Inhalt
- Melanchthon und die Heidelberger Disputation
- Erste öffentliche Diskussion über Luthers Thesen
- Initialzündung für Melanchthon
- Melanchthons vierbändige Werkausgabe
- Stationen seines Bildungsweges
- Melanchthon erhält Ruf nach Wittenberg
- Luther über Melanchthon: „Mein kleiner Grieche”
- Ein Universalgelehrter
- Für die alten Sprachen
- „Die Bibel: Unterhaltung Gottes mit den Menschen”
- Gottes Wort für jeden zugänglich
- Luther und Melanchthon – Zwei ganz unterschiedliche Temperamente
- „Außenminister der Reformation”
- Melanchthon: Autor vieler reformatorischer Schriften
- „Vater der Ökumene”?
- Unerbittlich gegen die Täufer
- Fazit
Melanchthon und die Heidelberger Disputation
Es war der 26. April 1518 – vor rund fünfhundert Jahren. Theologen und Gelehrte kamen zusammen und diskutierten die Thesen von Martin Luther in einem Hörsaal der Heidelberger Universität auf Einladung des Augustinerordens. Das akademische Streitgespräch ging als Heidelberger Disputation in die Geschichte ein.
Es ist nicht belegt, dass Philipp Melanchthon daran teilnahm, auch wenn es wahrscheinlich ist. Aber durch die Veranstaltung wurde der 21-jährige Griechischlehrer, der an der Tübinger Universität arbeitete, in jedem Fall auf Luthers Theologie und Thesen aufmerksam und bald zu einem ihrer einflussreichsten Verfechter.
Ein Gastartikel von Norbert Abt
Erste öffentliche Diskussion über Luthers Thesen
Die Heidelberger Disputation war die erste öffentliche Diskussion über die noch kaum bekannten Thesen Luthers, die er ein halbes Jahr zuvor in Wittenberg veröffentlicht hatte. Luther selbst leitete die Disputation, in der es vor allem um seine Aussagen zur Rechtfertigungslehre ging. Während die älteren Theologie-Professoren der Universität ablehnend reagierten, zeigten sich jüngere Lehrmitglieder und Studenten von den Ideen und Thesen Luthers begeistert. Vor allem für den südwestdeutschen Raum hatte die Disputation große Bedeutung. Zu den Teilnehmern gehörten Reformatoren wie Martin Bucer, Johannes Brenz und Erhard Schnepf.
Initialzündung für Melanchthon
Die Heidelberger Disputation ist damit Initialzündung und Ausgangspunkt für die spätere Freundschaft und das enge Zusammenwirken von Martin Luther und Philipp Melanchthon, die für die Ausbreitung der Reformation von entscheidender Bedeutung werden sollten. Melanchthon hatte vor allem großen Anteil an der Formulierung der reformatorischen Theologie.
Melanchthons vierbändige Werkausgabe
Logos bietet eine vierbändige Werkausgabe zu Philipp Melanchthon an, die die Evangelische Verlagsanstalt (Leipzig) herausgegeben hat. Sie ist Teil der für das Studium zur Verfügung gestellten Fachliteratur. Die Texte, Reden und Briefe Melanchthons werden in einer modernen Übersetzung in den vier Bänden dargeboten. Sie behandeln nicht nur Fragen der Reformation und der Theologie, sondern präsentieren auch Texte von Melanchthon zu den Themenbereichen Schule und Universität, Philosophie und Medizin, Theologie und Recht, Geschichte und Politik. Bei Letzterer geht es nicht nur um Kirchenpolitik, sondern (im dritten Band) um Europapolitik.
Stationen seines Bildungsweges
Am 16. Februar 1497 in Bretten geboren, genoss Melanchthon eine frühe und umfassende Bildung. Er lernte früh Latein. Schon als Zwölfjähriger, im Jahr 1509, besuchte er die Heidelberger Universität und erwarb 1511 den untersten akademischen Grad eines baccalaureus artium. Im Anschluss wechselte er an die Universität in Tübingen. Hier studierte er Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie (Quadrivium) und schloss 1514 sein Studium dort ab. Danach blieb er in Tübingen und arbeitete als Griechischlehrer.
