Soll der Traum von der Integration von Logos an einer theologischen Ausbildungsstätte (siehe „Der Traum“) Wirklichkeit werden, braucht es im wesentlichen zwei Dinge. Einerseits müssen alle Studierenden ein Logos-Paket bekommen, das für ihre Ausbildung und ihren Kontext zugeschnitten ist (wie das möglich ist, kannst du in den Beiträgen 2–4 nachlesen). Das ist aber bei Weitem nicht alles. Wenn die Integration von Logos wirklich gelingen soll, dann muss der Umgang mit der Software tatsächlich ins ganze Curriculum integriert werden. Dies muss pädagogisch und didaktisch durchdacht und reflektiert geschehen. Es braucht also konkrete Lernziele, Lernaktivitäten und auch Lernnachweise. Und genau das ist Thema dieses fünften Beitrages. Der Artikel soll Ihnen helfen, den Umgang mit Logos didaktisch reflektiert zu lehren.
Inhalt
Das Konzept des Constructive Alignments
In den letzten Jahrzehnten fand ein allgemeiner bildungstheoretischer Paradigmenwechsel statt – auch an theologischen Ausbildungsstätten. Dieser tief greifende Wandel der pädagogischen und didaktischen Überzeugungen, hat zu einer neuen Lernkultur geführt, die durch mindestens vier Charakteristika gekennzeichnet ist:
- Der Fokus der neuen Lernkultur liegt auf dem learning des Lernenden und seinem Kompetenzgewinn, nicht mehr vorrangig auf dem teaching des Lehrenden.
- Im Mittelpunkt der neuen Lernkultur steht der Student, nicht mehr der Dozent.
- Es geht beim neuen Lernen nicht mehr ausschließlich um die (immer noch notwendige) Vermittlung von Inhalten, sondern v. a. um die Entwicklung von Kompetenzen.
- Die neue Lernkultur orientiert sich zentral an Learning-Outcomes bzw. Lernzielen. Entscheidend ist nicht primär die Frage „Welche Stoffe müssen Studierende beherrschen?“, sondern v. a. die Frage „Über welche Kompetenzen müssen Studierende am Ende verfügen?“
Für die Integration von Logos entscheidend ist vor allem Letzteres. Jedes pädagogische Handeln innerhalb einer Ausbildung muss sich an konkreten Lernzielen orientieren. Damit verbunden ist das Konzept des Constructive Aligments.
Unter Constructive Alignment bzw. Didaktischem Dreischritt versteht man in der Pädagogik die Kohärenz bzw. Passung zwischen Lernzielen, Lehr- und Lernmethoden und Kompetenznachweisen. Effektives Lernen geschieht demnach dort, wo im Vorfeld konkrete Lernziele formuliert wurden, die im Unterricht genutzten Lehr- und Lernmethoden die Entwicklung hin zu diesen Lernzielen unterstützen und sich dann auch die Lernnachweise an diesen Lernzielen orientieren.
Ich bin davon überzeugt, dass theologische Ausbildungsstätten und andere Werke nur dann ihren Studierenden einen kompetenten Umgang mit Logos beibringen können, wenn sie sich an diesen didaktischen Dreischritt halten. Von daher lohnt es sich, die einzelnen Bestandteile etwas näher anzuschauen. Um das Ganze so anschaulich wie möglich zu machen, werde ich immer wieder Beispiele nennen, wie wir die konkreten Schritte bei uns an der Bibelschule Brake umgesetzt haben.
Lernziele
Lernziele sind kompetenz‑, output- und handlungsorientierte Zielformulierungen, die deutlich machen, was ein Lernender am Ende eines Lernprozesses kann und weiß bzw. welche Einstellungen, Werte und Fertigkeiten er erworben hat. Lernziele bezeichnen also das, was Lernende wissen, verstehen und in der Lage sind zu tun, nachdem sie einen Lernprozess abgeschlossen haben.
Wer Logos in sein Curriculum integrieren will, sollte deshalb mit folgender Frage beginnen: Was soll der Studierende am Ende der Ausbildung mit Logos können? Am Anfang muss die Frage nach dem Wissen und Können bzw. den Fähigkeiten und Fertigkeiten am Ende des Lernprozesses stehen. Wichtig ist dabei, dass man – wie bei allen Lernzielformulierungen – vom Ende her denkt. Die Frage ist also, was der Idealabsolvent der Ausbildungsstätte in Bezug auf Logos wissen, können und tun soll.
Die besten Ergebnisse erhält man auch hier, wenn man die Lernziele gemeinsam entwickelt. In unserem Fall war es so, dass wir mehrere Kollegiumssitzungen hatten, an denen alle Dozenten zusammen an den Lernzielen gearbeitet haben. Das Ergebnis sieht für unser dreijähriges Programm wie folgt aus:
Der Studierende…
- kennt die Benutzeroberfläche von Logos und versteht das dahinterliegende Prinzip (v. a. Arbeitsbereiche, Bibliothek, Assistenten, Studienhilfen, usw.).
