Was „glückselig“ wirklich bedeutet (Teil 1): Das Wort makarios im Neuen Testament

Von Jakob Haddick

Bergpredigt, Wortstudie
September 2, 2017

Makarios = Glückselig = ?

Die Berg­pre­digt ist bekannt für den hohen ethi­schen Maß­stab, den Jesus an sei­ne Jün­ger legt. Jesus beginnt die Berg­pre­digt aller­dings nicht mit Ansprü­chen. Er beginnt mit Zusprü­chen, den soge­nann­ten Selig­prei­sun­gen. Anhand einer Wort­stu­die soll der fol­gen­de Bei­trag zei­gen, was es mit die­sen Zusprü­chen Jesus’ auf sich hat. Der Bei­trag soll außer­dem eine Anlei­tung geben, selbst­stän­dig Wort­stu­di­en mit Logos durchzuführen.

Der vor­lie­gen­de Bei­trag ori­en­tiert sich an den vier Schrit­ten für eine Wort­stu­die aus dem neu erschie­ne­nen Buch How to Unter­stand and Apply the New Tes­ta­ment von Andrew David Nasel­li, das wir an die­ser Stel­le herz­lich emp­feh­len wol­len. Die vier Schrit­te lauten:

  1. Wäh­le ein grie­chi­sches Wort für eine Wort­stu­die aus
  2. Ana­ly­sie­re sein Bedeu­tungs­spek­trum im Neu­en Testament
  3. Ver­glei­che, wie das Wort in der Sep­tuag­in­ta und außer­bi­bli­scher Lite­ra­tur ver­wen­det wird
  4. Ermitt­le die wahr­schein­li­che Bedeu­tung des Worts in Schlüs­sel­stel­len des Neu­en Testaments

Die­ser ers­te Teil des Bei­trags wid­met sich den Schrit­ten 1 und 2. Der zwei­te Bei­trag wid­met sich den Schrit­ten 3 und 4.

Schritt 1: Wähle ein griechisches Wort für eine Wortstudie aus

Merkmale von Wörtern, bei denen sich eine Wortstudie lohnt

Eine Wort­stu­die erfor­dert Zeit, des­halb ist es für die Pra­xis beson­ders wich­tig, sich bewusst zu sein, bei wel­chen Wör­tern es sich lohnt, tie­fer zu graben.

Nasel­li nennt sechs Merk­ma­le von Wör­tern, bei denen sich eine Wort­stu­die loh­nen könnte.

  1. Wör­ter, deren Bedeu­tung undurch­sich­tig ist
  2. Theo­lo­gisch bedeut­sa­me Wörter
  3. Wör­ter von unkla­rer Bedeutsamkeit
  4. Wör­ter, die sel­ten ver­wen­det werden
  5. Wör­ter mit Syn­ony­men oder Antonymen
  6. Wör­ter, die in einem rele­van­ten Abschnitt mehr­fach ver­wen­det werden

In den Selig­prei­sun­gen (Mt 5,3–12) gibt es ein Wort, das hier ganz beson­ders her­aus­sticht. Es ist das grie­chi­sche Wort maka­ri­os (selig, glück­se­lig, glück­lich). Es fällt in die ers­te Kate­go­rie, da es recht unter­schied­lich über­setzt wird. Wäh­rend die rev. Elber­fel­der und die Schlach­ter 2000 „glück­se­lig“ schrei­ben, schreibt die Luther 1984 „selig“. Die NGÜ schreibt „glück­lich zu prei­sen“. Es fällt evtl. auch in die zwei­te Kate­go­rie, da von sei­ner Bedeu­tung abhängt, wel­che Hoff­nung ein Nach­fol­ger Jesus’ haben darf – in geist­li­cher Armut, Trau­er … Es fällt ganz sicher auch in die sechs­te Kate­go­rie. In Mt 5,3–11 wird es ins­ge­samt neun­mal gebraucht.

