Inhalt
- Ein Leben für die Bildung /„Schulmann“, Arbeitstier und Universalgelehrter /„Lehren und Lernen gefällt Gott“
- Wittenberg – Leuchtturm der Bildung
- Vierbändige Werkausgabe
- Ein Leben für die Bildung
- Melanchthons Privatschule
- Umfassende Reformen an der Universität
- In vielen Fächern bewandert
- Melanchthon: „Lehren und Lernen gefällt Gott“
- Das Christentum und das Buch
- Melanchthons persönlicher Bildungsweg
- Melanchthon promovierte nie
- Reformation und Bildung
- Das Griechische wird wiederentdeckt
- Universitätsreformen und Schulgründungen
- Wirkung und Bedeutung in ganz Europa
- Melanchthon – Arbeitstier und “Schulmann”
- Der Schritt in die „himmlische Akademie“
- Ideen in praktische Pädagogik übersetzt
- „Die Leuchte von ganz Deutschland“
- Zum Autor
Ein Leben für die Bildung /„Schulmann“, Arbeitstier und Universalgelehrter /„Lehren und Lernen gefällt Gott“
Vier Wochen ritt Philipp Melanchthon von seiner damaligen Heimat Tübingen in Südwestdeutschland ins sächsische Wittenberg. Ihm blieben danach nur wenige Tage, bevor er seine neue Stelle als Griechisch-Professor an der Universität antrat.
Vor rund 500 Jahren, am 29. August 1518, hielt er seine Antrittsvorlesung, in der er über eine notwendige Studienreform sprach und seine Zuhörer begeisterte, unter ihnen auch Martin Luther. Melanchthon wurde sehr bald zu einem der engsten Mitstreiter Luthers für die Reformation und zu einem der einflussreichsten Lehrer und Bildungsreformer im deutschen Sprachraum.
Ein Gastartikel von Norbert Abt
Wittenberg – Leuchtturm der Bildung
Wittenberg war durch Martin Luther nicht nur das Zentrum der Reformation, sondern auch die Stadt eines Bildungsaufbruches, die der Landesfürst von Sachsen, Friedrich III., vorantrieb. 1502 gründete er die Universität in Wittenberg, die zu einem bildungspolitischen Leuchtturm werden sollte. 4000 Einwohner lebten in der Stadt, darunter allein 2000 Studenten. Obwohl viel unterwegs, sollten Wittenberg und die Universität bis zu seinem Tod der Mittelpunkt von Philipp Melanchthons Lehr- und Autorentätigkeit sein.
Vierbändige Werkausgabe
Logos bietet eine vierbändige Werkausgabe zu Philipp Melanchthon, die die Evangelische Verlagsanstalt (Leipzig) herausgegeben hat. Die Texte, Reden und Briefe Melanchthons werden in einer modernen Übersetzung in den vier Bänden dargeboten. Sie behandeln nicht nur Fragen der Reformation und der Theologie, sondern präsentieren auch Texte von Melanchthon zu den Themenbereichen Schule und Universität, Philosophie und Medizin, Theologie und Recht, Geschichte und Politik. Bei Letzterer geht es nicht nur um Kirchenpolitik, sondern – im dritten Band – um Europapolitik.
Ein Leben für die Bildung
Mit seinem ganzen Leben stand Philipp Melanchthon für Bildung. Er verfasste Lehrbücher, gründete Schulen und entwickelte Vorstellungen und Leitlinien für Unterricht und Lehre. Zunächst Professor für Griechisch, wurde Melanchthon später zusätzlich Professor für Hebräisch und Theologie, dann auch in weiteren Fächern. Seine Vorlesungen waren unter den Studenten beliebt: Bis zu 400 Studenten besuchten sie – für damalige Verhältnisse ein echter “Run“. Melanchthon bot in seinen Lehrveranstaltungen eine Mischung aus Vorlesung und Übung. Auch Rückfragen der Studenten waren möglich. Er war immer bemüht, den Stoff anschaulich zu vermitteln.
Melanchthons Privatschule
Selbst sein Privathaus führte Philipp Melanchthon als Schule. Er war der erste Hochschullehrer, der Studenten in sein dreistöckiges Haus aufnahm, darunter nicht nur begabte Studenten, sondern auch Kinder angesehener Persönlichkeiten, die er hier unterrichtete.
