Freie Übersetzungen werden oft belächelt, gerade von erfahreneren Bibellesern: „Wieso sollte jemand die Bibel in einer freien Übersetzung lesen, wenn es doch die genauen Übersetzungen gibt?“ Kurze Antwort vorneweg: Rund ein Viertel der Leute in unseren Gemeinden sind auf Übersetzungen in moderner Sprache angewiesen, da sie Luther, Elberfelder und Co. gar nicht verstehen können.
Da hier viele Prediger mitlesen, welche Empfehlungen zu Übersetzungen machen, will ich nun eine „Ode an die freien Übersetzungen“ loswerden. Dies ist der Auftakt zu einer vierteiligen Serie zur Guten Nachricht Bibel.
Inhalt
Übersetzungen überbringen die Offenbarung Gottes
Das Neue Testament wurde auf Griechisch verfasst, Jesus aber sprach wahrscheinlich hauptsächlich Aramäisch. Die Autoren des Neuen Testaments zitieren meist aus der Septuaginta, einer griechischen Übersetzung des AT. Die Offenbarung Gottes ist voll von Übersetzungen, und Gott hat es in Kauf genommen, dass der Bibeltext dabei gefärbt, respektive unvollständig wiedergegeben wird. Denn was Gott wichtiger ist: Er will sich den Menschen offenbaren. Daher nahm er es auf sich, Mensch zu werden, er wurde einer von uns, damit wir ihn besser verstehen können.
Eine Bibelübersetzung sollte dieses Anliegen widerspiegeln: Sie hat daher einen missionarischen Charakter. Sie bringt das Wort Gottes zu den Menschen. Wenn die Menschen sie nicht verstehen, dann hat sie ihr Ziel verfehlt.
Ich habe erlebt, dass Christen mit Deutsch als Zweitsprache die Elberfelder-Bibel empfohlen wurde. Oder dass einem Jugend-Arbeiter davon abgeraten wurde, mit den Kindern die Gute Nachricht Bibel zu lesen. Diese Empfehlungen kommen oft von Theologen, welche ängstlich darauf bedacht sind, dass der Urtext nicht verfälscht wird. Dabei wird vergessen, dass viele Gemeindemitglieder sprachlich nicht so gut unterwegs sind und daher genaue Übersetzungen gar nicht verstehen können.
Eugene Nida, der Übersetzungstheoretiker im 20. Jahrhunderts, schrieb:
Einige Übersetzer bestehen auf eine wörtliche Übersetzung, weil sie eine falsche Vorstellung haben von Inspiration. Sie glauben, dass das Neue Testament in einer speziellen Form von Griechisch geschrieben wurde: eine Art „Heilige Geist Sprache”. Diese müsse wiedergegeben werden. […] Eine solche Sicht der Heiligen Schrift ist nicht weit entfernt von einer „Magie der Worte”. […]. Für sie ist eine wörtliche Übertragung wichtiger als der Sinn des Kontexts. Wenn der ursprüngliche Schreiber das griechische Wort „Sarks” in verschiedenen Passagen benutzt, dann muss die Übersetzung an allen Stellen dasselbe Wort gebrauchen, z. B. „Fleisch”, obwohl das Wort in den verschiedenen Kontexten ziemlich verschiedene Bedeutungen haben dürfte. (aus: „The Bible Translator”, 1970)
… denn sie verstehen nicht, was sie lesen
Die „Level One Studie“ hat den Analphabetismus in Deutschland erhoben. Die folgende Tabelle fasst das Ergebnis zusammen.
