Während meines Theologiestudiums im Schwarzwald stellte uns der Dozent für die Römerbrief-Vorlesung vor folgende Aufgabe: „Lest den Römerbrief komplett durch, von vorne bis hinten. Streicht dabei jeden Indikativ rot an, der euch gilt.“
Der Römerbrief enthält unheimlich viele Aussagen darüber, wer wir in Christus sind. Oder was wir durch Christus haben. Beispiel? Röm 5,1: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus.“ Oder 5,9: Wir werden bewahrt werden. 5,10: Wir sind mit Gott versöhnt worden.
Allein aus diesen drei Versen weiß ich nun, dass ich gerecht und mit Gott versöhnt worden bin und von ihm bewahrt werde. Es ist natürlich spannend, herauszufinden, was im Römerbrief noch so steckt. Wer bin ich? Der Römerbrief ist eine echte Quelle für Fragen rund um meine Identität in Christus.
Im Klassenexperiment hat sich aber ziemlich schnell gezeigt, wie fehleranfällig und selektiv wir bei so einer Aufgabe oft vorgehen. „Oh, stimmt, diesen Vers habe ich völlig überlesen.“ (Schnell noch den Stift rausgeholt und angestrichen …). Oder „Äh? Das ist doch kein Indikativ …“ Wie sich zeigte, spielte die benutzte Bibelübersetzung eine Rolle. In einigen Übersetzungen waren Verse im Indikativ übersetzt, die in anderen eher nach Imperativ klingen. Aber es liegt doch der gleiche griechische Text zugrunde? Müsste ein Indikativ im Urtext nicht automatisch einen Indikativ in der Übersetzung bedeuten?
Und was ist mit Römer 5,1 aus meinem Beispiel oben? In der Luther-Übersetzung eindeutig ein Indikativ. Ein kurzer Blick mit der Interlinear-Funktion zeigt, dass hier gar kein Indikativ im Urtext steht.
In meinem letzten Post (Erweiterte Interlinearbibeln entdecken: Gleiche Wörter im Urtext finden) habe ich gezeigt, wie Logos mit den erweiterten Interlinearbibeln den „Text hinter dem Text“ anzeigen kann. Und natürlich: Wenn ich das Interlinear-Werkzeug aktiviere (1), sehe ich auch die Morphologie der Verben und erkenne: „bewahrt werden“ steht im Indikativ (2).
Aber was ich mir wirklich wünsche, wäre eine Möglichkeit, das auch im Text zu visualisieren. So dass ich eben nicht jeden von mir vermuteten Indikativ einzeln anklicken und überprüfen muss.
Sie ahnen es: Logos hat eine solche Funktion, nämlich visuelle Filter.
Einen visuellen Filter anlegen
Ein visueller Filter ist ein Logos-Dokument. Einen neuen Filter richten Sie über das Menü Dokumente → Visuelle Filter ein. Es gibt drei Arten von visuellen Filtern, wir wählen für unsere Zwecke zunächst „Morph“ aus (3). Dann können wir einen sinnvollen Namen vergeben, z. B. „Indikative“ (4).
Nun müssen wir eine Morphologie wählen, die zum Urtext passt, den wir durchsuchen wollen. Für das NT ist das Griechisch, Sie nehmen also die „Logos Greek Morphology“ (5).
Nun tippen Sie ins freie Feld ein @ und wählen aus dem Pop-Up-Menü das Verb aus. (6).
Nachdem Sie das Verb ausgewählt haben, werden im Menü weitere Optionen sichtbar. Damit können Sie auf Wunsch eine ganz bestimmte Verbform eingrenzen: Tense (Zeit), Voice (Dieathese), Mood (Modus), Person usw. Für unsere Zwecke wählen wir den „Indikativ“ als Modus („Mood“) aus (7) und drücken die Taste ESC auf der Tastatur.
Logos hat aufgrund dieser Angabe die nicht definierten Teile mit „?“ ersetzt, wie z. B. die Zeitform (8). Zuletzt können wir noch eine Formatierung auswählen. Wie soll der Indikativ im Text markiert werden? Ich wähle „Gelb“ (9) aus, es gibt aber viele weitere mögliche Auszeichnungsstile
Jetzt bleibt mir nur noch, meine Lieblingsbibel mit erweiterter Interlinear-Funktion zu öffnen und den visuellen Filter zu aktivieren. (10) Alle Indikative im Text werden nun markiert.
Beim Durchlesen des Römerbriefes werden Sie feststellen, dass Logos uns inzwischen mehr Verben markiert, als ursprünglich beabsichtigt. Der Filter hebt jedes Verb im Indikativ hervor, ob es der Aufgabenstellung vom Anfang entspricht oder nicht.
