Der Kirchenschriftsteller Eusebius von Cäsarea hatte einen unschätzbaren Vorteil gegenüber uns heute: Er konnte die Schriften von Menschen lesen und auswerten, die Zeitzeugen der ersten drei Jahrhunderte des Christentums waren.
Und diese Schriften waren direkt vor seiner Haustür: In Cäsarea am Meer, im Heiligen Land, keine 100 km von Jerusalem entfernt. Dort gab es eine der größten Bibliotheken der Antike, in der es diese Schriften gab, vermutlich mit Abstand der größte Bestand an frühchristlichen Werken überhaupt. Diese Bibliothek wurde im 7. Jahrhundert von den Persern zerstört – wie so vieles in Israel.
Euseb benutzte die unschätzbaren Schriften, um eine Kirchengeschichte zu schreiben, die uns heute noch erhalten ist. Darin kommen Autoren zu Wort, die teilweise Zeitgenossen der Apostel waren. Es lohnt sich, diese Schriftsteller einmal im Zusammenhang aufzuführen.
Außer Euseb selbst sind angeführt:
- Papias von Hierapolis mit seinem fünfbändigen Werk „Erklärungen von Herrenworten“ (um 100 n. Chr.),
- Irenäus von Lyon, der ein fünfbändiges Werk über die Häresien geschrieben hat (um 180 n. Chr.),
- Clemens von Alexandrien (150–215 n. Chr.) mit seinem Kurzkommentar zur Bibel, den Hypotyposen
- und schließlich Origenes (185–254 n. Chr.) mit seinem Matthäuskommentar.
Inhalt
Zum Matthäusevangelium
Über die Entstehung des Matthäusevangeliums schreibt Papias: „Matthäus hat in hebräischer Sprache die Reden zusammengestellt; ein jeder aber übersetzte dieselben so gut er konnte.“ Das bestätigt auch Irenäus:
Matthäus hat bei den Hebräern in deren Muttersprache ein Evangelium geschrieben, während Petrus und Paulus in Rom das Evangelium verkündeten und die Kirche begründeten.
Auch Origenes schließt sich dieser Tradition an:
Zuerst wurde das Evangelium nach Matthäus, dem früheren Zöllner und späteren Apostel Jesu Christi, für die Gläubigen aus dem Judentum in hebräischer (=aramäischer) Sprache geschrieben.
Euseb fasst selbst diese Traditionen so zusammen:
Von allen haben uns nur Matthäus und Johannes Erinnerungen an die Lehrvorträge unseres Herrn hinterlassen; aber auch diese Männer haben, wie berichtet wird, sich nur gezwungen zum Schreiben herbeigelassen. Matthäus, der zunächst unter den Hebräern gepredigt hatte, schrieb, als er auch noch zu anderen Völkern gehen wollte, das von ihm verkündete Evangelium in seiner Muttersprache; denn er suchte denen, von welchen er schied, durch die Schrift das zu ersetzen, was sie durch sein Fortgehen verloren.
Interessant sind hier die Angaben für den Grund der Entstehung des Evangeliums. Eine Notiz, die ebenfalls von Euseb aufgenommen wird, ist, dass noch in späteren Zeiten Missionare das Matthäusevangelium auf hebräisch/aramäisch in Indien vorfanden.
Zum Markusevangelium
Zu Markus haben wir die ausführlichsten Berichte. Auch hier wieder zuerst Papias:
Markus hat die Worte und Taten des Herrn, an die er sich als Dolmetscher des Petrus erinnerte, genau, allerdings nicht der Reihe nach, aufgeschrieben. Denn er hatte den Herrn nicht gehört und begleitet; wohl aber folgte er später, wie gesagt, dem Petrus, welcher seine Lehrvorträge nach den Bedürfnissen einrichtete, nicht aber so, dass er eine zusammenhängende Darstellung der Reden des Herrn gegeben hätte. Es ist daher keineswegs ein Fehler des Markus, wenn er einiges so aufzeichnete, wie es ihm das Gedächtnis eingab. Denn für eines trug er Sorge: nichts von dem, was er gehört hatte, auszulassen oder sich im Bericht keiner Lüge schuldig zu machen.