In seinem Haus gab es Vorlesungen, Übungen und Zeiten zum selbstständigen Lernen. Melanchthon hatte einen ganzheitlichen Ansatz und wollte seine Studenten bilden und prägen. Erfahrungen aus dem Miteinander in dieser Lehr- und Lebensgemeinschaft waren Ausgangspunkt für neue Ansätze im Schulunterricht und für weitergehende Bildungsreformen.
» Siehe auch: Melanchthons Bibelleseplan für Studenten
Umfassende Reformen an der Universität
1523 wurde Melanchthon Rektor der Wittenberger Universität. Er schaffte eine neue Studienordnung: Jeder Student hatte einen Tutor, der individuell den Studienplan festlegte, also welche Lehrveranstaltungen und welche antiken Texte zu bearbeiten waren. Leitlinie war hier nicht, möglichst viele Texte, sondern sinnvolle Texte der Antike zu bearbeiten. Dazu kamen regelmäßige schriftliche Übungen. Der Tutor prüfte damit die Lernfortschritte und achtete auch auf die Lebensführung des Studenten. Melanchthon war weniger die Aneignung von Wissen, sondern die eigene Auseinandersetzung mit den Inhalten wichtig.
In vielen Fächern bewandert
Der Melanchthon-Forscher Heinz Scheible fand Belege für die Themenvielfalt der Vorlesungen Melanchthons: „montags las er Dialektik, dienstags über Ciceros De officiis, mittwochs und samstags Geschichte, am Donnerstag über den Kolosserbrief, am Freitag über das Nicänum, und an den Sonn- und Feiertagen legte er das Tagesevangelium vor dem Gottesdienst lateinisch aus.“ Und er resümiert: „Diese Verbindung von Philosophie, biblischer Exegese, systematischer Theologie und Historiographie in einer Person war nicht zu wiederholen“, so Scheible, Leiter der Melanchthon-Forschungsstelle in Heidelberg.
Melanchthon war ein Universalgelehrter, der sich selbst zuallererst als Lehrer und Philosoph verstand. Doch er arbeitete auch in den Bereichen Geschichte, Pädagogik, Physik, Astronomie, Mathematik und Medizin. Seine vielen Impulse im Bereich von Bildung und Lehre machten ihn zum Lehrer Deutschlands („Praeceptor Germaniae“). Als Rektor der Wittenberger Universität setzte er sich für die Stärkung der Naturwissenschaften und der Medizin ein.
Melanchthon: „Lehren und Lernen gefällt Gott“
Glaube und Wissen, Frömmigkeit und Bildung gehörten für Melanchthon eng zusammen. So ist es die Frömmigkeit, die den Gebildeten vor Hochmut bewahre, zugleich stehe Frömmigkeit ohne Bildung in der Gefahr in die Irre und in Überheblichkeit zu führen – das war die feste Überzeugung von Melanchthon. Es könne kein Zweifel bestehen, „dass der Lebensform des Lehrens und Lernens das grösste Wohlgefallen Gottes“ gelte.
Ausgangspunkt für alle Bildung war nach seiner Vorstellung das Lesen der Heiligen Schrift. Die Bildung braucht nach Melanchthons Auffassung die Religion, weil sie die nötige Orientierung gebe und diese erwachse aus dem Studium der Heiligen Schrift.
Das Lesen und Forschen in der Bibel war für Melanchthon ein Gespräch des Menschen mit Gott: „Groß und bewundernswert ist Gottes Schöpfungswerk, jedoch nicht weniger die Wohltat, dass er sich selbst enthüllte und zu den Menschen kam und sich freundlich mit uns unterhielt.“
Das Christentum und das Buch
Es war Melanchthons tiefste Überzeugung, dass der christliche Glaube ganz grundsätzlich eine sehr eigene Beziehung zum Buch und zur Bildung habe, so wie keine andere Religion. Im Mai 1545 schrieb Melanchthon an den Rat der Stadt Halle: „Denn christliche Religion ist nicht wie andere heidnische Religion, die menschliche Vernunft selbst gedichtet hat und bedürfen keiner Bücher und Lehr, sondern Gott hat seinen heimlichen Willen von Christo und Vergebung der Sünd durch sein Recht geoffenbart und diese Offenbarung in ein Buch gefasset, das soll man lesen, hören und lernen. Darum sind Studia in christlicher Religion viel höher vonnöten, denn bei allen anderen Völker.“
Melanchthons persönlicher Bildungsweg
Am 16. Februar 1497 in Bretten geboren, besuchte Melanchthon die Lateinschule in Pforzheim. In dieser Zeit beginnt er auch Griechisch zu lernen. Er wohnte bei der Schwester seines Onkels und Humanisten Johannes Reuchlin, nachdem sein Großvater und sein Vater verstarben.
