Halten Sie in Ihrem persönlichen Glaubensleben auch „Stille Zeit“? Ich bin damit aufgewachsen und dachte lange Zeit, dies sei einfach die Weise, wie alle Christen ihre persönliche Frömmigkeit leben. Aber weit gefehlt. Die „Stille Zeit“ ist eine recht moderne Weiterentwicklung einer sehr alten christlichen Frömmigkeitstradition. Und auch heute gibt es jede Menge Christen, die eine andere Art haben, ihren persönlichen Glauben zu leben.
Je mehr ich aber dieser Wurzel auf die Spur komme, umso mehr profitiere ich in meinem eigenen christlichen Leben davon. Warum? Weil mir die Klarheit, wo meine Frömmigkeit herkommt, hilft, sowohl ihre Stärken als auch ihre Schwächen klarer wahrzunehmen. Der Blick in die Tradition erweitert damit meine Sichtweise. Und damit gibt sie mir wertvolle Hilfestellung, den Reichtum der Vergangenheit in mein gegenwärtiges christliches Leben zu integrieren.
Es geht mir nicht darum, dass wir jetzt die Frömmigkeit der Mönche, der Kirchenväter oder der ersten Gemeinde kopieren. Lasst sie uns aber einladen, unser Leben zu bereichern. Ich lade Sie ein, den Schatz einer dieser Praktiken mit mir gemeinsam zu heben. Ich bin dabei auch noch der Entdecker – nicht der Experte. Auch werde ich keine Patentlösung anbieten, aber ich bemerke die Bereicherung für mein geistliches Leben.
Wie gehen wir dazu vor? In diesem Artikel führe ich zuerst generell in das Tagzeitengebet ein. Wir verfolgen die Linie der modernen “Stillen Zeit” zu ihren Wurzeln. Dann möchte ich zeigen, welche Rolle die Psalmen dabei spielten und spielen können. Und da dies der Blog der Bibelsoftware Logos ist, werde ich dann auch ganz konkret am Beispiel zeigen, wie ich Logos dafür in der Praxis verwende.
Inhalt
Die Reise in die Tradition: Der Rhythmus des Gebets
Back to the roots! Woher kommt nun die sogenannte “Stille Zeit”? Was mich zuerst sehr verwundert hat, ist folgendes: Die “Stille Zeit” ist gar nicht alt! Sie wurde erst im 20. Jahrhundert populär (z.B. im Zuge der Evangelisationen Billy Grahams). Das Heft “Quiet Time”, erschienen bei IV-Press (1947), hatte dabei besonderen Einfluss, weil Graham es empfahl. (Der Titel wird bis heute neu aufgelegt: www.ivpress.com/quiet-time). Dabei wird dem Christen eine spezielle Zeit (meist morgens) empfohlen für die persönliche Andacht mit Bibellesen, kontemplativem Nachdenken und Gebet.
Aber IV-Press hat diese Praxis nicht einfach so erfunden: Schon die Pietisten hielten morgens eine persönliche Lese- und Gebetszeit. Tagsüber betete man ausführlich zu den Mahlzeiten. Das Tischgebet als Dank für das Essen ist in vielen Traditionen ein Überbleibsel davon. In der pietistischen Praxis war das üblicherweise ein freies Gebet, das nicht nur den Dank für das Essen zum Inhalt hatte. Am Abend versammelte sich die Familie zur Andacht. Zum Schlafengehen wurde am Bett gebetet.
Aber auch die Pietisten hatten eine Vorlage aus der sie diesen Tagesrhythmus entwickelten. Vorbild waren die evangelischen Tagzeitengebete, die ihrerseits auf das mittelalterliche Stundengebet aus dem klösterlichen Leben zurückgehen. Dieses klassische Stundengebet kennt sieben Gebetszeiten am Tag sowie eine (optionale) in der Nacht mit bestimmten biblischen Gebeten, die auch im Wechsel einander zugesprochen oder gesungen wurden. Das Stundengebet im Kloster war also eine gemeinschaftliche Sache.
