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Starke Worte zu einem starken Werk
„[Der Neue Sprachliche Schlüssel ist] ein gutes Hilfsmittel, von dem wir in unserer Generation nur träumen konnten. Damals gab es den Sprachlichen Schlüssel von Fritz Rienecker, den man allerdings unter dem Tisch gebraucht hat; den man nur hatte, aber über den man nicht sprach. Aber des Sprachlichen Schlüssels von Wilfrid Haubeck und Heinrich von Siebenthal muss sich niemand schämen!“
So sagte der inzwischen emeritierte Dortmunder Theologe Prof. Dr. Rainer Riesner in einem Vortrag an einer theologischen Ausbildungsstätte Deutschlands. Diese Empfehlung hat mich damals veranlasst, diesen Neuen Sprachlichen Schlüssel (NSS) von W. Haubeck & H. v. Siebenthal zu erwerben. Seitdem steht dieses Werk in meinem Bücherregal an prominenter Stelle, nämlich direkt hinter meinem Bürostuhl, damit ich es jeder Zeit schnell in die Hand nehmen kann.
Was für ein Buch ist dieser „Neue Sprachliche Schlüssel“?
Dieses Werk analysiert fast jedes griechische Wort des ganzen Neuen Testaments, erklärt sprachliche und grammatische Besonderheiten des relevanten Wortes. Dabei bietet es mehrere Bedeutungen des Wortes und Übersetzungsvorschläge an, wenn ein griechischer Ausdruck nicht leicht ins Deutsche zu übersetzen ist. Es gibt zahlreiche Verweise auf Vertiefungsmöglichkeiten durch Standardhilfsmittel, z. B. das Wörterbuch von Bauer/Aland oder die Grammatiken von Hoffmann/von Siebenthal (Logos führt Siebenthals aktualisierte Version) oder die von Blass/Debrunner/Rehkopf usw.
Hier kann ich zwei Beispiele nennen.
Waren die Jünger in Kana am Weinmangel schuld?
Neulich predigte ich zur Hochzeit zu Kana (Joh 2,1ff.).
In Joh 2,2 steht nach der Lutherübersetzung: „Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen.“ Zu diesem Vers steht die folgende Information:
Jh 2,2 ἐ‑κλήθη Aor. Pass. καλέω hier einladen (B 1b); zum Sg. s. A94. εἰς zu.
Eindeutig steht die Formulierung des Einladens im Singular, d. h. wörtlich übersetzt müsste es heißen: „Jesus wurde (3.Sg.) eingeladen und die Jünger …“ Aus diesem Grund könnte man leicht auf den Gedanken kommen, dass die Jünger zu dieser Hochzeit eigentlich gar nicht eingeladen gewesen wären. Weiter könnte man dann vermuten, dass diese unerwarteten Gäste vielleicht den Mangel an Wein mitverursacht haben könnten. Der NSS kann helfen, dieses Missverständnis aufzuklären. Im Eintrag zu Joh 2,2 sehen wir nämlich einen Verweis auf „A94“, eine Stelle im praktischen grammatischen Anhang des Sprachlichen Schlüssels, die die vorliegende Konstruktion erklärt:
A94 a) Besteht ein zweigliedriges Subj. aus Sg.+Sg. oder Sg.+Pl., so gilt in der Regel: Subj. [Sg.+Pl./Sg.]+Präd. [Pl.], aber Präd. [Sg.]+Subj. [Sg.+Pl./Sg.]: ἐκλήθη (Präd.) δὲ καὶ ὁ Ἰησοῦς καὶ οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ … (Subj.) auch Jesus und seine Jünger wurden … eingeladen (Jh 2,2), s. a. Apg 12,25; 16,31.
Bei der Formulierung in Joh 2,2 handelt es sich also um normalen Sprachgebrauch, die Lutherbibel hat das demnach ganz richtig wiedergegeben.
Fährt Jesus seiner Mutter über den Mund?
Ein zweites Beispiel. In Joh 2,4 heißt es: „Was geht’s dich an, Frau, was ich tue?“ (Luther 84), oder „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? (REB; Luther 2017)“ Hat Jesus mit seiner Mutter so abwertend geredet? Auch dazu findet man im NSS interessante Informationen.
