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Makarios = Glückselig = ?
Die Bergpredigt ist bekannt für den hohen ethischen Maßstab, den Jesus an seine Jünger legt. Jesus beginnt die Bergpredigt allerdings nicht mit Ansprüchen. Er beginnt mit Zusprüchen, den sogenannten Seligpreisungen. Anhand einer Wortstudie soll der folgende Beitrag zeigen, was es mit diesen Zusprüchen Jesus’ auf sich hat. Der Beitrag soll außerdem eine Anleitung geben, selbstständig Wortstudien mit Logos durchzuführen.
Der vorliegende Beitrag orientiert sich an den vier Schritten für eine Wortstudie aus dem neu erschienenen Buch How to Unterstand and Apply the New Testament von Andrew David Naselli, das wir an dieser Stelle herzlich empfehlen wollen. Die vier Schritte lauten:
- Wähle ein griechisches Wort für eine Wortstudie aus
- Analysiere sein Bedeutungsspektrum im Neuen Testament
- Vergleiche, wie das Wort in der Septuaginta und außerbiblischer Literatur verwendet wird
- Ermittle die wahrscheinliche Bedeutung des Worts in Schlüsselstellen des Neuen Testaments
Dieser erste Teil des Beitrags widmet sich den Schritten 1 und 2. Der zweite Beitrag widmet sich den Schritten 3 und 4.
Schritt 1: Wähle ein griechisches Wort für eine Wortstudie aus
Merkmale von Wörtern, bei denen sich eine Wortstudie lohnt
Eine Wortstudie erfordert Zeit, deshalb ist es für die Praxis besonders wichtig, sich bewusst zu sein, bei welchen Wörtern es sich lohnt, tiefer zu graben.
Naselli nennt sechs Merkmale von Wörtern, bei denen sich eine Wortstudie lohnen könnte.
- Wörter, deren Bedeutung undurchsichtig ist
- Theologisch bedeutsame Wörter
- Wörter von unklarer Bedeutsamkeit
- Wörter, die selten verwendet werden
- Wörter mit Synonymen oder Antonymen
- Wörter, die in einem relevanten Abschnitt mehrfach verwendet werden
In den Seligpreisungen (Mt 5,3–12) gibt es ein Wort, das hier ganz besonders heraussticht. Es ist das griechische Wort makarios (selig, glückselig, glücklich). Es fällt in die erste Kategorie, da es recht unterschiedlich übersetzt wird. Während die rev. Elberfelder und die Schlachter 2000 „glückselig“ schreiben, schreibt die Luther 1984 „selig“. Die NGÜ schreibt „glücklich zu preisen“. Es fällt evtl. auch in die zweite Kategorie, da von seiner Bedeutung abhängt, welche Hoffnung ein Nachfolger Jesus’ haben darf – in geistlicher Armut, Trauer … Es fällt ganz sicher auch in die sechste Kategorie. In Mt 5,3–11 wird es insgesamt neunmal gebraucht.
Exkurs: Übersetzungsvergleich
Das erste Merkmal lautet: Wörter, deren Bedeutung undurchsichtig ist. Solche Wörter erkennt man oft daran, dass verschiedene Übersetzungen sie unterschiedlich wiedergeben. Um dem auf den Grund zu gehen, bietet sich ein Übersetzungsvergleich einiger gängiger deutschen Übersetzungen an.
Textvergleich zu glückselig
Über den Menüpunkt „Werkzeuge“ kann man „Textvergleich“ auswählen. So gelangt man zum Übersetzungsvergleich. In der ersten Spalte steht die Ausgangsübersetzung, hier die rev. Elberfelder. In den drei weiteren angezeigten Übersetzungen sind jeweils die Unterschiede hervorgehoben. Der kleine rote Kreis zeigt an, dass ein Wort in der Ausgangsübersetzung, aber nicht im Text der Vergleichsübersetzung enthalten ist. Die blau hervorgehobenen Wörter stehen in der Vergleichsübersetzung, aber nicht in der Ausgangsübersetzung. Die schwarzen Wörter stimmen in beiden Übersetzungen überein. Im Anschluss an den jeweiligen Vers ist vermerkt, zu wie viel Prozent beide Übersetzungen übereinstimmen. Die abweichende Übersetzung von makarios (rev. Elberfelder: glückselig) in der Luther 1984 und der NGÜ sticht so gleich hervor.