Die Erwähnung, dass Markus den Herrn nicht gehört und begleitet hat, schließt nicht aus, dass er ihn selbst noch gesehen hat, wie das im Markusevangelium (Mk 14,51–52) angedeutet wird. Irenäus bestätigt in kurzen Worten den Bericht des Papias. Clemens schreibt etwas ausführlicher:
Beim Evangelium des Markus waltete folgende Fügung. Nachdem Petrus in Rom öffentlich das Wort gepredigt und im Geist das Evangelium verkündet hatte, sollen seine zahlreichen Zuhörer Markus gebeten haben, er möge, da er schon seit langem Petrus begleitet und seine Worte im Gedächtnis habe, seine Predigten niederschreiben. Markus habe willfahrt und ihnen der Bitte entsprechend das Evangelium gegeben. Als Petrus davon erfuhr, habe er ihn durch ein mahnendes Wort weder davon abgehalten noch dazu ermuntert.
Origenes geht, wie bereits oben zitiert, noch weiter und sagt, Markus wäre von Petrus sogar für die Niederschrift des Evangeliums unterwiesen worden.
Euseb selbst schreibt über die Entstehung des Markusevangeliums (HE II,15):
So sehr erleuchtete das Licht der Religion die Herzen der Zuhörer des Petrus, dass sie sich nicht damit begnügen wollten, ihn ein einziges Mal nur gehört zu haben, sie wollten von der Lehre seiner göttlichen Predigt auch Aufzeichnungen besitzen. Daher wandten sie sich inständig mit verschiedenen Bitten an Markus, den Verfasser des Evangeliums, den Begleiter des Petrus, er möchte ihnen schriftliche Erinnerungen an die mündlich vorgetragene Lehre hinterlassen. Und sie standen nicht eher von den Bitten ab, als bis sie den Mann gewonnen hatten. So wurden sie die Veranlassung zum sogenannten Markusevangelium. Nachdem Petrus durch eine Offenbarung des Geistes von dem Vorfall Kenntnis erhalten hatte, soll er sich über den Eifer der Leute gefreut und die Schrift für die Lesung in den Kirchen bestätigt haben. Klemens hat diese Tatsache im sechsten Buch seiner Hypotyposen berichtet, und mit ihm stimmt Bischof Papias von Hierapolis überein.
Anschließend sei Markus nach Ägypten gegangen, wo er sein Evangelium gepredigt und Kirchen gegründet hatte.
Zur Entstehungszeit des Evangeliums schreibt Irenäus: „Nach dem Tod dieser beiden Apostel (Petrus und Paulus) hat uns Markus, der Schüler und Dolmetscher des Petrus, das, was Petrus predigte, ebenfalls schriftlich überliefert“ (HE V,8,3).
Was allerdings auffällt ist, dass Irenäus dieselbe Reihenfolge hat wie Euseb, nämlich Lukas hinter Markus. Auch über Klemens schreibt Euseb:
In dem gleichen Werk teilt Klemens bezüglich der Reihenfolge der Evangelien eine Überlieferung mit, welche er von den alten Presbytern erhalten hatte. Dieselbe lautet: diejenigen Evangelien, welche die Genealogien enthalten, seien zuerst geschrieben worden.
Das Evangelium wäre somit nach 64 entstanden, während das Lukasevangelium vermutlich um 60 geschrieben wurde. Nach HE II,15 hat Petrus allerdings das Markusevangelium noch gelesen und es für die Kirche bestätigt:
Nachdem Petrus durch eine Offenbarung des Geistes von dem Vorfall Kenntnis erhalten hatte, soll er sich über den Eifer der Leute gefreut und die Schrift für die Lesung in den Kirchen bestätigt haben. Klemens hat diese Tatsache im sechsten Buch seiner Hypotyposen berichtet, und mit ihm stimmt Bischof Papias von Hierapolis überein.
Anschließend sei Markus nach Ägypten gegangen, wo er sein Evangelium gepredigt und Kirchen gegründet hatte. Gleiches schreibt auch Clemens von Alexandria. Origenes schreibt sogar: „…als zweites das Evangelium nach Markus, den Petrus hierfür unterwiesen hatte“.
Zur Zeit des Euseb hat sich die Überlieferung durchgesetzt, dass das Markusevangelium vor dem Lukasevangelium geschrieben wurde. Die Frage, ob Markus oder Lukas zuerst geschrieben wurde, lässt sich aus diesen Angaben nicht abschließend klären.