Dieser Rhythmus wiederum stammt aus der Alten Kirche (z.B. bei den Wüstenvätern, aber auch vielen anderen Gruppen) und wurzelt letztlich in der Bibel selbst. So betet David in Ps 119,164: “Ich lobe dich des Tages siebenmal um deiner gerechten Ordnungen willen.” Daniel betete regelmäßig dreimal am Tag (Dan 6,11). Und auch die Gemeinde der Apostelgeschichte kennt feste Gebetszeiten am Tag (Apg3,1; 10,9).
Da ist es doch kaum verwunderlich, dass auch die Kirche aller Zeiten Gebetsrhythmen ausbildete, oft sogar im direkten Rückgriff auf das biblische Vorbild. Das mönchische Stundengebet hat nicht umsonst sieben Tagesgebetszeiten. Weil David aber auch “des Nachts” betet und singt (z.B. Ps 42,9), gibt es natürlich auch (zusätzlich) ein Nachtgebet.
Die Psalmen beten
Wir haben gesehen, wie die Christen im Lauf der Geschichte ihr Gebet strukturiert haben. Aber was beteten sie dann in ihren Gebetszeiten? Da gibt es keine eindeutige Antwort, denn die Gebetspraxis des Christentums ist schon immer sehr vielfältig. Epheser 5,19: “Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen”.
Die Kirche hat im Laufe der Zeit eine Fülle an gemeinschaftlichen und privaten Gebeten hervorgebracht. Zu jeder Zeit kannte man auch das persönliche, individuell formulierte Gebet. Das ist wertvoll und sollte niemals aufgegeben werden.
Eine besondere Quelle des Gebets waren aber immer die Psalmen. Das gilt für die Zeit des Alten Testaments (z.B. 2 Chr 7,6; Ps. 95,2) genauso wie für die ersten Gemeinden (z.B. 1 Kor 14,15; Jak 5,13). Seitdem waren die Psalmen für die Christen aller Zeiten immer auch ein Gebetsbuch. Sorgen wir dafür, dass dieser Schatz uns nicht verloren geht!
Die Psalmen sind nämlich ganz besondere Gebete und Bibeltexte, denn wenn ich sie bete, sind sie beides: Gottes Wort an mich und mein Wort an Gott. Das macht sie zu einer ganz speziellen Form der Kommunikation:
- Sie formulieren kraftvoll, was ich nicht immer selbst formulieren kann. Auch der Apostel Paulus wusste, dass das eigene Formulieren des Gebets an seine Grenzen stößt: “Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.” (Röm 8, 26) Wie gut, dass uns der Geist im Gebet hilft. Wie gut aber auch, dass uns derselbe Geist bereits Gebete in der Bibel hinterlassen hat, die wir beten können. Ich erlebe es häufig, dass mir nach dem Beten eines Psalms auch das freie Beten wieder leichter fällt.
- Sie retten mich davor, in meinen freien Gebeten nur zu plappern. Wie viel unserer “freien” Gebete – vor allem vor und mit anderen Christen – besteht in Wahrheit aus Füllphrasen, Allgemeinplätzen und Oberflächlichkeit? Wenn Ihnen das manchmal auffällt, dann geht es Ihnen wie mir. Aber diese Beobachtung ist kein Wunder: Uns fällt es ja oft schon schwer mit einem anderen Menschen in ein tiefgehendes, bedeutungsvolles Gespräch einzusteigen. Wie viel schwerer mit Gott. Aber wenn wir erst einmal in einem guten Gespräch sind, dann ist es viel einfacher es weiterzuführen. Genauso im Gebet. Ich erlebe die Psalmen als ganz hervorragenden Einstieg ins Gebet.
- Sie fordern mich heraus, aus den ausgetretenen Pfaden meiner Gebetspraxis auszubrechen und neues zu erforschen und zu wagen. Haben Sie schon einmal Gott ein Klagegebet gebracht? Oder ihm Ihren Zorn über die Feinde und Übeltäter so offen kommuniziert, wie das die Rachepsalmen tun? Konnten Sie schon einmal in den eigenen Gebeten von tiefer Trauer und Anklage zu höchster Anbetung aufsteigen? All das sehen und lernen wir in den Psalmen und noch viel mehr! Es mag sein, dass Sie sich nie getraut hätten so zu beten, wie der Psalmist – aber lassen Sie zu, dass das Psalmengebet den Horizont erweitert!
