Wie gut ist die neue Lutherbibel 2017?
Die Lutherbibel 2017 wurde zu Beginn des Kirchen- und Lutherjahres 2016/17 von der EKD herausgegeben. Nach 33 Jahren gibt es damit wieder einmal eine neue Revision. Was ist von dieser Revision zu halten?
Inhalt
Der Wert der Lutherübersetzung
Seit meinen christlichen Anfängen um 1980 hat mich die Lutherbibel stets begleitet. Mit großer Wortmacht hat einst Martin Luther die Bibel übersetzt, und diese Wortmächtigkeit, deren Qualität vor allem in ihrer Einprägsamkeit liegt, hat es mir leicht gemacht, viele Bibelverse sozusagen im Vorbeigehen auswendig zu lernen. Unerreicht ist z. B. die Alliteration in Jesaja 40,31: die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft. Mit solchen mnemotechnischen Mitteln schmiegt sich die lutherische Sprache so ins Bewusstsein ein, dass man den Inhalt nicht so leicht wieder vergisst. Inzwischen gibt es einige Bibelübersetzungen, die genauer sind, und noch viel mehr Bibelübersetzungen, die näher an der Alltagssprache sind, aber für meine Begriffe ist die Lutherbibel der beste Kompromiss zwischen Ausgangstext (Urtext/Grundtext) und aktueller Sprachgestalt.
Sprache ändert sich
Wer sich ein bisschen mit der Sprachentwicklung auskennt, der weiß, dass sich eine lebendige Sprache innerhalb von 100 Jahren stark verändert. Nicht nur die Rechtschreibung, auch der mündliche Sprachgebrauch ist im Wandel. Wörter, die vor hundert Jahren gang und gäbe waren, sind heute aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Andere Wörter, wie z. B. das heute inflationär gebrauchte Wort „geil“, hat in dieser Zeit einen immensen und mehrfachen Bedeutungswandel hinter sich. Während es für ältere Menschen nach wie vor anstößig ist, hat es für jüngere Menschen die Bedeutung von „toll“. Letzteres Wort hat ebenfalls einen Bedeutungswandel hinter sich und bedeutete vormals „verrückt“ – eine Bedeutung, an die sich wohl heute nur noch Philologen erinnern.
Berechtigung von Revisionen
Von daher ist es selbstverständlich, wenn auch die Lutherbibel immer wieder revidiert wird, um sie behutsam an die moderne Sprache anzupassen. Die Herausforderung ist durchgehend, dass sie dabei ihren „luther’schen“ Charakter behält. Auch sollte sie sich nicht zu weit vom Urtext entfernen, sodass sie eine Übersetzung bleibt und nicht zur Übertragung wird, die zugunsten der Anpassung an die aktuell gesprochene Sprache die Übereinstimmung mit dem Urtext an zweite Stelle stellt. Beispiel dafür ist z. B. die Gute Nachricht oder die Hoffnung für alle.
Nun waren die Revisionen der Lutherbibel seit 1912 ja nicht immer glücklich, und so mancher hält aus Prinzipientreue und Gewohnheit an dieser mehr als 100 Jahre alten Überarbeitung fest, die ja auch ein Meilenstein in der Revision der Lutherbibel war. Im Gedächtnis geblieben sind die Revisionen von 1956 (NT)/1964 (AT) und 1984, vergessen wurde dagegen weitestgehend die Revision von 1975, die von den Lesern als zu weitgehend nicht angenommen wurde. Es ist daher nicht selbstverständlich, dass sich eine Revision am Markt auch durchsetzen kann. Hat die neue Revision 2017 das Zeug dazu?
Ziele der Revision
Die Gruppe der Revisoren hat sich (laut dem Anhang der Jubiläumsausgabe) folgende Ziele gesetzt:
1. Treue gegenüber dem Ausgangstext
„Ausgangstext“ nennen die Revisoren den hebräisch/aramäisch/griechischen Text, den wir auch als Urtext bezeichnen. Vermutlich soll letzterer Begriff vermieden werden, weil damit eben auch die Idee eines Originaltextes verbunden sein kann, dem wir heute textkritisch zwar nahe sind, aber nicht mehr haben. Man hat versucht, Ungenauigkeiten bei Luthers Übersetzung gegenüber diesem Ausgangstext zu glätten. Ein angeführtes Beispiel ist Jes 42,14, wo (mit LU84) der ältere Text „ich will sie verwüsten und alle verschlingen“ an das Bild der Gebärenden angeglichen wird: „ich will laut rufen und schreien“.
