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Mehr als eine Übersetzung
Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878–1965) gebürtig aus Wien, gestorben in Jerusalem, wohin er 1938 vor den Nationalsozialisten geflohen war, beschäftigte sich unter Vielem mit der Bedeutung der Sprache. Neben bahnbrechenden Werken zur Sprachphilosophie (wie z. B. „Ich und Du“ in dem Band „Das dialogische Prinzip“, WB Darmstadt) ist vor allem seine mit Franz Rosenzweig begonnene und nach dessen Tod 1929 allein fortgeführte „Verdeutschung der Schrift“ ein Meilenstein deutscher Literatur.
Entstehung dieser Bibel
„Auf Anregung des Verlegers Lambert Schneider begann Buber 1925 zusammen mit dem Philosophen Franz Rosenzweig mit der Übersetzung der Heiligen Schrift […] ins Deutsche“. Dabei handelt es sich natürlich nicht um die ganze christliche Bibel, sondern um das von Christen so genannte Alte Testament, die jüdische Bibel. Unterbrochen durch die Wirren des Nationalsozialismus wurde die Gesamtausgabe erst im Jahr 1961 vollendet, obwohl sie im Prinzip schon 1938 fertig war. Von 1954 bis 1962 wurde der Text von Buber noch einmal überarbeitet (siehe Artikel aus der Wikipedia).
Zielsetzung der Übersetzung
Der Ausgangspunkt für die Übersetzer war die Feststellung, dass bisherige Übersetzungen der Schrift ins Deutsche eigentlich den Sinn des hebräischen Textes nicht genau genug wiedergaben, sondern eigentlich eine Eindeutschung waren. Luther wollte „dem Volk aufs Maul schauen“ und die Bibel zu einer deutschen Bibel im deutschen Kontext machen, sodass sie sofort von jedem Deutschen verstanden werden konnte. Buber und Rosenzweig dagegen wollten durch ihr Werk möglichst nah am Original sein, dabei nicht eine rein konkordante Übersetzung schaffen, sondern, wie es Rosenzweig formulierte, den hebräischen Menschen, seinen Ton, seine Meinung, seinen Herzschlag hörbar machen.
Deshalb ist das Werk von Buber/Rosenzweig auch keine Übersetzung, sondern der Versuch, den hebräischen Charakter der Schrift in deutsche Worte zu fassen, eine „Verdeutschung“ (das Wort ist aus dem jiddischen genommen). Ziel ist nicht ein gutes Deutsch, sondern die Übermittlung dessen „was da steht“; versucht wird sogar, die Gliederung der Atemzug- und Sinneinheiten des Originals wiederzugeben, besonders in den Psalmen, den „Preisungen“. Schon die ersten Verse zeigen, wohin dieser Ansatz führt: Aus „die Erde war wüst und leer“ wird in genauer Übertragung des Begriffs „tohu wa bohu“: „Die Erde aber war Irrsal und Wirrsal. Finsternis über Urwirbels Antlitz. Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser.“ Dass in einer solchen „Verdeutschung“ für den deutsch denkenden Menschen eine große Herausforderung steckt, wird schnell deutlich.
Wie Martin Buber übersetzte
Bubers Grundvoraussetzung für die Arbeit geht auf die Sprachforschung hebräischer Gelehrter zurück, die schon in den antiken jüdischen Schriften sichtbar werden und in dem frankfurter Rabbiner Samson Raphael Hirsch einen gewissen Höhepunkt erreicht haben. Die hebräische Sprache baut – wie übrigens auch die deutsche – auf Wortwurzeln auf, die normalerweise aus drei Konsonanten bestehen. Von diesen Wortwurzeln leiten sich alle Verben, Substantive, Adjektive und Adverbien ab. Hirsch geht nun von der Annahme aus, dass jede Wurzel eine ganz spezielle Bedeutung hat, dass verschiedene Wurzeln daher auch verschiedene Bedeutungen haben, dass aber ähnliche Wurzeln auch ähnliche Bedeutungen in der Übersetzung haben sollten.
Wenn es daher z. B. für das deutsche „sprechen, sagen“ im Wesentlichen zwei verschiedene hebräische Wurzeln gibt, nämlich ‘amar und dabar, dann kann man nicht, wie das meistens in deutschen Übersetzungen geschieht, ein und dasselbe Wort für zwei verschiedene Wurzeln gebrauchen. Jede Wurzel soll daher mit demselben deutschen Wort wiedergegeben werden. Die Wurzel „dabar“ z. B. hat eher den Bedeutungsschwerpunkt des Aussprechens; es wird durch das Aussprechen gültig und hat durch das Aussprechen sein Ziel erreicht, wie z. B. ein Gesetz.
Wenn ich beispielsweise bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung geblitzt werde, kann ich mich nicht damit herausreden, ich hätte das Schild nicht gesehen. Wesentlich ist, dass da ein Schild angebracht ist. Die Wurzel „‘amar“ dagegen steht für das eindringliche Sprechen, das erst dann sein Ziel erreicht hat, wenn es von dem, der angesprochen wird, auch gehört, ja sogar verstanden und adaptiert wird. Daher werden die beiden hebräischen Worte auch jeweils durch ein und dasselbe entsprechende deutsche Wort wiedergegeben, nämlich „‘amar“ mit „sprechen“ und „dabar“ mit „reden“. Buber selbst gibt ein Beispiel aus der Abrahamsgeschichte. „Da drückte Sarai sie (Hagar). Sie aber entfloh vor ihr.“ Weiter unten sagt der Engel zu Hagar: „Kehre zu deiner Herrin und drücke dich unter ihre Hände, denn vernommen hat ER deinen Druck.“ Für „Druck“ steht im hebräischen Text jeweils ein Wort, das auf die gleiche Wurzel zurückgeht.
