Beachten Sie den Zusammenhang des Bibeltextes [Teil 07]

Von Thomas Powilleit

Homiletik, Predigt
Dezember 23, 2018

Der Zusammenhang weist auf die Bedeutung des Textes hin

In die­sem Blog­bei­trag geht es wei­ter mit dem The­ma: Wie berei­te ich eine Pre­digt vor? Bis­her haben wir den Text sehr genau beob­ach­tet. Wie Kri­mi­nal­be­am­te haben wir auf die ein­zel­nen Details des Tex­tes geach­tet. Nichts soll­te uns ent­ge­hen. Nun ist es aber Zeit, in die nächs­te Pha­se der Pre­digt­vor­be­rei­tung ein­zu­stei­gen. Wir kom­men also vom Beob­ach­ten zum Ver­ste­hen. Die Details, die wir beob­ach­tet haben, müs­sen wie ein Puz­zle zusam­men­ge­fügt wer­den, damit man das Bild erkennt, dass sich aus den ein­zel­nen Puz­zle­tei­len zusam­men­setzt. Erst, wenn man selbst den Text ver­stan­den hat, kann man ent­schei­den, wel­chen Teil des Tex­tes man beto­nen will und wie man ihn den Zuhö­rern ver­mit­teln möchte.

Ein sehr wich­ti­ger Schritt, um einen Text zu ver­ste­hen, ist das Beach­ten des Zusam­men­hangs. Sät­ze und Ver­se ste­hen nicht für sich. Sie sind in grö­ße­re Abschnit­te ein­ge­bun­den. Der genaue Sinn der ein­zel­nen Ver­se wird sehr oft erst durch den Abschnitt deut­lich, in dem der ent­spre­chen­de Vers steht.

Wer sich nur auf den Vers selbst kon­zen­triert, aber den Zusam­men­hang nicht beach­tet, steht in der Gefahr, Bedeu­tun­gen in den Vers hin­ein­zu­le­gen, die der Autor nie­mals beab­sich­tigt hat. Ein Vers hat nur eine Bedeu­tung, auch wenn er ver­schie­de­ne Anwen­dun­gen haben kann. Die­se Bedeu­tung wird vor allem durch den Zusam­men­hang deut­lich, in dem der Vers steht. Die­ser Zusam­men­hang wird auch Kon­text genannt.

Textsinn bewahren

Bekannt ist die Vers­kom­bi­na­ti­on: “Judas ging hin und erhäng­te sich” (Mt 27,5) und “gehe hin und hand­le eben­so” (Lk 10,37). Ein kras­ses Bei­spiel dafür, wie man den Zusam­men­hang der Ver­se unbe­ach­tet las­sen kann und ihren Sinn somit verstellt.

Ich hör­te von einer Mis­sio­na­rin, die ihren Freun­des­brief mit dem Satz über­schrieb: „Die Sache des Königs ist drin­gend“ (1Sam 21,9). Damit woll­te sie deut­lich machen, dass ihr Mis­si­ons­auf­trag wich­tig sei. Ein auf­merk­sa­mer Leser wies die Mis­sio­na­rin dann dar­auf hin, dass David mit die­sem Satz Ahim­e­lech bewusst ange­lo­gen hat­te. Die Mis­sio­na­rin hat­te den frag­wür­di­gen Zusam­men­hang nicht beach­tet, in dem die­ser Satz stand. Über ihrem Freun­des­brief stand also eine bewuss­te Lüge, weil sie den Zusam­men­hang nicht beach­tet hatte.

Auch der von der Frie­dens­be­we­gung oft zitier­te Satz: „Schwer­ter zu Pflug­scha­ren …“ (Mi 4,3) ist aus dem Zusam­men­hang geris­sen. Die­ses Wort erfüllt sich erst „am Ende der Tage“, wenn die Völ­ker Gott als Mit­tel­punkt anbe­ten. Wer die­ses Wort auf unse­re Zeit bezieht, ver­än­dert die ursprüng­li­che Bedeu­tung des Verses.

Unterschiedliche Zusammenhänge unterscheiden

Wenn man sich mit Zusam­men­hän­gen beschäf­tigt, stellt man schnell fest, dass Zusam­men­hang nicht gleich Zusam­men­hang ist. Es ist ein Unter­schied, ob man unmit­tel­ba­re Zusam­men­hän­ge zu dem Aus­le­gungs­vers unter­sucht, oder nach wei­te­ren Zusam­men­hän­gen Aus­schau hält. Am Bei­spiel ein­zel­ner Bild­aus­schnit­te kann man sehr gut die ver­schie­de­nen Zusam­men­hän­ge erklären.

Der Zusammenhang des Abschnittes

Die Aus­le­gungs­ver­se möch­te ich mit einem klei­nen Bild­aus­schnitt ver­glei­chen. Im fol­gen­den Bild­aus­schnitt sieht man zwei Män­ner in einer fröh­li­chen Unter­hal­tung. Das könn­te über­all sein – in einem Park, auf einem Fabrik­hof oder in einem Handwerksbetrieb.

