Ich muss zugeben, dass ich die Wuppertaler Studienbibel lange Zeit etwas belächelt habe. Das veraltete Design der Bände im Bücherregal meiner Eltern wirkte nicht sonderlich ansprechend. Beim Durchblättern schienen mir die Kommentare etwas zu schlicht. Meine englischen Kommentare wirkten moderner und theologisch tiefer – was auch immer das heißen soll.
Es liegt vielleicht doch an meiner verborgenen Grundhaltung, die neuesten Erkenntnisse seien auch immer die Besseren. Die junge Generation vergisst leicht, dass wir auf den Schultern von Theologen und geistlichen Leitern stehen, die jahrelang Gemeinden gelehrt und gestärkt haben.
Mit der Veröffentlichung der Wuppertaler Studienbibel in Logos habe ich mir einige Bände etwas genauer angeschaut und durfte meine Meinung ändern: Die Kommentare haben sich einen Platz im Regal von engagierten Bibellesern, Hauskreisleitern und Pastoren verdient.
Inhalt
Machen wir es konkret
In diesem Beitrag möchte ich gar nicht viel mehr über „die Wuppertaler“ sprechen, sondern lasse sie mit einigen Zitaten für sich selbst sprechen. Die folgenden Aspekte haben mir persönlich besonders imponiert:
Heilsgeschichtliche Auslegung – oder einfach gesagt: Es geht um Jesus
Mit der Bergpredigt beginnt nun das gewaltige Neue, das Jesus seiner Gemeinde zu sagen hat! Die Bergpredigt steht auf den ersten Blättern des NT. Was Jesus hier lehrt, das wird sich zunächst und zuerst in seinem eigenen Leben in Wort und Geschichte darstellen. Jesus wird in seinem Tun selbst das vollführen und ausführen, was er hier in der Bergpredigt seinen Jüngern als Aufgabe gibt. In seiner Nachfolge sollen dann seine Jünger das zur Tat werden lassen, was Jesus hier von ihnen verlangt.
Aus der Einleitung zur Bergpredigt (Band zu Matthäus, S. 73)
Diese Einleitung gibt den Ton an, wie man die gesamte Bergpredigt versteht. Die Bergpredigt ist also nicht nur dafür gedacht zu sagen, wie unser Charakter aussehen soll, sondern beschreibt, wie der Charakter von Jesus längst aussieht. Ganz nach einem meiner wichtigsten Prinzipien: Die Anbetung kommt vor der Anwendung.
Die von Kohelet angemahnte Gottesfurcht einerseits und die Erwartung eines letzten Gerichtes in der Verantwortung vor Gott andererseits werden im NT vom Heilsgeschehen in Kreuz und Auferstehung Jesu her neu beleuchtet und fortgeführt. […] Wer Kohelets Gedanken ernst nimmt, wird sich wohl leichter der Zusage des Evangeliums öffnen. Die Fragen, die Kohelet aufwirft, finden dann eine Antwort.
Aus der Einleitung zum Buch Prediger (Kohelet), S. 34:
Es scheint so, dass das Buch Prediger pessimistisch, dunkel und letztlich ohne echte Lösung sei. Gott zu fürchten, scheint zumindest keine zufriedenstellende Antwort für den modernen Menschen zu sein. Diese wenigen Einleitungsworte von Claus-Dieter Stoll haben mir immens geholfen, den Bezug zu heute über das Kreuz herzustellen. Der Prediger wird mit seiner Sichtweise stehen gelassen, aber wir müssen dank des Evangeliums nicht dort stehen bleiben.
Die richtige Dosis an Hintergrundinformationen
Ich habe mich mit dem Thema Scheidung und Wiederheirat lange beschäftigt und ausführliche Bücher gelesen. Die Wuppertaler Studienbibel hält sich prinzipiell mit sperrigen Hintergrundinformationen zurück. Aber hier schreibt der Autor zurecht:
Um das, was Jesus zu dieser Frage der Ehescheidung sagt, recht verstehen zu können, bedarf es einer eingehenden Schilderung der durch die damalige Praxis der Pharisäer leicht gemachten Ehescheidung. Wir können uns die Verwirrung und Verwüstung auf diesem Gebiet nicht verhängnisvoll genug vorstellen.