Doch das können wir noch feintunen. Öffnen Sie noch einmal den visuellen Filter „Indikative“ und klicken Sie wieder in das Textfeld. Neben dem Indikativ legen Sie jetzt zusätzlich noch die 2. Person Plural (ihr) fest und schließen Sie das Dokument. Der Filter wurde angepasst und zeigt jetzt nur noch Indikative an, in denen Paulus seine Leser direkt mit „ihr“ oder „euch“ anspricht. Da sich der Römerbrief an die ganze Gemeinde richtet, erfasst das nun unsere Aufgabe ziemlich genau.
Wie gehts weiter?
Das ganze kann man beliebig erweitern und visuelle Filter erstellen für alle möglichen Zwecke. z. B. lohnt es sich, die Evangelien mal mit einem Imperativ-Filter durchzulesen (vielleicht Rot?) oder sich Filter für bestimmte Zeitformen zu erstellen: Aorist (Schnappschuss-Ereignis in der Vergangenheit) oder Perfekt (abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit, Auswirkungen auf die Gegenwart).
Wenn Sie die Filter sinnvoll benennen und die Formatierung unterschiedlich wählen, können Sie beim Lesen entscheiden, welche Filter Sie jeweils ein- oder ausschalten wollen.
Mir persönlich hilft es beim Bibelstudium, wenn ich den Text das zweite oder dritte Mal lese, auf grammatikalische Besonderheiten zu achten, die mir sonst vielleicht nicht auffallen.
Visuelle Filter funktionieren in allen Texten. Sie könnten zum Beispiel:
a) einen deutschen Text nach bestimmten Wörtern durchsuchen und diese markieren lassen.
b) den Urtext direkt durchsuchen lassen, versuchen Sie es doch mit dem Nestle-Aland-Text aus dem deutschen Basispaket.
c) alles, was Logos sonst noch an getaggten Informationen bietet, können Sie hervorheben. Wie wäre es mit Worten eines bestimmten Sprechers (berühmtes Beispiel: In manchen Bibeln werden Worte Jesu rot markiert, es funktioniert in Logos aber mit jedem Sprecher). Oder lassen Sie sich doch im Neuen Testament alle Zitate aus dem AT hervorheben.
Die Möglichkeiten sind vielfältig und erstaunen mich auch immer wieder aufs Neue.
Ein visueller Filter morphologischer Art wie der hier vorgestellte setzt jedoch immer einen Text mit morphologischen Auszeichnungen voraus. Dass auch Normalsterbliche diese Funktion benutzen können, gehört zu den ganz besonderen Vorzügen von erweiterten Interlinearbibeln.
Die erweiterte Interlinearbibel zur Luther-Bibel ist bereits in unseren Basispaketen enthalten. Zur Schlachter-Übersetzung lässt sich diese Funktion seit kurzem per Pre-pub (Was ist Prepub?) vorbestellen – Sie erhalten diese dann, sobald sie fertig ist.
Die erweiterte Interlinearbibel zur Schlachterbibel 2000 vorbestellen.
Herzlichen Dank! Ich nutze Logos schon seit einer Weile, habe diese Funktion aber noch nie genutzt und auch noch nicht gekannt. Ich freue mich auf weitere Artikel! 🙂
Grüße,
Jakob
Hallo Jakob,
freut mich wenn ich „alten Hasen” auch neues zeigen kann. Bin selbst immer wieder erstaunt über die Möglichkeiten die Logos einem so bietet. Wenn ich nur mehr Zeit hätte… 😉
Und wer weiß, vielleicht hilft der Blog ja die Lernkurve auch für Neulinge etwas zu minimieren.
Viele Grüße,
Thomas
Ich habe Logos 7 – Bronze. Kann es sein, dass diese Funktion hier nicht zur Verfügung steht? Wenn ich in der Interlinear-Bibel auf visuelle Filter gehe, dann habe ich einen Unterpunkt in der Treeview-Liste „visuelle Filter”. Er lässt sich aber nicht aufklappen.
Doch, das sollte auch in Bronze funktionieren. Das ist wohl ausgegraut, weil noch kein visueller Filter angelegt ist oder erkannt wird. Teilweise muss man die Ressource schließen und noch einmal neu öffnen, damit der visuelle Filter sichtbar wird.
Ja, es wird es angezeigt. Danke für die Info
Guten Tag,
ist diese Visualisierung auch mit der Elberfelder CSV möglich? Bei der Schlachter funktioniert dieser Funktion, ich hätte es gerne auch bei meiner CSV Übersetzung. Danke für diesen hilfreichen Tipp!
Hallo Arthur,
soweit mir bekannt ist, funktioniert das mit der Elberfelder in der CSV Edition leider nicht.
Das liegt daran das quasi „hinter dem Text” der Urtext liegen bzw. damit verknüpft sein muss. Erst so werden die Interlinear und davon abhängigen Features, wie die visuellen Filter, möglich.
Das ist eine ziemliche Arbeit, Ben Misja könnte da mehr erzählen. Nur wenn genügend Leute das für die Elberfelder (CSV) möchten, kann es sich lohnen.
Viele Grüße aus Frankfurt,
Thomas Zimmermann