Exkurs: Übersetzungsvergleich

Das ers­te Merk­mal lau­tet: Wör­ter, deren Bedeu­tung undurch­sich­tig ist. Sol­che Wör­ter erkennt man oft dar­an, dass ver­schie­de­ne Über­set­zun­gen sie unter­schied­lich wie­der­ge­ben. Um dem auf den Grund zu gehen, bie­tet sich ein Über­set­zungs­ver­gleich eini­ger gän­gi­ger deut­schen Über­set­zun­gen an.

Textvergleich zu glückselig

Über den Menü­punkt „Werk­zeu­ge“ kann man „Text­ver­gleich“ aus­wäh­len. So gelangt man zum Über­set­zungs­ver­gleich. In der ers­ten Spal­te steht die Aus­gangs­über­set­zung, hier die rev. Elber­fel­der. In den drei wei­te­ren ange­zeig­ten Über­set­zun­gen sind jeweils die Unter­schie­de her­vor­ge­ho­ben. Der klei­ne rote Kreis zeigt an, dass ein Wort in der Aus­gangs­über­set­zung, aber nicht im Text der Ver­gleichs­über­set­zung ent­hal­ten ist. Die blau her­vor­ge­ho­be­nen Wör­ter ste­hen in der Ver­gleichs­über­set­zung, aber nicht in der Aus­gangs­über­set­zung. Die schwar­zen Wör­ter stim­men in bei­den Über­set­zun­gen über­ein. Im Anschluss an den jewei­li­gen Vers ist ver­merkt, zu wie viel Pro­zent bei­de Über­set­zun­gen über­ein­stim­men. Die abwei­chen­de Über­set­zung von maka­ri­os (rev. Elber­fel­der: glück­se­lig) in der Luther 1984 und der NGÜ sticht so gleich hervor.

Schritt 2: Analysiere sein Bedeutungsspektrum im Neuen Testament

Der Assistent Wortstudie

Es gibt ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten, eine Wort­stu­die durch­zu­füh­ren. Will man ein­fach die ver­schie­de­nen Bedeu­tungs­mög­lich­kei­ten eines Wor­tes betrach­ten, eig­net sich der in Logos inte­grier­te Assis­tent Wort­stu­die. Sie kön­nen eine Wort­stu­die direkt aus dem grie­chi­schen Grund­text her­aus star­ten, aber auch aus der Luther­bi­bel 1984, deren Text direkt mit dem Grund­text ver­knüpft ist.

Kli­cken Sie ein­fach mit der rech­ten Maus­tas­te auf das Wort selig, dann auf das Lem­ma maka­ri­os und schließ­lich auf Bibli­sche Wort­stu­die.

Biblische Wortstudie zu Makarios

Unter dem Abschnitt Lem­ma kön­nen Sie das Wort in ver­schie­de­nen Wör­ter­bü­chern nach­schla­gen. Das tun wir hier aller­dings nicht, da wir uns die Bedeu­tung selbst­stän­dig erar­bei­ten wollen.

Unter dem Abschnitt Über­set­zung LU 84 wer­den die ver­schie­de­nen Wör­ter ange­zeigt, mit denen die Luther 1984 das Wort maka­ri­os über­setzt. Bei fast allen der 50 Vor­kom­men wird das Wort unter­schied­lich flek­tiert mit selig über­setzt. Es wird nur eine Aus­nah­me ange­zeigt, Apg 26,2: „Es ist mir sehr lieb…“. Ein Blick in eine wört­li­che­re Über­set­zung offen­bart aller­dings, dass kein Bedeu­tungs­un­ter­schied vor­liegt. Die rev. Elber­fel­der, die maka­ri­os in den Selig­prei­sun­gen mit glück­se­lig wie­der­gibt, über­setzt hier z. B.:

Ich schät­ze mich glück­lich …“ In Apg 26,2 hat maka­ri­os also kei­ne völ­lig ande­re Bedeu­tung als sonst.