Mit 12 Jahren, im Jahr 1509, schrieb er sich in die Heidelberger Universität ein. Im gleichen Jahr schenkte ihm sein Onkel Johannes Reuchlin eine griechische Grammatik und widmete sie, wie damals üblich, seinem Neffen Melanchthon (für seinen deutschen Namen Schwarzerdt). Der Onkel war Melanchthons Vorbild, der ihn förderte. 1511 erwarb Melanchthon den untersten akademischen Grad eines baccalaureus artium.
Danach wechselte er an die Universität in Tübingen, wo er Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie studierte und sein Quadrivium 1514 abschloss. Er blieb danach in Tübingen und arbeitete als Griechischlehrer. 1518 gab er eine Griechisch-Grammatik heraus, die über lange Zeit Standardwerk war.
Melanchthon promovierte nie
Man mag es kaum für möglich halten, aber der große Lehrer, Humanist und Bildungsreformer Melanchthon promovierte nie. Als er sich darum bewarb, lehnten die Professoren in Heidelberg dies mit Hinweis darauf ab, dass sie ihm nicht die Kraft und Autorität eines akademischen Lehrers zutrauten. Melanchthon war von besonders schmächtiger Gestalt und nur 1,50 Meter groß. Es muss für den jungen Melanchthon eine tiefe Enttäuschung und sicher auch eine Kränkung gewesen sein, denn an mangelnder Begabung lag es ja nicht.
Später kommentierte er die Verweigerung einer Promotion mit folgenden Worten: „Es ist zuweilen sehr gut, wenn jungen Menschen nicht alle Wünsche befriedigt werden. Das habe ich in Heidelberg erfahren. Statt dass mich die Verweigerung des Magistertitels niedergeschlagen hätte, wurde ich nur desto mehr zum Fleiß ermuntert.”
Reformation und Bildung
In den Fürstentümern und Städten, die sich zur Reformation hielten, war das Schulwesen, das bisher eng mit Klöstern und Pfarrkirchen verbunden war, in weiten Teilen verwaist. Martin Luther und Philipp Melanchthon legten die Verantwortung für das Schulwesen nun in die Hände der weltlichen Obrigkeit, also in die der Fürsten und Magistrate. Die Reformation legte damit auch den Grundstein für ein allgemeines Recht auf Wissen und Bildung, das auch Mädchen miteinschloss.
Das Griechische wird wiederentdeckt
Erst mit dem 15. Jahrhundert begannen Humanisten allmählich, wieder griechische Werke zu lesen. Selbst am Ende des 15. Jahrhunderts gab es nur etwa zehn Gelehrte in Deutschland, die die Sprache der Antike beherrschten. Griechisch hatte keinen guten Ruf, weil es von der Kirche abgelehnt wurde; die Sprache stand unter dem Verdacht der Ketzerei. Man fürchtete, dass die Kenntnis der Urtexte die bisherige Theologie und Philosophie in Frage stellen könnte.
Demgegenüber lagen dem überzeugter Humanisten Melanchthon die alten Sprachen besonders am Herzen. Wie kaum einer beherrschte er das Griechisch der Antike. Für ihn galt die Losung: zurück zu den Quellen. Er erwartete von Theologen, dass sie die alten Sprachen, eben nicht nur Latein, sondern auch Griechisch und Hebräisch, zu beherrschen hatten, um so selbst die Bibel auslegen zu können. Es ging ihm darum, dass sich Theologen durch die Kenntnis der Ursprachen den Text selbst erschließen und nicht auf gängige Auslegungen anderer zurückgreifen. Für Melanchthon war Theologie ohne die Lektüre der ursprünglichen Bibeltexte nicht ernst zu nehmen und nur bloßes „Geschwätz“.
Universitätsreformen und Schulgründungen
Melanchthon verfasste Schulordnungen, Lehrpläne und Lehrbücher. Er beriet Schulen, arbeitete als Berater und tat dies durch Besuche, aber auch durch seine ausgedehnte Korrespondenz. Mit seinen Gutachten förderte er Reformen der Universitäten Heidelberg, Tübingen, Frankfurt an der Oder, Leipzig und Rostock. Dazu kam die Gründung von Lateinschulen in Städten wie Eisleben, Magdeburg, Goslar, Lüneburg und Nürnberg. Als Professor sorgte er für eine neue Generation gutausgebildeter und motivierter Lehrer – es dürften an die 17.000 Studenten gewesen sein, die von Melanchthon unterrichtet wurden.
