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Zur gewaltigsten Predigt aller Zeiten
Die Bergpredigt ist bekannt für den hohen ethischen Maßstab, den Jesus an seine Jünger legt. Jesus beginnt die Bergpredigt allerdings nicht mit Ansprüchen. Er beginnt mit Zusprüchen, den sogenannten Seligpreisungen (gr. makarios, μακάριος). Dieser Beitrag ist der zweite Teil einer Wortstudie, die zeigen soll, was es mit diesen Zusprüchen Jesus’ auf sich hat. Gleichzeitig soll dies eine Anleitung sein, selbstständig Wortstudien mit Logos durchzuführen.
Der Beitrag orientiert sich an den vier Schritten für eine Wortstudie aus dem Buch How to Understand and Apply the New Testament von Andrew David Naselli. Die vier Schritte lauten:
- Wähle ein griechisches Wort für eine Wortstudie aus
- Analysiere sein Bedeutungsspektrum im Neuen Testament
- Vergleiche, wie das Wort in der Septuaginta und außerbiblischer Literatur verwendet wird
- Ermittle die wahrscheinliche Bedeutung des Worts in Schlüsselstellen des Neuen Testaments
Die Fortsetzung zur Glückseligkeit
Der erste Teil war den Schritten 1 und 2 gewidmet. Wir hatten darin festgehalten, dass makarios in den deutschen Übersetzungen weitgehend einheitlich übersetzt wird, mit selig, glückselig oder glücklich. Es ist also nicht so, als hätte makarios ein weites Bedeutungsspektrum und es müsse geklärt werden, welche Bedeutung makarios in den Seligpreisungen habe.
Es soll aber geklärt werden, welches deutsche Wort makarios am besten wiedergibt und welches Konzept dahintersteckt. Bereits der Befund des NT hatte angedeutet, dass es eine Spannung zwischen dem bereits gegenwärtigen Segen und dem für die Zukunft verheißenen Segen gibt.
Dieser zweite Teil des Beitrags widmet sich dem ersten Teil von Schritt 3, der Bedeutung von makarios in den kanonischen Schriften der Septuaginta. Im dritten und letzte Beitrag werden wir die Bedeutung von makarios in der außerbiblischen Literatur betrachten und uns für die wahrscheinlichste Bedeutung entscheiden.
Schritt 3: Vergleiche, wie das Wort in der Septuaginta verwendet wird
Die Verwendung in der LXX
Wir wollen uns nun den alttestamentlichen Befund anschauen. Wir lassen uns dazu die Vorkommen von makarios in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der LXX (Septuaginta), anzeigen. Wir nutzen die Logos LXX von Rahlfs.
Wie Sie sich die Vorkommen im Griechischen Neuen Testament anzeigen lassen können, wird im ersten Beitrag gezeigt. Ich fasse das Wesentliche in Kürze zusammen: Öffnen Sie in der erweiterten Luther-Interlinearbibel Mt 5,3 (unseren Ausgangstext). Klicken Sie nun zuerst mit der rechten Maustaste auf das Wort selig, dann auf das Lemma μακάριος und schließlich auf „dieses Werk“.
Wechseln Sie die Bibelübersetzung jetzt zu Logos LXX und lassen Sie sich den Text parallel in der Luther 1984 anzeigen.
68 Treffer in 66 Versen werden uns angezeigt. Hier werden aber nicht nur die Vorkommen in den kanonischen Schriften der 39 alttestamentlichen Bücher gezählt, auch weitere in der LXX enthaltene jüdische Schriften sind hier inbegriffen. Wir wollen die Suche deshalb vorerst auf das Alte Testament eingrenzen. Das geht über eine Versliste, mit der genau definiert werden kann, welchen Bereich wir betrachten wollen.
Wählen Sie im Menü Dokumente den Punkt Versliste aus.
Führen Sie anschließend folgende drei Schritte aus: (1) Nennen Sie die Liste „Kanonische Bücher“, (2) fügen Sie nun eine Bibel ohne Apokryphen hinzu, z. B. die Rev. Elberfelder, und (3) legen Sie als Bereich Genesis-Offenbarung fest.
Nun haben Sie eine Versliste angelegt, die die Verse aller kanonischen Bücher beinhaltet.[1] Jetzt können Sie als Suchbereich Kanonische Bücher festlegen.