Wenn Sie wei­ter nach unten scrol­len, wer­den wei­te­re Hilfs­mit­tel ange­bo­ten. So wird z. B. ange­zeigt, wel­che hebräi­schen Wör­ter dem grie­chi­schen maka­ri­os in der LXX zu Grun­de lie­gen oder wel­che Wör­ter direkt mit maka­ri­os ver­wandt sind. Die­se Mög­lich­kei­ten sind durch­aus inter­es­sant, wir blen­den sie aber hier aus. Im zwei­ten Teil des Bei­trags wer­den wir auf die LXX eingehen.

Für uns bleibt fest­zu­hal­ten, dass uns die ein­fa­che Über­sicht, die der Assis­tent Wort­stu­die bie­tet, hier nicht beson­ders wei­ter­hilft, da unser Wort im Grun­de immer gleich über­setzt wird. Der Assis­tent eig­net sich bes­ser für Wör­ter mit ver­schie­de­nen Kontextbedeutungen.

Ein klei­ner Tipp am Ran­de: Nut­zen Sie den Assis­ten­ten doch ein­mal für das Verb „getrös­tet wer­den“ (gr. para­ka­leo) in Mt 5,4 und sie wer­den sehen, dass die Über­sicht der Bedeu­tungs­mög­lich­kei­ten hier schon wesent­lich auf­schluss­rei­cher ist.

Nach makarios suchen

Um eine Wort­stu­die selbst­stän­dig durch­zu­füh­ren, müs­sen wir zuerst ein­mal nach allen wei­te­ren Vor­kom­men des Wor­tes suchen. Kli­cken Sie dazu wie­der zuerst mit der rech­ten Maus­tas­te auf das Wort selig (in der erwei­ter­ten Inter­li­near­bi­bel), dann wie­der auf das Lem­ma maka­ri­os und schließ­lich auf „die­ses Werk“.

Seligpreisungen Rechtsklickmenü mit Wortstudie

In der ver­wen­de­ten Bibel wird jetzt auto­ma­tisch nach wei­te­ren Vor­kom­men des Wor­tes gesucht.

Lemma und Übersetzung von Makarios

Es wer­den 50 Ergeb­nis­se in 49 Ver­sen ange­zeigt. Das sind rela­tiv vie­le. Wenn man eine Wort­stu­die durch­führt, um einen Begriff in einer Pas­sa­ge bes­ser zu ver­ste­hen, sind die Vor­kom­men am wich­tigs­ten, die vom glei­chen Autor stam­men (hier Mat­thä­us). Für die­sen Bei­trag kon­zen­trie­ren wir uns hier des­halb nur auf die Tref­fer im Matthäusevangelium.

Verse in der Lemmasuche

Wir kön­nen die Suche auch direkt ein­gren­zen, indem wir uns nur die Vor­kom­men im Mat­thä­us­evan­ge­li­um anzei­gen las­sen. Wir kön­nen uns außer­dem den grie­chi­schen Grund­text par­al­lel anzei­gen lassen.

Textvergleich zu glückselig

Lemma in Nestle Aland Beispiel Matthäus

Wortstudie bei Matthäus

Um zu ver­ste­hen, was der Begriff maka­ri­os in den Selig­prei­sun­gen aus­sagt, unter­su­chen wir zuerst die Vor­kom­men bei Mat­thä­us außer­halb der Selig­prei­sun­gen. Das sind ins­ge­samt vier:

