Text. Zudem sind wir Kin­der unse­rer Zeit – geprägt vom Indi­vi­dua­lis­mus, Ratio­na­lis­mus, Mate­ria­lis­mus, Rela­ti­vis­mus, Post­mo­der­nis­mus, Huma­nis­mus und Prag­ma­tis­mus. All dies macht es sehr schwer für uns, den Text neu­tral zu lesen.

Die Bibel ist oft nicht so ganz klar, wie wir es uns wünschen

Die­se Prä­gung führt dazu, dass fünf Chris­ten, die alle die Bibel ernst neh­men und sich dar­auf beru­fen, die „kla­re bibli­sche Leh­re“ zu ver­tre­ten, den­noch zu völ­lig unter­schied­li­chen Mei­nun­gen kom­men kön­nen. Das sieht man an unzäh­li­gen The­men: Prä­de­sti­na­ti­on, Tauf­ver­ständ­nis, Abend­mahls­ver­ständ­nis, Geis­tes­ga­ben, Geis­tes­tau­fe, Frau­en im pas­to­ra­len Dienst oder Homo­se­xua­li­tät. Zu all die­sen The­men gibt es unzäh­li­ge unter­schied­li­che Sicht­wei­sen, und alle beru­fen sich dar­auf, biblisch zu sein. Die Lis­te lie­ße sich pro­blem­los fortsetzen.

Die schie­re Viel­falt der Deno­mi­na­tio­nen zeigt uns, dass die Bibel viel­leicht nicht ganz so ein­deu­tig ist, wie wir es uns manch­mal wün­schen. Wie Ste­phen Matt­son es tref­fend formuliert:

Chris­ten sagen manch­mal: „Das steht ganz klar in der Bibel”, anstatt: „Das ist mei­ne Inter­pre­ta­ti­on des­sen, was die Bibel sagt.” Wenn wir ehr­lich sind, soll­ten wir wahr­schein­lich sagen: „Dies ist mei­ne fehl­ba­re Inter­pre­ta­ti­on – beein­flusst durch mei­ne reli­giö­se Erzie­hung, mei­ne Vor­ein­ge­nom­men­heit, mei­ne ein­zig­ar­ti­gen Erfah­run­gen, mei­ne Kul­tur, mei­ne per­sön­li­che Welt­an­schau­ung und mein begrenz­tes Wis­sen – von dem, was ich den­ke, was die Bibel sagen könnte.”

Die­se Ehr­lich­keit und Demut auf­zu­brin­gen ist schwie­rig, aber ich den­ke, wir benö­ti­gen die­se Grund­la­ge, um ins pro­duk­ti­ve Gespräch mit­ein­an­der kom­men zu kön­nen. Und genau hier setzt der Arti­kel an: Wenn wir alles prü­fen sol­len, dann reicht es nicht, nur zu fra­gen, ob etwas „biblisch“ ist – wir müs­sen ler­nen, wie genau wir Leh­ren prü­fen kön­nen. Es gibt wei­te­re biblisch fun­dier­te Kri­te­ri­en, die uns hel­fen kön­nen, eine Leh­re zu bewer­ten. In die­sem Arti­kel möch­te ich vier die­ser bibli­schen Kri­te­ri­en vor­stel­len. Sie sind wie ein Werk­zeug­kas­ten, mit dem wir bes­ser aus­ge­rüs­tet sind, Leh­ren zu prü­fen, Gefähr­li­ches zu iden­ti­fi­zie­ren und dann das Gute behal­ten zu können.

Biblische Kriterien zum Prüfen von Lehren

Kriterium 1: Passt die Lehre in den gesamten Kontext der Bibel?

Eine wich­ti­ge Fra­ge, die wir uns stel­len soll­ten, wenn wir eine Leh­re prü­fen, ist: Passt sie zur gro­ßen Gesamt­ge­schich­te der Bibel? Die Bibel ist kein loses Sam­mel­su­ri­um von Zita­ten, son­dern erzählt eine zusam­men­hän­gen­de Geschich­te – von der Schöp­fung über den Sün­den­fall und Got­tes Heils­han­deln bis hin zur neu­en Schöp­fung. Jede Leh­re, die wir ver­tre­ten, soll­te zu die­ser gro­ßen Erzäh­lung pas­sen. Eine Leh­re, die nur auf ein­zel­ne Ver­se baut, ohne den gesam­ten Kon­text zu beach­ten, kann leicht in die Irre führen.

