Ein Gastartikel von Norbert Abt zum Todestag von Nicolaus Ludwig von Zinzendorf am 9. Mai 1760.
Inhalt
- Ein Leben für eine „großartige Seelensammlung für den Herrn Jesus“
- Zinzendorf: „Mir schoß das Blut…“
- Zinzendorfs Antwort an den Gekreuzigten
- Schluss mit den „frommen Flausen“
- Zinzendorf wollte Konfessionsgrenzen überwinden
- Aus hohem Hause
- Seine gläubige Großmutter zieht Nicolaus Ludwig auf
- Pfarrer werden entsprach nicht dem Stand von Zinzendorf
- Ein Friedensplan, der scheitert
- Ein Rittergut zum Trost
- Eine „Streiter-Ehe“ für den Herrn Jesus
- Herrnhut: Ein Ort für Religionsflüchtlinge
- Neue Formen des christlichen Gemeinschaftlsebens
- Singen, das Gemeinschaft stiftet
- Zinzendorf wollte keine neue Kirche
- Von Herrnhut aus in alle Welt
- Zinzendorf war ein leidenschaftlicher Prediger
- Hausversammlungen und Missionsfeld
- Zinzendorfs Freundschaft mit dem Preußen-König
- Zinzendorf wird Bischof
- Zinzendorfs Ausweisung aus Sachsen
- Rührende Worte von Zinzendorf
- Würdigungen bekannter Denker
- Modern und zukunftsweisend
- Gleichheit der Menschen in Jesus
- „Ohne Jesus wäre ich Atheist!“, sagte Zinzendorf
- Mehr als das persönliche Seelenheil
Ein Leben für eine „großartige Seelensammlung für den Herrn Jesus“
Zinzendorf stand vor einem Bild, das den leidenden Jesus mit einem Strick um den Hals und der aufgesetzten Dornenkrone zeigte. Er sah in die Augen dieses Jesus und konnte seinen Blick nicht mehr abwenden. Vor allem aber ließ ihn der Untertitel nicht mehr los, in dem gefragt wurde: Was tust du für mich?
Das Erlebnis in einer Düsseldorfer Galerie im Jahr 1719 steht für eine persönliche wie einschneidende Erfahrung, die Nicolaus Ludwig Graf von Zinzendorf machte und die seinen weiteren Weg maßgeblich bestimmen sollte. Es ist die Wegmarke einer der bekanntesten, einflussreichsten und schillerndsten Persönlichkeiten des deutschen Protestantismus.
In diesem Artikel können nicht das ganze Lebenswerk und die gesamte Theologie Zinzendorfs behandelt werden. Vielmehr werden einige wichtige Aspekte angesprochen.
Zinzendorf: „Mir schoß das Blut…“
Sein Erlebnis vor dem Bild „Ecce homo“ von Domenico Feti beschreibt Zinzendorf mit folgenden Worten: „Unter vielen Hunderten der herrlichsten Portraits auf der Galerie zog das einzige Ecce homo mein Auge und Gemüt auf sich. Es war der Affekt ganz unvergleichlich exprimiert mit der Unterschrift: Ego pro te haec passus sum; Tu vero, quid fecisti prome? (Ich habe dies für dich gelitten; du aber, was hast du für mich getan?) Mir schoß das Blut, daß ich hier auch nicht viel würde antworten können, und bat meinen Heiland, mich in die Gemeinschaft seines Leidens mit Gewalt zu reißen, wenn mein Sinn nicht hinein wolle.“
Zinzendorfs Antwort an den Gekreuzigten
Fortan wollte der junge Mann dafür leben, dass das Evangelium verkündigt wird. Und das tat er auf verschiedenste Weise: Er dichtete an die zweitausend Kirchenlieder, nahm sich protestantischer Flüchtlinge an, gründete die Gemeinschaft der Herrnhuter Brüdergemeine, initiierte eine weltweite Missionsbewegung und „erfand“ die Losungen. Zinzendorf wurde so zu einer der prägendsten Gestalten im deutschen Protestantismus. Er nutzte die Möglichkeiten seines Besitzes und seines Einflusses, um mit seinem Tun und seinem Leben seine Antwort an den gekreuzigten Jesus zu geben
Schluss mit den „frommen Flausen“
Dass er die wegweisende Begegnung mit Jesus ausgerechnet auf einer sogenannten Kavaliersreise durch Europa hatte, ist eine besondere Ironie. Denn sein Vormund, Georg Christoph von Burgsdorf, Generalfeldzeugmeister, fand die christlichen Ansichten seines Zöglings übertrieben. Er sprach von „frommen (pietistischen) Flausen“, die man aus seinem Kopf treiben müsse. Mit der Reise verordnete er dem jungen Mann „Bewegung“ und wollte ihn auf andere Gedanken bringen.