Es werden immer noch 42 Ergebnisse in 40 Versen angezeigt. Innerhalb dieses Artikels können nicht alle Vorkommen untersucht werden. Wir beschränken uns deshalb exemplarisch auf die ersten Vorkommen unterschiedlicher Textgattungen (Geschichtsbücher, Weisheitsliteratur und Propheten) und regen dazu an, selbst weiter zu graben.
Makarios in den Geschichtsbüchern
Die ersten zwei Vorkommnisse in der LXX finden sich in den fünf Büchern Mose. Lea bezeichnet sich selbst als glückselig, nachdem ihre Magd Silpa ihr einen zweiten Sohn geboren hat. So klingt auch der Name des Sohnes, Asser (Glück, Glückseligkeit) an das hebräische glückselig an (1Mo 30,13). Der Grund für die Glückseligkeit ist hier also ein weiterer Nachkomme.
Das zweite Vorkommen steht im letzten Buch des Pentateuch. Mose nennt Mose Israel glückselig, da Gott sich ihm rettend zugewandt hat und ihn vor seinen Feinden beschützt hat (5Mo 33,29). Israel wird glückselig genannt, weil Gott es äußerlich schützt.
Die zwei weiteren Vorkommen in den Geschichtsbüchern lassen wir hier außen vor. Wer sich fragt, was es mit dem Buch ‚3 Kingdoms‘ auf sich hat, die LXX verwendet gelegentlich abweichende Buchbezeichnungen. ‚3 Kingdoms‘ ist 1.Chronik.
Makarios in der Weisheitsliteratur
In den Psalmen wird gleich zu Beginn der Mensch glückselig genannt, der sich zu Gott hält, weil Gott ihn wie einen blühenden Baum segnet (Ps 1,1). Wer genau hinschaut, findet überraschend viele Parallelen zwischen Psalm 1 und den Seligpreisungen. Pennington nennt in seinem kürzlich erschienenen Buch The Sermon on the Mount and Human Flourishing sechs Parallelen:
- Beide laden Hörer auf den Weg der Weisheit ein (Ps 1,1; Mt 7,24),
- beide stellen zwei Wege für das Leben in der Welt gegenüber (Ps 1,1.6; Mt 7,13f),
- beide gebrauchen die Metapher eines fruchtbringenden Baumes (Ps 1,3f; Mt 7,16–20),
- beide sprechen vom kommenden Gericht und der Trennung der Gerechten von den Gottlosen (Ps 1,5f; Mt 7,13.21–23.26f).
- beide stellen die, die der Herr „kennt“, denen gegenüber, auf die das nicht zutrifft (Ps 1,6; Mt 7,23),
- beide betonen das Hören und Beachten von Gottes Offenbarung (Ps 1,2; Mt 7,24).
Pennington verortet die Wurzeln der Seligpreisungen der Bergpredigt neben der griechischen Tugendethik dementsprechend auch in der jüdischen Weisheitsliteratur. Psalm 1 wird nicht konkreter, wie die Segnungen des Gerechten (V.5f) aussehen, aber es ist vermutlich an ein ganzheitliches Aufblühen zu denken, das in der Gegenwart und in der Zukunft stattfindet. Der Gerechte bringt jetzt Frucht und alles, was er tut, gelingt ihm (V.3), aber das ebenfalls implizit angedeutete Verwelken der Ungerechten (V.3) und ihr kommendes Gericht (V.4–5) verweisen auch auf die Zukunft.
Psalm 1 stellt das Leben der Gerechten in idealisierter Weise dar, aber das Aufblühen wird klar verheißen. VanGemeren drückt es in seinem Kommentar über die Psalmen (The Revised Expositor’s Commentary) folgendermaßen aus: „Even when the righteous do not feel happy, they are still considered ‚blessed‘ from God’s perspective. He bestows his gift on them. Neither negative feelings nor adverse conditions can take away his blessing.“ Das klingt doch sehr nach den Seligpreisungen der Bergpredigt.