Beispiel: Das Wohlstandsevangelium

Ein Para­de­bei­spiel dafür ist das soge­nann­te Wohl­stands­evan­ge­li­um. Die­se Leh­re ver­spricht Gesund­heit und Reich­tum in die­ser Welt für alle, die Gott gehor­chen. Sie beruft sich auf bibli­sche Ver­se wie Deu­te­ro­no­mi­um 28, wo Gott sei­nem Volk mate­ri­el­le Seg­nun­gen und Schutz vor Fein­den ver­spricht, wenn es ihm treu bleibt. Auch ande­re Ver­se wie Sprü­che 3,8 oder Jere­mia 33,6 ver­hei­ßen Gesund­heit und Wohl­stand. Auf den ers­ten Blick scheint das Wohl­stands­evan­ge­li­um biblisch zu sein – schließ­lich fin­den sich die­se Ver­se tat­säch­lich in der Bibel, somit ist die­se Leh­re „biblisch“.

Doch hier zeigt sich, war­um das gro­ße Bild der Bibel so ent­schei­dend ist. Wenn wir die gesam­te Geschich­te der Bibel betrach­ten, wird deut­lich, dass Gehor­sam gegen­über Gott nicht immer mit Reich­tum und Gesund­heit belohnt wird. Jesus gehorch­te Gott voll­kom­men – und doch leb­te er in Armut und erlitt gro­ßes Leid. Pau­lus, der eben­falls gehor­sam war, führ­te ein Leben vol­ler Ver­fol­gung und Ent­beh­run­gen. Die ers­ten Chris­ten leb­ten über­wie­gend in Armut und wur­den ver­folgt – ihre Rea­li­tät war geprägt von Leid, nicht von Wohlstand.

Das Wohl­stands­evan­ge­li­um igno­riert die­se bibli­sche Rea­li­tät und bie­tet eine fal­sche, stark ver­ein­fach­te Her­me­neu­tik: Wer Gott gehorcht, wird belohnt, und wer lei­det, ist selbst schuld. Die­se Schwarz-Weiß-Men­ta­li­tät kann zwar von ver­ein­zel­ten Bibel­ver­sen her argu­men­tiert wer­den, ist aber zutiefst schäd­lich. Sie legt den Lei­den­den eine zusätz­li­che Bür­de auf, indem sie ihnen sug­ge­riert, ihr Leid sei die Fol­ge per­sön­li­cher Sünde.

Jesus selbst hat die­se fal­sche Denk­wei­se deut­lich zurück­ge­wie­sen. In Johan­nes 9,2 frag­ten sei­ne Jün­ger, ob die Blind­heit eines Man­nes durch sei­ne eige­ne Sün­de oder die sei­ner Eltern ver­ur­sacht wur­de. Jesus mach­te klar, dass nie­mand schuld war, son­dern dass Got­tes Wer­ke an ihm offen­bar wer­den soll­ten. Auch in Lukas 13,1–5 lehn­te Jesus die Vor­stel­lung ab, dass Unglück und Leid immer eine direk­te Stra­fe für Sün­de seien.

Das Wohl­stands­evan­ge­li­um zeigt, wie wich­tig es ist, die Bibel in ihrem gesam­ten Kon­text zu lesen. Ein­zel­ne Ver­se, aus dem Zusam­men­hang geris­sen, kön­nen leicht in die Irre füh­ren. Wenn wir eine Leh­re im Licht der gesam­ten bibli­schen Erzäh­lung betrach­ten, kön­nen wir bes­ser beur­tei­len, ob sie wirk­lich wahr ist.

Kriterium 2: Passt es zu Jesus?

Ein wei­te­res ent­schei­den­des Kri­te­ri­um zur Prü­fung von Leh­ren ist, ob sie mit dem Leben und der Leh­re Jesu über­ein­stim­men. Jesus selbst hat das Alte Tes­ta­ment auf sich zen­triert aus­ge­legt. In Lukas 24,27 erklärt er den Jün­gern auf dem Weg nach Emma­us, wie alle Schrif­ten – ange­fan­gen bei Mose und den Pro­phe­ten – letzt­lich auf ihn hin­wei­sen. Er ist die Erfül­lung der Schrift, das Zen­trum, um das sich alles dreht.