Solche Kavaliersreisen waren der übliche Abschluss der Erziehung adliger Söhne. Auf ihnen befassten sich die angehenden Männer mit Kunst, erweiterten ihren Horizont und vertieften ihre Sprachkenntnisse. Zinzendorf nutzte seine zweijährigen Reisen durch Deutschland, die Niederlande und Frankreich, um christliche Gemeinschaften und führende Persönlichkeiten kennenzulernen.
Zinzendorf wollte Konfessionsgrenzen überwinden
Statt Sprachen und Künsten beschäftigte sich Zinzendorf mit der Frage, wie eine „großartigen Seelensammlung für den Herrn Jesus“ erreicht werden könne. Er schloss auf seinen Reisen Freundschaften mit Menschen anderer Konfession, wie dem Kardinal Louis-Antoine de Noailles und gewann so eine Sicht und Überzeugung für die Konfessionen übergreifende Einheit der Christen.
Aus hohem Hause
Zinzendorf, am 26. Mai 1700 geboren, entstammte dem alten niederösterreichischen Hochadel. Der protestantische Zweig der Familie von Zinzendorf, zu dem Nicolaus Ludwig gehörte, wanderte aus. Als Reichsgraf unterstand er nur dem deutschen Kaiser. Zu seinen Taufpaten gehörte Philipp Jakob Spener, deutscher lutherischer Theologe und einer der bekanntesten Vertreter des Pietismus.
Sein Vater Graf Ludwig von Zinzendorf diente als Minister im kursächsischen Kabinett, starb aber als Nicolaus Ludwig erst wenige Wochen alt war
Seine gläubige Großmutter zieht Nicolaus Ludwig auf
Seine Mutter heiratete nach dem Tod ihres Mannes erneut und so übernahm die Großmutter, Henriette Katharina von Gersdorf, die Erziehung des Jungen. Bei ihr in Hennersdorf (in der Oberlausitz) verbrachte Nicolaus Ludwig seine Kindheit. Die Großmutter war eine fromme und gebildete Frau. Sie vermittelte ihm ihren pietistisch geprägten Glauben und die „nahe Bekanntschaft mit dem Heilande“. Sie stand in engem Briefkontakt mit Philipp Jakob Spener, August Hermann Francke und Gottfried Wilhelm Leibniz
Nicht beliebt und unordentlich
Im Alter von 10 Jahren besuchte Nicolaus Ludwig das Pädagogium August Hermann Franckes in Halle. Hier verinnerlichte er den pietistischen Ruf der Frommen der Kirche in eine Gemeinschaft (ecclesiolae in ecclesia). Sonderlich beliebt war Lutz, wie er gerufen wurde, unter seinen Mitschülern nicht. Bei den Lehrern galt er als unordentlich.
Als Junge gründete Zinzendorf den „Senfkorn-Orden“
Während seiner Zeit in Halle wurde auch sein Interesse an der Mission geweckt. In der Schule waren immer wieder Missionare zu Gast und berichteten von ihrer Arbeit. Zinzendorf traf sich mit anderen Jungen in Bibelkreisen. Mit einem Freund zusammen gründete er den „Senfkorn-Orden“. Ziel war es Heiden zu bekehren. Die Jungen wünschten sich sehnlichst, „dass sich die Heiden doch nicht alle bekehren würden, bis wir groß würden; was dann übrig bliebe, das wollten wir zum Heiland bringen.“ Die Idee zur Gründung von Sozietäten und Orden war ganz typisch für jene Zeit.