(Fritz Rienecker, Matthäus, S. 92)
Die darauf folgende Zusammenfassung ist sowohl kompakt als auch hilfreich. Über die Schlussfolgerung lässt sich natürlich trefflich streiten, aber als Leser bekommt man zumindest erste Hinweise, wo man weiterforschen sollte.
Keine Angst vor anderen Meinungen
Die Wuppertaler Studienbibel sollte man stolperfrei lesen können. Daher wurden komplexe Diskussionen und Bibelstellenverweise in Fußnoten hinterlegt. So wird der Lesefluss nicht gestört. Man kann aber auch anhalten und die Recherche mit den empfohlenen Werken weiterführen oder schnell die Parallelstellen nachschlagen. Ein interessantes Beispiel habe ich im Buch Prediger zu Vers 2 gefunden, in dem steht: „Alles hat seine Zeit, [auch eine] Zeit des Niederreißens“:
Manche Ausleger denken in Anlehnung an die jüdische Tradition an das kultische Einreißen der Kleidung als Zeichen der Trauer oder des Entsetzens (z.B. Brandenburg; Cohen /Rosenberg; Delitzsch; vgl. 1 Mo 37,29; 44, 13: Ri 11,35; 2 Sam 1,2.11; 13,31). Dagegen z.B. Galling; Hertzberg.
Claus-Dieter Stoll zum Buch Prediger, S. 69
Ein guter Hinweis und eine Deutung, auf die ich nicht gekommen wäre. Vielleicht lohnt sich hier eine Wortstudie zu dem entsprechenden Wort?
Das Leben im Blick, ohne zu konkret zu werden
Neben diesen technischen Fußnoten bringt Claus-Dieter Stoll diesen Text aber auch ins Leben hinein und legt Wert auf eine breite Anwendung.
Im Gegensatz dazu stehen dann Sterben, Entwurzeln, Töten und Niederreißen, Erfahrungen, die mit schwerer Bedrückung und tiefem Leid zu tun haben. Auch hier sind nicht nur die buchstäblichen Ereignisse, sondern bildhafte Vorgänge gemeint. Nicht umsonst spricht man z.B vom »Entwurzeln« eines Menschen, wenn er in fortgeschrittenem Alter seine angestammte Heimat verlassen und anderswo neu ansässig werden muss. Wenn jemand eine tief gehegte Hoffnung aufgeben muß, dann »stirbt« etwas in ihm. Wer ständig nur Kritik und Unzufriedenheit erfährt, gestichelt und abgeschrieben wird, kommt sich vor, als würde er »getötet«.
So wird die lange Aneinanderreihung von Begriffen konkret. Es ist keine konkrete Anwendung, aber die Lebenswelt des Textes und meine eigene kommen einander in wenigen Sätzen ganz nah.
Die Bibel erklären, aber mit Begeisterung
Besonders wertvoll finde ich es, wenn der Autor nicht nur den Text wie in einem Rezept erklärt, sondern wirklich Appetit darauf macht. Hier spürt man die persönliche Leidenschaft, die der Autor des Kommentars mit dem Verfasser des Psalms teilt. Zu Psalm 63 schreibt Dieter Schneider:
Was gemeint ist, wird erläutert durch den Parallelsatz: Es dürstet nach dir meine Seele. Es schmachtet nach dir mein Fleisch. Hinter diesem Verlangen nach Gott steht eine große Liebe, die sich nicht mit wenigem zufrieden geben will. Der ganze Mensch David, meine Seele … mein Fleisch, braucht die Gewißheit der Nähe Gottes. Im trockenen und lechzenden Land ohne Wasser’ verlangt es den Beter nach Gott als dem Elementaren (Wasser), nach Gott allein.
(Das Buch der Psalmen, S. 69)
Das sind nur einige wenige Abschnitte, die mich persönlich angesprochen und ermutigt haben.
Die Wuppertaler Studienbibel: Eine wertvolle Ergänzung zu anderen Kommentaren
Wer eine solide, deutsche Kommentarreihe sucht, sollte sich die Wuppertaler Studienbibel in sein digitales Bücherregal stellen. Natürlich sollte man dabei wissen, was man erwarten darf und was nicht. Der Schwerpunkt liegt auf der ausführlichen Erklärung, nicht die Detailexegese mit dem Urtext.