Die Kir­chen­vä­ter und unzäh­li­ge Theo­lo­gen durch die Jahr­hun­der­te waren sich einig: Jesus ist das Zen­trum der Bibel. Alles, was wir glau­ben und leh­ren, muss an ihm gemes­sen wer­den. Das bedeu­tet, dass wir kei­ner­lei Bibel­ver­se ver­wen­den dür­fen, um Jesu Leh­ren zu umge­hen oder außer Kraft zu set­zen. Jesus ist die höchs­te Offen­ba­rung Got­tes (Johan­nes 1,18; Hebrä­er 1,1–3), und alles ande­re in der Bibel muss durch ihn ver­stan­den werden.

Beispiel: Unbegrenzte Rache, begrenzte Rache oder unbegrenzte Vergebung?

In der Bibel erken­nen wir eine pro­gres­si­ve Offen­ba­rung von Got­tes Wil­len. Zur Zeit des Alten Tes­ta­ments war unbe­grenz­te Rache gesell­schaft­li­cher Stan­dard – ein Kon­flikt konn­te leicht eska­lie­ren, indem die gesam­te Sip­pe eines Täters für eine Tat zur Rechen­schaft gezo­gen wur­de. In die­sen Kon­text hin­ein gab Gott das Gebot „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (2. Mose 21,24), um die damals übli­che, gren­zen­lo­se Ver­gel­tung zu begren­zen. Es war ein Fort­schritt, eine gött­li­che Begren­zung der mensch­li­chen Gewalt.

Doch wäh­rend begrenz­te Rache biblisch ist, ist sie nicht Got­tes ulti­ma­ti­ve Absicht. Die­ses Gebot war ein Zuge­ständ­nis Got­tes an die dama­li­ge Zeit und Kul­tur, ein ers­ter Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung. Got­tes eigent­li­cher Wil­le wird erst in Jesus Chris­tus völ­lig klar.

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ‚Auge um Auge und Zahn um Zahn.‘ Ich aber sage euch: Wider­steht nicht dem Bösen, son­dern wenn dich jemand auf die rech­te Wan­ge schlägt, dem bie­te die ande­re auch dar.“ (Mat­thä­us 5,38–39)

Jesus lehr­te Fein­des­lie­be, und als er gefragt wur­de, wie oft wir ver­ge­ben sol­len, ant­wor­te­te er mit „sieb­zig mal sie­ben“ – sinn­bild­lich für unbe­grenz­te Ver­ge­bung (Mat­thä­us 18,22).

Got­tes Wil­le ist klar: Fein­des­lie­be und gren­zen­lo­se Ver­ge­bung. Wenn wir also Ver­se aus dem Alten Tes­ta­ment her­an­zie­hen, um die Offen­ba­rung, die wir in Jesus haben, zu umge­hen oder zu ent­kräf­ten, ver­ken­nen wir, dass Jesus die höchs­te Offen­ba­rung der Bibel ist. Sei­ne Leh­re und sein Leben zei­gen uns, wie Gott wirk­lich ist und was sein Wil­le für uns heu­te bedeutet.

Des­halb ist es von grund­le­gen­der Bedeu­tung, jede Leh­re an Jesus zu mes­sen. Sei­ne Wor­te und sein Han­deln sind der Maß­stab, der zeigt, ob eine Leh­re wirk­lich Got­tes Herz wider­spie­gelt. Jede Leh­re, die im Wider­spruch zu sei­ner Bot­schaft steht, soll­te hin­ter­fragt wer­den – selbst wenn sie auf ein­zel­ne Bibel­ver­se gestützt wird. Denn wenn wir Jesus nicht zum Zen­trum machen, lau­fen wir Gefahr, die Schrift falsch auszulegen.

Kriterium 3: Was sind die Früchte einer Lehre?