Pfarrer werden entsprach nicht dem Stand von Zinzendorf
Schon bevor Zinzendorf nach Halle ging, hatte er den Wunsch, Pfarrer zu werden. Doch in seiner Verwandtschaft hielt man das für nicht standesgemäß. Daher kam für ihn nur eine militärische Laufbahn oder die eines Juristen mit einem Staatsamt in Frage. So schickte ihn sein Vormund, Georg Christoph von Burgsdorf, auf die Universität nach Wittenberg. Diese war mit der Überlegung ausgewählt worden, weil hier das orthodoxe Luthertum tonangebend war und sich vom Pietismus abgrenzte. Wittenberg sollte sozusagen ein „Gegenmittel“ gegen die pietistische Frömmigkeit des Jungen sein. So studierte Zinzendorf von 1716 bis 1719 Rechtswissenschaften.
Ein Friedensplan, der scheitert
Als 17-jähriger Jurastudent versuchte Zinzendorf im theologischen Streit zwischen den Pietisten in Halle und den Orthodoxen in Wittenberg zu vermitteln. Er entwarf einen Friedensplan und plante ein Treffen zwischen dem Pietisten August Hermann Francke und dem Pro-Rektor der Wittenbergischen Universität, Gottlieb Wernsdorf. Doch das Vorhaben misslang. Sein ihm nicht wohl gesonnener Hofmeister Crisenius macht den Versöhnungsplan Zinzendorfs öffentlich.
Sein Vormund und seine Mutter reagierten mit Unverständnis und hielten sein Wirken für eine Versöhnung für naiv und meinten, dass er seine Möglichkeiten völlig überschätze. Mutter und Vormund beschlossen darauf, dass er das Jurastudium abzubrechen habe, um seine – bereits erwähnte – Kavaliersreise anzutreten. Für Zinzendorf war das Ganze eine tiefe Enttäuschung, die ihn in eine persönliche Glaubenskrise stürzte.
Ein Rittergut zum Trost
Nach seiner Kavaliersreise 1721 arbeitete Zinzendorf als Justiz- und Hofrat in Sachsen, in den Diensten von August dem Starken. Eine Tätigkeit, der er bis 1732 nachging. Er nahm das unbezahlte Amt nur sehr ungern an, waren ihm doch die losen Sitten am Hof in Dresden ein Graus. Um ihn mit seinem Beruf zumindest etwas zu versöhnen, trat seine Großmutter ihm das Rittergut Berthelsdorf zu einem günstigen Preis ab, sodass er nun über einen Landsitz und eine „Standesherrschaft“ verfügte. Hier gründete er den „Vier-Brüder-Bund“ mit dem Ortsgeistlichen Magister Rothe, dem Stadtgeistlichen von Görlitz Magister Scheffer und seinem Schulfreund aus Halle Friedrich von Watterwille.
Eine „Streiter-Ehe“ für den Herrn Jesus
Am 7. September 1722 vermählte sich Zinzendorf mit der Komtesse Erdmuthe Dorothea von Reuß. Das Paar bekam im Laufe ihrer Ehe 12 Kinder, von denen nur drei am Leben blieben; die meisten verstarben früh. Der Graf und seine Frau verstanden sich als Dienstgemeinschaft für ihren Herrn Jesus, ihre Beziehung nannten sie eine „Streiter-Ehe“, denn beide stritten sie für die Sache Jesu. Erdmuthe Dorothea zeichnete für alle finanziellen Belange und die Verwaltung des Gutes verantwortlich. Zinzendorf wollte das, konnte er doch so im Dienste Christi frei arbeiten.
Herrnhut: Ein Ort für Religionsflüchtlinge
Schon bald, im Juni 1722, wurde Berthelsdorf zu einem Zufluchtsort für protestantische Religionsflüchtlinge. Außerhalb des Dorfes gründeten sie die Siedlung Herrnhut. Zuerst kamen mährische Exulanten, später auch Böhmische Brüder, aber auch verschiedenste religiöse Separatisten und Sektierer.
1727 lebten bereits an die 300 Einwohner dort, darunter 150 Mährer. Die Gemeinschaft gab sich später den Namen Herrnhuter Brüdergemeine. Nicolaus Ludwig von Zinzendorf suchte dem Zusammenleben eine Ordnung zu geben. Er organisierte die Gemeinschaft in kleine Gruppen, sogenannten „Banden“. Später wurden daraus die „Chöre“, nach Alter, Geschlecht und Stand gegliedert.