Zum Lukasevangelium
Zum Lukasevangelium schreibt Irenäus: „Lukas, der Begleiter des Paulus, hat das von Paulus verkündete Evangelium niedergeschrieben.“ Origenes schreibt: „Als drittes wurde geschrieben das Evangelium nach Lukas, der es nach Approbation durch Paulus an die Gläubigen aus der Heidenwelt richtete.“ Also auch das Lukasevangelium ist durch einen Apostel, nämlich Paulus, autorisiert worden. Euseb schreibt noch dazu (HE III,24,15):
Lukas teilt selbst zu Beginn seines Evangeliums mit, was ihn zur Abfassung desselben veranlasst habe. Da nämlich – so erklärt er – viele andere allzu leichtfertig eine Geschichte der ihm genau bekannten Sachen gewagt hätten, sähe er sich, um uns gegen die zweifelhaften Meinungen anderer sicherzustellen, veranlasst, eine genaue Darstellung dessen, was er gründlich und wahrheitsgemäß aus dem ständigen lehrreichen Verkehr mit Paulus und den übrigen Aposteln erfahren habe, in einem eigenen Evangelium zu bieten.
Zum Johannesevangelium
Damit sind die drei synoptischen Evangelien abgehandelt. Schon zur Zeit des Irenäus schien es klar, dass das Johannesevangelium eine Ergänzung zu den synoptischen Evangelien bildete. Er schreibt: „Endlich hat Johannes, der Schüler des Herrn, der auch an dessen Brust geruht, während seines Aufenthaltes zu Ephesus in Asien sein Evangelium herausgegeben.“ Auch Origenes bestätigt es als letztes Evangelium: „…zuletzt das Evangelium nach Johannes.“
Hier finden wir die ausführlichste Erläuterung bei Euseb selbst (HE III,24,6–7.12–13):
Nachdem nun Markus und Lukas die von ihnen gepredigten Evangelien herausgegeben hatten, sah sich nach der Überlieferung schließlich auch Johannes, der sich ständig mit der mündlichen Predigt des Evangeliums beschäftigt hatte, zur Niederschrift veranlasst, und zwar aus folgendem Grunde: Nachdem die zuerst geschriebenen drei Evangelien bereits allen und auch dem Johannes zur Kenntnis gekommen waren, nahm dieser sie, wie man berichtet, an und bestätigte ihre Wahrheit und erklärte, es fehle den Schriften nur noch eine Darstellung dessen, was Jesus zunächst, zu Beginn seiner Lehrtätigkeit getan habe. […] Johannes erzählt also in seinem Evangelium das, was Christus getan hatte, noch ehe der Täufer ins Gefängnis geworfen wurde; die übrigen drei Evangelisten aber berichten die auf die Einkerkerung des Täufers folgenden Ereignisse. Wer darauf achtet, dürfte nicht mehr Widersprüche in den Evangelien finden, da so das Evangelium nach Johannes den Anfang der Taten Christi mitteilt, während die anderen Evangelien die spätere Geschichte erzählen. Da Matthäus und Lukas bereits über die fleischliche Abstammung unseres Erlösers geschrieben hatten, hat füglich Johannes darüber geschwiegen. Er beginnt aber mit der Lehre von seinem göttlichen Wesen, da diese wohl für ihn, als einen bedeutenderen Mann, vom Geist Gottes aufgespart worden war.
Fazit
Die Notizen Eusebs über die Entstehung der Evangelien sind wohl die wichtigsten Nachrichten aus den ersten Jahrhunderten über diese Schriften. Nicht zuletzt auch deshalb, weil uns heute nur noch Teile der euseb’schen Quellen vorliegen. Wer sich mit der Entstehung der Evangelien befasst, kommt an diesen Anmerkungen des Kirchenvaters aus Cäsarea am Meer nicht herum.
Hallo Martin
danke für deine sehr gute Darstellung. Einen kleinen Schönheitsfehler könntest du noch berichtigen. Beim Lesen irritiert mich die Abkürzung von Eusebius in Euseb oder Eusebs…ich mein die paar Buchstaben machen es ja nun auch nicht, oder.
LG
Sascha
Hallo Sascha! Der Name Euseb ist keine Abkürzung, sondern eine durchaus verbreitete Schreibweise für den Kirchenschriftsteller. Beispielsweise in der aktuellen Einleitung in das Neue Testament von Udo Schnelle (9. Aufl. 2017). Dort ist z.B. im Autoren- und Personenregister auf S. 624 lediglich der Name Euseb aufgeführt.
Hallo Martin
naja es fällt mir ja auch bei denen auf ;-)…ich finde den vollen Namen nicht so irritierend beim lesen aber OK wenn es eine verbreitete Schreibweise ist…
LG
Sascha