- Sie geben mir Worte für (extreme) Situationen, die ich noch nie erlebt habe und die mich überwältigen. Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: Eine nahestehende Person kommt zu Ihnen mit einer unglaublichen Erfahrung des Leides. Ein betrunkener Autofahrer hat sein dreijähriges Kind überfahren. Haben Sie dann Worte zum Beten mit dieser Person? Wenn der Autofahrer im Prozess uneinsichtig ist, haben Sie dann Worte für den Zorn dieses Vaters? Die Psalmen haben Worte für unaussprechliches Leid, für gerechten Zorn, für Rachegefühle genauso wie für Ohnmacht oder Verzweiflung.
Beides zusammenbringen: Psalmen als Gebetsroutine
Wie kann ich also die Psalmen zu meiner Gebetsroutine machen? Machen Sie sich einen Plan! Beten Sie Psalmen jeden Tag an einer festgelegten Zeit am Tag. Rahmen Sie den Tag im Gebet mit den Psalmen ein. Es muss ja nicht sofort das volle klassische Stundengebet mit seinen 7–8 Gebetszeiten sein.
Aber wenn ich mir einen Mönch vorstelle, wie er mit seinen Brüdern einmal in der Woche den gesamten Psalter betet, dann bin ich mir sicher, dass diese Übung nicht ohne Wirkung bleibt. Er wird die Worte tief eingeprägt und zu jeder Zeit parat haben, wenn er sie braucht.
Nun bin ich aber kein Mönch und lebe nicht im Kloster: Ich schaffe es beim besten Willen nicht diese Menge und Frequenz zu stemmen. Wie kann ich mir trotzdem den Schatz der Psalmen öffnen?
- Beginnen Sie mit einer schaffbaren täglichen “Portion”. Es bringt nichts, übergroße Ziele zu verfolgen und schon nach drei Tagen frustriert aufzugeben.
- Beginnen Sie mit den zugänglicheren Teilen der Psalmen. Ohne Frage – die Psalmen haben schon so manche schwierige Stelle – sowohl für das Verständnis als auch für die Anwendbarkeit im eigenen Gebet.
- Beginnen Sie mit einer breiten inhaltlichen Mischung. Suchen Sie nicht nur die “einfachen Feelgood-Psalmen” heraus, sondern wagen Sie sich auch an die kantigen Psalmen heran, auch mit Themen, die gerade nicht zu Ihrer Situation passen.
- Halten Sie die anfänglich ungewohnte Sprache und Situation im Gebet aus. Es wird sehr bald viel natürlicher.
Falls Sie eine Starthilfe brauchen: Hier habe ich eine Logos-Versliste für meine persönliche Nutzung zusammengestellt. Wie Sie diese oder eine andere Versliste als Grundlage für das Gebet mit Logos nutzen können, erkläre ich weiter unten.
Psalmen, die ich nicht auf mich anwenden kann
Es gibt viele Psalmen, die gerade gar nicht auf meine Situation passen. Mein Rat ist: beten Sie diesie trotzdem und lassen Sie sie nicht aus! So werden Sie ein Arsenal aufbauen für die Zukunft. Bitten Sie Gott, diese Worte im Herzen zu verankern für die Zeit, wenn Sie sie brauchen werden.
Andere Passagen sind so stark in der historischen Gegebenheit verankert, dass es mir schwerfällt sie auf mich anzuwenden: z.B. ein Krönungspsalm für den König oder ein Wallfahrtslied über Jerusalem. Versuchen Sie eine Übertragung in unsere Lebenswelt zu schaffen, z.B. für die Übertragung einer besonderen Verantwortung im Falle eines Krönungspsalms.
Dann gibt es aber noch Psalmenpassagen, die zu keiner Zeit und keinem Kontext auf mich passen. Entweder, weil sie zu hohe Ansprüche stellen und unhaltbare Versprechungen machen oder weil ziemlich deutlich ist, dass hier der Messias redet.
All diese Fälle sind eine Herausforderung für mein Beten der Psalmen. Wie kann ich diese Teile trotzdem verwenden?
Für diese Schwierigkeit finde ich das grundsätzliche Verständnis der Psalmen in der alten Kirche sehr hilfreich: Lesen und beten Sie die Psalmen nicht nur als Worte eines Menschen in einer bestimmten Situation, sondern auch als prophetisches Reden Christi zu seiner Gemeinde.