Neue Formen des christlichen Gemeinschaftlsebens
Es entsprach dem Naturell Zinzendorfs für die Entwicklung der Gemeinschaft neue Formen auszuprobieren. So wurden Fastentage und ein 24-Stunden-Gebet eingerichtet. Zudem traf man sich täglich in den Häusern. Wichtig waren auch die gemeinsamen Singstunden, in denen man zur Anbetung Gottes zusammenkam. Auch der alte Brauch des Liebesmahls wurde gepflegt. Hier kamen alle zu festlichem Essen, Gesang und Gebet zusammen. Neben verschiedensten Jahrestagen gehörten auch Fußwaschungen (in Anlehnung an das Beispiel, das Jesus gab) zum Gemeinschaftsleben.
1728 entstand die Gewohnheit mündlich Tageslosungen (es handelte sich um einen Bibelvers) von Haus zu Haus weiterzugeben, die am Abend vorher in der Versammlung ausgegeben wurden. Später begann man die Losungen schriftlich festzuhalten und dann auch zu drucken. So entstanden die mittlerweile weltweit bekannten Losungen, die heute in 61 Sprachen (Stand 2018) übersetzt und verbreitet werden.
Singen, das Gemeinschaft stiftet
Musik und Singen waren für Zinzendorf zentral. Sie waren nicht nur eine Form des Gotteslobes, sondern stifteten, auch emotional, Gemeinschaft und transportierten christliche Lehre und Bekenntnis. Graf Zinzendorf verfasste selbst mehr als 2000 Kirchenlieder von denen heute nur fünf im evangelischen Gesangbuch zu finden sind. Darunter die Lieder „Herz und Herz vereint zusammen“ und „Jesu, geh voran“.
Zinzendorf wollte keine neue Kirche
Zinzendorf ging es bei seinen Bemühungen in Herrnhut um die Entwicklung einer christlichen Lebensgemeinschaft. Sein Ziel war keine neue Kirche. Er wollte in die bestehenden lutherischen Kirchen hineinwirken. Auch wenn er die Kirche als geistlich lau, strukturell viel zu hierarchisch und am Amt orientiert kritisierte. Dessen ungeachtet entwickelte die Herrnhuter Brüdergemeine eigene Strukturen und setzte dabei stark auf das Laienelement.
Von Herrnhut aus in alle Welt
Von Beginn an betonte Zinzendorf den Sendungsaspekt der Gemeinschaft in Herrnhut. Die hier erlebte Gemeinschaft im Heiligen Geist sollte in alle Welt getragen werden. Die ersten Brüder der Gemeinschaft wurden 1727 nach Jena und Dänemark sowie 1728 nach London geschickt. 1732 gingen Missionare auf die karibische Insel St.Thomas, um schwarzen Sklaven das Evangelium zu bringen.
Die Herrnhuter Schwestern und Brüder missionierten unter Sklaven, Eskimos, Hottentotten und Indianern. Oft durchs Los bestimmt, gingen sie in 28 Missionsgebiete. Bis zu Zinzendorfs Tod waren 226 Herrnhuter Missionare ausgesandt worden – gemessen an der Größe der Gemeinschaft eine wirklich imposante Zahl. Die meisten Missionare waren keine studierten Theologen, sondern Laien, einfache Handwerkermissionare.
Diese Missionsbemühungen waren auch deshalb so erfolgreich, weil sie nichts mit den kolonialen Bestrebungen der damaligen Zeit zu tun hatten.
Zinzendorf war ein leidenschaftlicher Prediger
Zinzendorf war mit Leib und Seele Prediger, auch, wenn er dazu zunächst keine Ausbildung absolvierte und lange keine kirchliche Anerkennung hatte. Schon als sächsischer Hof- und Justizrat reiste er viel durch die deutschen Lande und in europäische Nachbarländer, veranstaltete Privatversammlungen mit Bibelstudium und Singen.
Mancherorts führte die Verkündigung des Reichsgrafen zu einer derartigen Resonanz im Volk, dass sich viele Menschen dem Glauben ernsthaft zuwandten und sogar manche Kneipe schließen musste.