Den Textvergleich in Logos finden Sie unter ► Werkzeuge ► Textvergleich.
Das ist Sache der Interpretation, die neue Übersetzung ergibt aber mehr Sinn. Bei Mt 6,1 wurden die Erkenntnisse der modernen Textkritik angewendet und statt „Almosen“ „Gerechtigkeit“ gesetzt. Dies sind nur zwei Beispiele der Revisoren.
Bei meinem eigenen Prüfstein für Übersetzungen kam ich zu dem Schluss, dass die Revision zumindest an einigen Punkten dem Ausgangstext wieder näher ist: In Eph 2,2.10 wird das Wort περιπατέω, das eine Inclusio um den Abschnitt bildet, wieder (wie auch in LU1545 und LU1912) korrekt mit ein und demselben Begriff übersetzt: wandeln. Diese Übereinstimmung ging in den Revisionen zwischen 1912 und 2017 verloren.
In dieselbe Richtung gingen die Revisoren bei der Einarbeitung von „neuen exegetischen Erkenntnissen“ und „veränderten Interpretationen“ in den Text. Sicherlich kann es hier Interpretationsspielräume geben, sodass ein solcher Schritt ambivalent erscheint. In jedem Fall bedeutet dies aber ein sich Entfernen von Luthers Auslegung – allerdings, ohne dass der Text dadurch gelitten hat, soweit ich das bisher sehen kann.
2. Wieder größere Nähe zu Luthers Textauffassung
Zweitens versuchten die Revisoren, eine „wieder größere Nähe zu Luthers Textauffassung“ zu erlangen. Als Beispiel wird Mt 8,24 genannt. Allerdings wird hier der „gewaltige Sturm“ von 1975/84, welcher das „Ungestüm“ von 1912 verdrängt hatte, zum „großen Beben“. Ob das mit Luthers Textauffassung besser zusammen passt, sei dahingestellt, aber hier hat die LU2017 eine Übersetzung, die dem Ausgangstext am nächsten kommt.
Auch „Luthers Sprache und Theologie“ sollen wieder mehr zur Geltung kommen, wofür Röm 10,10 angeführt wird. Dies ist vom exegetischen und mnemotechnischen Aspekt gelungen, entfernt sich aber eher von der ursprünglichen Sprache Luthers. Dagegen ist es zu begrüßen, wenn – wie am Beispiel von Psalm 42,6 gezeigt – wieder eine Rückkehr zu Luther stattfindet, wo seit 1912 vom fundierten Luthertext abgewichen wurde.
3. Willkürliche Anpassungen an den Zeitgeist
Leider ist aber zu beklagen, dass inzwischen auch die Lutherbibel zumindest ansatzweise „gegendert“ ist. Man hat sich dazu entschlossen – sowohl gegen Luthers Sprachempfinden als auch gegen den Ausgangstext – in den Anreden an die Gemeinden in den neutestamentlichen Briefen statt „Brüder“ nun „Brüder und Schwestern“ zu schreiben. Das ist – wenn man vom Anliegen des Vorlesens im Gottesdienst ausgeht – jeweils für sich genommen kein Makel.
Die Entwicklung der Sprache geht dahin, dass ein Teil der Frauen in unserer Gesellschaft sich nicht mehr angesprochen oder auch diskriminiert fühlt, wenn sie unter dem Begriff „Brüder“ eingeschlossen sind. So halte ich es denn auch für durchaus legitim, einen solchen Schritt zu machen. Was allerdings für mich grenzüberschreitend ist, ist die Tatsache, dass diese Maßnahme – die sich eindeutig als Versuchsballon einer bestimmten Gruppe erkennen lässt – in der Bibelübersetzung nicht gekennzeichnet ist. Es wäre eine Fußnote erforderlich gewesen, die deutlich macht, dass es sich hier nicht um eine Übersetzung, sondern eine Übertragung handelt.
