Wie es zu der „Guten Nachricht Bibel“ kam, ist eine laaange Geschichte. Ziemlich sicher wurde sie noch nie erzählt, denn für diesen Artikel habe ich gut 30 verschiedene Quellen herangezogen. Einige davon waren schwer zugänglich. Was Sie hier lesen, war harte Arbeit, doch hier ist sie: Die Geschichte, wie die deutsche Sprache zu ihrer ersten kommunikativen Bibelübersetzung kam.
Die Geschichte der „Guten Nachricht Bibel“ fängt Ende 19. Jahrhundert bei der Arbeit von Missionaren an. Sie reisten in Gebiete, wo weder Englisch noch Französisch gesprochen wurde. Sie fertigten daher neue Übersetzungen an und übersetzten dabei nach besten Kräften einfach Wort für Wort, oft aus einer französischen oder englischen Übersetzung. Die Einwohner akzeptierten diese Bibeln nicht: Der Text hörte sich zu unnatürlich an.
Inhalt
Eugene Nida und seine Theorie zur „Dynamischen Äquivalenz“
Eugene Nida (1914–2012) bereiste nach seinem Theologiestudium die Welt. 1952 war er schon in über 30 Ländern gewesen. Immer mehr wurde ihm bewusst, wie schlecht die Missionare im Bibelübersetzen ausgebildet waren. Daher reiste er zu den Missionaren, um ihnen beim Übersetzen zu helfen. Dabei entstand seine Theorie der „dynamisch-äquivalenten“ Übersetzung. Das Ziel ist folgendes: Auf den Leser soll eine Übersetzung denselben Effekt haben wie auf jemanden, der vor zweitausend Jahren das originale Neue Testament las. Das Problem einer Wort-für-Wort-Übersetzung (Fachbegriff: „formale Äquivalenz“) ist, dass sie zwar nahe am Urtext bleibt, die Leser sie aber oft nicht verstehen (siehe Analyse der sprachlichen Fähigkeiten im Teil 1 dieser Beitrags-Reihe). Daher verfehlt eine solche Übersetzung die gewünschte Wirkung. Auf der anderen Seite verschleiert eine allzu freie Übersetzung (Fachbegriff: Paraphrase) die ursprüngliche Bedeutung, und Gottes Wort hat ebenfalls nicht die gewünschte Wirkung.
Nida schlug vor, einen Mittelweg zu beschreiten. Damit eine Übersetzung eine solche Gratwanderung meistert, lehrte er die Missionare seine Übersetzungstheorie. Eine gute Zusammenfassung seiner Theorie hat er in der von ihm begründeten Zeitschrift „The Bible Translator“ veröffentlicht.
Nidas Ansatz war an sich nicht neu. Schon Luther hatte in seinem Sendebrief vom Dolmetschen einiges aufgegriffen. (Luther übersetzte für seine Zeit erstaunlich frei, persönlich stufe ich die Luther als Vorreiter der dynamisch-äquivalenten Methode ein, aber das wäre ein Beitrag für sich).
Er war jedoch der Erste, der eine umfassende, systematische Theorie verfasste. Unermüdlich gab er seine Erkenntnisse an die Übersetzer weiter und hatte daher einen gewaltigen Einfluss auf die Übersetzungsarbeit des 20. Jahrhunderts. Selber verfasste er allerdings keine Übersetzung.
Good News for modern Man
Doch zurück zu den Missionaren. 1961 äußerten Missionare in Afrika und dem Fernen Osten den Wunsch nach einer Bibel für Erwachsene, die Englisch nur als Fremdsprache kannten. Gleichzeitig beklagten Missionare an der amerikanischen Grenze, es gebe keine Bibel für die niederen Bildungsschichten; insbesondere für Leseschwache und Kinder. So wurde die Amerikanische Bibelgesellschaft (ABS) beauftragt, eine Bibelübersetzung für das Bildungsniveau eines Viertklässlers zu erstellen. Eugene Nida war Vorstandssekretär bei der ABS, daher war es klar, dass die neue Übersetzung auf seiner Methode beruhen würde. Er selbst war aber nicht direkt involviert.
Fünf Jahre später kam das Neue Testament unter dem Namen „Good News for Modern Man“ heraus. Der Erfolg war überwältigend. Innerhalb von drei Jahren wurden 17.5 Millionen Exemplare verkauft. Das ist einerseits auf die Vermarktung der neuen Bibelausgabe zurückzuführen. Das Cover suggeriert, dass die Bibel ebenso einfach zu lesen sei wie eine Tageszeitung. Andererseits war die Zeit einfach reif für eine solche Übersetzung: Viele Amerikaner der 60er-Jahre verstanden die traditionelle Kirchensprache nicht mehr. Sie konnten mit Wörtern wie „repentance“ (Umkehr) nichts mehr anfangen. Die Good News Bible übersetzte stattdessen mit „turn away“ (sich abkehren).
Die erste deutsche kommunikative Bibelübersetzung: „Gute Nachricht für Sie – NT 68“
Hans-Ulrich Nübel von der Württenbergischen Bibelanstalt verstand die Absicht der „Good News Bible“ und sah im deutschsprachigen Raum den Bedarf nach einer Übersetzung mit ähnlicher Ausrichtung. Er verfolgte dasselbe Ziel wie das englische Vorbild: Die deutsche Bibel sollte ebenso leicht zu lesen sein wie eine Zeitung. Das Cover und der Titel wurden daher übernommen.