Hausversammlungen und Missionsfeld
1738 kamen an die 500 Menschen zu den Hausandachten in Berlin. Auch in Amsterdam erreichte Zinzendorf viele Menschen, die seine Versammlungen besuchten. Die Verkündigung in Berlin, die Berliner Reden, wurden gedruckt, erreichten so eine große Öffentlichkeit und wurden zu den bekanntesten gedruckten Botschaften des Grafen.
Zinzendorf missionierte auch selbst im Ausland, verkündigte das Evangelium unter Sklaven und lebte unter Indianern von deren ursprünglichen Lebensweise er fasziniert und beeindruckt war.
So war Zinzendorf zeit seines Lebens bei weitem mehr unterwegs und auf Reisen als Zuhause. August Gottlieb Spangenberg, ein Mitbruder der Brüdergemeine, sagte über ihn: „Sie sind eben ein Adler, den keine Landstraße hält, sondern Sie schwingen Ihre Flügel, und so geht’s über Berg und Tal, über Land und See. Wer Ihnen nachkommen will, muss wie ein Zaunkönig auf Ihrem Rücken sitzen, sonst verliert er Bahn und Weg.“
Zinzendorfs Freundschaft mit dem Preußen-König
1736 besuchte Zinzendorf den preußischen König Friedrich Wilhelm I. Zwischen ihm und dem König entstand eine Freundschaft, die lebenslang halten sollte. Er wurde sogar der geheime Seelsorger des Königs. Damit hatte Zinzendorf eine wichtige politische Unterstützung für die Herrnhuter Brüdergemeine gewonnen.
Zinzendorf wird Bischof
Erst 1734 legte Zinzendorf ein theologisches Examen in Tübingen ab und erhielt die Zulassung für das geistliche Amt. Am 4. Advent desselben Jahres stand er auf der Kanzel der Haupt- und Stiftskirche der Stadt. Es war ein Ereignis für die ganze Stadt. So etwas hatte es im Hochadel noch nicht gegeben: Ein Graf mit Ordenskreuz und Beffchen auf der Kanzel.
1737 weihte der Oberhofprediger und Bischof der böhmischen Brüder, Daniel Ernst Jablonski, Zinzendorf zum Bischof der mährischen Brüderkirche. Dies war von besonderer Bedeutung, denn nun konnte der Reichsgraf Missionare ordinieren und aussenden, die taufen, trauen und das Abendmahl halten durften.
Zinzendorfs Ausweisung aus Sachsen
Zinzendorf und sein Wirken waren in seiner Zeit heftig umstritten: In den 20 Jahren seines stärksten Wirkens zwischen 1735 und 1755 erschienen an die 400 Streitschriften über ihn.
Einige Jahre ließ der sächsische Landesfürst Zinzendorf in seinen Bemühungen für die Religionsflüchtlinge gewähren. Doch das ging nur so lange gut, bis (der katholische) Kaiser Karl VI. eine Beschwerde an den sächsischen Herzog August den Starken schickte. Zudem wurde der sächsische Herzog ja selbst katholisch, um so König von Polen werden zu können
1736 wurde Graf Zinzendorf aus Sachsen ausgewiesen, seine Besitzungen musste er seiner Frau übereignen. Die Gemeinschaft in Herrnhut wurde von der Obrigkeit überprüft, durfte zwar bestehen bleiben, aber sich nicht ausbreiten. Zinzendorf wirkte anschließend in anderen deutschen Regionen, darunter in der hessischen Wetterau, und gründete weitere Gemeinschaften, was hier nicht weiter beschrieben werden soll.
Rührende Worte von Zinzendorf
„So bin ich ganz fertig, zu ihm zu gehen“
Am Morgen des 9. Mai 1760 starb Graf Zinzendorf. Seinem Schwiegersohn Johannes flüsterte er in der vorangegangenen Nacht die Worte zu: „Mein guter Johannes… Ich bin fertig, ich bin in den Willen meines Herrn ganz ergeben, und er ist mit mir ganz zufrieden. Will er mich hier nicht länger brauchen, so bin ich ganz fertig, zu ihm zu gehen, denn mir ist nichts mehr im Wege.“ Tausende von Angehörigen der Brüdergemeine und Menschen aus der Oberlausitz gaben ihm das letzte Geleit
Würdigungen bekannter Denker
Gerrit Alberts trug Würdigungen bekannter Geistesgrößen zusammen: So sah Gotthold Ephraim Lessing in Zinzendorf jemanden, der nicht nur über das Christentum vernünftelte, sondern den christlichen Glauben lebte.