Beachten Sie den Zusammenhang des Bibeltextes 01

Der Zusammenhang des Buches

Der Zusam­men­hang des Buches ist ver­gleich­bar, mit den wei­te­ren Bild­aus­schnit­ten, die unmit­tel­bar dazu­ge­hö­ren. Plötz­lich wird deut­lich: Die bei­den Män­ner sind nicht allein. Es sit­zen noch wei­te­re Män­ner bei ihnen. Durch die ande­ren Män­ner wird klar, dass sie wahr­schein­lich eine Pau­se und kei­ne Dienst­be­spre­chung machen.

Beachten Sie den Zusammenhang des Bibeltextes 02

Der gesamtbiblische Zusammenhang

Der gesamt­bi­bli­sche Zusam­men­hang nimmt schließ­lich so vie­le Bild­aus­schnit­te hin­zu, dass man das gan­ze Bild erkennt. Man sieht die Män­ner über New York in Man­hat­tan in schwin­del­erre­gen­der Höhe bei ihrer Mit­tags­pau­se sit­zen. Erst, wenn man von wei­tem auf die­ses berühm­te Foto „Lunch atop a Sky­scra­per” von Charles Ebbets schaut, ver­steht man den grö­ße­ren Zusam­men­hang des Bildes.

Die Sicht aus eini­ger Ent­fer­nung macht die poten­ti­el­le Gefahr deut­lich, in der die Män­ner sich befin­den. Wahr­schein­lich haben Sie als Leser das Bild schon häu­fi­ger gese­hen und erken­nen es wie­der. Könn­ten Sie aus dem Stand beant­wor­ten, wie vie­le Män­ner auf dem Eisen­trä­ger sit­zen, ohne sie zu zäh­len? Damit will ich deut­lich machen: Wer Tex­te nur aus dem Über­blick sieht, steht in der Gefahr, den Blick für das Detail zu ver­lie­ren. Des­halb ist es wich­tig, zunächst auf die bei­den Män­ner zu ach­ten, die sich unter­hal­ten. Dann zu ver­ste­hen, dass es wahr­schein­lich eine Pau­se ist, und zu ver­mu­ten, dass es noch wei­te­re Män­ner auf dem Bild gibt, die wir noch nicht sehen. Schließ­lich wird in der Tota­len die Dra­ma­tik des Bil­des deut­lich und alle Män­ner wer­den sicht­bar. Die Über­sicht und das Detail sind bei­de wichtig.

Beachten Sie den Zusammenhang des Bibeltextes 03

Auf bibli­sche Zusam­men­hän­ge bezo­gen ach­ten wir zuerst auf den Abschnitt, dann auf das Buch und schließ­lich auf den gesamt­bi­bli­schen Zusam­men­hang. Dabei geht man immer von dem Vers aus, den man aus­le­gen möch­te und zieht sei­ne Krei­se immer weiter.

Beispiele für unterschiedliche Zusammenhänge

Beispiele für den Zusammenhang des Abschnittes

Zunächst schau­en wir uns die Ver­se an, die wir aus­le­gen wol­len und ver­su­chen zu ver­ste­hen, wie sie gemeint sind. Vie­le Zusam­men­hän­ge wer­den schon allein dadurch beach­tet, wenn man einen Vers davor und einen Vers danach liest. So wird durch Johan­nes 3,15–17 deut­lich, dass der Begriff „Welt“ Men­schen mei­nen muss, die von Gott getrennt leben und Erret­tung benö­ti­gen. Denn Vers 15 sagt: „Jeder, der glaubt, kann ewi­ges Leben haben“. Vers 17 unter­streicht: „Die Welt soll nicht gerich­tet, son­dern geret­tet wer­den”. In 1. Johan­nes 2,15–17 wer­den wir davor gewarnt, die Welt lieb zu haben. Das scheint ein Wider­spruch zu sein, da Gott selbst doch die Welt liebt. Doch die anschlie­ßen­den Ver­se machen deut­lich, dass mit „Welt“ das rebel­li­sche Sys­tem gegen Gott gemeint ist. Erkenn­bar an den sün­di­gen Sehn­süch­ten und der offen­sicht­li­chen Arro­ganz. Der unmit­tel­ba­re Zusam­men­hang hilft, den unter­schied­li­chen Sinn des­sel­ben Wor­tes „Welt“ zu verstehen.

Um einen Vers zu ver­ste­hen, ist es also wich­tig, den Abschnitt genau zu lesen, in dem der Vers steht. In der Regel reicht es, in die­ser Pha­se den jewei­li­gen Abschnitt oder das jewei­li­ge Kapi­tel um den Aus­le­gungs­vers her­um zu lesen. Doch Vor­sicht, manch­mal wird ein Gedan­ke durch die Kapi­tel­ein­tei­lun­gen unter­bro­chen. In die­sen Fäl­len muss man auch noch auf die ers­ten Ver­se des fol­gen­den Kapi­tels oder die letz­ten Ver­se des vor­aus­ge­hen­den Kapi­tels achten.