Schritt 2: Analysiere sein Bedeutungsspektrum im Neuen Testament
Der Assistent Wortstudie
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Wortstudie durchzuführen. Will man einfach die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten eines Wortes betrachten, eignet sich der in Logos integrierte Assistent Wortstudie. Sie können eine Wortstudie direkt aus dem griechischen Grundtext heraus starten, aber auch aus der Lutherbibel 1984, deren Text direkt mit dem Grundtext verknüpft ist.
Klicken Sie einfach mit der rechten Maustaste auf das Wort selig, dann auf das Lemma makarios und schließlich auf Biblische Wortstudie.
Unter dem Abschnitt Lemma können Sie das Wort in verschiedenen Wörterbüchern nachschlagen. Das tun wir hier allerdings nicht, da wir uns die Bedeutung selbstständig erarbeiten wollen.
Unter dem Abschnitt Übersetzung LU 84 werden die verschiedenen Wörter angezeigt, mit denen die Luther 1984 das Wort makarios übersetzt. Bei fast allen der 50 Vorkommen wird das Wort unterschiedlich flektiert mit selig übersetzt. Es wird nur eine Ausnahme angezeigt, Apg 26,2: „Es ist mir sehr lieb…“. Ein Blick in eine wörtlichere Übersetzung offenbart allerdings, dass kein Bedeutungsunterschied vorliegt. Die rev. Elberfelder, die makarios in den Seligpreisungen mit glückselig wiedergibt, übersetzt hier z. B.:
„Ich schätze mich glücklich …“ In Apg 26,2 hat makarios also keine völlig andere Bedeutung als sonst.
Wenn Sie weiter nach unten scrollen, werden weitere Hilfsmittel angeboten. So wird z. B. angezeigt, welche hebräischen Wörter dem griechischen makarios in der LXX zu Grunde liegen oder welche Wörter direkt mit makarios verwandt sind. Diese Möglichkeiten sind durchaus interessant, wir blenden sie aber hier aus. Im zweiten Teil des Beitrags werden wir auf die LXX eingehen.
Für uns bleibt festzuhalten, dass uns die einfache Übersicht, die der Assistent Wortstudie bietet, hier nicht besonders weiterhilft, da unser Wort im Grunde immer gleich übersetzt wird. Der Assistent eignet sich besser für Wörter mit verschiedenen Kontextbedeutungen.
Ein kleiner Tipp am Rande: Nutzen Sie den Assistenten doch einmal für das Verb „getröstet werden“ (gr. parakaleo) in Mt 5,4 und sie werden sehen, dass die Übersicht der Bedeutungsmöglichkeiten hier schon wesentlich aufschlussreicher ist.
Nach makarios suchen
Um eine Wortstudie selbstständig durchzuführen, müssen wir zuerst einmal nach allen weiteren Vorkommen des Wortes suchen. Klicken Sie dazu wieder zuerst mit der rechten Maustaste auf das Wort selig (in der erweiterten Interlinearbibel), dann wieder auf das Lemma makarios und schließlich auf „dieses Werk“.
In der verwendeten Bibel wird jetzt automatisch nach weiteren Vorkommen des Wortes gesucht.
Es werden 50 Ergebnisse in 49 Versen angezeigt. Das sind relativ viele. Wenn man eine Wortstudie durchführt, um einen Begriff in einer Passage besser zu verstehen, sind die Vorkommen am wichtigsten, die vom gleichen Autor stammen (hier Matthäus). Für diesen Beitrag konzentrieren wir uns hier deshalb nur auf die Treffer im Matthäusevangelium.