Johann Gottfried Herder schrieb über den Grafen: „Nikolaus Ludwig Graf und Herr von Zinzendorf ging im Jahr 1760 als ein Eroberer aus der Welt, desgleichen es wenige, und im verflossenen Jahrhundert keinen, wie ihn gegeben hat.
Auch Johann Wolfgang von Goethe äußerte seine Wertschätzung: „Seit meiner Annäherung an die Brüdergemeine hatte meine Neigung zu dieser Gesellschaft, die sich unter der Siegesfahne Christi versammelte, immer zugenommen“, so Goethe in „Dichtung und Wahrheit“. Und weiter: „Es wäre nur auf sie angekommen, mich zu dem Ihrigen zu machen.“
Selbst der Schweizer Theologe Karl Barth bezeichnete Zinzendorf als „den größten – und vielleicht einzigen ganz echten – Christozentriker der Neuzeit.“
Modern und zukunftsweisend
Zinzendorf kann in einer Reihe von Aspekten durchaus als modern und zukunftsweisend bezeichnet werden. Ihm war daran gelegen, den Grundsatz des Priestertums aller Gläubigen nicht nur hochzuhalten, sondern auch praktisch umzusetzen. Bedeutungsvoll war zudem die herausragende Stellung der Frauen in der Brüdergemeine, die u. a. als „Ältestinnen“, Lehrerinnen und Aufseherinnen berufen wurden. Und vom Heiligen Geist sprach er in der weiblichen Form, wenn er von der „Geistin“ redete.
Gleichheit der Menschen in Jesus
Zinzendorf betonte die Würde des Individuums. Damit überwand er die Standesvorstellungen seiner Zeit. Bei Jesus sah er diese Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen gegeben, weil er alle Menschen liebe „mit einer unaussprechlichen und inimitablen (unnachahmlichen) Egalität“. Er sah im Evangelium eine Kraft, die Unterschiede aller Art überwindet. „Denn um Ihn herum hört alles, alle Umstände, Geschlecht, Stand, äußere Situation, Gemüths-Beschaffenheit, Gutes und Böses ganz auf.“
„Ohne Jesus wäre ich Atheist!“, sagte Zinzendorf
Zinzendorf rückte mit seinem Wirken, die Beziehung des Menschen zu Jesus radikal in den Vordergrund. Das galt für das Leben des einzelnen Menschen wie das der Gemeinde. Er wandte sich gegen eine rein vernünftige Gotteserkenntnis, denn „Wer Gott im Kopfe weiß, der wird Atheist!“, so Zinzendorf. Und weiter stellt er fest: „Ohne Jesus wäre ich Atheist!“
„Was ist denn die Hauptsumme des Evangeliums, wonach man vor allem Dingen zu fragen und alle Gemeinschaft im Geistlichen darauf zu gründen hat? Das nenne ich, nach meiner persönlichen Art mich auszudrücken, die persönliche Konnexion mit dem Heilande.“
Mehr als das persönliche Seelenheil
Zinzendorf weitete den Horizont des Pietismus gegen eine Enge, die nur den Einzelnen und dessen Frömmigkeit im Blick hatte und damit auch gegen alle Zurückgezogenheit. Für ihn ging es um viel mehr als das eigene, persönliche Seelenheil.
Zugleich grenzte er sich von übertriebenem Vollkommenheitsstreben und Endzeitspekulationen ab. Der Reichsgraf war zudem von ganzem Herzen ein Vertreter des Miteinanders der Christen. Er sah im Versöhnungsopfer bereits die Einheit der Christen gestiftet. Für ihn ging es um ein Miteinander, das sich auch darin begründet, dass Christen, ganz gleich welcher Konfession und Prägung, allesamt Nachfolger von Jesus sind.
Über den Autor: Norbert Abt, Journalist, studierte Politikwissenschaft, Publizistik und Soziologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Seine Magisterarbeit in Politikwissenschaft hatte die Zwei-Reiche-Lehre bei Luther und Augustinus zum Thema.