Die Bände eignen sich also zum einen sehr gut für ein intensives persönliches Bibelstudium. Man entdeckt in wenigen Absätzen so viele Aspekte eines Bibeltextes und erhält genügend Hintergrundinformationen für einige Aha-Momente.
Die Informationen kommen auch in der richtigen Dosis für eine ordentliche Vorbereitung von Andachten, Kleingruppen und Predigten. Wer sich noch konkretere Hilfestellungen wünscht, kann sich auch die Bände des Edition-C-Kommentars anschauen. Dort gibt es zusätzlich zur Auslegung auch Anregungen zu Bibelarbeiten oder Vorschläge für einen Predigttitel.
Einigen Bänden merkt man die lange Entstehungsgeschichte am Sprachstil und der Wortwahl an. Das schmälert aber nicht den wertigen Inhalt, der von bewährten Theologen, Pastoren und Seelsorgern zusammengetragen wurde.
Ausführliche Kommentare wie die Historisch-Theologische Auslegung (NT) oder Herders Theologischen Kommentar (AT & NT) sollte man besonders für sprachliche Feinheiten hinzuziehen. Matthew Henrys klassische Kommentarreihe (AT und NT) legt noch mehr Wert auf persönliche Anwendung und N.T. Wrights „Das Neue Testament für heute“ liest sich deutlich moderner.
Natürlich braucht es frische Kommentare. Jede Generation braucht junge Pastoren und Theologen, die mit Respekt gegenüber der Bibel predigen, leiten und vielleicht selbst Kommentare schreiben, damit Menschen durch die Bibel Gott besser kennenlernen. In diesem Sinne wird die Wuppertaler Studienbibel immer ein Vorbild sein und wird ihrem eigenen Anspruch gerecht: Sie erklärt den Bibeltext „für die bibellesende Gemeinde“.
Mehr Infos zur digitalen Ausgabe gibt es hier.
Die Wuppertaler Studienbibel stand früher nicht nur in meinem Bücherschrank, sondern sie lag auch zum Lesen und Studieren auf meinem Schreibtisch und am Leseplatz. Unerklärlicherweise sträubten sich bei mir jedoch nach kurzer Zeit unwillkürlich die Nackenhaare, wenn ich in einem Kommentar von Rienecker las. Deshalb habe ich diese Kommentarreihe weitergegeben an einen Bruder, dem sie mir zusagte. Aber die Bände von Adolf Pohl habe ich behalten; insbesondere sein Johannes-Evangelium-Kommentar und seine 2 Bände zur Offenbarung habe ich behalten und schätze sie ungemein. Das ATD und das NTD sind zwar recht kritische Kommentare, doch wenn man sie kritisch liest, kann man für sein Glaubensleben viele gute Hinweise finden. Weil ihnen jedoch das Prinzip, „dem Ursprung möglichst nahe zu kommen“ zugrunde liegt, wird der Text in Meinung und Gegenmeinung, Diskussion von Hinweisen und weiteren Auseinandersetzungen sehr stark zerstückelt. Ein Kommentar am Text entlang und in den Text hinein, stets am Text bleibend, ist nach meiner Meinung der Exodus-Kommentar von Christoph Dohmen aus dem Herder-Verlag.
Wer sind die Autoren der neuen Ausgabe der Wuppertaler Studienbibel, welche Grundsätze verfolgen sie, mit welcher Zielrichtung arbeiten Sie, wie gründlich gehen Sie vor? – Ihre Ankündigung bedeutet eigentlich, die Katze im Sack zu kaufen. Ich hätte also gern eine detaillierte Ankündigung.
Mit freundlichem Gruß
Bolko Müller
Vielen Dank für den Kommentar und die Anfrage! Es handelt sich hier nicht um eine Neuausgabe, sondern um eine Digitalisierung der bekannten und gewohnten Wuppertaler Studienbibel.
Statt „Ankündigung“ sollte es einmal „Reklame“ heißen. Dies ist eine Korrektur des Kommentars. Es handelt sich um einen 2. Schritt.