Fazit
Mein Fazit: Soweit ich das überblicken kann (ich habe die Übersetzung zwar durchgelesen, aber nicht durchgehend am Original geprüft), ist die neue Lutherübersetzung 2017 eine in vielen Teilen gelungene Revision. Ein Wermutstropfen dagegen ist der Versuch der Genderisierung durch die Hintertür; wenn man das weiß, ist diese Revision jedoch gelungen, und man kann sie empfehlen. Für einen evangelischen landeskirchlichen Pfarrer, Prediger oder Liturgen wird sowieso kein Weg an dieser Bibel vorbeigehen, und es ist zu wünschen, dass Luthers Erbe so weiterhin kraftvoll und wegweisend gewahrt bleibt.
Alle drei Lutherbibeln von 1912, 1984 und von 2017 sind ab dem Einsteiger-Paket in Logos 9 enthalten, zusammen mit weiteren 10 deutschen Bibeln.
Die Bibeln sind aber auch einzeln erhältlich:
- Lutherbibel 1912
- Lutherbibel 1984 (mit erweiterter Interlinearbibel)
- Lutherbibel 2017 (zusätzlich die Interlinearbibel)
Lieber Bruder Schröder, vielen Dank für den fundierten Überblick über die Lutherbibel 2017. Sehr wertvoll! 🙂
Eine ausführlichere kritische Würdigung zur neuen Revision habe ich unter https://das-verkuendigte-wort.de/downloads/download-info/lutherbibel-2017-revidiert/ geschrieben!
Stephan Zeibig, https://das-verkuendigte-wort.de
Nochmal als Ergänzung: Meine ausgeführten und begründeten Punkte sind: Die für 2017 revidierte Lutherbibel ist:
– näher am Grundtext
– näher an Luther
– näher am Zeitgeist
– ferner vom Volk
Vielen Dank für den Link und die Hinweise.
Die gelobte Nähe zum Urtext kann sich auch als Fehlgriff erweisen.
In der „neuen” Lutherübersetzung wird der Missionsbefehl nicht mehr mit „Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker” übersetzt, sondern mit „Darum gehet hin und lehret alle Völker”. Luther selbst hat bei einer eigenen (!) Korrektur erkannt, dass es um mehr geht, als belehren. Es geht um eine vollständige Nachfolge in der ganzen Tiefe, mit der ein Schüler seinem Rabbi folgt.
Aber ich denke, in dem heutigen Selbstverständnis der evangelischen Kirche ist dieser ganzheitliche Anspruch an das Glaubensleben und dessen Vermittlung nicht mehr so beliebt wie das intellektuelle Lehren.
Amen dazu
Oha, wenn ich das so lese stößt mich die Luther 2017 regelrecht ab. Gendern in einer Bibel? Wenn es unbedingt sein muss hätte man in einer Fußnote „Brüder und Schwestern“ schreiben können, doch aber nicht im Text!
Das Ungestüm ein Beben? Das finde ich geradezu lächerlich!
Mir gefällt die Luther 1545 oder 1912 noch immer am besten. Das ist Luther.
Apropos, in der 1984 wurde Weib schon zu Frau, warum sagt man dann heute noch weiblich oder Weibchen? Dann müsste man es ja in fraulich und Frauchen umdichten. Ich finde Weib sehr schön, es gehört für mich einfach zum Luthertext dazu.
Luther schrieb selbst:
»Ich bitte, alle meine freunde vnd feinde, meine meister, drucker, vnd leser, wolten dis new testament lassen mein sein, Haben sie aber mangel dran, das sie selbs ein eigens fuer sich machen, Jch weis wol, was ich mache, sehe auch wol, was ander machen, Aber dis Testament sol des Luthers deudsch Testament sein, Denn meisterns vnd kluegelns ist itzt, widder masse noch ende. Vnd sey jederman gewarnet fur andern exemplaren, Denn ich bisher wol erfaren, wie vnvleissig vnd falsch vns andere nachdrucken.«
Warum respektiert man das nicht? Sollen sie meinetwegen Luthers Text nehmen und verhunzen wie sie wollen, aber um Gottes Willen sollen sie es nicht Luther nennen! Nennt das Buch dann EKD2017 oder weiß der Kukuk!