  • Mt 11,6 ist Teil von Jesu Ant­wort an Johan­nes den Täu­fer. Johan­nes war zu der Zeit im Gefäng­nis und hat­te sei­ne Jün­ger zu Jesus gesandt. Sie soll­ten ihn fra­gen, ob er der Chris­tus sei (11,2f). Jesus beant­wor­tet die Fra­ge nicht mit einem Ja oder Nein. Wie so oft in den syn­op­ti­schen Evan­ge­li­en for­dert er Johan­nes’ Jün­ger viel­mehr auf, auf sei­ne Wun­der zu schau­en und ihre Schlüs­se dar­aus zu zie­hen (11,4f). Jesus schließt sei­ne Wor­te mit 11,6 ab: „Und glück­se­lig ist, wer sich nicht an mir ärgern wird!“ (Rev. Elber­fel­der). Für Men­schen, die sich an Jesus ärgern (gr. skan­da­lizo), gebraucht Jesus weni­ge Kapi­tel spä­ter in Mt 15,12f zwei Bil­der. Das Bild einer Pflan­ze, die aus­ge­ris­sen wird und das Bild eines blin­den Füh­rers, der in die Gru­be fällt. Bei­de Bil­der spre­chen vom kom­men­den Gericht Got­tes. Dem­entspre­chend sind die­je­ni­gen, die Jesus in Mt 11,6 im Blick hat, des­we­gen maka­ri­os, weil sie nicht vom kom­men­den Gericht getrof­fen werden.
  • In Mt 13,16 nennt Jesus die Augen und Ohren sei­ner Jün­ger maka­ri­os, weil sie ihn und sei­ne Bot­schaft wahr­neh­men und anneh­men kön­nen. Die Jün­ger dür­fen erle­ben, was vie­le vor ihnen nur erseh­nen konn­ten. „Vie­le Pro­phe­ten und Gerech­te haben begehrt zu sehen, was ihr anschaut, und haben es nicht gese­hen; und zu hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.“ (V.17). Sie sind maka­ri­os, weil sie in die­sem Moment einen Ein­blick in Got­tes Geheim­nis­se bekommen.
  • In Mt 16,17 nennt Jesus Petrus maka­ri­os, weil er durch Got­tes Offen­ba­rung erken­nen durf­te, dass Jesus der Chris­tus ist. Die Bot­schaft scheint ähn­lich wie in 13,16 zu sein.
  • In Mt 24,46 nennt Jesus in einem Gleich­nis jenen Knecht maka­ri­os, der auf die plötz­li­che Wie­der­kunft sei­nes Herrn vor­be­rei­tet ist, denn er wird belohnt wer­den (V.47). Er ist maka­ri­os wegen der Beloh­nung, die ihn in der Zukunft erwar­tet. Im Gegen­satz dazu steht der böse unvor­be­rei­te­te Knecht (V.48–51), der bestraft wer­den wird.

Im Mat­thä­us­evan­ge­li­um wer­den Men­schen dem­entspre­chend aus zwei Grün­den maka­ri­os genannt. (1) Sie dür­fen bereits jetzt Zeu­gen von Got­tes Wir­ken in der Welt sein und (2) sie dür­fen eine gro­ße Beloh­nung in der Zukunft erwar­ten. Zwi­schen die­sen bei­den Polen bewe­gen sich auch die Ver­hei­ßun­gen der Selig­prei­sun­gen. Die Jün­ger gehö­ren bereits jetzt zum Him­mel­reich (5,3.10 – die Ver­hei­ßun­gen ste­hen im Prä­sens) und sie dür­fen eine gro­ße Beloh­nung für die Zukunft erwar­ten (5,4–9 – die Ver­hei­ßun­gen ste­hen im Futur).

Zwischenfazit

Die Selig­prei­sun­gen las­sen hin­ter die Fas­sa­de bli­cken. Egal, wie wir uns als Nach­fol­ger Jesus’ manch­mal füh­len mögen oder wie ande­re uns wahr­neh­men: arm im Geist, trau­ernd, nach der Gerech­tig­keit hun­gernd und dürs­tend … Ver­ges­sen wir nicht, dass wir in Jesus unglaub­lich reich beschenkt sind und ein noch grö­ße­rer Reich­tum auf uns wartet.


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Jakob Haddick

Über den Autor

Jakob Haddick ist Gemeindepastor der Christlichen Gemeinde Freimersheim und Mitglied im Leitungsteam beim Gemeinde-Netzwerk Evangelium für Alle. Dort ist er verantwortlich für nebenberufliche theologische Schulungsarbeit. Privat bloggt er auf jakobhaddick.de.

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