Jesus selbst hat gelehrt, dass wir Leh­ren (und Leh­rer) an ihren Früch­ten prü­fen sol­len. In Mat­thä­us 7,16–20 sagt er:

An ihren Früch­ten wer­det ihr sie erken­nen. Kann man etwa Trau­ben von Dor­nen ern­ten oder Fei­gen von Dis­teln? So bringt jeder gute Baum gute Früch­te, der schlech­te Baum aber bringt schlech­te Früch­te. Ein guter Baum kann kei­ne schlech­ten Früch­te brin­gen, und ein schlech­ter Baum kei­ne guten. Jeder Baum, der kei­ne gute Frucht bringt, wird abge­hau­en und ins Feu­er gewor­fen. Dar­um: An ihren Früch­ten wer­det ihr sie erkennen.“

Die Früch­te einer Leh­re zei­gen sich im Leben der Men­schen, die sie anneh­men. För­dert die Leh­re, dass Unge­rech­tig­keit bekämpft wird, dass Got­tes Königs­herr­schaft sich aus­wei­tet, dass Chris­ten zu rei­fen Jün­gern wer­den, dass zer­bro­che­ne Leben heil wer­den, dass kaput­te Bezie­hun­gen wie­der­her­ge­stellt wer­den, dass Men­schen anfan­gen, Jesus nach­zu­fol­gen? Gute Leh­ren füh­ren zu einem Leben, das Gott ehrt und ande­ren dient, wäh­rend fal­sche Leh­ren oft Stolz, Spal­tung oder sogar Leid fördern.

Beispiel: Machtmissbrauch

Ein Bei­spiel dafür sind Leh­ren, die Macht­miss­brauch in geist­li­chen Lei­tungs­po­si­tio­nen recht­fer­ti­gen. In eini­gen Krei­sen wird Auto­ri­tät mit Kon­trol­le und Unter­drü­ckung ver­wech­selt, oft unter Beru­fung auf Bibel­stel­len wie Hebrä­er 13,17 („Gehorcht euren Füh­rern und fügt euch ihnen“). Doch wenn die­se Leh­ren dazu füh­ren, dass Lei­ter ihre Macht aus­nut­zen und Gemein­de­mit­glie­der ein­ge­schüch­tert oder unter­drückt wer­den, sind die Früch­te ein­deu­tig schlecht.

Im Gegen­satz dazu zeigt Jesus, wie wah­re Lei­tung aus­sieht: Sie dient, sie erhebt ande­re, und sie spie­gelt Got­tes Herz wider. Er wäscht sei­nen Jün­gern die Füße und for­dert uns auf, ein­an­der in Demut zu die­nen (Johan­nes 13,14–15). Eine Leh­re, die zu Demut, Lie­be und gegen­sei­ti­ger Erbau­ung führt, trägt gute Früch­te und ent­spricht Jesu Lehre.

Wenn wir Leh­ren prü­fen, müs­sen wir daher die lang­fris­ti­gen Aus­wir­kun­gen im Leben der Men­schen betrach­ten. Führt die Leh­re zu Got­tes Ehre und zur Erbau­ung sei­ner Gemein­de? Oder för­dert sie Stolz, Spal­tung oder Miss­brauch? Die Früch­te sind oft ein kla­rer Indi­ka­tor dafür, ob eine Leh­re wahr oder falsch ist.

Kriterium 4: Führt die Lehre zur Liebe?

Glau­be ohne Lie­be ist nichts wert. (Mar­tin Luther)

Luthers Wor­te erin­nern dar­an, dass Jesus durch das Dop­pel­ge­bot der Lie­be (Mat­thä­us 22,37–40), die Lie­be ins Zen­trum des christ­li­chen Glau­bens gestellt hat. Auch Pau­lus betont dies immer wieder.

Und wenn ich Weis­sa­gung habe und alle Geheim­nis­se und alle Erkennt­nis weiß, und wenn ich allen Glau­ben habe, sodass ich Ber­ge ver­set­ze, aber kei­ne Lie­be habe, so bin ich nichts. (…) Nun aber bleibt Glau­be, Hoff­nung, Lie­be, die­se drei; die Größ­te aber von die­sen ist die Lie­be. (1 Kor 13,2+13 ELB)

Pau­lus hat die Lie­be als das Band bezeich­net, wel­ches alles zusam­men­hält (Kolos­ser 3,12–14) und deut­lich for­mu­liert, dass die Lie­be das Ziel aller Leh­re sein soll:

Das Ziel aller Wei­sung ist die Lie­be. (1 Timo­theus 1,5; Züri­cher Bibel)

Dem­entspre­chend soll­ten wir jede Leh­re dar­an prü­fen, ob sie zur Lie­be führt oder zu Eigen­schaf­ten wie Ego­is­mus, Über­heb­lich­keit, Stolz oder Selbst­ge­rech­tig­keit. Die­se Eigen­schaf­ten ste­hen im direk­ten Wider­spruch zur Lie­be, wie sie in der Bibel beschrie­ben wird (1. Korin­ther 13,4–7). Wenn eine Leh­re Men­schen dazu bringt, sich ande­ren über­le­gen zu füh­len oder sie zu ver­ur­tei­len, soll­ten wir sie kri­tisch hinterfragen.