Das folgende Zitat von Joh.7.38 lässt mich sehr, sehr enttäuscht zurück:
„38 Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.” – Die Betonung liegt auf „wie die Schrift sagt” – es gibt viele christi, den Revoluzzer-christus, den New-Age-christus etc.etc. -
Deswegen sagt Jesus: Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt…
Schade, so eine Bibel kann ich nicht brauchen! – Wer weiß, was noch für Schnitzer dadrin stecken, so unter dem Motto „öfter mal was Neues…”
Von einem Schnitzer kann man hier nicht gut reden. Schon in der alten Kirche war es umstritten, wie dieser Satzteil „wie die Schrift sagt” zugeordnet werden soll. Schon Bengel und mit ihm ein Großteil der moderneren Exegeten (auch die konservativen) sehen in dem Satzteil die Einführung eines alttestamentlichen Zitats bzw. einen Hinweis auf alttestamentliche Zusammenhänge. In diesem Fall ist die Übersetzung der LB2017 nicht gesucht, sondern folgt der Mehrheit der Exegeten der vorigen Jahrhunderte. Das heißt natürlich nicht, dass hier beliebigen Christusbildern das Wort geredet wird. Auch die Barmer Erklärung betont richtig, dass es um den Jesus Christus geht, wie er in der heiligen Schrift bezeugt ist. Aber man kann das eben nicht zweifelsfrei aus dieser Bibelstelle erheben.
Eins kann man den Machern der LU2017 sicherlich nicht vorwerfen: Dass sie nicht bemüht darum sind, den dreifachen Spagat zwischen Luther, Urtext und Volksmund zu machen. Viele Worte in unserer Sprache sind einem „natürlichen” Bedeutungswandel unterworfen. So wird das Wort „Weib” heutzutage eher herablassend verstanden, was beklagenswert ist, aber eben doch wahr. Dagegen sind die angeführten Wörter „weiblich” und „Weibchen” (wobei letzteres ja nur für Tiere mehr verwendet wird) von diesem Bedeutungswandel verschont geblieben. Am Sinn des Textes ändert das nichts. Bei der Hinzufügen von „Schwestern” jedoch ist eine Linie überschritten. Man hätte sich entscheiden müssen: Entweder Brüder und Schwestern in den Text und eine deutliche Fußnote dazu, oder eine deutliche Fußnote und es bei den Brüdern belassen, wie das ja auch im altgriechischen Text der Fall ist. Zum derzeitigen Stand könnte man sagen: Wo bleiben die Diversen im Text? Überhaupt verharrt die Bibel nicht strikt beim generischen Maskulin, sondern an ausgesuchten Stellen werden Männer und Frauen nebeneinander gesetzt. Aber das wäre eine eigene Untersuchung wert.
Man muss meines Erachtens unterscheiden, wo eine Änderung den Text verfälscht oder wo „nur” ein neuer, gängigerer Begriff für einen älteren verwendet wird, der den „Urtext-„Begriff genauso gut wiedergibt und dennoch bei der lutherschen Tradition bleibt.
Als Diplomtheologe müssten sie eigentlich wissen, dass der Begriff „Brüder“ im griechischen auch Schwestern mit einschließt. Dazu gibt es Beispiele in anderer altgriechischer Literatur. Exakter hätte man wohl mit Geschwister übersetzt.
Das ist richtig; dasselbe gilt aber auch für die deutsche Sprache, auch hier sind bei den Brüdern die Schwestern mit einbezogen, so dass die korrekte wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes adelphos eben „Brüder” lautet. Aufgrund des heutigen Narrativs, dass Frauen bei „Brüder” nicht mitgemeint seien, wäre eine Übertragung mit „Geschwister”, gerne auch mit „Brüder und Schwestern” durchaus möglich. Dann sollte man aber in einer Fußnote darauf hinweisen, wie die Sache sich im Grundtext verhält. Oder man lässt einfach die „Brüder” im Text und fügt eine erklärende Fußnote hinzu, dass darin auch die Schwestern eingeschlossen sind. Für mich ist es wichtig, dass der Text einer Übersetzung tatsächlich den griechischen Grundtext wiedergibt, um ein möglichst textnahes Bibelstudium zu ermöglichen. Wer eine lesbare, in der heutigen Umgangssprache gehaltene Übersetzung haben will, kann sich auf dem großen Markt der Übertragungen behelfen.