Wieso freie Bibelübersetzungen belächelt werden, und was daran falsch ist

Von Philipp Keller

Bibelübersetzung, Eugene Nida, Freie Übersetzung, GNB, Gute Nachricht Bibel, Tipps
Dezember 8, 2014

Freie Über­set­zun­gen wer­den oft belä­chelt, gera­de von erfah­re­ne­ren Bibel­le­sern: „Wie­so soll­te jemand die Bibel in einer frei­en Über­set­zung lesen, wenn es doch die genau­en Über­set­zun­gen gibt?“ Kur­ze Ant­wort vor­ne­weg: Rund ein Vier­tel der Leu­te in unse­ren Gemein­den sind auf Über­set­zun­gen in moder­ner Spra­che ange­wie­sen, da sie Luther, Elber­fel­der und Co. gar nicht ver­ste­hen können. 

Da hier vie­le Pre­di­ger mit­le­sen, wel­che Emp­feh­lun­gen zu Über­set­zun­gen machen, will ich nun eine „Ode an die frei­en Über­set­zun­gen“ los­wer­den. Dies ist der Auf­takt zu einer vier­tei­li­gen Serie zur Guten Nach­richt Bibel.

Übersetzungen überbringen die Offenbarung Gottes

Das Neue Tes­ta­ment wur­de auf Grie­chisch ver­fasst, Jesus aber sprach wahr­schein­lich haupt­säch­lich Ara­mä­isch. Die Autoren des Neu­en Tes­ta­ments zitie­ren meist aus der Sep­tuag­in­ta, einer grie­chi­schen Über­set­zung des AT. Die Offen­ba­rung Got­tes ist voll von Über­set­zun­gen, und Gott hat es in Kauf genom­men, dass der Bibel­text dabei gefärbt, respek­ti­ve unvoll­stän­dig wie­der­ge­ge­ben wird. Denn was Gott wich­ti­ger ist: Er will sich den Men­schen offen­ba­ren. Daher nahm er es auf sich, Mensch zu wer­den, er wur­de einer von uns, damit wir ihn bes­ser ver­ste­hen können.

Eine Bibel­über­set­zung soll­te die­ses Anlie­gen wider­spie­geln: Sie hat daher einen mis­sio­na­ri­schen Cha­rak­ter. Sie bringt das Wort Got­tes zu den Men­schen. Wenn die Men­schen sie nicht ver­ste­hen, dann hat sie ihr Ziel verfehlt.

Ich habe erlebt, dass Chris­ten mit Deutsch als Zweit­spra­che die Elber­fel­der-Bibel emp­foh­len wur­de. Oder dass einem Jugend-Arbei­ter davon abge­ra­ten wur­de, mit den Kin­dern die Gute Nach­richt Bibel zu lesen. Die­se Emp­feh­lun­gen kom­men oft von Theo­lo­gen, wel­che ängst­lich dar­auf bedacht sind, dass der Urtext nicht ver­fälscht wird. Dabei wird ver­ges­sen, dass vie­le Gemein­de­mit­glie­der sprach­lich nicht so gut unter­wegs sind und daher genaue Über­set­zun­gen gar nicht ver­ste­hen kön­nen.

Euge­ne Nida, der Über­set­zungs­theo­re­ti­ker im 20. Jahr­hun­derts, schrieb:

Eini­ge Über­set­zer bestehen auf eine wört­li­che Über­set­zung, weil sie eine fal­sche Vor­stel­lung haben von Inspi­ra­ti­on. Sie glau­ben, dass das Neue Tes­ta­ment in einer spe­zi­el­len Form von Grie­chisch geschrie­ben wur­de: eine Art „Hei­li­ge Geist Spra­che”. Die­se müs­se wie­der­ge­ge­ben wer­den. […] Eine sol­che Sicht der Hei­li­gen Schrift ist nicht weit ent­fernt von einer „Magie der Wor­te”. […]. Für sie ist eine wört­li­che Über­tra­gung wich­ti­ger als der Sinn des Kon­texts. Wenn der ursprüng­li­che Schrei­ber das grie­chi­sche Wort „Sarks” in ver­schie­de­nen Pas­sa­gen benutzt, dann muss die Über­set­zung an allen Stel­len das­sel­be Wort gebrau­chen, z. B. „Fleisch”, obwohl das Wort in den ver­schie­de­nen Kon­tex­ten ziem­lich ver­schie­de­ne Bedeu­tun­gen haben dürf­te. (aus: „The Bible Trans­la­tor”, 1970)

… denn sie verstehen nicht, was sie lesen

Die „Level One Stu­die“ hat den Analpha­be­tis­mus in Deutsch­land erho­ben. Die fol­gen­de Tabel­le fasst das Ergeb­nis zusammen.

Level Bedeu­tung Anteil der Erwachsenen
α1 – α2 Erwach­se­ne ver­ste­hen nur ein­zel­ne Wör­ter, aber nicht zusam­men­hän­gen­de Sätze. 4.5 %
α3 Ver­ste­hen ein­zel­ne Sät­ze, aber jedoch kei­ne zusam­men­hän­gen­de (auch kür­ze­re) Texte. 10 %
α4 Langsames/​fehlerhaftes Lesen auf Sat­z/­Text-Ebe­ne auch bei gebräuch­li­chen Wörtern. 26 %

Ich ver­su­che, das auf freie Bibel­über­set­zun­gen zu mün­zen und habe dazu die Gra­fik rechts erstellt. 14.5% der Erwach­se­nen (Level α1-α3, in der Gra­fik rechts: blau) wer­den nie die Bibel lesen kön­nen, sei sie in einer noch so leich­ten Spra­che. Sie wer­den zu Analpha­be­ten im „wei­te­ren Sinn“ gezählt. Sie kön­nen zwar grund­sätz­lich lesen, jedoch nicht genü­gend gut, als dass sie den Sinn eines Text­ab­schnitts ver­ste­hen würden.

Ein Vier­tel der deut­schen Erwach­se­nen (rot) sind sprach­lich etwas bes­ser unter­wegs, aber immer noch so schlecht, dass sie eine wört­li­che Über­set­zung nicht ver­ste­hen kön­nen. Von die­ser Grup­pe heißt es in der Stu­die: „Typisch Betrof­fe­ne ver­mei­den das Lesen und Schrei­ben häu­fig“. Falls sol­che Chris­ten nur wört­li­che Über­set­zun­gen zu Hau­se ste­hen haben, dann wer­den sie die­se nicht öff­nen, oder wenn, dann nur ungern und ohne gro­ßen Gewinn. Erwach­se­ne >α4 (oran­ge) ver­ste­hen bei­des, wobei es auch dort vie­le gibt, denen das Lesen von frei­en Über­set­zun­gen weit leich­ter fällt. Auf­grund mei­ner Erfah­rung in Gemein­den wür­de ich etwa der Hälf­te der Chris­ten eine freie Über­set­zung empfehlen.

Bei mei­nen Inter­net-Recher­chen über Bibel­über­set­zun­gen sto­ße ich häu­fig auf Schimpf­ti­ra­den über freie Über­set­zun­gen. Die­se Leu­te las­sen nur die genau­en Über­set­zun­gen wie Elber­fel­der, Luther usw. ste­hen. Die NGÜ mag gera­de noch in Ord­nung gehen, aber die Gute Nach­richt und auch die Hoff­nung für Alle wer­den ver­schmäht. Was sol­che Kri­ti­ker nicht beach­ten: Ohne die­se Über­set­zun­gen wür­de etwa jedem Vier­ten die Bibel verwehrt.