Ein weiteres Charakteristikum der Verdeutschung kann hier am Rande verzeichnet werden: Der vierbuchstabige Gottesname, den Luther mit „HERR“ wiedergibt, wird bei Buber/Rosenzweig zu einem Personalpronomen, das wie bei Luther großgeschrieben ist: ER, DU, IHN etc. Das ist dem jüdischen Brauch geschuldet, den Gottesnamen „nicht vergeblich zu führen“ und ihn deshalb gar nicht auszusprechen.
Aber nicht nur die einzelnen Worte, auch das „Wortgefüge“ des Hebräischen ist wichtig. So wird die Passage: „Er wird ein wilder Mensch sein … und wird gegen all seine Brüder wohnen“ zu „Ein Wildeselmensch wird der … all seinen Brüdern sitzt er im Gesicht.“ Aus Luthers „Es werde Licht“ wird „Licht werde“. Ebenso werden sprachliche Stilfiguren stärker berücksichtigt, wie auch Alliterationen. Beispielsweise wird im Hebräischen gern ein Intensivum durch zwei verwandte Worte ausgedrückt, wie z. B. Gen 3,16: „Mehren, mehren will ich deine Beschwernis.“ Ebenso folgen die Namen der biblischen Personen nicht dem gewohnten Standard, sondern sie werden möglichst genau übertragen, statt „Isaak“ „Jizchaq“, statt „Jesaja“ „Jeschajahu“ usw. In den Stammtafeln werden sie auch übersetzt. Schließlich wird auch versucht, den poetischen Charakter der hebräischen Lieder und Gedichte zu übertragen. Als Beispiel sei hier Psalm 23 angeführt:
ER ist mein Hirt, mir mangelts nicht. Auf Grastriften lagert er mich, zu Wassern der Ruh führt er mich. Die Seele mir bringt er zurück, er leitet mich in wahrhaftigen Gleisen um seines Namens willen. […] Du rüstest den Tisch mir meinen Drängern zugegen, streichst das Haupt mir mit Öl, mein Kelch ist Genügen. Nur Gutes und Holdes verfolgen mich nun alle Tage meines Lebens, ich kehre zurück zu DEINEM Haus für die Länge der Tage.
Fazit
Wie mein früherer Hebräischlehrer einmal sagte: Die Verdeutschung Bubers könnte man zurückübersetzen ins Hebräische. So genau ist dieses Werk. Es dient mir immer noch als Lexikonersatz, wenn ich einen hebräischen Text im Alten Testament lese. Bubers Verdeutschung ist nicht so sehr für die Kanzel gedacht, aber unentbehrlich für das Studium des Alten Testaments. Es ist die genaueste „Übersetzung“ des Alten Testaments ins Deutsche.
Wer Genaueres über die Hintergründe der Verdeutschung lesen will, findet in „Martin Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung“ auf 351 Seiten ausführlich Antwort durch Buber selbst.
Hallo,
wenn Buber/Rosenzweig so genau die Übersetzung der hebräischen Sprache überbringen wollte (ich habe die 4 Hardcover Schriften), dann stocke ich immer noch auf der 1. Seite, Im Anfang, 1:2 = die Erde war Irrsal und Wirrsal.
Ich habe Stunden überlegt, was das auch nur im Entferntesten sein könnte, aber keine Chance.
Schon im 2. Satz Getriebeschaden?
Wenn Irrsal und Wirrsal auf der Erde waren, dann war doch auch schon was auf der Erde los und Adam und Eva waren nicht die ersten Menschen?
Oder wenn es sich auf Naturdinge beziehen sollte, hätte Jahuwah Gott nichts mehr machen brauchen, aber in den Versen danach, tat er gerade das?
Vielleicht kannst du Lich in mein Dunkel bringen?
Dank Vorab!
Shalom
Karl-Heinz Lindemann
Hallo Karl-Heinz Lindemann,
vielen Dank für die Rückmeldung auf den Artikel und besonders auf die Anmerkung zur Übersetzung Bubers. Auch im Hebräischen ist die genaue Bedeutung von Tohu wabohu nicht ganz klar. Buber will wohl mit den deutschen Begriffen „Irrsal und Wirrsal” die Sprachmelodie des Hebräischen wiedergeben, was u.a. seine erklärte Absicht mit der „Verdeutschung” (im Unterschied zur „Übersetzung”) ist. Sowohl im Deutschen als auch im Hebräischen scheint der hebräische Begriff das Ungeordnetsein der Erde auszudrücken, wie wenn ein Lastwagen die Bauteile für die Erde einfach auf einen Haufen abgeladen hätte – oder wie ein schwedisches Do-it-yourself-Möbelstück ohne Bauanleitung. Das wird durch den deutschen Ausdruck gut wiedergegeben. Ich empfehle die jüdischen Kommentare von Samson Raphael Hirsch und Benno Jacob oder auch Umberto Cassuto (dessen Kommentar ist in englischer Sprache im LOGOS-Programm erhältlich). Was daher in Genesis 1,2 geschildert ist, ist die Schöpfung aus dem Nichts: Gott erschafft zunächst alle Materialien für die Schöpfung und legt sie auf einen Haufen. Dann ordnet er sie durch Trennung („Gott schied…”) und Zusammenfügung zu dem, was schließlich am Ende des 6. Tages vorhanden ist.
Ich hoffe, Dir damit etwas geholfen zu haben. Sonst kannst Du gerne zurückschreiben.
Herzliche Grüße
Martin Schröder