Kommt die Frage nach einer guten, genauen deutschen Übersetzung auf, werden meist Luther, Elberfelder und Schlachter genannt. Menge steht da häufig im Abseits. Zu Unrecht!
Dies ist Teil 2 unserer Minireihe über die Menge-Bibel.
Im Teil 1 ging es um die Biographie Menges, heute prüfen wir, wie gut es Hermann Menge gelang, möglichst genau und gleichzeitig verständlich zu übersetzen. Es schreiben Benjamin Misja (Theologe, Übersetzer bei www.offene-bibel.de) und Philipp Keller (Laie, dem die Verständlichkeit der Bibel am Herzen ist)
Inhalt
Tagsüber in Jerusalem, nachts auf dem Land: Markus 11,19
Durch seinen Hintergrund als Altphilologe ist Hermann Menge einerseits nahe am Urtext geblieben. Auf der anderen Seite war es ihm wichtig, »nicht am Buchstaben zu kleben«. Daher gliedert sich die Menge-Bibel irgendwo zwischen Elberfelder und Luther/Schlachter ein: Die Menge-Bibel ist genauer als die Luther, aber kommunikativer als die Elberfelder.
Ein gutes Beispiel ist Mk 11,19:
Menge | Elberfelder | Luther |
Und sooft es Abend geworden war, gingen sie […] aus der Stadt hinaus. Als sie nun am folgenden Morgen vorübergingen, sahen sie den Feigenbaum […] verdorrt | …wenn es Abend wurde… | …abends gingen sie hinaus vor die Stadt… |
Im Griechischen beschreibt die fett markierte Wendung ein Ereignis, das sich wiederholt. Das machen die verwendete Zeitform (Imperfekt) und die Konjunktion (übers. “sooft”) deutlich erkennbar. Man könnte auf Deutsch also auch sagen: “immer wenn es Abend wurde”, oder sogar: “jeden Abend…”
Luther lässt dieses Detail aus nachvollziehbaren Gründen aus. Es will nämlich nicht so recht in die Erzählung passen, dass Jesus und die Jünger “jeden Abend” aus der Stadt gingen, obwohl Markus hier einen ganz bestimmten Tag beschreibt. In Mk 11:27-Mk 14 wird immer wieder beschrieben, dass Jesus und die Jünger jeweils am Tag in Jerusalem waren und am Abend die Stadt verließen. Menge übersetzt daher: “Und sooft es Abend geworden war, gingen sie…”. Luther entschied sich also für eine vereinfachte Wiedergabe, Menge entschied sich hingegen dafür, diese im Griechischen vorhandene Zusatzinfo trotz allem genau wiederzugeben.
Der ahnungslose Bauer? Markus 4,26–27
Es gibt auch Stellen, da trifft Menge beim Übersetzen Entscheidungen, die nicht alle Übersetzungen mitgehen. Vielleicht kommt das daher, dass der Altphilologe sich zunächst ausschließlich und intensiv mit dem Urtext auseinandersetzte, diesen zuerst mehrere Male durchlas und mit Notizen versah. Erst dann fing er mit dem Übersetzen an und zog exegetische Literatur und andere Übersetzungen heran. Franz Eugen Schlachter und auch Ulrich Zwingli (Zürcher-Bibel) hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass sie relativ früh im Übersetzungsprozess die Luther-Übersetzung zu Hilfe nahmen.