Der erste Psalm beginnt mit einer Seligpreisung, der zweite Psalm endet damit (Ps 2,12). Wir könnten darüber nachdenken, was uns das für das Buch der Psalmen als Ganzes zu sagen hat. Das ist aber nicht das Thema dieses Beitrags – und doch ist es interessant, welche Beobachtungen wir mit Hilfe von Logos ganz nebenbei machen können.
Im zweiten Psalm bezeichnet der Psalmist alle glückselig, die ihm vertrauen, weil sie nicht dem Zorn Gottes ausgesetzt sind (Ps 2,12). Es ist also vor allem das Endgericht im Blick. In Ps 32,1f (die Nummerierung der Psalmen weicht in der Septuaginta von der unsrigen ab, deshalb zeigt Logos Ps 31 an) wird beispielsweise derjenige glückselig genannt, dem seine Sünden vergeben sind, was innere Befreiung zur Folge hat (Ps 32,3f). Die vielen weiteren Stellen in der Weisheitsliteratur lassen wir hier wie der außen vor. Es lohnt sicher aber, die Stellen selbst nachzuschlagen.
Makarios in den Prophetischen Schriften
In den prophetischen Schriften finden wir fünf Vorkommen von makarios, drei davon in Jes 30–32. Während Kap. 30 und 31 Weherufe gegen Israeliten beinhalten, die von Gott abgeirrt sind, geht es in Kap. 32 um die Rettung der Gerechten. Inmitten der Weherufe werden Jes 30,18 die glückselig genannt, die auf Gott harren. In Jes 31,19 wird interessanterweise Gott selbst glückselig genannt (hier fällt allerdings auf, dass das in der Septuaginta enthaltene Adjektiv glückselig in unseren Übersetzungen gar nicht vorkommt – wir müssten in den hebräischen Grundtext schauen, um dem auf den Grund zu gehen. In Jes 32,20 wiederum werden die Gerechten glückselig genannt.
Exkurs: Der Assistent Wortstudie
Wir haben uns angeschaut, wie das Wort makarios in der LXX verwendet wird, indem wir einige Vorkommen exemplarisch betrachtet haben – das ist ein Weg. Einen anderen möchte ich aber nicht ungenannt lassen. Es macht durchaus Sinn, zu fragen, welche hebräischen Wörter einem in der LXX verwendeten griechischen Begriff zugrunde liegen. Das geht auch ohne Hebräischkenntnisse sehr leicht mit dem Assistenten Wortstudie. Klicken Sie dazu rechts auf das Wort und wählen Sie Wortstudie“ aus.
Wenn Sie nun im neu geöffneten Fenster etwas nach unten scrollen, bekommen Sie angezeigt, welche hebräischen Wörter von den Übersetzern der LXX mit makarios übersetzt wurden. Sie sehen, dass fast ausschließlich ein Wort zugrunde liegt, nämlich das Wort ’ašrê. Wenn Sie auf den großen Kreisausschnitt klicken, bekommen Sie diese Transliteration des hebräischen Wortes und die Vorkommen des Wortes im Bibeltext angezeigt. Wie Sie sehen, ist die Liste nahezu identisch mit der Liste der Verse, in denen makarios in der LXX vorkommt.
Ein zweites Zwischenfazit
Bei der Untersuchung des Wortes makarios im Neuen Testament hatten wir im ersten Beitrag die Spannung zwischen dem gegenwärtigen Segen und dem noch ausstehenden Segen festgehalten. Diese Spannung ist auch im Alten Testament sichtbar. Wir haben aber auch die besondere Rolle von makarios in der Weisheitsliteratur gesehen. 31 der 42 Vorkommen von makarios sind dort zu finden. Und wir haben die besondere Parallele zwischen Psalm 1 und den Seligpreisungen der Bergpredigt gesehen. Wie Psalm 1 den Gerechten ein ganzheitliches Aufblühen verheißt, so liegt das auch für die Seligpreisungen der Bergpredigt nahe. Im dritten und letzten Beitrag werden wir einen Blick in die außerbiblische Literatur werfen und uns für die wahrscheinlichste Bedeutung von makarios in den Seligpreisungen entscheiden.
[1] Die Tatsache, dass je nach verwendetem Grundtext einzelne Verse, die nach Ansicht der Herausgeber nicht gut bezeugt sind, ausgelassen werden, lassen wir hier der Einfachheit halber unbeachtet.