Vor 100 Jah­ren sah es noch nicht so schlimm aus, da konn­ten die sozia­len Struk­tu­ren dies noch auf­fan­gen: Lese­schwa­che hat­ten durch Lese­star­ke in der Fami­lie oder der Gemein­de trotz­dem Zugang zu Got­tes Wort. Heu­te leben wir eigen­stän­di­ger. Men­schen, die allei­ne zu Hau­se nach Gott suchen, brau­chen kom­mu­ni­ka­ti­ve Über­set­zun­gen, die sie von sich aus ver­ste­hen kön­nen. Bil­ly Gra­ham emp­fahl bei sei­nen Evan­ge­li­sa­tio­nen die „Good News Bible“, das eng­li­sche Vor­bild der deut­schen ‚Guten Nach­richt‘. Er woll­te die Men­schen mit Got­tes Wort errei­chen und wuss­te, dass vie­le sei­ne Zuhö­rer auf ihre ver­ständ­li­che Aus­drucks­wei­se ange­wie­sen waren.

Und wenn ich ganz ehr­lich bin: Auch ich mit einem Uni­ver­si­täts­ab­schluss öff­ne am Mor­gen um 6:00 Uhr lie­ber die Gute Nach­richt als die Schlach­ter-Bibel. Denn früh am Mor­gen ist mein intel­lek­tu­el­ler Zustand auch noch nicht ganz auf der Höhe…

Freie Übersetzungen ja, aber nicht zulasten der Zuverlässigkeit!

Also: Freie Über­set­zun­gen wie die Gute Nach­richt Bibel könn­ten rund jeden Vier­ten in die Lage ver­set­zen, den Bibel­text ohne frem­de Hil­fe zu ver­ste­hen. Die erhöh­te Ver­ständ­lich­keit ist das Ergeb­nis ver­schie­de­ner Maß­nah­men. Die fol­gen­den Bei­spie­le sind der Guten Nach­richt Bibel entnommen:

  1. Umstruk­tu­rie­rung: Wenn nötig, wer­den Teil­sät­ze im Vers oder auch über Vers­gren­zen hin­weg umge­ord­net, z. B. in Apg 1,3 steht „Nach sei­nem Lei­den […] hat­te er sich ihnen wie­der­holt gezeigt“ statt wie in der Luther „Ihnen zeig­te er sich nach sei­nem Lei­den […]“. Letz­te­res ent­spricht der grie­chi­schen Wort­fol­ge, ers­te­res ist verständlicher.
  2. Expli­ka­ti­on: Hin­ter­grund­wis­sen, das nicht im Text ent­hal­ten ist, weil es den ursprüng­li­chen Lesern bekannt war, wird expli­zit gemacht. Bei­spiels­wei­se wird in Lk 2,22 hin­zu­ge­fügt, dass Jesus 40 Tage nach sei­ner Geburt geweiht wur­de. Die Dau­er zwi­schen Geburt und Wei­he wur­de aus Lev. 12:2–4 entnommen.
  3. Inter­pre­ta­ti­on: An Stel­len, wo das grie­chi­sche Ori­gi­nal meh­re­re Inter­pre­ta­tio­nen zulässt, ent­schei­det sich die Über­set­zung für eine. Zum Bei­spiel wird der schwie­ri­ge Vers Mt. 11,12: „Bis heu­te lei­det das Him­mel­reich Gewalt“ über­setzt mit „bis heu­te stel­len sich ihr Fein­de in den Weg“.
  4. Kon­text­ori­en­tie­rung: Statt für das­sel­be grie­chi­sche Wort immer das­sel­be deut­sche Wort zu wäh­len, wird je nach Kon­text eine ande­re Über­set­zung gewählt. Reich Got­tes wird z. B. über­setzt mit „Gott rich­tet sei­ne Herr­schaft auf“, „Got­tes Wil­le geschieht“, oder „Got­tes neue Welt“.
  5. Über­tra­gen der Begrif­fe: Für ver­al­te­te Begrif­fe wird ein moder­ne­rer Begriff ver­wen­det. Aus „sal­be dein Haupt“ in Mt. 6,17 wird „käm­me dich“, oder aus dem „Ste­cken“ in Mt. 10,10 wird ein „Wan­der­stock“.

