Was ist richtig? Was ist falsch? Oft ist es schwierig zu wissen, was das Richtige ist. Verschaffen Sie sich in 14 Min. einen Überblick über Thomas Schirrmachers Ethik und erkunden Sie, ob dieses umfassende Werk die passende Hilfe für Sie ist, um Ihre ethischen Richtlinien neu zu reflektieren.
Inhalt
- Warum ist es überhaupt wichtig, sich über Ethik Gedanken zu machen?
- Wer ist überhaupt Thomas Paul Schirrmacher?
- Eine detaillierte Ethik gefüllt mit spannenden Themen
- Aus dem Vorwort
- Merkmale der Ethik von Schirrmacher
- Beispiel: Die Bewahrung der Schöpfung
- Fazit
- Drei Alternativen
- Bibliografie
Warum ist es überhaupt wichtig, sich über Ethik Gedanken zu machen?
Jeden Tag müssen wir viele Entscheidungen treffen. Manche davon sind leicht, andere eher schwer. Wie wir in gewissen Situationen entscheiden, ist geprägt von unseren moralischen Grundsätzen. Diese wiederum beruhen auf unserer Ethik. Die Ethik dient als Grundlage für die Entwicklung von moralischen Prinzipien und Normen. Sie liefert die Rahmenbedingungen und die Reflexion, die zur Bildung von moralischen Überzeugungen und Verhaltensnormen führen. Daher ist sie grundlegend wichtig für moralisch verantwortungsvolle Entscheidungen und ethisches Handeln.
Die Bibel ist eine Quelle zeitloser Weisheit, gefüllt mit moralischen Prinzipien und ethischen Leitlinien. Durch das Bibelstudium von ethischen Prinzipien lernen wir, wie wir in verschiedenen Lebenssituationen richtig handeln und die Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes in unserem täglichen Leben praktisch umsetzen können. Das Lesen der Ethik von Thomas Paul Schirrmacher öffnet Ihnen die Tür zu einer tiefgreifenden spirituellen Reflexion. Es ermutigt dazu, das eigene Verhalten und die eigenen Entscheidungen im Licht göttlicher Wahrheit zu prüfen und zu gestalten.
Wer ist überhaupt Thomas Paul Schirrmacher?
Thomas Paul Schirrmacher (* 25. Juni 1960 in Schwelm) ist ein deutscher reformierter Theologe, Ethiker, Religionssoziologe und Menschenrechtsexperte. Seit 2021 ist er der Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz, einem Dachverband von 9 regionalen und 138 nationalen Evangelischen Allianzen. Diese vertreten weltweit 600 Millionen Menschen mehrheitlich evangelikaler Überzeugung.
Weiterhin setzt sich Schirrmacher weltweit für Menschenrechte ein und ist Präsident des Internationalen Rates der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte sowie Präsident des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit.
Die vielen Titel vor seinem Namen (Erzbischof Prof. Dr. theol. Dr. phil. Dr. mult. Thomas Paul Schirrmacher) zeigen bereits, seine akademische Qualifikation und seinen Expertenstatus im Bereich der Ethik. Er hat bereits an mehr als 100 Büchern mitgewirkt und ist ein etablierter und beliebter Autor unter evangelikalen Christen.
Eine detaillierte Ethik gefüllt mit spannenden Themen
Schirrmachers Ethik ist sehr umfassend, was bereits am Umfang deutlich wird. Wer die Logos Version kauft, bekommt alle sechs Bände (der 6. Auflage von 2020), plus dem Kursbuch und plus dem Register, also insgesamt acht Bücher. Das sind mehr als 2800 Seiten gefüllt mit tiefen theologischen Reflexionen des Mannes, der in seinem Amt die Mehrheit der evangelikalen Christen weltweit vertritt. Es ist schwer, ein vergleichbares Werk im deutschsprachigen Raum zu finden.