- nutzt die verschiedensten Ressourcen von Logos (Bibeltexte; Kommentare; Lexika; Wörterbücher; Studienhilfen; Werkzeuge; usw.) und kann entscheiden, welche Ressource für welche konkrete Aufgabe am besten geeignet ist.
- kann Bibeltexte mithilfe von Logos untersuchen, kommentieren, markieren und vergleichen, sowie alt- als auch neutestamentliche Parallelstellen finden und begründen.
- gebraucht Logos zusehends, um Perikopen abzugrenzen und Bibeltexte zu gliedern (Perikopenanalyse; Gliederungen; Satzdiagramme, usw.).
- ist in der Lage, verschiedene Bibelübersetzungen in Logos zu vergleichen und aufgrund des Urtextes begründete Entscheidungen zu treffen.
- kann mit Logos erklären, wie die LXX alttestamentliche Texte übersetzt und welchen Einfluss das auf die neutestamentlichen Zitate des ATs hat.
- entwickelt einen sicheren Umgang mit dem hebräischen, aramäischen und griechischen Grundtext der Bibel und kann die grammatikalischen und syntaktischen Angaben von Logos sicher deuten.
- nutzt die wissenschaftlichen Standardwörterbücher (Pons; Gesenius; DCH; THAT; Bauer-Aland, EWNT, LSJ) in Logos fachkundig und interpretiert deren Angaben kompetent.
- verknüpft die morphologischen und syntaktischen Angaben von Logos mit Standardgrammatiken (Gesenius-Kautzsch; NSS; Blaß, Siebenthal) und kann deren exegetische Bedeutung erklären.
- führt mit Logos Wortstudien im Grundtext durch, analysiert die bereitgestellten Daten und formuliert deren exegetischen Ertrag.
- erlernt den grundlegenden Umgang mit den textkritischen Apparaten von BHS und NA in Logos und kann damit wesentliche textkritische Fragen selbst beurteilen.
- führt komplexere Suchen in Logos aus (grammatikalische Konstruktionen, Personen; Orte; Ereignisse; Themen usw.) und kann deren Ergebnisse deuten.
- arbeitet mit Hilfe von Logos zeitgeschichtliche, kulturelle und historische Hintergründe zu Bibeltexten heraus (Bibellexika; Zeittafeln; Atlanten; Faktenbuch; usw.).
- verwendet Logos zunehmend zur Bearbeitung von Themen und systematisch-theologischen Fragestellungen (thematische Bibelstellensuche; Themenassistent; Dogmatikassistent; Verknüpfung zu Dogmatiken; usw.).
- nutzt Logos und vor allem dessen Predigteditor intensiv und kompetent in der Vorbereitung von Predigten und biblischen Botschaften.
- lernt, Logos als wissenschaftliche Quelle und Bibliothek für Facharbeiten usw. zu nutzen.
- versteht und benutzt Logos mehr und mehr als lebenslanges Werkzeug und Datenbank für sein theologisches Arbeiten (eigene Bibellese; eigene Notizen und Ressourcen; individuelle Anpassung; Wiederholen von Bibelversen, usw.)
Natürlich sind diese Lernziele auf unsere Ausbildung und unseren Kontext zugeschnitten. Allerdings können sie durchaus als Grundlage für ähnlich ausgerichtete Ausbildungen dienen.
Lehr- und Lernaktivitäten
Die Formulierung von Lernzielen ist das eine. Wichtig ist nun, dass die Lehr- und Lernaktivitäten im Unterricht selbst die Entwicklung hin zu diesen Lernzielen fördern. Die Frage muss deshalb immer sein: Welche Lehr- und Lernaktivitäten helfen dem Studierenden, die Lernziele in Bezug auf Logos zu erreichen? Das Unterrichtsgeschehen darf also nie losgelöst von den Lernzielen sein – auch nicht in Bezug auf Logos.