Wir können die Suche auch direkt eingrenzen, indem wir uns nur die Vorkommen im Matthäusevangelium anzeigen lassen. Wir können uns außerdem den griechischen Grundtext parallel anzeigen lassen.
Wortstudie bei Matthäus
Um zu verstehen, was der Begriff makarios in den Seligpreisungen aussagt, untersuchen wir zuerst die Vorkommen bei Matthäus außerhalb der Seligpreisungen. Das sind insgesamt vier:
- Mt 11,6 ist Teil von Jesu Antwort an Johannes den Täufer. Johannes war zu der Zeit im Gefängnis und hatte seine Jünger zu Jesus gesandt. Sie sollten ihn fragen, ob er der Christus sei (11,2f). Jesus beantwortet die Frage nicht mit einem Ja oder Nein. Wie so oft in den synoptischen Evangelien fordert er Johannes’ Jünger vielmehr auf, auf seine Wunder zu schauen und ihre Schlüsse daraus zu ziehen (11,4f). Jesus schließt seine Worte mit 11,6 ab: „Und glückselig ist, wer sich nicht an mir ärgern wird!“ (Rev. Elberfelder). Für Menschen, die sich an Jesus ärgern (gr. skandalizo), gebraucht Jesus wenige Kapitel später in Mt 15,12f zwei Bilder. Das Bild einer Pflanze, die ausgerissen wird und das Bild eines blinden Führers, der in die Grube fällt. Beide Bilder sprechen vom kommenden Gericht Gottes. Dementsprechend sind diejenigen, die Jesus in Mt 11,6 im Blick hat, deswegen makarios, weil sie nicht vom kommenden Gericht getroffen werden.
- In Mt 13,16 nennt Jesus die Augen und Ohren seiner Jünger makarios, weil sie ihn und seine Botschaft wahrnehmen und annehmen können. Die Jünger dürfen erleben, was viele vor ihnen nur ersehnen konnten. „Viele Propheten und Gerechte haben begehrt zu sehen, was ihr anschaut, und haben es nicht gesehen; und zu hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.“ (V.17). Sie sind makarios, weil sie in diesem Moment einen Einblick in Gottes Geheimnisse bekommen.
- In Mt 16,17 nennt Jesus Petrus makarios, weil er durch Gottes Offenbarung erkennen durfte, dass Jesus der Christus ist. Die Botschaft scheint ähnlich wie in 13,16 zu sein.
- In Mt 24,46 nennt Jesus in einem Gleichnis jenen Knecht makarios, der auf die plötzliche Wiederkunft seines Herrn vorbereitet ist, denn er wird belohnt werden (V.47). Er ist makarios wegen der Belohnung, die ihn in der Zukunft erwartet. Im Gegensatz dazu steht der böse unvorbereitete Knecht (V.48–51), der bestraft werden wird.
Im Matthäusevangelium werden Menschen dementsprechend aus zwei Gründen makarios genannt. (1) Sie dürfen bereits jetzt Zeugen von Gottes Wirken in der Welt sein und (2) sie dürfen eine große Belohnung in der Zukunft erwarten. Zwischen diesen beiden Polen bewegen sich auch die Verheißungen der Seligpreisungen. Die Jünger gehören bereits jetzt zum Himmelreich (5,3.10 – die Verheißungen stehen im Präsens) und sie dürfen eine große Belohnung für die Zukunft erwarten (5,4–9 – die Verheißungen stehen im Futur).
Zwischenfazit
Die Seligpreisungen lassen hinter die Fassade blicken. Egal, wie wir uns als Nachfolger Jesus’ manchmal fühlen mögen oder wie andere uns wahrnehmen: arm im Geist, trauernd, nach der Gerechtigkeit hungernd und dürstend … Vergessen wir nicht, dass wir in Jesus unglaublich reich beschenkt sind und ein noch größerer Reichtum auf uns wartet.