Hier ein kurzer Überblick über die acht Bücher:
- Band 1: Das Gesetz der Liebe (Gott, Glaube, Ethik)
- Band 2: Das Gesetz der Liebe (Der Bund zwischen Gott und Mensch)
- Band 3: Das Gesetz der Freiheit (Die Differenzierung von Gottes Willen)
- Band 4: Das Gesetz der Freiheit (Das AT im NT, Sexualethik)
- Band 5: Gottes Ordnungen (Erziehung, Wirtschaft, Kirche)
- Band 6: Gottes Ordnungen (Staat, Recht)
- Band 7: Kursbuch
- Band 8: Register
Unterteilt in 66 Lektionen präsentiert Schirrmacher seine Gedanken. Jede Lektion ist in sich abgeschlossen und behandelt eine ethische Frage, die gründlich diskutiert wird. Die Lektionen behandeln unzählige kontroverse Fragen und versuchen das Thema mit Situationen zu verbinden, die dem Leser bekannt sind. Ein kurzer Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt schnell, dass für jeden Leser unzählige spannende Themen dabei sein sollten, hier nur ein paar Beispiele:
- Prädestination und Verantwortung
- die Gültigkeit des alttestamentlichen Moralgesetzes
- die Geistesgaben
- Quellen der evangelischen Ethik
- Wie erkenne ich den Willen Gottes?
- Christus, die Erfüllung des Gesetzes
- Die Bergpredigt: Aufhebung oder Bestätigung des alttestamentlichen Gesetzes?
- Ehebund und Scheidung
- Sexualität und Homosexualität
- Herausforderung Erziehung
- Arbeitsmoral
- Gemeindezucht
- Menschenrechte
- Abtreibung
- …
Aus dem Vorwort
Im Vorwort schreibt Schirrmacher, dass seine Ethik geschrieben ist
für das intensive Studium in Hauskreisen, Gemeinden, im Selbststudium oder im Fernunterricht. (S.13)
In erster Linie ist seine Ethik nicht geschrieben für die akademische Landschaft,
sondern mit Blick auf die praktischen Belange evangelikaler Gemeinden heute. (S.13)
Als guter Evangelikaler betont er seinen Glauben an die „Irrtumslosigkeit und Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift“ und seine damit verbundene Ablehnung der historisch-kritischen Methode.
Als geistliche Väter, von denen er viel gelernt hat, bedankt er sich bei
den Kirchenvätern Aurelius Augustinus und Athanasius und den Reformatoren Martin Luther, Johannes Calvin, Thomas Cranmer und besonders Martin Bucer samt ihren Schülern. (S.13)
Er gesteht, dass er versucht, so gut es geht eine klare Position zu vertreten, aber dabei auch weiß, dass kein Ausleger der Schrift unfehlbar ist, „sondern nur Gottes Wort selbst“. Deshalb versucht Schirrmacher immer offen und interessiert zu bleiben, um von anderen weiter lernen zu können.
Merkmale der Ethik von Schirrmacher
Das Erste, was positiv auffällt, ist der Fokus, den Schirrmacher der Bibel gibt. Die gesamte Ethik ist prall gefüllt mit Bibelstellen. Teilweise listet er seitenweise Bibelstellen auf, um die Bibel auch wirklich zu Wort kommen zu lassen.
Schirrmacher hat immer die gesamte Bibel im Blick. Das Alte Testament kommt in seiner Ethik wahrlich nicht zu kurz. Immer wieder bindet er AT-Stellen in die Diskussion ein und behält durchgängig den gesamten Kanon im Blick. Und immer wieder schafft er es zu zeigen, dass die Bibel (in ihrer Gesamtheit) das beste Gesetz aller Zeiten enthält.
Was mich besonders begeistert, ist die klare Gliederung des gesamten Werkes. Schirrmacher denkt und argumentiert sehr strukturiert, was es einfach macht, seinem Gedankengang zu folgen und auch einmal ein Thema zu studieren, ohne es lange suchen zu müssen oder die Kapitel vorher oder nachher lesen zu müssen. Er behält die großen und wichtigen Themen im Blick (z. B. die Bünde, die Wichtigkeit der Liebe, die Beziehung zwischen AT und NT), beleuchtet aber auch immer wieder relevante Detailaspekte ganz genau und schafft es dabei, die Balance zwischen beidem zu halten.
Beeindruckend ist auch, dass Schirrmacher es wirklich gelingt trotz seiner vielen akademischen Titel so zu reden, dass es verständlich ist. Die Sprache, die er wählt, ist allgemein verständlich und er schafft es auf unnötiges Fachvokabular zu verzichten.