Philipp Melanchthon war alles andere als eine beeindruckende Erscheinung. Er war von schmaler Statur, gerade mal 1,50 Meter groß und hatte einen Sprachfehler (vermutlich lispelte er).
Melanchthon erhält Ruf nach Wittenberg
Martin Luther und Philipp Melanchthon lebten geographisch und kulturell in sehr verschiedenen Teilen Deutschlands: hier der junge Reformator aus der jungen Universitätsstadt Wittenberg in Sachsen, dort der Griechischlehrer Melanchthon im über sechshundert Kilometer entfernten Tübingen im Südwesten. Doch sehr bald sollten die beiden Gelehrten zueinanderfinden: Der Landesfürst von Wittenberg, Friedrich der Weise, stiftete eine Professur für Griechisch an der Wittenberger Universität.
Die Stelle sollte mit Johannes Reuchlin besetzt werden. Doch dieser lehnte ab und empfahl stattdessen seinen Neffen Philipp, den er in den Jahren zuvor bereits tatkräftig gefördert hatte. Reuchlin, Richter und eine von wenigen, die das Altgriechische beherrschten, erkannte das Sprachtalent seines Neffen Philipp. Er schenkte dem 12jährigen Neffen eine Griechisch-Grammatik. In einer Widmung sprach er Philipp mit Melanchthon an, der gräzisierten Form von Schwarzerdt, dem eigentlichen Namen seines Neffen. Ein neuer Name, sei es auf Latein oder Griechisch, war in der damaligen Zeit üblich, eine Verbeugung vor der Antike, die Teil der neuen Wertschätzung gegenüber den alten Denkern war.
Luther über Melanchthon: „Mein kleiner Grieche”
Am 30. August 1518 trat Melanchthon im Alter von 21 Jahren die Stelle in Wittenberg an und wurde schnell zu einem der beliebtesten und geachtetsten Lehrer der Universität. Luther war nicht der einzige, der sich von seiner Antrittsvorlesung begeistert zeigte. Zwischen den beiden so unterschiedlichen Männern entstand schnell eine Freundschaft: Hier der wortgewaltige, emotionale und kräftig gebaute Martin Luther. Dort der feinsinnige, vermittelnde und hagere Melanchthon. Luther nannte Melanchthon Graeculus, „mein kleiner Grieche”. Als Luther im Oktober 1518 eine Reise nach Augsburg antrat, legte er die Zukunft seiner Reformationsarbeit in Melanchthons Hände für den Fall, dass ihm auf der Reise etwas zustoßen sollte. Melanchthon übernahm während der Abwesenheit Luthers dessen Vorlesungen; schnell arbeitet er sich in die Theologie und in die Auslegung der neutestamentlichen Schriften ein.
Ein Universalgelehrter
Melanchthon lehrte Luther Griechisch, während Luther ihm das Hebräische und die Theologie vermittelte, so dass er schon nach einem Jahr mit Luthers Hilfe den Baccalaureus biblicus erwarb. So wurde es möglich, dass er auch an der Theologischen Fakultät ordentlich lehren konnte.
Doch Melanchthon verstand sich immer zuerst als Philosoph und Lehrer. Er war einer der herausragenden Universalgelehrten seiner Zeit. Philipp verfasste nicht nur zahllose theologische Schriften, sondern arbeitete auch in den Bereichen Geschichte, Pädagogik, Physik, Astronomie, Mathematik und Medizin.
Melanchthon schrieb in Latein – der Gelehrtensprache seiner Zeit. Dies war auch ein Grund, warum Melanchthon vor allem in Gelehrtenkreisen präsent und bekannt war, während Luther mit seinen Schriften in Deutsch viel mehr Menschen erreichen konnte.