Jh 2,4 τί ἐμοὶ καὶ σοί erg. ἐστίν (BDR § 1274), sowohl Hebr. (מַה־לִּי וָלָךְ mah-lî wālāḵ) als auch volkstüml. abweisende Redewendung (B ἐγώ) „was haben ich und du (gemeinsam/miteinander zu tun)“ (dat. commodi, A173), übers. hier etwa was habe ich mit dir zu tun? lass mich in Ruhe! (B ἐγώ), was kümmern dich meine Angelegenheiten? (Menge). γύναι Vok. γυνή. οὔ-πω noch nicht. ἥκω (vgl. A33187) gekommen sein, da sein.
Eindeutig ist dieser Ausdruck ein Hebraismus. Mit der Logos-Suchfunktion recherchiere ich diesen Ausdruck „מַה־לִּי וָלָךְ“ in der hebräischen Bibel.
Dabei stoße ich auf 2. Kön 3,13. Im Zusammenhang geht es darum, dass der Prophet Elisa die Bitte König Jorams ablehnt. Schlecht kann man sich vorstellen, dass ein Prophet dem König gegenüber abwertend reden würde. Aus diesem Grund darf man annehmen, dass dieser hebräische Ausdruck nicht zwingend eine abwertende Nuance beinhaltet, auch wenn die deutsche Übersetzung so klingt.
D. h., mit diesem volkstümlichen Ausdruck wollte Jesus seiner Mutter deutlich machen: „Von nun an höre ich nur auf meinen himmlischen Vater. Nur der Vater allein hat die Macht über mich. Du hast mich zwar zur Welt gebracht, aber du bist letztendlich auch nur eine Frau, die durch mich neu geboren werden soll.“ Dazu zitiere ich eine passende Formulierung von Adolf Schlatter: „Von der Mutter getrennt, mit dem Vater vereint“ (Kennen wir Jesus, 71; d.i. für 3. Feb.)
Lohnt sich der Kauf?
Dieses Hilfsmittel ist – soweit ich es beurteilen kann – einzigartig im deutschsprachigen Raum. Im Englischen gibt es seit 1982 den „Linguistic Key to the Greek New Testament“ als englische Übersetzung des Sprachlichen Schlüssels von Fritz Rienecker (übersetzt von Cleon L. Rogers Jr.). Darüber hinaus wurde im Jahr 1998 der „New Linguistic and Exegetical Key to the Greek New Testament“ von Cleon Rogers Jr. und Cleon Rogers III. veröffentlicht, die lange Zeit in Deutschland tätig waren (wobei letzterer es weiterhin ist).
Weiterhin gibt es das mehrfach revidierte Werk des deutschen Jesuiten Max Zerwick, A Grammatical Analysis of the Greek New Testament (aus dem Italienischen übersetzt von Mary Grosvenor). Keines dieser Werke kann sich jedoch an Ausführlichkeit mit dem Neuen Sprachlichen Schlüssel von Wilfrid Haubeck und Heinrich von Siebenthal messen.
Daher freue ich mich besonders, dass es den Neuen Sprachlichen Schlüssel in Logos gibt.
Vorteile gegenüber der Druckausgabe
Die elektronische Ausgabe macht dieses starke Hilfsmittel noch attraktiver und benutzerfreundlicher, da mit wenigen Mausklicks wichtige grammatische Informationen jedes neutestamentlichen Abschnitts präsentiert werden. Nicht nur das; ich konnte die im NSS verwendeten Abkürzungen mit einer kleinen Mausbewegung entschlüsseln und grammatische Informationen, z. B. Flexionstabellen, Stammformenreihen und die griechische Syntax in ausführlicher Form schnell vor Augen bekommen. All diese Vorteile der elektrischen Aussage kann ich nun richtig genießen.
Fazit
Dieses Werk ist fast ein Muss für Pastoren/Studenten/Theologen, die regelmäßig das griechische Neue Testament gründlich lesen wollen; nicht nur für die Predigtvorbereitung, nicht nur für die Hausarbeit usw., sondern auch für die tägliche Bibellese. Dieser sprachliche Schlüssel zum Neuen Testament ist eine echte Fundgrube in der neutestamentlichen Sprachwelt. Übrigens ist der NSS auch in Logos 6 Gold enthalten!
Über den Autor: Jimmy Jinkyou Nam ist Pastor der Liebenzeller Gemeinde Stuttgart.
Freut mich hier bei Ihnen den Namen „unseres” Rainer Riesner zu lesen.
Wir sind in derselben Ortsgemeinde wie Rainer