Seine Belesenheit kommt klar zum Ausdruck in den unzähligen Querverweisen und Quellen, die er zitiert. Von den Kirchenvätern, über Hintergrundinformationen zu dem kulturellen Kontext eines Bibeltextes, über antike Literatur bis hin zu den Gedanken moderner Theologen ist wirklich alles dabei. Das breite Spektrum, auf das er sich bezieht, ist wirklich beeindruckend.
Beispiel: Die Bewahrung der Schöpfung
Es ist unmöglich, im Rahmen einer Rezension den vielfältigen und reichen Inhalt der 66 Lektionen vorzustellen. Deshalb nutze ich die 54. Lektion „Die Bewahrung der Schöpfung“ beispielhaft, um Schirrmachers Stil zu illustrieren.
Schirrmacher beginnt die Lektion mit einem Abschnitt über den biblischen Zusammenhang von Naturgesetzen und Gottes Geboten. Anhand einer Vielzahl von Bibelstellen argumentiert er:
Im Alten Testament werden deswegen die Naturgesetze und die Gebote Gottes für die Menschen immer wieder mit denselben Begriffen bezeichnet oder im Parallelismus nebeneinandergestellt. (Bd. 5, S.251)
Als Nächstes widmet er sich der Frage, was es bedeutet, dass wir im Ebenbild Gottes geschaffen sind. Dies tut er mithilfe unzähliger Bibelstellen und im Gespräch mit anderen Theologen. Wichtige Bibelverse oder hilfreiche Übersichten zu einem Thema werden oft durch Textboxen hervorgehoben. Dies sorgt für zusätzliche Übersichtlichkeit und erleichtert das Lesen, weil das Buch so nicht aus einem einzigen langen Fließtext besteht.
Schirrmacher versucht das Thema umfassend zu beleuchten und bindet auch verwandte Themen ein, die relevant für die vorliegende Frage sind. So folgt ein Abschnitt über Anthropomorphismen in der Bibel, also menschlicher Beschreibung Gottes (Ps 31,3; 37,13; Jes 65,5; Apg 4,30; Hebr 4,13) und ein Abschnitt zum Wesen Gottes, in dem er Gottes Wesen anhand verschiedener Bibelstellen beschreibt.
Er diskutiert den Unterschied zwischen Mensch und Tier und zeigt klar unsere Verantwortung auf, die Schöpfung zu bewahren:
Demgegenüber lehrt die Bibel, dass der Mensch nur in Gemeinschaft mit dem Schöpfer, den der Mensch verehrt, und nur durch Einhaltung der Schöpfungsordnungen Gottes diese Welt erhalten kann. (Bd. 5, S. 269)
Dabei betont er, dass Christen sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen müssen, weil dies von Gott geboten ist und nicht weil die Natur an sich anbetungswürdig ist oder einen Anspruch ‚an sich‘ hätte. (Bd. 5:271).
Schöpfungsethik: Den Schöpfer, aber nicht die Schöpfung anbeten
Das Thema, dass wir den Schöpfer anbeten sollen und nicht die Schöpfung taucht in der Lektion immer und immer wieder auf, weil Schirrmacher bemängelt, dass Vergötterung der Schöpfung oft ein wichtiger Teil der Umweltschutz-Bewegung ist. Deshalb beschäftigt er sich z. B. auch mit Franz von Assisi, dessen Sonnengesang ab und zu in diese Richtung fehlinterpretiert wird. Schirrmacher betont, dass es nicht um die Anbetung von Elementen der Natur geht, sondern dass Assisi allein Gott lobt durch das Anerkennen der Schönheit der Schöpfung. (Bd. 5:279)
Im nächsten Abschnitt widmet er sich dem Vorwurf von Drewermann, dass die Umweltkrise eine Folge des Christentums ist. Schirrmacher weist diesen Vorwurf entschieden zurück und stellt seine Sicht der Dinge dar.
Er schließt die Lektion mit zwei Abschnitten zu dem Thema Gentechnik und zur europäischen Bioethik-Konvention. Seine primären Kritikpunkte sind, dass die aktuelle Entwicklung den „Mediziner zum Herrn über Leben und Tod“ macht (Bd. 5:312), dass tiefe Eingriffe in die Menschenwürde vorgenommen werden und Abtreibung verharmlost wird (Bd. 5:313).