Beispiele für den Zusammenhang des Buches

Um bei unse­rem Bei­spiel mit dem Bild zu blei­ben: Wir ent­de­cken bei einem erwei­ter­ten Blick auf die Män­ner, dass die bei­den Män­ner auf unse­rem Bild nicht allei­ne sind. Sie sind nur Teil einer Grup­pe, die wahr­schein­lich Pau­se macht.

Auf die Bibel über­tra­gen: Es kann hel­fen, das bibli­sche Buch inten­si­ver zu lesen, um die Ver­se, die man aus­le­gen möch­te, bes­ser zu ver­ste­hen. Oft wird die tie­fe­re Bedeu­tung der Ver­se erst durch den Buch­kon­text offen­sicht­lich. Ein bekann­tes Bei­spiel hier­für ist Apos­tel­ge­schich­te 1,8. Jesus gebie­tet sei­nen Jün­gern nach Jeru­sa­lem, nach Judäa und Sama­ria und in die gan­ze Welt zu gehen. Die Apos­tel­ge­schich­te beschreibt, wie die Jün­ger die­sen Auf­trag erfül­len. Nach­dem das Evan­ge­li­um in Jeru­sa­lem ver­kün­digt wur­de, begin­nen sie es ab Apos­tel­ge­schich­te 8 in Sama­ria zu pre­di­gen. Ab Kapi­tel 13 macht sich die bes­te Nach­richt aller Zei­ten mit Pau­lus und Bar­na­bas auf den Weg, die Enden der Erde zu erreichen.

Beispiele für den Zusammenhang der Bibel

Bei unse­rem Aus­flug in die, von unse­rem Vers weit ent­fern­ten Abschnit­te der ande­ren bibli­schen Bücher, machen wir uns auf die Suche nach Got­tes rotem Faden der Heils­ge­schich­te. Dabei sehen wir zum Bei­spiel, dass Got­tes Ver­spre­chen einen Ret­ter zu sen­den (1Mo 3,15), sich in Jesus erfüllt. Wir bekom­men mit, dass Got­tes Gerichtsan­dro­hung in 5. Mose 28 „Wenn ihr nicht gehorcht, wird Gott euch aus dem Land trei­ben“, von den Pro­phe­ten stän­dig in ver­schie­de­nen Wor­ten wie­der­holt wird. Auch das Buch der Offen­ba­rung ver­ste­hen wir nicht, wenn wir die Bezü­ge zum Alten Tes­ta­ment nicht ken­nen, auch wenn die­se Wor­te vor tau­sen­den von Jah­ren geschrie­ben wurden.

Durch die Beschäf­ti­gung mit dem gesam­ten bibli­schen Bild, wer­den also Zusam­men­hän­ge deut­lich, aber auch Span­nun­gen offen­sicht­lich. Auch die­se dür­fen in einer Pre­digt nicht ver­schwie­gen wer­den. Pau­lus betont in Römer 3,28: Wir wer­den allein durch den Glau­ben geret­tet, ohne Wer­ke des Geset­zes. Jako­bus hin­ge­gen betont: Ein Mensch wird aus Wer­ken gerecht­fer­tigt und nicht aus Glau­ben allein (Jak 2,24). Erst in der Zusam­men­schau bei­der Ver­se sieht man: Pau­lus geht es um die Fra­ge: Wie wer­de ich Christ? Jako­bus betont: Wie lebe ich als Christ?!

Im Grun­de genom­men ist die gesamt­bi­bli­sche Schau eine theo­lo­gi­sche Ein­ord­nung der Aus­le­gungs­ver­se. Denn Theo­lo­gie ist nichts anders, als ein Sam­meln von Ver­sen, die etwas zu einem bestimm­ten The­ma aus­sa­gen. Die­se Ver­se wer­den dann sys­te­ma­tisch zusam­men­ge­stellt, um eine bibli­sche Gesamt­aus­sa­ge zu dem jewei­li­gen The­ma zu bekommen.

Zusammenfassung

Wir haben in die­sem Blog-Bei­trag ent­deckt, dass die Berück­sich­ti­gung des Text­zu­sam­men­han­ges ein­zel­ner Ver­se ent­schei­dend ist, um unse­re Aus­le­gungs­ver­se zu ver­ste­hen. Dabei ist es wich­tig, aus der nähe­ren Umge­bung des Tex­tes Aus­flü­ge in die wei­te­re Umge­bung zu machen. Abschlie­ßend soll­te man den Text in die Heils­ge­schich­te Got­tes oder in die gesamt­bi­bli­schen Aus­sa­gen ein­ord­nen können.

Schrei­ben Sie bit­te in die Kom­men­ta­re: Wel­che Rol­le spielt für Sie der Zusam­men­hang, wenn Sie dabei sind, den Aus­le­gungs­ver­se zu verstehen?


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Thomas Powilleit

Über den Autor

Thomas Powilleit ist Pastor der evangelischen Freikirche „Evangelium für Alle“ in Stuttgart (www.efa-stuttgart.de). Neben seinen Aufgaben dort ist er überörtlich vor allen Dingen im Rahmen des gleichnamigen Netzwerkes „Evangelium für Alle“ zu Seminaren und ausgewählten Einzelveranstaltungen unterwegs.

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