Beispiel: Sünden-Scheuklappen

Ein Bei­spiel dafür ist die Ten­denz, in man­chen christ­li­chen Krei­sen bestimm­te Sün­den, wie sexu­el­le Sün­den, beson­ders stark zu ver­ur­tei­len, wäh­rend ande­re Sün­den weni­ger Beach­tung fin­den. Zum Bei­spiel wer­den Sün­den wie das Igno­rie­ren von Unge­rech­tig­keit oder die Ver­nach­läs­si­gung von Got­tes Auf­trag, das Evan­ge­li­um zu denen zu brin­gen, die noch nie von ihm gehört haben, häu­fig her­un­ter­ge­spielt oder gar ignoriert.

Ein sol­cher Fokus auf ein­zel­ne Sün­den kann dazu füh­ren, dass bestimm­te Grup­pen von Men­schen ver­ach­tet oder aus­ge­grenzt wer­den, wäh­rend die eige­nen Ver­feh­lun­gen über­se­hen oder rela­ti­viert wer­den. Die­se Hal­tung erzeugt oft einen unge­sun­den Stolz auf die eige­ne „Recht­schaf­fen­heit“ und kann Hass statt Lie­be för­dern. Jesus selbst kon­fron­tier­te solch eine Ein­stel­lung bei den Pha­ri­sä­ern, die man­che Gebo­te Got­tes mit gro­ßem Eifer ver­tei­dig­ten, dabei aber die wich­ti­ge­ren Aspek­te wie Gerech­tig­keit, Barm­her­zig­keit und Treue vernachlässigten:

Weh euch, Schrift­ge­lehr­te und Pha­ri­sä­er, ihr Heuch­ler! Denn ihr ver­zehn­tet Min­ze, Dill und Küm­mel und habt das Wich­tigs­te im Gesetz ver­nach­läs­sigt: das Recht, die Barm­her­zig­keit und die Treue. Die­ses soll­te man tun und jenes nicht las­sen.“ (Mat­thä­us 23,23)

Eine Leh­re, die zur Lie­be führt, wird immer auf Barm­her­zig­keit, Gerech­tig­keit und Demut aus­ge­rich­tet sein. Sie wird nicht zur Ver­ur­tei­lung oder Aus­gren­zung anlei­ten, son­dern zur Annah­me und zur Bereit­schaft, die eige­nen blin­den Fle­cken zu erken­nen. Wenn eine Leh­re die­se Aspek­te nicht för­dert, soll­ten wir sie mit Vor­sicht betrachten.

Fördert die Lehre die Frucht des Geistes?

Eine Leh­re soll­te nicht nur zur Lie­be füh­ren, son­dern auch die Früch­te des Geis­tes im Leben der Men­schen för­dern. Pau­lus beschreibt die­se Früch­te in Gala­ter 5,22–23:

Die Frucht des Geis­tes aber ist Lie­be, Freu­de, Frie­de, Geduld, Freund­lich­keit, Güte, Treue, Sanft­mut, Selbstbeherrschung.“

För­dert eine Leh­re Lie­be, Freu­de, Frie­den, Geduld und ande­re Früch­te des Geis­tes (Gala­ter 5,22–23), oder bringt sie Zorn, Zwie­tracht, Stolz und Ego­is­mus her­vor? Wenn letz­te­res der Fall ist, soll­ten wir sie ernst­haft hin­ter­fra­gen, denn sie wider­spricht dem Werk des Hei­li­gen Geis­tes in uns.

Ein hilfreiches Werkzeug: Das Wesleyanische Quadrilateral

Die vier zuvor beschrie­be­nen Kri­te­ri­en bie­ten eine soli­de bibli­sche Grund­la­ge, um Leh­ren zu prü­fen. Doch zusätz­lich zu die­sen Prin­zi­pi­en kann das soge­nann­te Wes­leyani­sche Qua­dri­la­te­ral ein hilf­rei­ches Werk­zeug sein. Die­ses Modell, das auf die Theo­lo­gie von John Wes­ley zurück­geht, schlägt vor, vier Kri­te­ri­en zu nut­zen, um eine Leh­re zu prü­fen: Schrift, Tra­di­ti­on, Ver­nunft und Erfah­rung.