Ein Zwischenfazit zur Schöpfungsethik
Am Ende der Lektion bleibt bei mir ein zwiespältiges Gefühl. Viele Gedanken in der Lektion waren hilfreich für mich. Da ich aber in einer evangelikalen Gemeinde groß geworden bin, liegt es mir fern, die Natur anzubeten. Statt den vielen Betonungen, dass wir nicht die Schöpfung anbeten dürfen, hätte ich mir lieber ein paar praktische Tipps und Ideen gewünscht, wie die Bewahrung der Schöpfung konkret im Alltagsleben aussehen kann. Auch fand ich den Abschnitt zur Bedeutung davon, dass wir im Ebenbild Gottes geschaffen sind, zu kurz und nicht tiefgreifend genug.
Auf der anderen Seite verstehe ich natürlich auch, dass Schirrmacher immer wieder neu entscheiden muss, worauf er den Fokus setzt. Unterschiedliche Leser haben unterschiedliche Bedürfnisse und es ist schwer, jedem gerecht zu werden. Seine Ethik ist jetzt bereits gigantisch und wenn er noch mehr Details zu jedem Thema ergänzen würde, würde das Buch sich teilweise ganz schön in die Länge ziehen.
Fazit
Lob…
Was wirklich lobenswert ist, ist, dass das Buch äußerst leserfreundlich gestaltet ist. Es zeichnet sich durch eine klare und leicht verständliche Sprache aus. Die in sich abgeschlossenen Lektionen ermöglichen es, einzelne Themen schnell und gezielt zu studieren, ohne die Kapitel vorher und nachher lesen zu müssen. Die ausgezeichnete Struktur des Buches verschafft einen schnellen Überblick und erleichtert das Auffinden der benötigten Informationen.
Schirrmacher schafft es, nicht in langen theoretischen akademischen Debatten zu verweilen, sondern stattdessen den Fokus auf die praktischen Anliegen evangelikaler Gemeinden zu lenken. Somit ist Schirrmachers Ethik wirklich einfach verwendbar und passend für den Gebrauch in Hauskreisen, Bibelgruppen oder fürs Selbststudium.
Seinen Fokus auf die Bibel und seine vielen Verweise auf andere Autoren und die Kirchenväter finde ich ganz besonders wertvoll. Es ist jedoch unübersehbar, dass das Werk aus einer stark (reformiert) evangelikalen Perspektive verfasst wurde. Dies zeigt sich an vielen Stellen, beispielsweise in der Sichtweise zur Prädestination, die davon ausgeht, dass Gott alles in dieser Welt lenkt (Band 1:198), sowie in Schirrmachers Gedanken zum Thema Sexualität.
… und Kritik
Eine bedauerliche Einschränkung ist, dass Lektion 47, die sich mit dem Thema Homosexualität befasst, aus dem Buch entfernt wurde und lediglich einen Verweis enthält, dass das Kapitel derzeit überarbeitet und in der siebten Auflage wieder enthalten sein wird. Ein so wichtiges und aktuelles Thema sollte in einer so umfassenden Ethik einfach nicht fehlen.
Abgesehen davon gibt es vereinzelte Stellen im Buch, die den Anschein erwecken, dass die Auswahl der Bibelstellen als Belege für bestimmte Aussagen nicht ausreichend durchdacht wurde. Zum Beispiel wird Psalm 139,1–6 als einzige Belegstelle für die Allwissenheit Gottes angeführt oder Psalm 2,4 als Nachweis dafür, dass Gott einen Sinn für Humor hat (Band 5:259).
Zusammenfassend ist Thomas Schirrmachers Ethik ein bemerkenswertes Werk, das besonders passend für evangelikale Christen ist und hervorragend für den Einsatz in Hauskreisen, Bibelgruppen und für das Selbststudium geeignet ist. Wenn Sie jedoch nach akademischer Tiefe suchen oder der evangelikalen Theologie nicht besonders zugeneigt sind, sollten Sie vielleicht eine andere Ethik-Literatur in Betracht ziehen. Hier sind drei mögliche Alternativen:
Drei Alternativen
Die Ethik von Bonhoeffer gilt als wichtiger Klassiker.
Eine gründliche Rezension der Ethik von Helmut Burkhardt finden Sie HIER auf unserem Blog.
Und ab jetzt können Sie bei uns auch die Ethik von Rochus Leonhardt vorbestellen.
Bibliografie
Schirrmacher, Thomas. 2020. Ethik. 6. Aufl. Nürnberg; Hamburg: VTR; RVB.