Für die alten Sprachen
Melanchthon lagen als überzeugter Humanist besonders die alten Sprachen am Herzen. Wie kaum einer beherrschte er das Griechisch der Antike, verfasste auch eine Grammatik. Er erwartete von Theologen, dass sie die alten Sprachen zu beherrschen hatten (nicht nur Latein, sondern auch Griechisch und Hebräisch), um so selbst die Bibel auslegen zu können. Für Melanchthon war Theologie ohne die Lektüre der ursprünglichen Bibeltexte nicht ernst zu nehmen und nur bloßes „Geschwätz”.
„Die Bibel: Unterhaltung Gottes mit den Menschen”
Nach seiner Vorstellung wollte Gott durch die Heiligen Schriften zu jedem Menschen reden. „Wir sind dazu geboren, zum wechselseitigen, Erkenntnis fördernden, freundlichen Gespräch.” Nach seinem Verständnis war die ganze Bibel „eine freundliche Unterhaltung Gottes mit den Menschen”, wie es heute der Theologe Friedrich Schorlemmer formuliert.
Gottes Wort für jeden zugänglich
Es war daher ein Herzensanliegen von Melanchthon, dass jeder die Bibel kennen und verstehen sollte. Er war es, der Martin Luther zur Übersetzung der Bibel ins Deutsche bestärkte, und er arbeitete auch selbst daran mit. Ist die ausdrucksstarke und bildreiche Sprache der Übersetzung ein Verdienst von Luther, so liegt Melanchthons Beitrag in der Gründlichkeit der Übersetzung und einem guten Textfluss. So ist die Herausgabe der deutschen Bibel auch ein epochales Ereignis: Sie entreißt das Lesen und die Auslegung der Bibel einem kleinen Kreis von Fachleuten und macht sie erstmals für jeden zugänglich.
Luther und Melanchthon – Zwei ganz unterschiedliche Temperamente
Luther war der Mann für die aufrüttelnden und nicht selten kämpferischen Schriften, während Melanchthon die reformatorischen Inhalte so systematisch darstellte, dass selbst Gegner sich darauf einlassen konnten. Bewusst argumentierte Melanchthon dabei mit den Kirchenvätern, um so eher die Aufmerksamkeit und Zustimmung der Altkirchlichen zu gewinnen. Melanchthon versuchte zu vermitteln, verstand sich als Diplomat und Brückenbauer im Streit mit der alten Kirche.
Luther dagegen war eher konfrontativ, er selbst bezeichnete sich einmal als „Mann fürs Grobe” und Melanchthon als „Leisetreter”. Die beiden ergänzten sich, rieben sich aber auch mit ihren unterschiedlichen Charakteren immer wieder stark aneinander. Hier Martin Luther, der keinem theologischen Streit aus dem Weg ging, dort der zurückhaltende, eher vorsichtige und abwägende Melanchthon. So unterschiedlich ihre Temperamente auch waren, arbeiteten sie 28 Jahre eng und fruchtbar zusammen.
„Außenminister der Reformation”
Etwa ein Drittel seiner Lebenszeit verbrachte Philipp Melanchthon auf Reisen. Stephan Rhein, der Direktor der Luthergedenkstätten, bezeichnet ihn vor diesem Hintergrund als „Außenminister” der Reformation. Bereits 1519 begleitete Melanchthon Luther zur Leipziger Disputation. In vielen Gesprächen und Verhandlungen war Melanchthon mit dabei. Wenn Luther selbst nicht reisen konnte, agierte er oft als Verhandlungsführer auf reformatorischer beziehungsweise lutherischer Seite.
Melanchthon: Autor vieler reformatorischer Schriften
Auch 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg sollte Melanchthon an Luthers Stelle vor dem Kaiser stehen: Luther konnte aufgrund des über ihn verhängten Banns nicht aus Kursachsen dorthin reisen. In diesem Jahr entsteht unter seiner Federführung die große Bekenntnisschrift „Confessio Augustana”, das Augsburgische Bekenntnis, das bis heute für die evangelischen Kirchen lutherischer Prägung verbindlich ist.
Die lutherische Kirche verdankt Melanchthon viel. Immerhin drei von sieben Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche stammen von ihm: Neben der Augsburgischen Konfession auch ihre Apologie und das „Traktat von der Gewalt und Obrigkeit des Papstes”.