Die Vorteile des Wesleyanischen Quadrilaterals

Das Qua­dri­la­te­ral hilft uns, Leh­ren aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven zu betrach­ten. Es betont die Schrift als obers­te Auto­ri­tät, ermu­tigt uns aber auch, die Tra­di­ti­on der Kir­che zu berück­sich­ti­gen, um von den Erkennt­nis­sen ver­gan­ge­ner Gene­ra­tio­nen zu ler­nen. Gleich­zei­tig erin­nert es uns dar­an, unse­re Ver­nunft ein­zu­set­zen, um logi­sche und kon­sis­ten­te Schluss­fol­ge­run­gen zu zie­hen, und unse­re Erfah­rung ein­zu­be­zie­hen, um zu prü­fen, ob eine Leh­re zu der Rea­li­tät passt, die wir in die­ser Welt erleben.

Durch die­se Balan­ce bewahrt uns das Modell vor einer iso­lier­ten oder ein­sei­ti­gen Sicht­wei­se. Es ermu­tigt uns, Bibel­stel­len nicht ein­fach mecha­nisch anzu­wen­den, son­dern auch die Weis­heit der christ­li­chen Gemein­schaft und unse­re eige­ne Lebens­rea­li­tät in die Prü­fung einer Leh­re einzubeziehen.

Die Nachteile des Wesleyanischen Quadrilaterals

Ein poten­zi­el­ler Nach­teil liegt in der Gefahr, die vier Quel­len falsch zu gewich­ten. Wenn Tra­di­ti­on, Ver­nunft oder Erfah­rung zu viel Gewicht erhal­ten, könn­te die Schrift als pri­mä­re Auto­ri­tät ver­wäs­sert wer­den. Bei­spiels­wei­se könn­te eine über­mä­ßi­ge Beto­nung der Erfah­rung dazu füh­ren, dass per­sön­li­che Gefüh­le oder sub­jek­ti­ve Ein­drü­cke über bibli­sche Prin­zi­pi­en gestellt werden.

Ein ausgewogener Ansatz

Das Wes­leyani­sche Qua­dri­la­te­ral ist kein Ersatz für die Bibel, son­dern ein ergän­zen­des Werk­zeug, das uns hilft, Leh­ren sorg­fäl­tig und ganz­heit­lich zu prü­fen. Wenn wir uns bewusst sind, dass die Schrift die obers­te Auto­ri­tät bleibt, kön­nen die ande­ren drei Quel­len wert­vol­le Per­spek­ti­ven bie­ten, um die Wahr­heit kla­rer zu erken­nen und fal­sche Leh­ren zu entlarven.

Fazit

Irr­leh­ren scha­den Men­schen und dem König­reich Got­tes – des­halb ist das Prü­fen von Leh­ren ein Aus­druck der Lie­be. Dabei erfor­dert es Demut, nicht nur die Über­zeu­gun­gen ande­rer kri­tisch zu hin­ter­fra­gen, son­dern auch die eige­nen Vor­stel­lun­gen immer wie­der am Maß­stab der Schrift und oben erwähn­ten Kri­te­ri­en zu prü­fen. In dem Sin­ne ende ich mit den Wor­ten von John Calvin:

Ein belehr­ba­rer Geist und ein demü­ti­ges Herz sind die Grund­la­gen für jeg­li­ches geist­li­ches Wachstum.“


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Manuel Becker

Über den Autor

Manuel arbeitet als Gemeindegründer unter einer der 25 größten unerreichten Völkergruppen weltweit. Wenn seine vier Kinder ihn nicht gerade auf Trab halten, liest er gern theologische Bücher oder nutzt Logos, um sich in die Bibel zu vertiefen. Jetzt, wo sein MA-Studium an der Akademie für Weltmission abgeschlossen ist, plant er bald einen PhD in Theologie dranzuhängen. Er ist der Autor des beliebten Kinderbuchs „Der große Sieg“, welches das Evangelium in einer packenden Bildergeschichte für Jung und Alt illustriert.

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