Level | Bedeutung | Anteil der Erwachsenen |
---|---|---|
α1 – α2 | Erwachsene verstehen nur einzelne Wörter, aber nicht zusammenhängende Sätze. | 4.5 % |
α3 | Verstehen einzelne Sätze, aber jedoch keine zusammenhängende (auch kürzere) Texte. | 10 % |
α4 | Langsames/fehlerhaftes Lesen auf Satz/Text-Ebene auch bei gebräuchlichen Wörtern. | 26 % |
Ich versuche, das auf freie Bibelübersetzungen zu münzen und habe dazu die Grafik rechts erstellt. 14.5% der Erwachsenen (Level α1-α3, in der Grafik rechts: blau) werden nie die Bibel lesen können, sei sie in einer noch so leichten Sprache. Sie werden zu Analphabeten im „weiteren Sinn“ gezählt. Sie können zwar grundsätzlich lesen, jedoch nicht genügend gut, als dass sie den Sinn eines Textabschnitts verstehen würden.
Ein Viertel der deutschen Erwachsenen (rot) sind sprachlich etwas besser unterwegs, aber immer noch so schlecht, dass sie eine wörtliche Übersetzung nicht verstehen können. Von dieser Gruppe heißt es in der Studie: „Typisch Betroffene vermeiden das Lesen und Schreiben häufig“. Falls solche Christen nur wörtliche Übersetzungen zu Hause stehen haben, dann werden sie diese nicht öffnen, oder wenn, dann nur ungern und ohne großen Gewinn. Erwachsene >α4 (orange) verstehen beides, wobei es auch dort viele gibt, denen das Lesen von freien Übersetzungen weit leichter fällt. Aufgrund meiner Erfahrung in Gemeinden würde ich etwa der Hälfte der Christen eine freie Übersetzung empfehlen.
Bei meinen Internet-Recherchen über Bibelübersetzungen stoße ich häufig auf Schimpftiraden über freie Übersetzungen. Diese Leute lassen nur die genauen Übersetzungen wie Elberfelder, Luther usw. stehen. Die NGÜ mag gerade noch in Ordnung gehen, aber die Gute Nachricht und auch die Hoffnung für Alle werden verschmäht. Was solche Kritiker nicht beachten: Ohne diese Übersetzungen würde etwa jedem Vierten die Bibel verwehrt.
Vor 100 Jahren sah es noch nicht so schlimm aus, da konnten die sozialen Strukturen dies noch auffangen: Leseschwache hatten durch Lesestarke in der Familie oder der Gemeinde trotzdem Zugang zu Gottes Wort. Heute leben wir eigenständiger. Menschen, die alleine zu Hause nach Gott suchen, brauchen kommunikative Übersetzungen, die sie von sich aus verstehen können. Billy Graham empfahl bei seinen Evangelisationen die „Good News Bible“, das englische Vorbild der deutschen ‚Guten Nachricht‘. Er wollte die Menschen mit Gottes Wort erreichen und wusste, dass viele seine Zuhörer auf ihre verständliche Ausdrucksweise angewiesen waren.
Und wenn ich ganz ehrlich bin: Auch ich mit einem Universitätsabschluss öffne am Morgen um 6:00 Uhr lieber die Gute Nachricht als die Schlachter-Bibel. Denn früh am Morgen ist mein intellektueller Zustand auch noch nicht ganz auf der Höhe…
Freie Übersetzungen ja, aber nicht zulasten der Zuverlässigkeit!
Also: Freie Übersetzungen wie die Gute Nachricht Bibel könnten rund jeden Vierten in die Lage versetzen, den Bibeltext ohne fremde Hilfe zu verstehen. Die erhöhte Verständlichkeit ist das Ergebnis verschiedener Maßnahmen. Die folgenden Beispiele sind der Guten Nachricht Bibel entnommen:
- Umstrukturierung: Wenn nötig, werden Teilsätze im Vers oder auch über Versgrenzen hinweg umgeordnet, z. B. in Apg 1,3 steht „Nach seinem Leiden […] hatte er sich ihnen wiederholt gezeigt“ statt wie in der Luther „Ihnen zeigte er sich nach seinem Leiden […]“. Letzteres entspricht der griechischen Wortfolge, ersteres ist verständlicher.