Nübels Befürchtung war aber diese: Falls Theologen sich an die Übersetzung machen, kommt schlussendlich wieder eine wörtliche Bibelübersetzung raus. Darum fasste er einen unerhörten Plan:
Er beauftragte drei Journalisten (!), die „Good News Bible“ aus dem Englischen (!) ins Deutsche zu übersetzen. Die Journalisten kamen aus dem kirchlichen Umfeld, hatten aber recht extravagante Ansichten. Einer glaubte, dass Jesus ein gescheiterter politischer Aufständischer war, und schrieb sogar ein Buch darüber. Eine empfiehlt eine Mischung zwischen Christentum und Humanismus. Wichtiger als eine orthodoxe Lehrmeinung war Nübel, dass sie guten, flüssigen Text schreiben konnten, und das ist ja, was Journalisten von Berufs wegen am besten können.
Der so entstandene Text wurde anschließend von einigen Theologen mit dem griechischen Urtext abgeglichen. Nur anderthalb Jahre nach der „Good News Bible“ erschien schließlich die „Gute Nachricht Bibel“.
Man sollte bedenken: Es war das erste Mal, dass im deutschen Sprachraum eine kommunikative Übersetzung auf den Markt kam. Zudem war allen Beteiligten bewusst, dass die gewählte Übersetzungsmethode recht gewagt war. Darum fragte man die Leser in der Einleitung nach Rückmeldungen:
Das Ergebnis ist ein Versuch – daher der Untertitel NT 68. Für die Weiterarbeit sind Einwände und Verbesserungsvorschläge aus dem Leserkreis sehr erwünscht. (Schreiben Sie an die Württembergische Bibelanstalt, 7000 Stuttgart 1, Postfach 755.)
(Aus der Einleitung zur NT68)
Und diese blieben nicht aus. Als Problem wurde nicht die unorthodoxe Vorgehensweise der Übersetzer empfunden, sondern die Tatsache, dass diese Übersetzung einen ganz anderen Wortlaut hatte als die verbreiteten Bibeln (Luther, Schlachter, Zürcher, Elberfelder). Die „Gute Nachricht“ polarisierte. Entweder man hasste sie oder man liebte sie.
Eigenheiten der NT68
Pharisäer und Steuereintreiber
Ich wollte diese Reaktionen nachvollziehen können. Und ich wollte wissen, wie es klingt, wenn Journalisten eine Bibelübersetzung anfertigen. Darum bestellte ich mir kurzerhand eine gebrauchte Ausgabe.
Beim Aufschlagen des NT68 hatten mich zunächst zwei Dinge überrascht:
Erstens: das Layout ist das einer Lesebibel: Der Text besteht nur aus der bloßen Übersetzung und den Abschnitts-Überschriften. Die Versnummerierung fehlt, es gibt keine Fußnoten und keine Querverweise. Sogar die Anführungs- und Schlusszeichen bei direkter Rede fehlen. Geschmacksprobe: Joh. 1.
Zweitens: Hin und wieder wird eine seitenfüllende Zeichnung eingeschoben. Die Zeichnungen stammen von Horst Lemke, einem Kinderbuch-Zeichner, und wurden eigens für die NT68 angefertigt. Es wurden also nicht die Zeichnungen des englischen Originals übernommen. Oben sehen Sie die Zeichnung, welche das Gleichnis „Pharisäer und Steuereintreiber“ illustriert.
Sprachlich ist die NT68 keine Paraphrase. Ein Beispiel: In Johannes 3 heißt es „Wasser und Geist“ (in der ersten Ausgabe der „Hoffnung für alle“ hieß es nur „Geist“); die Sprache ist recht modern, ohne aber in Vulgarität oder Umgangssprache abzudriften.
Damit Sie sich davon ein Bild machen können, habe ich ‚Jesus und Nikodemus‘ (Joh 3) und ‚Die Arbeiter im Weinberg‘ hier online gestellt. Unten ein Vergleich von einigen Wörtern in der Luther und in der Guten Nachricht für Sie (NT68):
Luther | NT68 | |
---|---|---|
Mk 8,14 | Jünger | Schüler |
Mt 6,24 | Herren | Vorgesetzten |
Mt 8,1 | Aussätziger | Leprakranker |
Mt 8,22 | Folge du mir | Komm mit mir |
Mt 8,29 | zwei Besessene | zwei Irre |
Mt 16,24 | nehme sein Kreuz auf sich und folge mir | Er muß sein Kreuz auf sich nehmen und mir nachtragen |
Mt 17,2 | er wurde verklärt vor ihnen | veränderte er sich vor ihren Augen |
Was danach geschah und wie die „Gute Nachricht Bibel“ 30 Jahre später zu der zuverlässigsten freien deutschen Bibelübersetzung wurde, davon erzählt im nächsten Beitrag Dr. Rolf Schäfer, der bei der dritten Revision in der Neunzigerjahre als Revisor tätig war.
Dieser Artikel ist Teil 2 einer vierteiligen Reihe über die Gute Nachricht Bibel. Die anderen 3 Beiträge:
- Wieso freie Bibelübersetzungen belächelt werden, und was daran falsch ist.
- «Es ging darum, den ersten kühnen Wurf zu bändigen» – Interview mit Dr. Rolf Schäfer über die Revision der Guten Nachricht Bibel
- Gute Nachricht Bibel – eine umfangreiche Textkritik
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