Wirkung und Bedeutung in ganz Europa
Als Melanchthon 1560 stirbt, hinterlässt er ein riesiges Werk: Hunderte von Büchern, Schriften, Reden, Gebeten und Gedichten sowie etwa 9.000 Briefe. Allein zur Lebzeit Melanchthons wurden etwa 180.000 Bücher von ihm gedruckt, so Stefan Rhein, Direktor der Luthergedenkstätten. Ein Buchtitel hatte eine durchschnittliche Auflage von 1.500 bis 2.000 Exemplaren.
Der Wittenberger Gelehrte prägte weit über seine Zeit hinaus das Bildungssystem in den deutschen Fürstentümern und Städten und weit über die deutschen Grenzen hinaus. Die von ihm verfassten Lehrbücher erschienen auch in Schweden, Frankreich, England, Italien, Spanien, Ungarn und Polen. Vergeblich versuchten europäische Universitäten, den „Lehrer Deutschlands“, wie man ihn respektvoll nannte, aus Wittenberg abzuwerben.
Melanchthon – Arbeitstier und “Schulmann”
Melanchthon beschäftigte keinen Sekretär, wie Luther das tat, sondern schrieb alles selbst. Er war ein harter Arbeiter und schlief kaum mehr als vier Stunden. Morgens um vier Uhr saß er bereits an seinem Schreibtisch.
Kurz vor seinem Tod., so ist es überliefert, sprach er mit seinem Freund Camerarius. Als es darum ging, was für ihn die wichtigste Tätigkeit und Berufung war, bezeichnete sich Melanchthon selbst als „Schulmann“, nicht als Reformator oder Theologe. Das Höchste für den Menschen, so die Auffassung Melanchthons, sei seine Bildung.
Der Schritt in die „himmlische Akademie“
Bis eine Woche vor seinem Tod unterrichtete der leidenschaftliche Lehrer seine Studenten. An einer fiebrigen Erkältung starb Melanchthon am 19. April 1560 mit 63 Jahren im Studierzimmer seines Hauses. Nach dem Ende seines Todes wünschte er sich in die „himmlische Akademie“, wie er das ewige Leben bezeichnete. Vor seinem Tod notierte der tiefgläubige Melanchthon auf einem Zettel einige Gründe, „warum man den Tod weniger fürchten solle“. Einer der genannten Gründe lautete: „Du wirst ins Licht kommen“.
Ideen in praktische Pädagogik übersetzt
Für den Theologen Friedrich Schorlemmer war Melanchthon der Mann, „der die großen Ideen Luthers in praktische Pädagogik zu übersetzen vermochte. Ohne den wär’ die ganze Reformation überhaupt nicht weitergegangen. Also: der eine hat die großen Ideen und der andere organisiert dann, wie man das in schulische Praxis, in die kirchliche und gesellschaftliche Praxis übersetzt.“
„Die Leuchte von ganz Deutschland“
Für den früheren Theologie-Professur und badischen Landesbischof Klaus Engelhardt darf Melanchthons Wirkungsgeschichte nicht in die des Lehrers und die des Reformators zerlegt werden. Sie sei nur in Verbindung miteinander richtig zu erfassen.
„Was Melanchthon in Wittenberg als Universitätsreformer und für andere Städte als Schulreformer gewesen ist; was ihn zum Praeceptor Germaniae, zum Briefpartner mit Fürstenhäusern und Gelehrten in Europa machte; weshalb er im Jahr 1557 bei einem Besuch in Heidelberg als „die Leuchte von ganz Deutschland“ willkommen geheißen wurde, lässt sich nicht trennen von seiner Rolle als Reformator der Kirche. Melanchthon ist eine der großen Figuren, bei denen Glaube und säkulare Kultur zusammengehören, ohne dass der Glaube weichgespült oder säkulare Kultur religiös überfremdet worden wäre.“
Zum Autor
Norbert Abt, Journalist, studierte Politikwissenschaft, Publizistik und Soziologie. Seine Magisterarbeit hatte die Zwei-Reiche-Lehre bei Luther und Augustinus zum Inhalt.