- Explikation: Hintergrundwissen, das nicht im Text enthalten ist, weil es den ursprünglichen Lesern bekannt war, wird explizit gemacht. Beispielsweise wird in Lk 2,22 hinzugefügt, dass Jesus 40 Tage nach seiner Geburt geweiht wurde. Die Dauer zwischen Geburt und Weihe wurde aus Lev. 12:2–4 entnommen.
- Interpretation: An Stellen, wo das griechische Original mehrere Interpretationen zulässt, entscheidet sich die Übersetzung für eine. Zum Beispiel wird der schwierige Vers Mt. 11,12: „Bis heute leidet das Himmelreich Gewalt“ übersetzt mit „bis heute stellen sich ihr Feinde in den Weg“.
- Kontextorientierung: Statt für dasselbe griechische Wort immer dasselbe deutsche Wort zu wählen, wird je nach Kontext eine andere Übersetzung gewählt. Reich Gottes wird z. B. übersetzt mit „Gott richtet seine Herrschaft auf“, „Gottes Wille geschieht“, oder „Gottes neue Welt“.
- Übertragen der Begriffe: Für veraltete Begriffe wird ein modernerer Begriff verwendet. Aus „salbe dein Haupt“ in Mt. 6,17 wird „kämme dich“, oder aus dem „Stecken“ in Mt. 10,10 wird ein „Wanderstock“.
Keine dieser Maßnahmen ist ohne Risiko. Sie alle hängen vom Urteil der Übersetzer ab. Und wer kann garantieren, dass deren theologische Ansichten nicht am Ende in der Übersetzung durchscheinen? Aber die Übersetzer kommunikativer Bibeln legen alles daran, dass die deutschen Texte am Ende nicht tendenziös sind. Sie setzen sich in langwieriger Arbeit mit der exegetischen Forschung auseinander, um am Ende die zuverlässigste Übersetzung zu gewährleisten. Wo es unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten gibt, kommen alternative Interpretationen oder die wörtliche Übersetzung oft in Fußnoten unter. Vor der Veröffentlichung werden die Manuskripte von anderen Theologen beurteilt.
Nach ihrer Erstveröffentlichung 1967 wurde die Gute Nachricht Bibel 1990–1997 zum dritten Mal revidiert, damit sie noch zuverlässiger würde. Der Prozess dauerte sieben Jahre. Mit dabei war Dr. Rolf Schäfer. Er wird uns im übernächsten Beitrag darüber erzählen.
Seit dieser Revision wirbt die deutsche Bibelgesellschaft damit, dass die Gute Nachricht Bibel die zuverlässigste der kommunikativen deutschen Übersetzungen sei.
Dieser Artikel ist der erste Teil einer vierteiligen Reihe über die Gute Nachricht Bibel. Die anderen 3 Beiträge:
- Gute Nachricht Bibel: Wie es zur ersten freien deutschen Übersetzung kam – eine erstaunliche Geschichte
- «Es ging darum, den ersten kühnen Wurf zu bändigen» – Interview mit Dr. Rolf Schäfer über die Revision der Guten Nachricht Bibel
- Gute Nachricht Bibel – eine umfangreiche Textanalyse
Greifen Sie jetzt zu und erwerben Sie die Gute Nachricht Bibel in Logos!
Habe den Artikel hier aufgegriffen:
Warum Deutschland eine Bibel in einfacher Sprache braucht
Es ist eine traurige Tatsache, dass die Gute Nachricht eine in Teilen nicht unerheblich falsche Übersetzung liefert, die nicht nur die Tatsache eines Geschehens verfälschen, sondern auch seinen Sinn.
Beispiel dafür bietet Lukas 1,26; hier wird aus einer Jungfrau einfach eine
„junge Frau” gemacht.
Das allein ist Bibelverfälschung pur.
Das gute an Logos ist, dass man viele Bibeln vergleichen kann und auch direkt Wortstudien zu einem Wort erstellen kann. Ich erkläre das der Gemeinde oder meinen Kindern dann, warum ich diese Übersetzung besser finde oder nicht. Oder in diesem Fall: warum ich glaube, welche Übersetzung richtig ist.