Unserer Erfahrung nach kommt man hier am ehesten voran, wenn man eine Übersicht erarbeitet, in der alle Lehr- und Lernaktivitäten in Bezug auf Logos über die gesamte Ausbildung deutlich werden. Am besten geschieht dieser Arbeitsschritt wieder im gesamten Kollegium. Die Übersicht soll klar machen, wer, was, in welchem Fach und auf welchem Level unterrichtet (Fach; Dozent; Level). Wenn ich zum Beispiel dem ersten Jahrgang im Fach Exodus beibringe, wie man eine hebräische Wortstudie zum Wort תֵּבָה in Exodus 2,3 macht und dies das erste Mal ist, dass die Studierenden etwas über Wortstudien in Logos hören, dann trage ich unter Lernziel 10 „Exodus; StS; 1“ ein. Insgesamt könnte das dann – ausgehend von den oben genannten Lernzielen – wie folgt aussehen:
Lernziel | 1. Jahrgang | 2. Jahrgang | 3. Jahrgang |
#1 | Fach; Dozent; Level | ||
#2 | |||
#3 | |||
#4 | |||
#5 | |||
#6 | |||
#7 | |||
#8 | |||
#9 | |||
#10 | Exodus; StS; 1 | ||
#11 | |||
#12 | |||
#13 | |||
#14 | |||
#15 | |||
#16 | |||
#17 |
Zu beachten ist bei dieser Art der Curriculumsintegration Folgendes:
- Jedes Lernziel muss innerhalb der gesamten Ausbildungszeit mindestens einmal vorkommen. Dabei sollte die Kompetenzentwicklung in Bezug auf Logos beachtet werden (Grundsätzliches eher am Anfang der Ausbildung; Komplexeres eher am Ende).
- Jedes Lernziel sollte nicht nur einmalig, sondern mehrfach thematisiert werden, denn: „Wiederholung ist die Mutter allen Lernens.“ Das bedeutet einerseits, dass die gleichen Lernziele in unterschiedlichen Ausbildungsjahren thematisiert werden müssen. Andererseits meint das aber auch, dass ein und dasselbe Lernziel innerhalb eines Jahrgangs häufiger und von verschiedenen Dozenten thematisiert werden kann und sollte.
- Die Übersicht über die Lehr- und Lernaktivitäten ist keine bloße Absichtserklärung – die entsprechenden Kompetenzen müssen auch tatsächlich unterrichtet werden. Gerade dieser Überblick kann dem Studiendekan oder anderen verantwortlichen Personen helfen, mit den einzelnen Dozenten ihre Lehr- und Lernaktivitäten in Bezug auf Logos zu reflektieren.
Kompetenznachweise
Um Logos ganzheitlich in das Curriculum zu integrieren, müssen wir schließlich noch über Kompetenznachweise nachdenken. Die Lern- und Leistungsevaluation ist ein zentraler Bestandteil des Constructive Alignments. Entscheidend ist hier ein Zweifaches:
- Leistungsnachweise müssen sich an den formulierten Lernzielen orientieren. Es muss also das geprüft werden, was als Ziel ausgegeben und in den Lehrveranstaltungen tatsächlich gelehrt wurde.
- Leistungsnachweise gehören zum Lernprozess und müssen deshalb innerhalb einer Lehrveranstaltung erfolgen, nicht erst an deren Ende. Nur so kommt das formative Potenzial von Leistungsnachweisen zur Geltung.
Die Frage muss also immer auch sein: Wie weist der Studierende nach, dass er die Lernziele in Bezug auf Logos erreicht hat? Hier wird vor allem eines deutlich: Wenn Logos ganz zentral in die theologische Ausbildung integriert wird, dann hat das auch Auswirkungen auf Prüfungsformen und Leistungsnachweise. Wenn eine Ausbildungsstätte mit Logos verbundene Lernziele in ihr Curriculum aufnimmt, dann muss es auch Prüfungsformen geben, die den Gebrauch von Logos und das Erreichen der Lernziele evaluieren. Logos muss also auch Teil der Prüfungen werden.
Hier sind verschiedene Wege denkbar. Einerseits könnte Logos als Werkzeug für die bisherigen Prüfungen zugelassen werden. Noch besser ist es aber, wenn man die Studierenden selbst in Logos Aufgaben erledigen lässt (z. B. über individuell angepasste Studienhilfen), die dann online abgegeben und bewertet werden. Wie das konkret aussehen kann, werde ich im siebten Teil dieser Reihe („Der Unterricht“) beschreiben.
Fazit
Die Integration von Logos in eine theologische Ausbildung wird nur dann gelingen, wenn dies pädagogisch und didaktisch durchdacht geschieht. Am wichtigsten ist dabei die Formulierung von konkreten Lernzielen, die Anpassung der Lehr- und Lernaktivitäten im Unterricht und passende formative Leistungsnachweise.
So What?!
Was ich auf der Ebene einer theologischen Ausbildungsstätte beschrieben habe, gilt nicht nur dort. Wo auch immer Sie Logos integrieren wollen: Denken Sie doch einmal über Ihre konkreten Lernziele, die entsprechenden Lehr- und Lernaktivitäten und die Formen der Kompetenznachweise nach. Wenn Sie auf diesen drei Ebenen eine hohe Passung erreichen, werden Sie andere für Logos begeistern und befähigen – und damit Ihrem Traum ein großes Stück näher kommen. Auf gehts!
Über den Autor: Stephanus Schäl ist Dozent für Altes Testament an der Bibelschule Brake, promoviert gerade in Leadership in Theological Education an der Columbia International University und gehört unter anderem zum Leitungsteam vom Bibelprojekt und visiomedia.