Kei­ne die­ser Maß­nah­men ist ohne Risi­ko. Sie alle hän­gen vom Urteil der Über­set­zer ab. Und wer kann garan­tie­ren, dass deren theo­lo­gi­sche Ansich­ten nicht am Ende in der Über­set­zung durch­schei­nen? Aber die Über­set­zer kom­mu­ni­ka­ti­ver Bibeln legen alles dar­an, dass die deut­schen Tex­te am Ende nicht ten­den­zi­ös sind. Sie set­zen sich in lang­wie­ri­ger Arbeit mit der exege­ti­schen For­schung aus­ein­an­der, um am Ende die zuver­läs­sigs­te Über­set­zung zu gewähr­leis­ten. Wo es unter­schied­li­che Aus­le­gungs­mög­lich­kei­ten gibt, kom­men alter­na­ti­ve Inter­pre­ta­tio­nen oder die wört­li­che Über­set­zung oft in Fuß­no­ten unter. Vor der Ver­öf­fent­li­chung wer­den die Manu­skrip­te von ande­ren Theo­lo­gen beurteilt.

Nach ihrer Erst­ver­öf­fent­li­chung 1967 wur­de die Gute Nach­richt Bibel 1990–1997 zum drit­ten Mal revi­diert, damit sie noch zuver­läs­si­ger wür­de. Der Pro­zess dau­er­te sie­ben Jah­re. Mit dabei war Dr. Rolf Schä­fer. Er wird uns im über­nächs­ten Bei­trag dar­über erzählen.

Seit die­ser Revi­si­on wirbt die deut­sche Bibel­ge­sell­schaft damit, dass die Gute Nach­richt Bibel die zuver­läs­sigs­te der kom­mu­ni­ka­ti­ven deut­schen Über­set­zun­gen sei.

Die­ser Arti­kel ist der ers­te Teil einer vier­tei­li­gen Rei­he über die Gute Nach­richt Bibel. Die ande­ren 3 Beiträge:

  1. Gute Nach­richt Bibel: Wie es zur ers­ten frei­en deut­schen Über­set­zung kam – eine erstaun­li­che Geschichte
  2. «Es ging dar­um, den ers­ten küh­nen Wurf zu bän­di­gen» – Inter­view mit Dr. Rolf Schä­fer über die Revi­si­on der Guten Nach­richt Bibel
  3. Gute Nach­richt Bibel – eine umfang­rei­che Textanalyse

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Philipp Keller

Über den Autor

Das Wort Gottes nicht nur lesen, sondern auch bewundern. Das versucht Philipp selbst zu tun und andere dazu zu motivieren. Er ist Worship-Leiter und bloggt privat. Auf Twitter ist er erreichbar unter @philippkellr

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  1. Es ist eine trau­ri­ge Tat­sa­che, dass die Gute Nach­richt eine in Tei­len nicht uner­heb­lich fal­sche Über­set­zung lie­fert, die nicht nur die Tat­sa­che eines Gesche­hens ver­fäl­schen, son­dern auch sei­nen Sinn.
    Bei­spiel dafür bie­tet Lukas 1,26; hier wird aus einer Jung­frau ein­fach eine
    „jun­ge Frau” gemacht.
    Das allein ist Bibel­ver­fäl­schung pur.

    1. Das gute an Logos ist, dass man vie­le Bibeln ver­glei­chen kann und auch direkt Wort­stu­di­en zu einem Wort erstel­len kann. Ich erklä­re das der Gemein­de oder mei­nen Kin­dern dann, war­um ich die­se Über­set­zung bes­ser fin­de oder nicht. Oder in die­sem Fall: war­um ich glau­be, wel­che Über­set­zung rich­tig ist.

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