Philipp Melanchthon war es auch, der als erster im Jahr 1521 eine theologische Zusammenfassung (die Loci communes rerum theologicarum) der lutherischen Reformationsideen zusammenstellte, die er in den folgenden Jahren immer wieder überarbeitete. Die Loci communes wurden zur lutherischen Dogmatik und lassen sich in ihrer Wirkung kaum überschätzen.
„Vater der Ökumene”?
Melanchthons vorsichtige und vermittelnde Vorgehensweise macht ihn für manche Theologen heute zum „Vater und Wegbereiter der Ökumene”, während andere in seinem stetigen Bemühen um Vermittlung eine Schwäche sehen, die der Reformation nicht nur Nutzen gebracht habe. Mit seiner riesigen Korrespondenz (9000 Briefe sind von ihm erhalten) stand Philipp Melanchthon mit zahllosen Kirchenvertretern in Kontakt, nicht nur in Deutschland. So schickte er beispielsweise eine griechische Übersetzung der Augsburger Konfession an den Patriarchen von Konstantinopel.
Unerbittlich gegen die Täufer
Zeigte sich Melanchthon gegenüber der alten Kirche vermittelnd, so verhielt er sich gegenüber den Wiedertäufern entschieden und hart. In einem Gutachten über einen Streitfall forderte er 1528 die Todesstrafe für Wiedertäufer. 1530 bittet der Gothaer Reformator Friedrich Myconius Melanchthon um Rat, wie mit den Täufern umzugehen sei. Myconius äußert Bedenken gegenüber einer Verfolgung. Doch Melanchthon rechtfertigt die Verfolgung der Wiedertäufer. In der Confessio Augustana bezeichnet er die Täufer denn auch als Ketzer. In einem Gutachten für den sächsischen Kurfürsten spricht er sich für die Todesstrafe gegenüber den Täufern aus.
Der Kirchenhistoriker Prof. Martin H. Jung ist der Meinung, dass im Blick auf die Täufer auch an Melanchthons Händen Blut klebe. Er habe sich mitschuldig gemacht, dass Täufer hingerichtet oder ertränkt wurden. Für Prof. Jung steht hier noch eine Aufarbeitung der „brutalen Seite der Reformation” aus.
Fazit
Philipp Melanchthons Bedeutung für die Verbreitung der Reformation kann kaum überschätzt werden, auch wenn er oft nur als Mann der zweiten Reihe, eben hinter Martin Luther, galt. Mit seiner Fähigkeit, die Aussagen der lutherischen Reformation systematisch und verständlich, aber auch auf Gelehrtenniveau zusammenzufassen, erwies er der Reformation einen unschätzbaren Dienst.
Wichtig war auch seine Rolle für die Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Er stieß das Projekt mit an und verhalf mit seiner sprachlichen Sorgfalt zum Erfolg der Übersetzung, die den Deutschen erstmals das Wort Gottes in ihrer Muttersprache zugänglich machte.
Viele Disputationen, nicht nur mit den Altkirchlichen, sondern auch mit anderen Vertretern der Reformation, führte Melanchthon. Für manche war seine Haltung gegenüber den Altkirchlichen zu vorsichtig, zu vermittelnd. Es ist zu erkennen, dass er lange um Ausgleich bemüht war und den endgültigen Bruch mit der römischen Kirche zu verhindern suchte. Für die einen macht ihn dies zum “Vater der Ökumene”, für andere zu einem viel zu vorsichtigen Vertreter der Reformation. So sehr er sich um Vermittlung mit den Altkirchlichen bemühte, so kompromisslos zeigte er sich gegenüber den Täufern, wo er auch vor Todesurteilen nicht zurück schreckte.
Über den Autor: Norbert Abt, Journalist, studierte Politikwissenschaft, Publizistik und Soziologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Seine Magisterarbeit in Politikwissenschaft hatte die Zwei-Reiche-Lehre bei Luther und Augustinus zum Thema.