Tertullian, ein afrikanischer Christ († um 220), schreibt über den Psalter: “Er (d.h. David) singt bei uns von Christus und durch ihn singt Christus von sich selbst. Nimm Christum an und höre den Herrn, wie er mit Gott Vater redet.” (De carne christi, cap 20 – zitiert nach bkv). Christus spricht auch durch die Worte der menschlichen Verfasser, die einen konkreten Anlass zum Beten hatten. Ein Beispiel ist der Psalm 22, den Jesus am Kreuz betet. Hier betet David in einer konkreten Situation. Hier betet aber auch Christus – und dieses Gebet hat bis heute Auswirkungen in jedes Leben jedes Christen weltweit.
Tagzeitengebet mit Logos-Mitteln unterstützen
Natürlich kann man so ein Tagzeitengebet ganz ohne Software planen und durchführen. Für die konkrete Umsetzung für ein eigenes Psalmen- oder Tagzeitengebet finde ich aber zwei Logos-Funktionen sehr hilfreich: Die Versliste und den Leseplan.
Eine Versliste eignet sich hervorragend, um passende und vor allem auch gut portionierte Psalmenpassagen zu sammeln. Dafür markiere ich den Abschnitt, den ich hinzufügen möchte. Mit dem Kontextmenü (Rechtsklick auf die markierte Passage) kann ich den Abschnitt quasi im Vorbeigehen auf eine Versliste setzen.
Die Versliste ist ein sehr vielseitiges Dokument und eignet sich daher sehr gut als Datengrundlage. Beispielsweise kann ich nachträglich noch die verwendete Übersetzung ändern, die Stellen umsortieren, mir eine Liste ausdrucken oder in eine Textverarbeitung kopieren. Außerdem bleibt die Liste jederzeit erweiterbar: Wenn ich also bei der Arbeit mit Logos auf einen Psalm stoße, den ich gerne in meine Gebetsroutine aufnehmen möchte, dann füge ich ihn einfach wie oben erklärt hinzu. Genauso kann ich einen Abschnitt auch entfernen. So ist die Versliste eine “lebendige” Datengrundlage.
Wenn dann die Versliste genügend Einträge hat, kann ich sie mit einem Klick in einen Leseplan importieren. Dazu erstelle ich zuerst ein neues Dokument vom Typ ➔ “Leseplan” und wähle ➔ “Selbstgemachter Leseplan” aus.
Dann kann ich über ➔ “Hinzufügen” ➔ “… eine Versliste” meinen Leseplan mit der Versliste füllen. Logos belegt dann jeden Tag mit einem Eintrag der Liste. Leider scheint es momentan nur möglich zu sein, tägliche Lesepläne zu erstellen – zwei Abschnitte für einen Tag sind somit nicht mit nur einem Leseplan machbar. Abhelfen kann man sich, indem man mehrere tägliche Lesepläne erstellt, je einen für die Tageszeit, an der man beten möchte. Wenn Sie eine bessere Lösung wissen, lassen Sie doch bitte einen Kommentar unter dem Artikel da!
Sobald Sie den Leseplan beginnen, wird er auch in der mobilen Logos Apps (auf dem Smartphone/Tablet) angezeigt, sodass Sie ihn immer zur Hand haben können. Sie können den Leseplan auch als Kalendereintrag aus Logos exportieren und sich so über den eigenen Kalender benachrichtigen lassen.
Logos macht es auch möglich, dass Sie gemeinsam mit anderen denselben Gebetsplan beten können. Sie können den Leseplan mit einer “Faithlife Gruppe” teilen. Wenn Sie also andere Leute kennen, die bei Faithlife angemeldet sind, können Sie mit ihnen gemeinsam lesen – und auch beten! Die Einstellung dazu finden Sie in der Bearbeitung des Leseplanes. Den Leseplan kann man für sich allein starten, oder eben für eine Faithlife Gruppe, in der Sie sind.
Fazit
Ich finde die Reise in die Tradition der Tagzeitengebete bereichernd. Ich hoffe, mir ist es gelungen, Ihnen sowohl das Konzept, als auch eine mögliche Praxis unterstützt von Logos näherzubringen.