Ein Beispiel, wo die Menge-Übersetzung nach unserer Meinung nach nicht überzeugt, ist Mk 4,26–27:
Menge | Luther |
»Mit dem Reiche Gottes verhält es sich so, wie wenn jemand den Samen auf das Land wirft und dann schläft und aufsteht in der Nacht und bei Tag; und der Same sproßt und wächst hoch, ohne daß er selbst etwas davon weiß. | Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. |
Menge interpretiert den beschriebenen Vorgang so, dass der Bauer unabsichtlich einen Samen hat fallen lassen und daher gar nicht merkt, dass er aufgegangen ist und wächst. Bei Luther bekommt es der Bauer wohl mit, er versteht aber nicht, wie es funktioniert. Aus dem Kontext heraus macht Luthers Variante mehr Sinn. Jesus möchte sagen: Der Bauer muss sich nicht sonderlich um die Saat sorgen und auch nicht verstehen, wie es dazu kommt, dass Getreide heranwächst. Denn die Verantwortung für die Saat von Gottes Reich liegt bei Gott selbst. Gleich wie Luther übersetzt es die Mehrheit der Übersetzungen (z.B. Elberfelder, NGÜ, EÜ, ESV, NIV, King James). Dieser Unterschied verändert zwar die Aussage des Gleichnisses, aber nur unwesentlich: In beiden Fällen ist es Gott, welcher der Urheber und Vollender des Glaubens ist. Der Mensch weiß weder, wie jemand zum Glauben kommt, noch wie der Glaube wächst.
“Heilige Geschwister” oder “heiliges Volk” in Kolosser 1,2
Das gehört dann aber auch schon zu den gewichtigeren Unterschieden zu den anderen Übersetzungen. Theologische Unterschiede etwa haben wir bisher nicht bemerkt. Andere Unterschiede sind weniger bedeutend. So zum Beispiel bei Kol 1:2:
Menge | Luther |
Ich, Paulus, […] und der Bruder Timotheus senden unseren Gruß den in Kolossä lebenden heiligen und gläubigen Brüdern […] | …an die Heiligen in Kolossä, die gläubigen Brüder… |
Das griechische Adjektiv, das Menge hier attributiv übersetzt (“heilige und gläubige Brüder”), gibt Luther mit dem Substantiv “Heilige” wieder. Viele andere Übersetzungen schließen sich dem an. Der Unterschied besteht also darin, dass die Adressaten statt als “Heilige”, gefolgt von “gläubige Brüder” (Luther) als “heilige Brüder” (Menge) angesprochen werden.
Etwas wahrscheinlicher ist die die Übersetzung Luthers. Sie beruht auf Parallelen zu anderen Brieferöffnungen (Röm, 1. Kor, Phil, Eph), wo Paulus “heilig” stets substantiviert gebraucht. Die Bezeichnung der Empfänger als “Heilige” spielt auf die AT-Tradition von Israel als heiligem Volk an.
Jesus und der vereitelte Fluchtversuch: Markus 6,33
Andererseits gelingen ihm oft ganz eigene Formulierungen, was seiner Übersetzung einen unverwechselbaren Charakter verleiht. So zum Beispiel in Mk 6,33:
Menge | Elberfelder | Luther |
doch man hatte sie abfahren sehen, und viele hatten ihre Absicht gemerkt; sie eilten daher […] dort zusammen und kamen noch vor ihnen an. | und viele sahen sie wegfahren und erkannten sie und liefen zu Fuß von allen Städten dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor. | Und man sah sie wegfahren, und viele merkten es und liefen aus allen Städten zu Fuß dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor. |
Hier bringt es Menges Übersetzung auf den Punkt: Jesus und die Jünger versuchen erfolglos, der Menschenmenge per Schiff zu entkommen. Im Fall der Wendung, die beispielsweise die Elberfelder Bibel einfach mit “viele… erkannten sie” übersetzt, gibt Menge ganz prägnant die wahrscheinliche Aussage-Absicht des Evangelisten wieder. Er formuliert: “viele hatten ihre Absicht gemerkt”. Die Menschenmenge hat also nicht nur die Menschen im Boot erkannt, sondern auch ihr Reiseziel vorausgeahnt. Anschließend wird dann auch berichtet, dass die Menschenmenge der Reisegruppe vorauseilte und sie am Ankunftsort erwartete. Immer wieder beweist Menge so ein Händchen für nicht zu freie, aber sinngetreue Übersetzungen. (Mehr dazu im nächsten Beitrag, wo die Erzähltechnik Menges genauer beleuchtet wird).
Ungewohnte Sprache
Die Menge-Bibel tritt sprachlich aus unserer Zeit heraus. Viele Wendungen sind uns heute nicht mehr vertraut. Die Fellkleider, die Gott Adam und Eva in Gen 3,21 macht, oder Josefs schönes Gewand (Gen 37) heißen bei ihm etwa noch “Rock”. Da merkt man: Anders als beispielsweise die Luther-Bibel hat Menges Übersetzung niemals eine Revision erfahren. Menges Sprache wird auf viele heute stellenweise sperrig und ungewohnt wirken. Kein Wunder, hat sie doch nun schon knapp 90 Jahre auf dem Buckel. Hier 2 Verse als Beispiel:
Vers | Menge | Luther |
1. Kor 6,7 | Es ist überhaupt das schon ein sittlicher Mangel an euch, | …schon schlimm genug… |
1. Kor 7,24 | Ein jeder, liebe Brüder, möge in dem Stande, in dem er berufen worden ist, bei Gott verbleiben! | …worin er berufen ist… |
Leser, die das nicht gewohnt sind, könnten mit Menge ihre Schwierigkeiten haben. Doch wer ähnliche Übersetzungen gewohnt ist, dem könnte diese Bibel dabei helfen, vertraute Texte neu zu entdecken.
Fazit
Menge hebt sich immer wieder von anderen Übersetzungen ab und findet eigene Formulierungen, was seiner Übersetzung einen eigenen Charakter verleiht. An wenigen Stellen misslingt das, meistens beweist er aber ein Händchen für nicht zu freie sinngetreue Übersetzungen.
Für viele Leser könnte es sich darum lohnen, beim Bibelstudium neben den gewohnten Übersetzungen auch einmal einen Blick in die Menge-Bibel zu werfen. Gerade durch ihren ganz eigenen Charakter könnte sie dem Leser aber auch einen frischen Zugang zum Bibeltext eröffnen. Nicht ohne Grund gehört diese Übersetzung auch knapp 90 Jahre nach ihrer Veröffentlichung zu den angesehensten deutschen Bibelübersetzungen.
Im Teil 3 dieser Reihe versucht Philipp Keller Ihnen darzulegen, wieso die Menge-Bibel in Ihrer Logos-Bibliothek nicht fehlen sollte.
Die Menge-Übersetzung ist sprachlich sicherlich – zum damaligen Stand – ein Meisterwerk. Leider hat sich Menge aber in einigen Stellen von der Theologie leiten lassen. Z.B. in 1Kor 12,13; übersetzt er – im Gegensatz zum Grundtext – mit „Taufe” und leistet damit der Taufwiedergeburtslehre Vorschub. Auch in Dan 10 betitelt er die Dämonenfürsten als „Schutzenge”.
Schade, denn sonst ist die Menge-Bibel sprachlich höchst lesenswert.
KHKauffmann
Hier ist noch ein Beispiel, wo Menge abweicht:
Römer 10, Vers 18–19 (Online-Version von Deutsche Bibelgesellschaft).
Es geht um das 2. „O doch” in Vers 19. Hier wird meiner Meinung nach der Sinn gedreht.
18 Aber, frage ich: Haben sie (die Predigt) vielleicht nicht zu hören bekommen? O doch! »Über die ganze Erde ist ihr Schall gedrungen und ihre Worte bis an die Enden der bewohnten Welt.« (Ps 19,5)
19 Aber, frage ich: Hat Israel sie vielleicht nicht verstanden? O doch! (Schon) Mose sagt als erster Zeuge (5.Mose 32,21): »Ich will euch eifersüchtig machen auf solche, die kein Volk sind; gegen ein unverständiges Volk will ich euch erbittern.«